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SWR Kultur Wort zum Tag

06SEP2023
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„.. ein Sturm weht vom Paradies her“, schreibt der jüdische Philosoph Walter Benjamin in einer seiner letzten Notizen. 1940. Er war damals in Südfrankreich auf der Flucht vor den Nationalsozialisten. Ein Sturm sei in der Welt, der alles fortreißt – weg vom Paradies, immer weiter weg von einem versöhnten und friedlichen Leben in Einklang mit der Natur.
So hat Walter Benjamin auf die vergangene menschliche Geschichte geblickt und wohl auch seine eigene Zeit erlebt. Für ihn stand dieser Sturm auch für all die Verwüstungen, die über Europa gekommen waren: Rassenhass und Krieg - die alle Menschlichkeit zu verschlingen drohten.

Ein Bild von Paul Klee hat Benjamin auf diese Idee gebracht. Darauf ist ein Engel zu sehen. Benjamin meint, dieser Engel möchte seine ausgebreiteten Flügel schließen, um alles Böse und alle Bluttat zu heilen. Aber er schafft es nicht. Der Sturm ist einfach zu stark. Der Engel kann diese Bewegung „weg von Eden“ nicht aufhalten.

Über 80 Jahre sind seither vergangen.
Ist die menschliche Geschichte - wie Benjamin es geschrieben hat - wirklich nur „eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft...“ Man kann das so sehen. Wieder wehen heftige, verheerende Stürme durch Europa. Krisen und Abgründe tun sich auf.

Ich spüre aber gleichzeitig auch andere Lüfte. Es gibt eine andere Wirklichkeit mitten unter uns, das Reich Gottes, wie Jesus einmal gesagt hat. Es gibt das Land, in dem Milch und Honig fließen kann. Ich habe es im Spätsommer in all seiner Pracht vor Augen. Der Boden ist fruchtbar. Und wo Menschen sich darum bemühen, können Früchte wachsen und wunderbar gedeihen.

Und die Völker müssen sich nicht – angestachelt von egomanen Tyrannen – die Köpfe einschlagen.  Ich höre und staune: Selbst in der so brutal von Russland angegriffenen Hafenstadt Odessa liegen Menschen jetzt wieder am Strand und gehen schwimmen - in ihrem geliebten Schwarzen Meer. (ard – 21.8.20219) Es weht diese Luft vom Paradies her, die Frieden und Liebe wachsen lässt. Immer wieder neu. So wie es der Prophet Elia einst erfahren hat. Nicht im Sturm, nicht im Brausen und Beben, nicht in der Gewalt – aber in einem sanften Sausen – so sei Gott an ihm vorübergezogen. (1. Könige 19,12)

Damit ich diese andere Wirklichkeit nicht übersehe und verpasse, will ich genau hinhören und hinspüren: Dieses sanfte Sausen vernehmen. Dieser Luftzug vom Paradies ist in der Welt. Und darin Raum für Gott, für seine Engel und für menschliches Leben. Auch heute.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Gibt es so etwas, wie einen persönlichen Engel? Einen Engel, der einen Menschen über Jahre hinweg begleitet? Der tröstet und schützt, der immer mitgeht und vor falschen Schritten bewahrt?

Der Philosoph Walter Benjamin hatte so einen persönlichen Engel. Für ihn war er dargestellt auf einem Bild des Malers Paul Klee. Der Name des Engels war Angelus Novus. Neuer Engel.
Dieser Engel war für Walter Benjamin ein Engel, der ihm immer irgendwie die Tür offen hielt zu dem Unaussprechlichen, zu einer anderen Welt, die noch nicht da ist, die aber möglich ist und in der es besser sein wird und gerechter und friedvoller als es jetzt ist.

Walter Benjamin war Jude. Er kannte die Vorstellung des Judentums, dass jeder Mensch einen persönlichen Engel hat. Dieser persönliche Engel stellt das geheime Innerste eines Menschen dar. Nur Gott kennt es. Genau so wie nur Gott den geheimen Namen des Engels kennt. Dieser Engelname ist, so die schöne Vorstellung, hineingewebt in den Vorhang vor Gottes Thron.

Als Walter Benjamin 1921 das Engelsbild kaufte, wusste er noch gar nicht, wie wertvoll es für ihn werden würde. Später jedenfalls hat er es als seinen wichtigsten Besitz bezeichnet.

Fast ohne Unterbrechung hat er mit diesem Engelsbild gelebt. Er hatte es in seinem Arbeitszimmer hängen; in die verschiedenen Wohnungen, in denen er lebte, nahm er es mit. Der Engel war auch in seiner Brieftasche, als er vor den Nationalsozialisten aus Deutschland fliehen musste. Und in seinem Testament bestimmt er genau, wer es bekommen sollte, nach seinem Tod.

Im Laufe der Jahre waren es immer andere Situationen, in denen der Engel für ihn wichtig wurde. Als er sich von seiner Frau Dora trennte und neu und unglücklich verliebt war, da war der Engel ihm so etwas wie ein Komplize seiner Sehnsucht nach einer neuen Liebe.
Und bei seinen Versuchen, die Welt und ihre Geschichte zu verstehen, da war es auch dieser Engel, der ihm beim Begreifen half.
Mit dem Engel konnte er erschrecken über die vielen Katastrophen der Weltgeschichte.
Und ahnen, wie sehr es doch einer anderen Kraft bedarf, soll sich etwas ändern auf der Welt.

Das Bild hat ihn immer wieder erinnert:
Da ist ein Engel, der "die Tür" offen hält zu einer Welt, die noch nicht da ist.
Ein Engel, der ahnen lässt, dass es die Liebe gibt, auch wenn sie gescheitert ist.
Und dass es Frieden und Gerechtigkeit gibt, auch wenn es unmöglich erscheint.

Advent ist die Zeit der Engel. Und so ein Engel täte auch mir manchmal gut.
Damit er mir so etwas wie eine Tür aufhält zu einer anderen Welt. Und ich nicht aufhöre mich zu sehnen, nach einer guten und gerechten und nach heilen Welt für alle Menschen.
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SWR Kultur Wort zum Tag

Wenn Petrus und Jakobus, zwei von den Jüngern Jesu, schon Smartphones gehabt hätten: diesen Anblick hätten sie festgehalten. Sie sahen, was niemand zuvor und danach gesehen hat. Jesu „Angesicht leuchtete wie die Sonne, seine Kleider strahlten weiß wie ein Licht“, heißt es in der Bibel. Das war so beeindruckend, dass Petrus diesen Moment, dieses umwerfende Bild, unbedingt festhalten wollte. Er will da gar nicht mehr weg. „Lass uns hierbleiben“, schlägt er vor, „und eine Hütte bauen.“ Überirdisch das Ganze! Endlich ein Beweis dafür, dass Jesus mehr ist als ein normaler Mensch. Dieses Bild fixieren – und zwar für immer und als Beweis.

Aber tatsächlich ging es ja so weiter: Das wunderbare Licht über Jesus verlischt und es wird düster in ihm und um ihn. Das Angesicht Jesu wird bespuckt und geschlagen. Petrus will nichts mehr mit ihm zu tun haben und verleugnet ihn, als es brenzlig wird. Kein Wort mehr von: Lass uns auf immer zusammenbleiben. Aus der Traum. Und vergessen das überirdisch schöne Bild von damals. 

"Ob sich nicht das Gefallen an der Bilderwelt aus einem düsteren Trotz gegen das Wissen nährt?“ überlegt der Philosoph Walter Benjamin. Ein Trotz gegen das Wissen, dass das Bild noch eine Kehrseite hat: die Wirklichkeit. Die schönen Bilder, die uns umgeben, wollen ja, dass man ihnen glaubt: Bilder von heilen Familien, von idyllischem Landleben, von Frieden stiftenden Religionen. Sie sind wohl Bilder einer Wirklichkeit, wenn auch nicht der ganzen.  Doch an diese Bilder glaubt der Träumer. Was danach kommt und was dahinter steht –„das alles muss er vergessen, um den Bildern sich zu überlassen. An ihnen hat er Ruhe und Ewigkeit“, schreibt Walter Benjamin.

Petrus und Jakobus sehen Jesus so, wie sie ihn geglaubt haben: als Gottes Sohn, als Entrückten, als einen, der mit Mose und Elia auf einer Stufe steht. Am Ende, als sie wie aus einem Traum erwachen, erinnert Jesus sie an das, was sie so gerne vergessen möchten: dass er, Jesus, sterben muss und dass zum Menschsein beides gehört:  Das Wissen um die harte Wirklichkeit – und der Trotz dagegen, der die schönen, wahren Bilder für immer festhalten möchte. Wenn schon nicht mit dem Smartphone, dann wenigstens mit Worten.

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SWR Kultur Wort zum Tag

Der 1940 verstorbene Maler Paul Klee hat immer wieder Engel gemalt. Eines seiner Engelbilder trägt den Titel „Angelus Novus". 1920 hat er es geschaffen. Nach einer wechselhaften Geschichte hat das Bild seinen Platz in einem Jerusalemer Museum gefunden.

Eine Engelfigur steht mir vor mir - Körper und Gesicht sind mir zugewandt, Augen und Mund weit geöffnet, die Arme wie Flügel ausgebreitet.

„Angelus Novus" - „Engel des Neuen", so könnte man etwas frei übersetzen. Vielleicht auch: „Fortschrittsengel". Strahlt dieses Werk Hoffnung aus oder Skepsis?  Der „Fortschritt" ist ja zwiespältig: Für die einen bedeutet er, dass wir durch vielfältige Anstrengungen einer helleren Zukunft entgegen gehen. Andere erfüllt der so genannte Fortschritt mit tiefem Misstrauen. Ist über die Zeiten hinweg wirklich etwas besser geworden, und kann uns das, was wir Menschen gestalten und was uns oft auch über den Kopf wächst, nicht eher das Fürchten lehren?

Skepsis oder Hoffnung? Paul Klees „Angelus Novus", der „Fortschrittsengel", ist       geradezu zum Symbolbild für diese Frage geworden. Sein erster Besitzer, der jüdische Schriftsteller Walter Benjamin, hat in ihm den Engel der Geschichte gesehen, der auf die Vergangenheit zurückblickt und darin ein unablässiges Fortschreiten von Katastrophe zu Katastrophe sieht. Der Engel möchte retten, heilen - aber er kann es nicht, weil ihn der Sturm unwiderstehlich immer weiter vom Paradies wegtreibt in eine unheilvolle Zukunft hinein. Dieser Sturm der Zerstörung ist für ihn der Fortschritt.

Skepsis oder Hoffnung - gibt es überhaupt eine Antwort auf diese Frage, wenn wir das Leben und die Geschichte der Menschen betrachten? Entspricht Walter Benjamins Sicht nicht weithin dem, was uns die Geschichte lehrt und was wir weltweit tagtäglich um uns herum erleben? Seine Deutung begleitet Klees Bild des „Angelus Novus" bis heute.

Aber ist nicht auch eine andere Sicht möglich? Vielleicht entfernt sich dieser Engel ja nicht von mir, sondern kommt auf mich zu? Vielleicht laden seine ausgebreiteten Flügel mich ein, mich auf Neues und Unbekanntes einzulassen? Überlasse ich der Resignation das letzte Wort, oder kann ich einen Hoffnungsboten in ihm sehen - trotz des vielfachen Scherbenhaufens der Geschichte, den ja niemand leugnen kann? Das ist die Frage, die Klees „Angelus Novus" unausweichlich stellt: Was dürfen wir hoffen? Könnte es sein, dass die Verheißung des Schöpfungsmorgens noch lange nicht zu Ende gesprochen ist, die lautet: „Alles ist gut."

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