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Der neunte November ist ein komplizierter Tag, finde ich. Und ich weiß gar nicht, was ich heute fühlen soll: Scham wegen der Abscheulichkeiten, die im Lauf der Geschichte an dem Datum passiert sind – oder doch lieber Freude, weil heute vor 36 Jahren die Berliner Mauer gefallen ist? Ich würde ja sagen: Hauptsache keine Gleichgültigkeit- und dafür liefert mir der Autor Rafik Schami gute Gründe:
Die Gleichgültigen nehmen alles hin, wie es kommt. Sie sind weder dafür noch dagegen. Sie folgen Faschisten, Kommunisten oder Liberalen, ohne eine politische Haltung zu haben. Das garantiert ihr Überleben, denn für Gleichgültigkeit gibt es in keiner Gesellschaft eine Strafe […].
[Wer gleichgültig ist]) hat stets eine Entschuldigung parat: »Man blickt nicht durch«; »Man kann als Einzelner sowieso nichts verändern«; oder: »Was da genau geschehen ist, wer weiß, vielleicht sind sie die Opfer selber schuld.« Er ist programmiert aufs bloße Überleben und die Geschichte bestätigt ihn heimlich. Die Gleichgültigen überleben. Und sie möchten gerne nach gesellschaftlichen Katastrophen das Unschuldslamm spielen, aber ihre Mitschuld macht sie zu einem stinkenden Hammel.
Rafik Schami, Über die Gleichgültigkeit, Berlin/Tübingen
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43252Es gibt Bücher, die haben eine überirdische Kraft und bescheren heilige Lesemomente. Davon ist der Journalist Daniel Kaiser überzeugt. Er meint:
Es kommt nicht darauf an, ob man einen Roman nach dem anderen inhaliert oder nur gelegentlich zum Schmöker greift. Ich glaube: Jeder und jede kann diese heiligen Lesemomente erleben. Bücher und ihre Geschichten fallen in unser […] Leben. Und berühren uns. […]
Die raren wertvollen Momente des „heiligen Lesens“ machen mir klar, dass Bücher mehr sein können als ein Spiegel, mehr als eine Horizonterweiterung, mehr als eine Möglichkeit zum Perspektivwechsel. Sie sind Geschenke, die in einem ungeheuren Ausmaß Resonanzräume schaffen können für eine kleine Seligkeit.
Quelle
Daniel Kaiser: Heiliges Lesen, in: Andere Zeiten - Magazin zum Kirchenjahr, Andere Zeiten e.V., 03/2025, S. 5.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43229Pilgern erdet, und man erlebt wahnsinnig viel. Heike Pieper-Schade hat bereits über 1300 km auf dem Jakobsweg zurückgelegt. Das wirkt auch in ihrem Alltag nach. Sie erzählt:
Ich habe für mich erkannt, dass man ganz wenig braucht. Beim Unterwegssein muss man auch mit wenig auskommen. Man muss nicht allen Dingen hinterherrennen. Ich bin normalerweise keine gelassene Person und kann auch hektisch werden. Auf dem Pilgerweg ist das ganz anders. Das versuche ich mit in den Alltag zu retten. Ich erinnere mich dann an Situationen und denke mir, das geht doch auch anders.
Quelle
Heike Pieper-Schade: Pilgerporträt, in: der Pilger - Magazin für die Reise durchs Leben, Peregrinus GmbH, 03/2025, S. 32.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43228Es gibt Orte, die sind anders, und da fühlt man sich anders. Für die Redakteurin Silvia Becker ist das ein riesiger Stadtwald in der Nähe ihrer Wohnung. Sie erzählt:
[…] Jeden Tag gehe ich dort mit meiner Hündin spazieren und tauche ein in diese Anderswelt. Schon bald verbindet sich mein Atem mit dem Rhythmus der Natur. Mein Herz schlägt langsamer, meine Alltagsorgen weichen freudiger Gelassenheit, das Grün umfängt mich wie ein schützender Mantel. Und manchmal, da spüre ich eine Gegenwärtigkeit, die mich begleitet, unsichtbar und liebevoll. Ist das der Schöpfergott oder ist es mein eigenes kleines Leben, das sich urplötzlich verdichtet? Oder beides?
Quelle
Silvia Katharina Becker: Im grünen Bereich, in: Wunderlust! Der Frauenkalender 2025, KW 39, Heilig, Herzog & Langenbacher GbR, Esslingen 2024.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43227Der Regisseur Fatih Akin wird gefragt, wie ihn das Thema Nationalsozialismus betrifft. Er antwortet:
Ich sehe das Thema Nationalsozialismus nicht als etwas, das mich erblich betrifft oder eben nicht. Ich denke, das, was damals passiert ist, haben Menschen anderen Menschen angetan, und als Mensch verbindet mich das damit. Wenn man es jetzt alles runterbricht […], dann sind doch unsere Pässe, Überzeugungen und Nationalitäten nur Geschichten. […] Die einen sind so, die anderen sind so, aber im Grunde alle gleich. Daran glaube ich wirklich. Und deshalb sollte sich kein Land über ein anderes erheben.
Quelle
„Ich versuche die menschliche Natur zu erforschen…“. Interview mit Fatih Akin, geführt von Barbara Spielhagen, in: centaur. Magazin. Eins für alle!, Dirk ROSSMANN GmbH, Oktober 2025, S. 30.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43226In Gedanken nicht immer schon einen Schritt voraus sein, könnte dazu führen, dass man im Alltag das Überraschende entdeckt. Diese Einsicht hatte die Seelsorgerin Beate Hofmann. Sie sagt:
Wenn ich beim Zähneputzen die To-do-Liste durchgehe,
im Bus die Posts der anderen checke,
beim Mittagstisch nur die Krisen der Welt debattiere,
mit Kopfhörern durch den zartgrünen Park laufe
und die Vorhänge schließe, weil der Vollmond mich blendet –
dann wundert’s mich nicht, dass nichts mehr mich wundern kann.
Quelle
Beate Hofmann: Einsicht, in: Wunderlust! Der Frauenkalender 2025, KW 40, Heilig, Herzog & Langenbacher GbR, Esslingen 2024.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43225Der Tag, an dem sich etwas verändert, muss kein schlechter Tag sein. Der Autor Matthias Lemme nennt solche Tage sogar „Sternstundentage“ und erklärt warum:
An Sternstundentagen wackelt die Welt. Viele glauben dann, das sei der Untergang. Ein paar Mutige halten dagegen, das sei ja längst überfällig. Gleiches Geld für gleiche Arbeit. Selbstbestimmung für den eigenen Körper. Abschaffung des Ehegattensplittings. Wahlrecht für Kinder. Dreieinhalbtagewoche. Grund und Boden als Gemeingut sichern.
Die meisten großen Ideen haben die Welt nicht zu Fall gebracht. Im Gegenteil, sie haben ihr gutgetan und sie ist dran gewachsen.
Quelle
Matthias Lemme: Verbieg den Raum, in: Luft nach oben. Der Sonntagskalender 2025, 26.10., edition chrismon in der Evangelischen Verlagsanstalt GmbH, Leipzig 2024.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43224Haben Sie auch eine Bucketlist, und was steht da drauf? Auf der Liste der Theologin Urte Bejick stehen so ganz untypische Dinge. Sie erzählt:
Wenn mir noch ein paar Jahre vergönnt sind,
will ich die vollendeten Umgangsformen der Kühe studieren
in Ansätzen wenigstens [...] (die Sprache der Raben) lernen
noch immer im Wald
Käfer auf ihr(e) Füßchen drehen
das Kraut in den Ritzen gießen
im Novembernebel spazieren
im fallenden kupfernen Laub
die Schürze aufhalten
Blumen auf verwaiste Gräber legen
immer noch Höflichkeit pflegen
Freundlichkeit streuen
und bis zuletzt
den eigenen Gewissheiten misstrauen.
Quelle
Urte Bejick: Zukunftspläne, in: Wunderlust! Der Frauenkalender
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43223Sie gehört zu den größten lebenden deutschen Entertainerinnen: Anke Engelke. Ihre erfolgreiche Karriere verdankt sie ihrem Talent und viel Arbeit. Aber auch der Ermutigung von anderen:
„Ich habe mich schon sehr oft in meinem Leben einfach in ein Abenteuer hineingeworfen, vor allen Dingen in berufliche, und gemerkt, dass es Menschen gibt, die daran glauben, dass ich das kann, auch wenn ich es mir selbst überhaupt nicht zugetraut habe. Und diese Menschen brauche ich. Ich bin nämlich selbst keine Macherin, und ich bin auch nicht sonderlich selbstbewusst. Insofern bin ich abhängig von Menschen, die mir was zutrauen.“
Anke Engelke im Gespräch mit Hannah Heubel & André Bosse, „Das Diskutieren über Schuld macht den Menschen so klein“, in: Galore Interviews 73, 11/2025
https://www.kirche-im-swr.de/?m=43193
Im Judentum ist G-tt nicht fern, sondern mitten im Leben.
In jedem Atemzug, in jedem Moment kann Heiliges aufleuchten.
Tikkun Olam – die Welt zu heilen – beginnt mit einem offenen Herzen.
Wer Gutes tut, bringt G-ttes Licht in die Welt.
Der Prophet Micha erinnert: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist:
Gerechtigkeit achten, Liebe üben und demütig gehen mit deinem G-tt.“
So wird jeder Tag zu einer Begegnung – zwischen Mensch und Ewigkeit.
Aus: Micha 6:8
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