Alle Beiträge

Die Texte unserer Sendungen in den SWR-Programmen können Sie nachlesen und für private Zwecke nutzen.
Klicken Sie unten die gewünschte Sendung an.

SWR2 Wort zum Tag

24MRZ2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

„Der direkteste Weg ist immer der Umweg!“ Diesen Satz von C.G. Jung habe ich vor kurzem auf einer Begleittafel neben einem Labyrinth gelesen. Und ich konnte ihm gleich spontan zustimmen. Er trifft auch meine eigene Lebenserfahrung.

Da habe ich beim Wandern ein Hinweisschild übersehen. Und schon wird die Strecke doppelt so lang. Aber sie führt überraschend an einer wunderbaren Einkehrhütte vorbei. Was mit zusätzlichen Mühen begonnen hat, hat sich am Ende als ausgesprochener Glücksfall erwiesen. Der direkteste Weg ist immer der Umweg!“ Auch im übertragenen Sinn halte ich diesen Satz für eine zutreffende Lebensweisheit. Da hat sich im Leben etwas einfach nicht ergeben wollen: Eine Stelle. Der Kontakt zu einem bestimmten Menschen. Ich musste mich dann für einen neuen Weg entscheiden. Aber am Ende hat sich genau dadurch die Tür geöffnet, die meinem Lebensweg die entscheidende Wendung ermöglicht hat.

Eine der für mich großartigsten Geschichten der Bibel ist auch eine Umweg-Geschichte. Sie erzählt von Mose. Der hat eine Zeitlang als Hirte gearbeitet. (2. Mose 3) Auf der Flucht. Um sein Leben zu retten. In der Eintönigkeit seines Hirtendaseins nimmt er eines Tages eine Erscheinung wahr. Einen Busch, der zu brennen scheint. Mose ist neugierig und sagt sich: „Ich will einen kleinen Umweg machen. Ich will schauen, was sich da abspielt.“ Und als er näherkommt, entdeckt er: Dieser brennende Busch ist keine Einbildung. Es ist der Ort einer alles verändernden Gottesbegegnung.  Denn aus dem brennenden Busch heraus beruft Gott den Mose, die Verantwortung für seine Landsleute zu übernehmen. Er soll sie aus der Sklaverei in die Freiheit führen.

Ein kleiner Umweg für Mose. Und zugleich die entscheidende Wendung auf seinem Lebensweg. Es ist dieser kleine Umweg gewesen, der Mose am Ende direkt in die größte Herausforderung seines Lebens, in seine zentrale Lebensaufgabe führt.

Nein, Umwege suche ich mir nicht selber. Sie ergeben sich. Meist gegen meinen Willen. Die Lebenskunst besteht darin, über den Umweg nicht zu jammern. Sondern ihn als Chance zu begreifen. Und Augen und Ohren offen zu halten. Ich kann sagen: Im Rückblick ist mein Leben nichts anderes als eine Aneinanderreihung von Umwegen. Aber am Ende komme ich womöglich nur so direkt ans Ziel. Ich bin gespannt, welche Umwege noch auf mich warten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37337
weiterlesen...
23MRZ2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

„Ich bin ein Mensch!“ Jedes Mal, wenn ich im Internet ein Ticket bei der Deutschen Bahn buchen möchte, muss ich erst einmal diesen Satz anklicken. Und bestätigen, dass ich ein Mensch bin. Natürlich weiß ich, dass es darum geht zu überprüfen, dass da wirklich der Kunde bucht, der sich eingeloggt hat. Und keine Maschine. Trotzdem berührt es mich jedes Mal irgendwie seltsam, wenn ich mein Häkchen neben diese Aussage setze: „Ich bin ein Mensch!“

Eigentlich, denke ich mir, müsste man die Bestätigung dieses Satzes in ganz anderen Situationen zur Zugangsvoraussetzung machen. Wenn nicht mit einem Kreuzchen, dann doch mit innerer Zustimmung. Dieser Satz könnte überall helfen, wo Menschen es miteinander zu tun haben. Im beruflichen Alltag etwa, wenn der Chef seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wieder einmal seine Macht spüren lässt. Es könnte helfen, wenn er sich vorher bewusst macht: „Ich bin auch nur ein Mensch!“ Dieser Satz könnte da seine Wirkung entfalten, wo jemand nicht auf Augenhöhe mit mir spricht. Mich ungebührlich behandelt: Dann müsste ich eigentlich antworten: „Auch ich bin ein Mensch! Respektiere bitte meine Grenzen.“

Der Satz „Ich bin ein Mensch!“ hilft mir, meine Rolle gegenüber Gott recht zu verstehen. Vom Propheten Jesaja kann ich das lernen. In der Bibel wird berichtet, wie er in sein Amt als Prophet berufen wird. (Jesaja 6,1-8) Im Tempel hat er eine Vision. Er sieht Gott, umgeben von Engeln. Das ist ein derart überwältigender Anblick, dass er vor Angst fast vergeht.  Er ahnt: Eigentlich bin ich hier am falschen Ort. „Weh mir“, ruft er, „ich bin doch nur ein Mensch! Ich bin doch gar nicht würdig, hier auf Gott zu treffen.“ Einer der Engel, so wird berichtet, berührt daraufhin die Lippen Jesajas mit einem glühenden Stück Kohle. Reinigt so gewissermaßen seine Lippen. Legt die Kraft feuriger Worte in seinen Mund. Und am Ende, als Gott fragt: „Wen soll ich beauftragen, den Menschen meine Worte weiterzusagen?“. da antwortet Jesaja sehr selbstbewusst: „Ich bin ein Mensch! Sende mich!“  

Nein, ein Prophet muss ich nicht gleich werden. Aber wenn ich wieder ein Ticket buchen muss, dann warte ich, bis die Frage erscheint und setze dann ohne zu zögern mein Kreuzchen: „Ja, ich bin ein Mensch! Und deshalb mache ich mich auf den Weg. In die Welt. Und zu denen, die mit mir als Menschen unterwegs sind.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37336
weiterlesen...
22MRZ2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Martina Steinbrecher spricht heute den Beitrag von Malte Jericke:

Über feministische Außenpolitik wurde immer wieder diskutiert in letzter Zeit. Ich konnte mit dem Begriff erst mal wenig anfangen. Was könnte an Außenpolitik speziell feministisch sein? Als dann Annalena Baerbock und Svenja Schulze die Richtlinien ihrer feministischen Außenpolitik vorgestellt haben, habe ich mich mal ein bisschen näher damit befasst: Männer und Frauen sollen weltweit gleichbehandelt werden. Projekte, die sich für die Teilhabe von Frauen einsetzen, sollen besonders gefördert werden.     

Erfunden hat die Bundesregierung den Einsatz für Frauen oder benachteiligte Gruppen nicht.
Auch Jesus hat sich zum Beispiel für die Rechte von Frauen eingesetzt. Er hat Frauen explizit angesprochen, mit ihnen diskutiert und sie seine Botschaft gelehrt. Kurz gesagt: Jesus hat, was seine Anhängerschaft anlangte, keinen Unterschied gemacht zwischen Frauen und Männern. Er hat die Gleichstellung der Frau vorgelebt. In der patriarchalen Gesellschaft seiner Zeit war das sehr ungewöhnlich. Denn Frauen standen damals eher auf einer Stufe mit Kindern und Sklaven.

Auch die Auferstehung Jesu, die wir in wenigen Wochen an Ostern feiern, wurde als erstes von Frauen bezeugt. Frauen waren die ersten, die dem auferstandenen Jesus begegnet sind (Mt 28,ff). Auch das ist ungewöhnlich. Denn die Aussage von Frauen hat zur damaligen Zeit nichts gezählt. Vor Gericht war sie wertlos.  Nur Männer konnten als Zeugen aussagen. Und dann waren es ausgerechnet Frauen, die als Zeugen der Auferstehung Jesu angeführt werden.   

Jesus hat also auch andere mit seinem Eintreten für die Rechte von Frauen beeinflusst. Denn die biblischen Erzählungen wurden nur von Männern aufgeschrieben. Dass in der Bibel so prominent von den Frauen berichtet wird, ist bemerkenswert.

Leider hat das noch nicht ganz ausgereicht. Denn 2000 Jahre nach Jesus ist es offensichtlich immer noch nötig, eine Strategie zur Förderung der Gleichberechtigung aller Menschen weltweit auszuarbeiten und vorzustellen. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass Männer und Frauen, Jungen und Mädchen gleiche Rechte und Chancen haben. Ist es aber nicht. Und solange das so ist, finde ich es gut, wenn wir uns dafür einsetzen und es vorleben. Und es ist ja auch gar nicht so schwer. Allen Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. So wie Jesus es tat. Ganz selbstverständlich.

Martina Steinbrecher sprach heute den Beitrag von Malte Jericke von der evangelischen Kirche in Stuttgart.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37307
weiterlesen...
21MRZ2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Martina Steinbrecher spricht heute den Beitrag von Malte Jericke:

Manchmal steckt sie sich ihren Fuß in den Mund. Einfach so, ohne jegliche Anstrengung. Beeindruckend. Also ich bekomme meinen Fuß nicht in den Mund. Für meine Tochter ist das kein Problem. Sie ist jetzt ein Jahr alt, da hat sie natürlich gewisse anatomische Vorteile.

Vieles andere kann sie nicht selbstständig: Sich Essen beschaffen zum Beispiel. Da ist sie auf ihre Eltern angewiesen. Ohne Menschen, die sich um sie kümmern, hätte sie keine Überlebenschance. Und trotzdem fällt mir immer wieder auf, dass sie mir in manchem deutlich überlegen ist. Sie kann Dinge, die ich nicht hinbekomme. Und das ist nicht immer nur anatomisch bedingt. Ich beobachte zum Beispiel, dass Menschen oft ganz fröhlich und friedlich werden, wenn sie mit Kindern zusammen sind. Eine Wirkung, die ich nicht immer erziele.  

In der Bibel wird behauptet, dass jeder einzelne für Gott etwas Besonderes ist und irgendwas gut kann (z. B. Gal 3,28f). Das klingt vielleicht wie eine Floskel. Aber ich finde, dass es stimmt. Man kann es erkennen, wenn man die Menschen mit all ihren Fähigkeiten wahrnimmt. So wie ich meine Tochter. Aber es gibt auch andere Beispiele.

Heute ist Welt-Down-Syndrom Tag. Das öffentliche Bewusstsein für Menschen mit Down-Syndrom soll dadurch gestärkt werden. Sie sind im Alltag oft auf Hilfe angewiesen. Viele haben Schwierigkeiten mit unseren sogenannten Kulturtechniken: Lesen, Schreiben, Rechnen. Einige bleiben ein Leben lang auf andere angewiesen. Vielen wird aber auch oft nur wenig zugetraut.  

Natürlich muss man vorsichtig sein mit allgemeinen Zuschreibungen. In einer definierten Gruppe von Menschen sind schließlich nie alle gleich oder können alle dasselbe.

Aber ich habe erlebt, dass Menschen mit Down-Syndrom oft sehr gute emotionale Fähigkeiten entwickelt haben. Sie fühlen mit, nehmen stark Anteil an Freud und Leid anderer und können sehr herzlich sein. Viele haben keine Vorbehalte oder Vorurteile und können Menschen sehr gut so annehmen, wie sie sind. Ich finde, das sind ganz wichtige Fähigkeiten. Und mir zumindest gelingt das nicht immer so gut.  

„Jeder ist etwas Besonders und jeder kann etwas gut.“ In den Begegnungen mit den Downies, die ich kenne, werden solche Sätze für mich wahr.  

Dass Menschen im Alltag auf Hilfe angewiesen sind, heißt nicht, dass diejenigen, die ihnen helfen, grundsätzlich überlegen wären oder mehr können. Menschen haben einfach unterschiedliche Fähigkeiten.

Martina Steinbrecher sprach heute den Beitrag von Malte Jericke von der evangelischen Kirche in Stuttgart

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37306
weiterlesen...
20MRZ2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Martina Steinbrecher spricht heute den Beitrag von Malte Jericke:

Ich habe es getan. Ein Kind in die Welt gesetzt. Meine Tochter ist jetzt ungefähr ein Jahr alt. Ich bereue nicht, dass sie auf der Welt ist.

Warum ich das sage? Weil mir in letzter Zeit immer wieder die Frage begegnet, ob man in so eine Welt noch Kinder setzen kann. Im Freundeskreis wird das diskutiert, aber auch in den Medien. Im Radio habe ich vor Kurzem sogar eine Diskussion verfolgt, da ging es nur noch darum, warum man in diese Welt auf gar keinen Fall mehr Kinder setzen kann.

Die Ängste, die hinter dieser Frage stecken, kann ich nachvollziehen. Können wir in 50 oder 100 Jahren überhaupt noch vernünftig auf dieser Welt leben? Wie geht es weiter in der Ukraine, schwappt der Konflikt bis zu uns? Was machen Krieg und Klimawandel mit unserer Welt? Fragen, die wir heute nicht zufriedenstellend beantworten können und die deshalb Angst machen. Mir auch.

Aber ich finde: wir stehen alldem nicht komplett machtlos gegenüber. Klar, was in der Ukraine passiert, das können wir nicht eben mal kurz beenden. Aber Politiker können doch darauf einwirken, dass irgendwann verhandelt und nicht mehr geschossen wird. Sie können vorsorgen, dass keine neuen Kriege ausbrechen. Als Gesellschaft können wir öffentlich debattieren, Meinungen und Handlungen beeinflussen und friedliches Zusammenleben vorleben. Beim Klimawandel scheint es mir noch viel offensichtlicher: Saubere Energie produzieren und nutzen, CO2 einsparen, verzichten, ohne den Wohlstand komplett aufzugeben, neue Technologien entwickeln. Der Weg, den menschengemachten Klimawandel zumindest stark zu verlangsamen, ist eigentlich klar – wir müssen ihn nur gehen.  

Es sind vor allem junge Menschen, die die Klimadiskussion in die breite Öffentlichkeit tragen und sich für den Erhalt der Lebensgrundlagen einsetzen. Ich erlebe auch oft, dass Schülerinnen und Schüler gute Ideen haben, wie man gerechter und friedlicher zusammenleben kann.

Ich jedenfalls habe diese Welt nicht aufgegeben. Ich denke, meine Tochter kann in hundert Jahren noch gut auf dieser Erde leben, wenn wir manches verändern und verbessern. Daran glaube ich und darauf hoffe ich. Zumindest so lange Kinder geboren werden und sich junge Menschen für eine gute Zukunft einsetzen.

Martina Steinbrecher sprach heute den Beitrag von Malte Jericke von der evangelischen Kirche in Stuttgart

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37305
weiterlesen...