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Jetzt können wir sie wieder erleben, diese zauberischen Herbststunden am Morgen zwischen Nacht und Tag, in denen der Nebel die Häuser umhüllt und vor den Wäldern auf den Wiesen liegt. „Im Nebel ruhet noch die Welt, noch träumen Wald und Wiesen“, so beschreibt Mörike in einem Gedicht diesen herbstlichen Zustand in der Dämmerung eines neuen Tages. Der Nebel verhüllt die Welt, zugleich birgt er eine Ahnung, Mörike meint: Eine Verheißung. „Bald siehst du, wenn der Schleier fällt, den blauen Himmel unverstellt.“ Mich erinnern die morgendlichen Nebelstunden und Mörikes Gedicht daran, dass unsere Wahrnehmung stets begrenzt ist und zugleich erfüllt von der Ahnung einer größeren Wirklichkeit. Was ich sehen kann, was ich mit meinen Sinnen und meinem Verstand erfassen kann, ist oft nicht ganz klar. Selbst mein eigenes Leben habe ich nicht immer in der Hand, und manchmal kommt es mir im Rückblick vor, als hätte ich meine Tage verträumt, manche Zeiten liegen wie im Nebel.
Sie machen mich daher bescheiden, diese morgendlichen Nebelstunden. Sie zeigen mir meine Grenzen. Sie erinnern mich daran, dass ich Geschöpf bin und in einer Schöpfung lebe. Dass es eine Zeit vor dieser Welt gab und eine Zeit nach mir geben wird. Auch wenn ich mir das gar nicht vorstellen kann wie es ist, wenn ich nicht mehr bin. Wer weiß, was ich einmal sehen werde, wenn der Schleier für mich fällt. Heute gilt: Im Nebel ruhet noch die Welt.
Die Einsicht in die eigene Begrenzung könnte traurig stimmen. Und manchmal ist das auch so. Doch Mörike erinnert mich daran, dass der Herbst seine eigene Stärke hat. Wenn sich die Nebel verzogen haben, brennt die Sonne nicht auf die Erde, vielmehr fließt ein warmes Licht durch die Welt. Mörike sieht, nach dem Nebel, herbstkräftig die gedämpfte Welt, in warmem Golde fließen.
Wie schön: Im warmen Golde fließen. Und herbstkräftig sein! So mag ich gerne durch diese Herbsttage gehen, mich und die Menschen und unser Leben darin sehen. Wir sind kostbare, zerbrechliche, wunderbare Geschöpfe, gehüllt in das Gold der Herbsttage. Herbstkräftig eben.
Dafür mag ich Gott dann auch herbstkräftig loben und ihm danken. Für die nachdenklichen Nebel-Stunden in der Dämmerung eines neuen Tages, für meine Träume, für den blauen, unverstellten Himmel und für das, was bleibt. Vor dem Nebel und nach dem Nebel. Im warmen Golde.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38517Mit der Suche nach Gott muss man es sich gar nicht so schwer machen! Dafür steht ein Lebenskunst, die im biblischen Buch der Weisheit beschrieben wird. Es sind über 2000 Jahre alte Beobachtungen, Einsichten und Erkenntnisse, die helfen können zu einer bedachtsamen und umsichtigen, eben einer „weisen“ Lebensführung.
Um weise zu sein, braucht es demnach keine großen intellektuellen Aufschwünge. Wer weise sein will, so heißt es, muss am Morgen nur seine Haustür öffnen, um aufmerksam wahrzunehmen, was sich da alles den Sinnen bietet.
„Wer sich früh zu ihr aufmacht“, so ist im Buch Weisheit zu lesen, „muss sich nicht mühen; denn sie wartet schon vor seiner Tür... Die Weisheit ist schön und unvergänglich und lässt sich von denen finden, die sie suchen... Nach ihr zu trachten, ist vollkommene Klugheit.“
Das Buch der Weisheit gehört zu den Apokryphen, also den Schriften, die zwar nicht zum offiziellen biblischen Kanon gehören, aber doch – wie Martin Luther gesagt hat – „nützlich und gut“ zu lesen sind.
Ich finde, auch für heutige Zeiten bietet die Weisheit so etwas wie ein Therapeutikum gegen die Gottesblindheit. Impulse, wie ich die Augen öffnen und die Gegenwart Gottes im Alltag entdecken kann.
Ich stelle mir das so vor, als würde ich in eine neues, mir bis dahin unbekanntes Land fahren. Auf Reisen geht es mir so, dass ich immer besonders neugierig und gespannt bin auf alles, was auf mich zukommt. Empfänglich für die fremde Sprache, die andere Art miteinander umzugehen, die unbekannte Landschaft.
Alles Routinemäßige lasse ich zurück. Viele Dinge sehe ich wie zum ersten Mal. Und wenn ich zurückkehre in mein normales Leben, versuche ich diese offene und interessierte Haltung beizubehalten.
Mit den Augen der Weisheit sehen heißt für mich dann: was ich schon längst zu kennen glaubte, erscheint mir in einem neuen Licht. Ich entdecke die kleinen und oft übersehenen Details in meinem Alltag. Alles wird mir zum Zeichen wird für das göttliche Geheimnis hinter den Dingen.
Weisheit, du Schöne, sage ich mir, am liebsten möchte ich mich unterhaken bei dir und mit dir täglich auf Entdeckungsreise gehen. An deiner Seite will ich meinen Blick auf die Welt verwandeln lassen. Und dankbar empfangen, was jeden Morgen vor meiner Tür darauf wartet, entdeckt zu werden.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38489„Was wird bloß aus unseren Träumen in diesem zerrissenen Land?“, so hat er damals gefragt und gesungen: Wolf Biermann, der Liedermacher, der in Deutschland West und Deutschland Ost gleichermaßen fremd wie zu Hause war.
Das war im Jahr 1976, in jenem unvergesslichen Konzert in Köln, das in der Folge zu seiner Ausbürgerung aus der DDR geführt hat.
Ich erinnere mich gut, wie ich zusammen mit einem Freund das Konzert am Schwarz-Weiß-Fernseher verfolgt habe. Wolf Biermann war für uns ein faszinierender musikalischer und politischer Grenzgänger. Unangepasst, frech, aber immer auch witzig. Die etablierten Autoritäten hat er mit kratziger Stimme und den Klängen seiner Gitarre aufs Korn genommen.
Geboren wurde Biermann 1936 in einem Land, das seiner jüdischen Familie nach dem Leben getrachtet hat. Und von dessen Sprache er doch gelebt hat wie einst sein großes Vorbild Heinrich Heine. Genau wie der war er hin und hergerissen zwischen West und Ost. „Ich möchte am liebsten weg sein, und bliebe am liebsten hier“, so heißt der Refrain in diesem Lied.
Während der letzten Jahre habe ich dann wenig von Wolf Biermann gehört. Und hätte nicht einmal sagen können, ob er überhaupt noch am Leben ist. Dann plötzlich habe ich seinen Namen in Karlsruhe auf einem Konzertplakat gesehen. Und da habe ich ihn tatsächlich nach Jahrzehnten wieder getroffen. Quicklebendig. Der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt.
Mittlerweile 87 Jahre alt, steht er da wenige Meter vor mir auf der Bühne, schlägt ein paar Akkorde an und legt dann los. Mit diesem Lied, das von der Zerrissenheit eines Vaterlandes erzählt, wo allein der Himmel nicht geteilt ist. Und wo es noch immer um diese Frage geht: „Was wird bloß aus unsern Träumen in diesem zerrissenen Land? Die Wunden wollen nicht zugehn unter dem Drecksverband“.
In diesem Moment habe mich gefragt: Sind die Wunden zwischen Ost und West denn inzwischen zu gegangen? Und was wurde aus unseren Träumen? Aus dem rauschhaften Gefühl der ersten Nachwendezeit, sich endlich wieder frei bewegen und ungehindert reisen zu dürfen?
Wolf Biermann ist über all die Jahre ein frecher Zweifler und gläubiger Ketzer, wie er von sich selbst sagt, geblieben. Nur hat er nach einem langen Leben genug von allen Weltverbesserungsideologien, von denen er heute sagt, dass sie doch nur ins Schlechtere führen.
In seiner Biographie schreibt er: „Heute habe ich begriffen, wie hochmütig mein Spott auf die bürgerliche Demokratie war. Sie ist das am wenigsten Unmenschliche, was wir Menschen als Gesellschaftsmodell bisher erfunden und ausprobiert haben.“
Natürlich durfte am Ende des Konzertabends auch sein Lied „Ermutigung“ nicht fehlen. Das wird inzwischen sogar auf Kirchentagen gesungen und findet sich in manchen Gesangbüchern. Es passt, finde ich, heute nicht weniger als damals:
„Du lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit. Die allzu hart sind brechen, die allzu spitz sind stechen und brechen ab sogleich... Du, lass dich nicht verbrauchen, gebrauche deine Zeit... du brauchst uns und wir brauchen grad deine Heiterkeit“
Ich meine, darum geht es doch heute, am „Tag der deutschen Einheit“, neben all den Rückblicken auf das, was vor 33 Jahren war, die Träume nicht zu vergessen, die wir geträumt haben von einem geeinten und demokratischen Deutschland.
Dankbar zu sein für unsere Demokratie. Und die vielen Möglichkeiten, die wir haben, sie zu verbessern. Sie ist tatsächlich „das am wenigsten Unmenschliche, was wir Menschen als Gesellschaftsmodell bisher erfunden haben und ausprobiert haben.“
Und auch darum geht es: Sich nicht entmutigen zu lassen von manchen Unzulänglichkeiten. Sondern zur Stelle zu sein, wenn es gilt, alte und neue Barrieren zu überwinden.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38488Er war ein Maler, der sich selbst als malenden Philosophen verstanden hat: Renée Magritte. Im November würde er 125 Jahre alt. Mich hat er schon als Jugendlicher begeistert. Mit seiner Art, die Ordnung der Dinge in Frage zu stellen. Und die Grenze zwischen Phantasie und Wirklichkeit zu überschreiten.
Eines seiner bekanntesten Werke heißt „Der Verrat der Bilder“. Abgebildet ist eine Tabakspfeife, darunter auf französisch der Schriftzug „Dies ist keine Pfeife“. Aber was denn sonst?, fragt sich der Betrachter, ich sehe doch ganz eindeutig eine Pfeife!
Magritte aber meint: „Ein Bild ist nicht zu verwechseln mit einer Sache, die man berühren kann. Können Sie meine Pfeife stopfen? Natürlich nicht! Sie ist nur eine Darstellung. Hätte ich auf mein Bild geschrieben, dies ist eine Pfeife, so hätte ich gelogen“
Und so führt er uns immer wieder auf falsche Fährten. Er malt den Nachthimmel, wo ein Taghimmel sein müsste. Oder ersetzt den Rauch des Kaminfeuers durch den Dampf einer Lokomotive.
Magritte will zeigen: Was wir sehen, sind Bilder, und die dürfen nie mit der Wirklichkeit verwechselt werden.
Das ist eine alte Erkenntnis, die sich schon in der Bibel findet. In dem Gebot, wo es heißt: „Du sollst dir kein Bildnis machen! Weder von dem, das oben im Himmel, noch von dem, das unten auf Erden ist!“
Natürlich weiß ich, dass wir Bilder brauchen, um uns zu orientieren. Wir denken in Bildern, sprechen in Bildern und erfreuen uns an Bildern. Und doch - das sagt uns gerade dieser Maler - sind es eben nur Abbilder der Wirklichkeit.
Das gilt insbesondere von den Bildern, die Menschen sich von Gott machen. Wir kommen nicht ohne sie aus. Und dennoch: das Geheimnis Gottes lässt sich nicht entziffern durch Bilder und Vorstellungen, die ich mir von Gott mache. Genauso wie es sich verbietet, einen anderen Menschen in Bilder und Vorurteile zu packen.
Mir gefällt Magrittes Zurückhaltung und Vorsicht, mit der er sich der Wirklichkeit nähert. Er gibt nicht vor, die Welt im Ganzen erklären zu können. Sondern entwickelt ein Sensorium für das Mysterium, das in und hinter den Dingen steckt.
Ich finde, seine Bildersprache kann uns heute vor Klischees und Stereotypen im Umgang miteinander schützen. Das überrascht immer wieder. Und hilft mir, wach zu bleiben für das unbegreifliche Faszinosum des Lebens.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38487Wenn man sich entspannt, scheint das gute Gedanken zu beflügeln. Davon weiß auch Wolfgang Amadeus Mozart ein Lied zu singen: Ihm sollen nämlich die besten Melodien im Bett eingefallen sein. Auch Hemingway wird nachgesagt, dass er am besten schreiben konnte, wenn er total relaxed war, am besten mit einem Drink in der Hand. Dem Physiker Newton kamen die besten Ideen beim Spazierengehen im Garten, Schiller mit den Füßen in kaltem Wasser und Woody Allen beim Rasieren.
Ich kenne das. Wenn ich krampfhaft nach Ideen suche, dann fällt mir garantiert nichts ein. Erst wenn ich locker lasse, dann kommen sie angeflattert, zum Beispiel unter der Dusche oder im Halbschlaf. Deshalb habe ich immer Zettel und Stift auf dem Nachttisch liegen.
Das kann ich mir so richtig vorstellen, wie da so ein paar gute Gedanken versuchen bei mir zu landen. Und man verkrampft, dann spannt man ja alles an, man macht dicht. Keine Chance für die Ideen zu landen. Aber wenn man gelöst ist, dann ist man auch durchlässig. Und dann können sie kommen und finden einen Landeplatz: die Einfälle, Argumente oder Antworten.
Locker bleiben - das ist jetzt einfach gesagt. Denn allein der Befehl „locker bleiben!“ hat ja schon was Krampfiges. Wie geht das also? Ich glaube, es bleibt sich leichter locker, wenn ich mir selbst vertraue: Meinem Geist – also wie scharfsinnig und konzentriert ich nachdenken kann. Meiner Kreativität – wie fantasievoll ich neue Lösungen finde oder Projekte angehe. Und meiner Wirkung – also wie ich andere beeindrucken oder überzeugen kann.
Klar, meinem Geist, meiner Kreativität und meiner Wirkung vertraue ich eher, wenn sie mich schon mal positiv überrascht haben. Wenn ich mal die Erfahrung gemacht habe: im richtigen Augenblick hatte ich einen Geistesblitz. Oder: Wenn ich überzeugt dastehe, dann wird mein Gegenüber schon einlenken.
Ich habe aber noch eine Erfahrung gemacht: locker bleiben und mir selbst vertrauen – das fällt mir leichter wenn ich weiß, dass derjenige, der mich erschaffen hat, mir einiges mitgegeben hat. Gott hat mich gut ausgestattet mit allem, was ich brauche. Es steckt irgendwo in mir, ich muss es nur abrufen.
Und noch etwas. Gott liebt die Menschen. Das haben ganz viele Menschen schon erfahren, nicht nur in der Bibel. Das heißt, Gott findet, dass ich selbst eine gute Idee von ihm bin. Ganz egal ob gerade ziemlich verkrampft oder einfach entspannt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38450Der kanadische Lottogewinner Tom Crist hat für Schlagzeilen gesorgt. Er hat den gesamten Gewinn von umgerechnet knapp 30 Millionen Euro an gemeinnützige Organisationen gespendet. Er sagt, er will so weiterleben wie bisher. Er möchte nicht, dass das Geld ihn verändert. Das muss man erst einmal durchziehen, Respekt! Tom Crist hat nicht daran geglaubt, dass Geld ihn glücklicher macht.
Vom reich sein und vom glücklich sein erzählt auch Jesus. Es ist eine der sehr umstrittenen Stellen in der Bibel. Jesus sagt: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“
Dieser Satz hat vor allem unter den Reichen immer wieder dafür gesorgt, dass sie sich empört haben. Klar, kein Kamel der Welt würde je durch ein Nadelöhr passen. Da scheinen die Chancen sehr schlecht zu stehen, dass Leute mit viel Geld jemals in den Himmel kommen.
Und so haben Theologen immer wieder versucht, diese Bibelstelle anders zu übersetzen oder zu interpretieren. Eine Interpretation bezieht sich auf das Kamel. Auf Griechisch heißt das „kàmelos“. Und ganz ähnlich klingt das Wort für „Schiffstau“, das heißt nämlich „Kamilos“. Und das wäre ja zugegebenermaßen ein bisschen leichter einzufädeln, als ein Kamel. Die Aufgabe wäre immer noch sehr schwierig, aber immerhin nicht mehr unmöglich.
Eine andere Interpretationsmöglichkeit bezieht sich auf das Nadelöhr. Experten waren lange der Meinung, „Nadelöhr“ habe einmal eine enge Gasse in Jerusalem geheißen, an deren Ende ein niedriges Tor stand. Dort passe nur ein einzelner Mensch ohne Gepäckstücke durch. Inzwischen weiß man mehr: Wissenschaftler haben alte Karten und Chroniken studiert und sind zum Ergebnis gekommen: Solch ein Gässchen mit Tor hat es in Jerusalem noch nie gegeben.
Ich glaube, es hilft alles nichts. Der Satz ist einfach typisch Jesus und drückt etwas aus, das zwar für viele unangenehm ist, aber auch wahr: Es ist nicht einfach, gleichzeitig reich und glücklich zu sein. Und es ist auch nicht leicht, mit Geld sinnvoll umzugehen. So nämlich, dass es nicht den Charakter eines Menschen ändert. Es gibt positive Beispiele, wo Reiche sich unheimlich sozial engagieren. Aber oft übernimmt das Geld die Herrschaft. Wer sich alles leisten kann, könnte denken, dass er auf niemanden mehr hören muss. Oder dass er die anderen nicht mehr braucht. Und dann werden sie einem schnell egal, sie sind einfach unwichtig.
Bei Tom Crist war das anders. Ich muss ja nicht gleich meinen gesamten Lottogewinn verschenken. Aber wenn ich an Besitz hänge oder Reichtum anhäufe, dann könnte ich darauf achten, dass nicht das Geld mich regiert, sondern die Menschlichkeit.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38449Nikolaus von der Flüe, als Schweizer Nationalpatron auch heute sehr verehrt, war ein verrückter Kerl, ein hundertprozentiger: Erst Bauer, Ehemann und Familienvater mit zehn Kindern und in der politischen Gemeinde hoch aktiv. Dann in einer Art Lebensmitte-Krise Aufbruch zu einer mystischen Gruppe der Gottesfreunde im Elsass, wohl mit ausdrücklichen Zustimmung seiner Frau, mit der er stets in Kontakt blieb. An der Grenze um Basel herum kommt ihm die Gewissheit, umzukehren. Ganz in der Nähe seines Bauernhofes lebt er dann als Einsiedler, noch heute ist seine Ranft in Flüeli bei Luzern ein unglaublich intensiver heiliger Ort.
Der alt und älter werdende Nikolaus war damals extrem viel um Rat gefragt, Könige und Gläubige suchten ihn auf, angesichts der Gefahr eines Bürgerkrieges wird er zum Schlichter. Als er 70jährig starb, war er längst eine Legende – und ein spiritueller Brennpunkt. Geschrieben hat er fast nichts, aber gelebt und gewirkt umso mehr.
Warum komme ich heute Morgen auf diesen sympathischen Gottes-Extremisten? Ihm wird aus guten Gründen ein Gebet zugeschrieben, das sich wie ein Mantra den ganzen Tag über beten lässt, einfach so zwischen drin und schließlich als tägliche Begleitmusik immer. Drei Verse sind es, mit denen sich der hingerissene Mann an Gott wendet.
Zuerst: „nimm alles von mir, was mich hindert zu dir“. Eine sehr verständliche Bitte, finde ich, wenn ich an Freunde und geliebte Menschen denke. Überhaupt Beziehung: sie lebt ja davon, zueinander zu kommen. Alles, was da hinderlich ist, möge verschwinden und soll beseitigt werden. Beten ist Beziehung.
Entsprechend der zweite Herzenswunsch des radikalen Nikolaus von der Flüe: „gib alles mir, was mich fördert zu dir“. Wer so betet, hat nur sein geliebtes Gegenüber im Blick. Ganz wie Jesus! „Mein Herr und mein Gott“, sagt Nikolaus ganz intim.
Deshalb als Resümee die dritte Bitte: „nimm mich mir und gib mich ganz zu eigen dir“. Das ist Liebessprache pur: den oder die Andere ganz im Blick, sich verlassen auf sie oder ihn, und das ganz. So auf Gott bezogen wird der Mensch frei, und der ist Tag gesegnet. Ja, Gott, „gib alles, was mich fördert zu dir“!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38448Ordens-Schwestern im Kloster haben sich freiwillig verpflichtet – vor allem zu Gottesdienst und Stunden-Gebet sollen sie zuverlässig erscheinen und mitbeten und mitsingen. Solche Regeln waren noch sehr strikt vor gut vierhundert Jahren. Aber draußen vor der Klosterpforte gab es doch so viel Not! Was tun: einfach weiterbeten und der liebe Gott wird schon helfen!?
Einige Schwestern haben damals einen Priester gefragt, den Gründer ihrer Ordensgemeinschaft. Und Vinzenz von Paul hat ihnen geantwortet: „Ihr dient Jesus Christus in der Gestalt der Armen … Wenn eine Schwester zehn mal am Tag die Kranken besucht, dann wird sie zehn mal am Tag Gott treffen … Geht arme gefesselte Sträflinge besuchen, so werdet ihr dort Gott finden. Dient den armen Kindern, so werdet ihr Gott finden. Ihr geht in arme Häuser, aber ihr werdet dort Gott finden. … Wenn ihr das Gebet und die heilige Messe verlasst, um den Armen zu dienen, verliert ihr nichts, da es dasselbe bedeutet, wie zu Gott zu gehen.“
Das ist sehr biblisch – Jesus hat es ganz ähnlich auch gesagt. Zuwendung zu den Menschen in Not, für sie dasein und ihnen helfen – das ist genau so wichtig wie Gottesdienst und Beten in der Kirche. Kurz gesagt: Caritas ist Gottesdienst. Mit so revolutionär-biblischen Ideen ist Vinzenz von Paul eigentlich auch der Begründer von Caritas und sozialer Arbeit in der Kirche; bis heute motivieren seine Ideen viele Frauen und Männer, die freiwillig und ehrenamtlich anderen Menschen helfen. Katholische tun sich manchmal immer noch in Vinzenz-Vereinen zusammen. Und auch die kirchlichen Institutionen Diakonie und Caritas wissen, dass mit Vinzenz‘ Aktivitäten für die Armen in seiner Umgebung ihre eigene soziale Arbeit angefangen hat.
Mit Kirche insgesamt haben ja viele heute ein Problem. Das soziale Engagement von Kirche und Christenmenschen finden die meisten aber immer noch sehr wichtig. Und weil die ja für alle Menschen da sind, die sie brauchen, sollen ruhig auch staatliche und öffentliche Gelder kirchliche Einrichtungen und Aktivitäten mitfinanzieren: Viel Steuer-Geld für Kitas und Kinderheime, für Caritas und Beratung; Kliniken und Altenpflege gibt es, weil alle Versicherten mitbezahlen. So beteiligen sich fast alle am Dienst für andere Menschen und besonders für die Menschen in Not.
Ich finde das schön und richtig – und an seinem Gedenktag heute und auch sonst freut sich der Heilige Vinzenz von Paul sicher auch.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38478Gefühlt immer mehr gläubige Menschen berufen sich gern und leicht auf die „höchste Instanz“: Das und jenes sei „Gottes Wille“, argumentieren auch Christenmenschen. Klingt ein wenig nach Mittelalter. Da hieß es „Gott will das“ – und auf ging‘s in blutige Kreuzzüge und Gemetzel. Das ist Geschichte – aber wie gesagt: auch neuerdings entzieht sich mancher der weiteren Diskussion, weil inzwischen sowieso die Argumente fehlen.
An diese Leute musste ich denken angesichts einer vordergründig ganz anderen Geschichte. Da gibt es von einem Trierer Vorort aus eine steile und enge Straße Richtung Autobahn auf der Eifelhöhe. Zwei oder drei Haarnadelkurven machen es noch enger – und auch deswegen verbieten unten im Tal mehrere Schilder die Weiterfahrt für Fahrzeuge mit mehr als 2,8 Tonnen. Ignoriert hatte das Verbot der Fahrer eines 32-Tonnen-Sattelzugs. Erste Kurve noch geschafft – aus der zweiten mussten ihn dann Feuerwehr und zwei Schwerlastkräne herausretten.
Sein Navi hatte ihm diesen Weg gezeigt, sagte der LKW-Fahrer; ich verlasse mich auf das Navi – ist doch eine höhere Instanz als ich. Und dann – da ähnelt der Trucker eben manchen fundamentalistischen Gläubigen – warum sollte ich dann noch selbst nachdenken oder mich auf Verbote einlassen oder andere Hinweise wahrnehmen. Die oberste oder jedenfalls höhere Instanz will das von mir und jetzt…
Das kann schlimme Folgen haben – siehe Kreuzzüge oder festgefahrener Truck; aber auch wenn es weniger schlimm kommt, ist es oft genug falsch. Schon richtig: Wer an Gott glaubt, vertraut das eigene Leben und die Mitmenschen und die ganze Welt ja eigentlich Gott an. In der zuversichtlichen Hoffnung, dass Gott für seine Schöpfung nur das Gute will – und immer noch das Bessere.
Nur: Wenn ich daran mitarbeiten will – also am Guten und am immer Besseren für Welt und Menschen, für Schöpfung und Geschichte: wenn ich das ernsthaft will, muss ich auch alle Kräfte aktivieren, die der SchöpferGott mir dafür mitgegeben hat. Hingucken also, aufmerksam bleiben und selbst nachdenken. Mich klug beraten mit anderen denkenden Menschen. Wahrnehmen, was die Menschen in meiner Umgebung jetzt brauchen, was die Welt wirklich verbessern kann – oder im Fall des Navis einfach nur, was jetzt aus gutem Grund verboten oder einfach unmöglich ist.
Und dann handeln, weiterfahren oder den Kurs korrigieren. Manchmal ist der richtige Weg ja ein bisschen länger als der kürzeste. Am Ende geht es schneller voran – für mich selbst und viele andere Und das will auch der liebe Gott, glaubt auch altfried g. rempe, Trier von der katholischen Kirche…
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38477Die katholische Kirche erinnert heute an einen Heiligen, der anders gewesen ist als viele andere im HeiligenKalender. Nikolaus von Flüe war einer, der einfach nur versucht hat, Gottes Berufung für sein eigenes Leben zu hören und diesem Ruf zu folgen. Wie er das getan hat, ist aus heutiger Perspektive seltsam gewesen: Ein angesehener schweizerischer Bauer und Lokalpolitiker, Ratsmitglied und Richter – einer, der sich für Frieden und Gerechtigkeit engagierte. Außerdem ist er Vater von zehn Kindern. Und der gibt das alles dran und verlässt die Familie, als das jüngste gerade mal ein Jahr alt ist; seine Ehefrau hatte dem ausdrücklich zugestimmt.
Fortan lebt Bruder Klaus als Einsiedler nur noch von Fasten und Gebet. In einer bescheidenen Hütte – ganz in der Nähe der Familie; da vertieft er sich in Meditation und Gebet. Viele Menschen besuchen ihn; auch Politiker und mächtige Männer fragen um Rat und bekommen den auch. Vielleicht noch mehr als vorher geht es ihm um Gerechtigkeit und Frieden. Manche sagen, dass die schweizerische Eidgenossenschaft beinah auseinandergefallen wäre, 1481; Streitereien zwischen Städten und Landgemeinden – kennt man ja auch heute. Nachts hat eine Gesandschaft den Einsiedler aufgesucht; und in letzter Minute habe Nikolaus die Beratungen gerettet, heißt es – mit einem Hinweis oder einem Gedanken, der bis heute geheim geblieben ist.
Nikolaus von Flüe ist für mich eine Art Beweis dafür, dass Glaube und Gebet, dass also ein Leben in enger Verbindung zu Gott wirklich die Welt prägen kann und sie verändert – und zwar durch konkrete Menschen und durch ihre Konsequenz und ihre Hingabe an die göttliche Kraft.
Groß und Klein haben Bruder Klaus ja um Rat gefragt; sie haben diese höhere Kraft gesucht und bei ihm irgendwie gespürt.
Ein heiliger Bauer – Landespatron der Eidgenossenschaft und Vorbild und Patron für viele katholische Bäuerinnen und Bauern und für ihren Verein, die Landvolk-Bewegung. Am Gedenktag heute erinnert die zugleich auch an Dorothee Wyss, die Ehefrau und Mutter seiner Kinder: diese starke Frau hat jahrelang den großen Hof gemanaged und ihn in seiner Einsiedelei vor allzu großem Andrang geschützt. Sie hat ihm sein Leben in Heiligkeit im Grunde erst möglich gemacht; viele sehen da inzwischen ein heiliges Ehepaar – auch ohne dass die Kirche Dorothee ausdrücklich für „heilig“ erklärt.
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