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27MAI2023
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„Was ist Wahrheit?“ Eine große Frage. Immer wieder zerbreche ich mir den Kopf darüber, was Wahrheit überhaupt ist.

Die meisten Religionen würden sagen: Es gibt eine Wahrheit und diese Wahrheit heißt Gott. Wer Gott erkennt, weiß, worum es wirklich geht. Darum sollten sich alle Menschen bemühen, diese Wahrheit zu verstehen und danach zu leben.

Doch stimmt das auch? Heute heißt der große Gegenentwurf: Konstruktivismus. Der Konstruktivismus sagt ganz klar: Nichts ist wahr. Es gibt nur verschiedene Menschen, die sich ihre Wirklichkeit zusammenbasteln. Der eine will möglichst gesund leben und liest gern Horoskope. Die andere studiert und vertraut auf die Naturwissenschaften. Jeder baut sich seine Welt zusammen, wie es ihr oder ihm gefällt. Darum gibt es nur subjektive Eindrücke, mehr nicht.

Heinz von Förster war ein österreichischer Physiker und ein Wegbereiter des Konstruktivismus. Er hat gesagt: Die Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. Wir sollten aufhören, irgendwelchen Wahrheiten zu vertrauen. Jede Person hat ihre eigene Perspektive auf die Welt: Je nach Erfahrung, Bildung und Stimmungslage. Da können wir viel diskutieren, aber jede Wahrheit hat nur irgendein schlauer Lügner erfunden. Alles bleibt vorläufig: Woran ich heute glaube, lehne ich morgen vielleicht schon ab.

Was Heinz von Förster vorträgt, klingt für mich nachvollziehbar. Und doch ist es im Alltag anstrengend: Mit meiner großen Tochter streite ich oft darüber, was gut und richtig ist. Wie sollen Männer und Frauen in Zukunft zusammenleben? Wie viele Geschlechter gibt es überhaupt? Dinge, die mir früher selbstverständlich erschienen sind, schüttelt das ordentlich durcheinander. Ich muss dabei lernen, nicht immer zu fragen, wer von uns beiden Recht hat. Es geht darum auszuhandeln, wie ein gutes Leben für alle aussehen kann.

Ich frage mich auch, wie ich als Christ mit dem Konstruktivismus umgehen soll.  Ich hoffe, dass Gott die Wahrheit ist, die alles übersteigt. Aber ich muss niemanden auf Teufel komm raus überzeugen, dass es nur diese eine Wahrheit gibt. Vielmehr gehe ich auf andere zu und will wissen: Was heißt für Dich Wahrheit?

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26MAI2023
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Gern würde ich das größte Rätsel lösen, auf das ich je gestoßen bin: mich selbst. Lange Zeit dachte ich, ich würde mich selbst gut kennen. Immerhin bin ich ja ich und erlebe mich selbst jeden Tag. Doch wie gut kenne ich mich tatsächlich? Warum verhalte ich mich eigentlich so und nicht anders?

Drei Spuren verfolge ich, um mich selbst zu entschlüsseln:

Erstens: Der eigene Körper prägt die Persönlichkeit. Das Fach Biologie habe ich schon in der Schule geliebt: Die eigenen Gene kann ich zwar nicht entschlüsseln, doch sie prägen mich. Wie ich mich ernähre, wie viel ich schlafe oder Sport treibe – das beeinflusst, wie ich denke und fühle.

Dann sind da die Jahre als Kind, die mich bis heute prägen. Meine Eltern, meine Geschwister und Freunde. Da stelle ich immer wieder erstaunt fest, wie wichtig diese Jahre heute noch sind. Treffe ich alte Freunde, fällt mir manchmal auf, wie ähnlich wir sprechen und über welche Witze wir heute noch lachen.

Der dritte Schlüssel um mich besser zu verstehen sind die Gesellschaft und meine Mitmenschen. Würde ich in Peru leben, hätte ich wahrscheinlich andere Hobbies und Dinge, über die ich mich freue oder aufrege. Dort gibt es andere Steuergesetze und kein 49-Euro- Ticket. Ich lebe ja nicht allein auf der Welt, sondern wohne im Stadtteil Lehen in Freiburg.

Ich finde es richtig spannend, mir so selbst auf die Spur zu kommen. Ob ich mich je ganz enträtseln werde, glaube ich aber nicht.

In der Bibel steht, dass es jemanden gibt, der dieses Rätsel gelöst hat. Da heißt es über Gott: „Herr, du hast mich erforscht und du kennst mich. Ob ich sitze oder stehe, du weißt von mir. Von fern kennst du meine Gedanken.“

Ein Gott, der Gedanken lesen kann und alles über mich weiß. Klingt unheimlich. Ein Gott, der mich besser kennt, als ich mich selbst. Vielleicht kann mir dieser Gott ja eines Tages erklären, wer ich wirklich bin. Vielleicht kommt noch der Moment, wo ich sage: Nun weiß ich, wer ich bin – mit all meinen Ecken und Kanten, Widersprüchen und Stärken.

Doch so weit ist es noch nicht. Zum Glück! Denn ich und jeder andere Mensch hat so unterschiedliche Seiten, niemanden kann ich ausrechnen und ganz verstehen. Für mich heißt das: Ich darf staunen und kann mich von jedem Menschen immer wieder überraschen lassen. Auch von mir selbst.

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25MAI2023
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Der junge Gilgamesch ist König von Uruk. Als Halbgott fühlt er sich stark und unbesiegbar. Das ganze Volk muss schuften, um seine neuen Ideen in die Tat umzusetzen. Ständig plant er neue Bauprojekte. König Gilgamesch muss ein echter Kotzbrocken gewesen sein.

Die Geschichte über Gilgamesch ist in alter Keilschrift verfasst und mindestens 4000 Jahre alt. Eine der ältesten Geschichten der Menschheit. Ich meine, dieser Gilgamesch hat uns heute noch einiges zu sagen.

Und so geht die Geschichte weiter: Die Göttin Aruru hat eine Idee, wie sie Gilgamesch eine Lektion erteilen kann. Sie erschafft für Gilgamesch einen Freund: Enkidu. Zusammen erleben sie eine Menge Abenteuer und verspotten jeden, der sich ihnen in den Weg stellt.

Doch dann geschieht das Undenkbare: Enkidu stirbt. Gilgamesch muss einsehen: Auch ich bin sterblich, auch meine Lebenszeit geht irgendwann vorbei. Damit will er sich aber nicht abfinden. Er hat nur noch ein Ziel: Er will unsterblich werden.

Gilgamesch führt mir vor Augen, wie das Leben vieler Menschen abläuft. Als Jugendlicher scheint das Leben keine Grenzen zu kennen, gefühlt steht einem die ganze Welt offen. Eine Jugend voller großer Träume. Doch es kommt der Punkt, da geht es so nicht weiter. Auch Gilgemesch ist jetzt an diesem Punkt, aber er will das zuerst nicht einsehen. Er will es erzwingen, immer jung und immer stark zu bleiben. Er reist ans Ende der Welt, um die „Pflanze der ewigen Jugend“ zu finden. Vergeblich.

Gilgamesch steht mit leeren Händen da. Bisher ist sein Leben immer nur um ihn selbst gekreist. Und jetzt kommt die große Erkenntnis: Endlich akzeptiert er es, sterblich zu sein. Als König regiert er von da an anders: Er sorgt sich um das Wohl der Menschen, wird ein guter König.

Gerade weil ihm das gelingt, wird er doch noch unsterblich, aber in einem anderen Sinne: er wird zu einem unsterblichen Vorbild. Und das ist die Botschaft der Geschichte auch nach 4000 Jahren: Lebe eine wilde Jugend, probier Dich aus und mache Fehler. Doch verpass nicht den Moment, wo Du erkennst: Du bleibst ein Mensch und lebst nicht für Dich allein. Du kannst Dich für andere einsetzen, anderen Gutes tun. Wer so über sich hinauswächst, kann auch heute ein kleiner Gilgamesch werden.

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24MAI2023
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Für Papst Franziskus ist klar: „Diese Wirtschaft tötet“. Auf der einen Seite schwelgen wenige Reiche im Luxus, auf der anderen Seite leidet die Umwelt und Millionen schuften als billige Arbeitskräfte. Ein Skandal! Können wir diese Wirtschaft und den ganzen Kapitalismus da nicht einfach abschaffen?

Mich interessiert: Was hat es mit diesem „bösen“ Wort eigentlich auf sich. Vereinfacht gesagt: Kapitalismus kann es nur dort geben, wo Menschen etwas sparen können. Wenn ein Staat den Menschen alles willkürlich wegnehmen kann, gibt es auch kein Kapital. Verglichen mit früheren Wirtschaftsformen ist das zunächst ein großer Fortschritt: Menschen können sich sicher sein, dass sie behalten dürfen, was sie sich erarbeitet haben.  

Wer Geld gespart hat, kann es ausgeben, verschenken oder unter der Matratze verstecken. Kapitalisten suchen stattdessen nach einer Idee, wie sie das Geld anlegen und vermehren können.

Im Kapitalismus haben die Menschen die Freiheit, selbst zu entscheiden, welchem Unternehmen oder Start-Up sie ihr Geld anvertrauen. Egal, ob es dabei um neue Impfstoffe, schnellere Computerchips oder bessere Windräder geht. Dabei können sie gewinnen oder viel verlieren.

Um es kurz zu machen: Ich sehe beim Kapitalismus auch Vorteile. Warum sollen Menschen nicht selbst entscheiden, was sie mit ihrem Geld machen?

Mit Papst Franziskus würde ich gern mal über die Wirtschaft diskutieren. Er stammt aus Argentinien und könnte erzählen, wie die Menschen dort leben und arbeiten. Ich würde mit ihm darüber sprechen wollen, welche Ideen er für eine Wirtschaft hat, die gerecht und nachhaltig ist. Worauf wir uns beide sicher schnell einigen können: Die Wirtschaft soll nicht einzelne immer reicher machen, sondern dem Gemeinwohl dienen.

Für mich ist es an der Zeit, mehr über Wirtschaft zu lernen und zu überlegen, was es da in Zukunft braucht. Wenn Firmen immer mächtiger werden und die Natur zerstören, tötet diese Wirtschaft. Doch es geht auch anders: Ich habe nichts dagegen, wenn Menschen frei entscheiden können, was sie mit ihrem Geld machen. Solange wir dabei diejenigen schützen, die im Kapitalismus leicht unter die Räder kommen. Ich bin mir sicher: Es ist möglich, gerecht zu wirtschaften, so dass alle gut leben und arbeiten können.

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23MAI2023
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Die Eucharistie, so betont es das II. Vatikanische Konzil, ist der „Höhepunkt, dem das Tun der Kirche zustrebt.“ Ich habe mir über dieses Sakrament Gedanken gemacht, als ich kürzlich zu einer Erstkommunionfeier im Kreis der Familie eingeladen war. Dort konnte ich erfahren, was das im Jahr 2023 bedeutet. Der Pfarrer der Großstadtpfarrei sprach die Kinder direkt an in seiner Predigt und betonte, wie Jesus in ihrem Leben eine tragende Rolle spielen kann. Irgendwie hatte ich aber das Gefühl, dass sich hier einer bemüht, noch den letzten Rest der großen Tradition des Glaubens zu retten und dabei eine Sprache spricht, die nicht bei den Kindern ankommt. Bei den Erwachsenen übrigens auch nicht. Ich habe mich gefragt, wie ich von seiner Position aus zu den hier versammelten Menschen sprechen würde. „Bald werden auf Euch ganz andere Einflüsse einströmen“, so würde ich wohl sagen. „Nämlich dann, wenn Ihr alle eigene Handys habt und die Tiktok-App darauf läuft. Kaum davon loskommen werdet Ihr, weil es euch riesigen Spaß macht. Ihr könnt euch sehr schnell verlieren in dieser attraktiven, anderen Welt. Aber es wird euch etwas fehlen, was euch dauerhaft Halt und festen Boden unter den Füßen verleiht. Etwas, was eurem Leben wirklich einen Sinn gibt.“

Und zu den Erwachsenen, die bei der Feier da waren, hätte ich wohl gesagt: „Wir als Kirche sind zurzeit nicht gerade dabei, in der Gesellschaft zu punkten. Vor Tagen erst hat der Missbrauchsberichts im Erzbistum Freiburg klar gemacht, dass die Verantwortlichen bereit waren, sogar das eigene kirchliche Recht zugunsten von Tätern zu ignorieren. So ist es schwer, in der Kirche davon zu reden, wie Leben gelingen kann und welchen Sinn die Sakramente haben.“

Es stimmt: Viele kommen nur noch zu solchen festlichen Anlässen zu einem Gottesdienst. Man kommt kaum umhin, hier vom Versagen der Organisation Kirche zu sprechen. Weil sie viel zu lang damit beschäftigt war, mit dem Finger auf die Sünden anderer zu zeigen, während in ihren eigenen Mauern die schlimmsten Taten begangen wurden. Erst wenn dieses Versagen deutlich anerkannt ist, können wir vielleicht der Frage wieder nachgehen, was uns trägt und unserem Leben Sinn gibt. Darzustellen, was das gemeinsame Abendmahl, die Eucharistie damit zu tun hat und warum die Kommunion vor allem Begegnung und Kommunikation ist, wäre vielleicht ein Anfang. Er könnte dazu anregen, über den Glauben neu nachzudenken.

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22MAI2023
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Die Eucharistie ist nach Aussage des II. Vatikanischen Konzils „die Quelle, aus der alle Kraft der Kirche strömt“. Zehntausende von Kindern im Land, meist um die neun Jahre alt, haben in den letzten Wochen an diesem Sakrament zum ersten Mal selbst teilhaben können, das für uns Katholiken so zentral ist. Dieses Jahr war ich zu einer Erstkommunionfeier im Kreis der Familie eingeladen und konnte so selbst erfahren, was das im Jahr 2023 bedeutet. Mein Neffe beging seinen „Weißen Sonntag“ in einer Großstadtpfarrei in einer traditionell sehr katholischen Region. Eine Kirche, die beim selben Anlass vor einigen Jahren noch überfüllt gewesen wäre, war jetzt höchstens noch ‚gut besucht‘. Aus Jahrgängen, die früher geschlossen dieses Fest begingen, kam jetzt vielleicht nur noch die Hälfte der Kinder. Ob es hier wohl auch so sein wird, habe ich mich gefragt, dass in vielen Fällen die erste heilige Kommunion gleichzeitig auch die letzte ist? Oft begehen Familien ja dieses Fest, weil es für das betreffende Kind ein Anlass ist, einen Schritt in seiner Entwicklung zu feiern und das mit der Familie und den Verwandten zu tun. Ob dabei ein starkes religiöses Interesse vorliegt, ist eine andere Frage. Zwar sind Menschen heute insgesamt nicht weniger spirituell, aber die Art wie sie dies in ihrem Leben umsetzen, wird in unseren europäischen Gesellschaften immer individueller und mehr auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnitten. Oft kommen Kinder nach der Erstkommunion kaum noch mit kirchlicher Praxis in Berührung. Und wenn sie später vielleicht noch zur Firmung gehen, dann nicht selten, weil die Eltern oder Großeltern sie dazu drängen. „Okay, dann mache ich eben noch einmal mit“, so die Einstellung. Das Sakrament, das der Stärkung des Glaubens dienen soll, wird nicht selten zum Sakrament des Abschieds von der Kirche.

Ist das alles ein Verlust für uns Menschen und für unsere Gesellschaft? Die sogenannte „Weltwertestudie“, ein globales Forschungsprojekt zu sozialen, religiösen und kulturellen Werten kommt zum Ergebnis, dass die Menschheit sich auf dem Weg eines emanzipatorischen moralischen Fortschritts befindet und sich immer selbstbewusster ihre Werte sucht. Dies sei so, obwohl die Rolle von organisierter Religion tendenziell dort abnimmt, wo Menschen wirtschaftlich gesichert leben können.

Ich sehe das als eine Chance und Herausforderung für uns gläubige Menschen und für die Kirche: Weil niemand mehr mitmachen muss, sind wir gezwungen uns darauf zu besinnen, wie wir einen Glauben vermitteln können, der Menschen stärkt und stützt und auch dann noch relevant ist, wenn sie gelernt haben, für sich selbst zu denken und zu entscheiden.

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20MAI2023
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Ich habe Geheimnisse. Große und kleine. Damit befinde ich mich in guter Gesellschaft. Denn eine Studie hat jüngst ergeben, dass 97% aller Menschen etwas vor ihren Mitmenschen verbergen. Dabei geht es um Beziehungsthemen, um verborgene Wünsche, ums Geld. Aber auch um Schuldgefühle und um Gedanken, für die man sich schämt.

Manchmal lüfte ich eines meiner Geheimnisse. Dann erzähle ich jemandem, was bisher noch niemand weiß. Dann offenbare ich mich.

Auch Gott trägt Geheimnisse in sich. Für mich ist Gott sogar ein Name für das größte Geheimnis meines Lebens. Wenn ich mich frage, wie alles seinen Anfang genommen hat. Und was am Ende stehen wird. Am Ende meines Lebens. Und am Ende der Welt. Gott gibt uns immer wieder Einblicke in die Geheimnisse des Lebens. In der Bibel trägt gleich ein ganzes Buch den Namen Offenbarung. Das letzte Buch. Ganz hinten. In diesem Buch werden auch Geheimnisse gelüftet. Geheimnisse über die Zukunft der Welt. Dinge, die die Menschen gerne von Gott erfahren hätten. Den Menschen, für die dieses Buch geschrieben wurde, ging es nicht gut. Sie wurden verfolgt. Mussten sich verstecken. Die Enthüllung über den Fortgang der Welt sollte ihnen Mut machen. Sollte sie trösten. Und ihnen eine bessere Zukunft vor Augen malen. Mit Bildern, die sie verstehen konnten. Die ihren Verfolgern aber ein Geheimnis bleiben mussten.

Im biblischen Buch der Offenbarung enthüllt Gott etwas über sich selbst. Und über die Zukunft der Welt. Mit starken Sätzen: „Siehe, ich mache alles neu!“, sagt Gott da. Und: „Schmerzen, Krankheit, selbst der Tod werden nicht mehr sein! Diese erste, diese böse Welt ist im Verschwinden!“ (Offenbarung 21,4+5) Es ist leider kein Geheimnis, dass wir von diesem Zustand noch sehr weit weg sind. Und es ist Gottes Geheimnis, wann etwas von den Sätzen dieser Offenbarung wahr werden wird. Für mich ist es die schönste Offenbarung überhaupt: Die Zusage, dass irgendwann alles gut wird. Seit dem biblischen Buch der Offenbarung ist es kein Geheimnis mehr: Die Übeltäter haben nicht das letzte Wort. Nicht über diese zurzeit so geschundene Welt. Nicht über mich. Darum bleibe ich zuversichtlich. Und möchte daraus kein Geheimnis machen. Sondern darüber reden. So wie jetzt!

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19MAI2023
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„Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben.“ Auf einem Auto habe ich diesen Satz entdeckt. Als Aufkleber auf der Kühlerhaube. Er hat mich richtig elektrisiert. Ein wenig aber auch irritiert. Meine Kindheit liegt doch hinter mir. An der kann ich doch nichts mehr ändern. Auch wenn’s mich manchmal schon reizt, mir vorzustellen, was alles hätte anders werden können, wenn ein paar Dinge ganz anders verlaufen wären. Aber eine schwierige Kindheit nachträglich zu einer glücklichen umzumünzen, das geht schon gar nicht.

Womöglich ist der Satz ganz anders gemeint. Und die Kindheit, von der er spricht, liegt gar nicht hinter mir, sondern vor mir. Dann müsste die Zeit, auf die ich zugehe, etwas enthalten, was ich mit der Kindheit verbinde. Menschen um mich herum, auf die ich mich absolut verlassen kann. Wie damals auf meine Eltern. Die Fähigkeit zu staunen, gerade auch über die kleinen Dinge des Lebens, die uns Erwachsenen längst abhandengekommen sind. Etwas von der kindlichen Unbeschwertheit. Die Fähigkeit, einfach auszuprobieren, was geht.

Dass es nie zu spät ist, eine glückliche Kindheit zu haben - davon hat auch Jesus von Nazareth gesprochen. „Wenn ihr nicht wieder wie Kinder werdet, kommt ihr nie ins Reich Gottes!“ (Matthäus 18,3) Das sagt Jesus, als seine Freudinnen und Freunde von ihm wissen wollen: „Wer ist denn der Größte unter uns?“. Auch das eine typische Kinderfrage.  Wenn ich an unsere eigenen Kinder denke, erinnere ich mich gut, wie sie miteinander gerangelt haben. Und ihre Kräfte ausgetestet. Nicht nur für sich selber. Sondern als Bitte an uns als Eltern: „Überschau mich doch bitte nicht! Schließlich bin ich ganz wichtig.“ Kinder leben viel stärker einfach in der Gegenwart. Verstehen das Leben als Spiel. Und finden genau darin erstmal ihr Lebensglück.

„Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben.“ Dem Autofahrer, der diesen Satz wie ein Bekenntnis auf seine Kühlerhaube geklebt hat, gings vielleicht genau darum: auszusteigen aus dem Streit um den besten Startplatz auf der Bühne des Lebens. Und etwas zurückzugewinnen von der kindlichen Art, im Hier und Jetzt zu leben und sein Glück zu finden. Wenn es dazu nie zu spät ist, dann lasse ich es doch gleich heute auf den Versuch ankommen. Ich entdecke etwas vom Glück der späten Kindheit. Und denke einfach nur an das, was heute wichtig ist.

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17MAI2023
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Das nenne ich ein salomonisches Urteil! Der weise König Salomo hat es in biblischen Zeiten gefällt. In einer ziemlich verzwickten Angelegenheit.

Die Geschichte geht so. Zwei aufgeregte Mütter erscheinen mit einem kleinen Kind vor dem weisen Salomo. Die beiden Frauen streiten heftig darüber, wem das neugeborene Kind gehört.

Jede behauptet: „Mein Kind ist das!“ Der König soll herausfinden, wer die richtige Mutter ist. Gar nicht so einfach!

Doch der weise König hat eine Idee. Er fordert die streitenden Mütter auf, das Kind kurzerhand in zwei Teile zu teilen. Damit müssten doch die Ansprüche auf beiden Seiten befriedigt sein. Oder etwa nicht?

In Wahrheit ein unerträglicher Gedanke! Jedenfalls für die richtige Mutter des Kindes. Die sagt darum auch sofort: „Gebt mein Kind der anderen Frau! Ich will doch, dass mein Kind leben soll!“

Die Strategie des Königs ist aufgegangen. Es hat sich herausgestellt, wer die echte Mutter ist. Sie soll das Kind behalten!

Mich macht die Geschichte in mehrfacher Hinsicht nachdenklich. Zunächst sagt sie etwas über die Weisheit des Königs Salomo. Sein absurd klingender Vorschlag hat sich als durchaus weise herausgestellt.

Sie sagt aber auch etwas über wahre Mutterliebe. Die stellt nämlich das Leben des Kindes über die eigenen Besitzansprüche.

Vor allem aber sagt sie etwas über die Kunst des Loslassens. Denn die tiefere Botschaft der Geschichte lautet ja: es gibt Situationen, in denen  Loslassen das einzig Wahre ist. 

Loslassen zu lernen, das finde ich auch, ist wichtig. Wenn wir auch Tag für Tag das Gegenteil davon erleben. Das geht schon im Sandkasten los. Das „Habenwollen“, was der oder die Andere hat. Den Eimer, die Schaufel. Später dann das stärkere Auto, das höhere Ansehen.

Dabei gewinne ich Freiheit erst, wenn ich loslassen kann. Zuweilen besteht ein weises Verhalten einfach darin, die Hände zu öffnen.  

Die Bibel nennt diese Haltung Weisheit. Die Geschichte von Salomos Urteil zeigt mir eine Haltung, die nicht die eigenen Ansprüche in den Vordergrund stellt.

Sondern, die fragt: was dient dem Leben? Dem Leben meines Kindes, dem Zusammenleben in der Gemeinschaft, dem zukünftigen Leben auf unserem Planeten.
Nicht zu vergessen: was gewinne ich selbst, wenn ich loslasse?

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16MAI2023
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Menschen mit einer genauen Beobachtungsgabe bewundere ich. Wie den Schriftsteller Wilhelm Genazino, der in diesem Jahr achtzig geworden wäre.

Tatsächlich gefällt mir sein Gespür für die winzigen Miniaturen des Alltags. Das kann die Beschreibung eines sanft herabsegelnden Ahornblattes sein. Ein spielendes Kind auf einem Balkon, das durch ein Guckloch auf die Welt schaut. Oder die Stille, die sich manchmal beim Schreiben am Schreibtisch einstellt. Und in der er gemeint hat, eine Sehnsucht nach Erlösung wahrzunehmen.

Dabei war Genazino ein Mensch, der sich in seinem Leben oft gerade nicht sonderlich wohl gefühlt hat. Sondern eingeklemmt, wie er notiert hat, „zwischen Katastrophenangst und Erlösungssehnsucht“.

Um dann aber doch immer wieder festzustellen: weder das eine noch das andere ist eingetreten. Stattdessen, das war so etwas wie sein Credo, kommt immer - der nächste Tag!

In dieser lakonischen Feststellung drückt sich ein Lebensgefühl aus, das vermutlich weit verbreitet ist. Ich kann mich jedenfalls darin ganz gut wiederfinden.

Mit dieser Beklemmung umzugehen, dafür hat Genazino seine eigene Strategie gefunden. Ich würde es eine Art Mystik des Alltags nennen. Sie schaut hinter die glatte Oberfläche des Alltäglichen. Und findet im Vordergründigen das Hintergründige.

So wie Jesus in der Bergpredigt. Der entdeckt  auch in den Lilien auf dem Felde, im Flug der Vögel, im Zug der Wolken die geheimnisvolle Schrift des Schöpfers. An jeden persönlich adressiert, der es sehen mag.

Tröstliche Momente sind das, in denen ich erlebe, dass im Alltäglichen das geheimnisvoll Verborgene aufleuchtet. Und aus dem Ernst des Lebens eine Heiterkeit aufsteigt, die aus der Schwerkraft des Alltags für einen Moment erlöst.

Ich glaube übrigens, dass man so eine poetische Beobachtungsgabe einüben kann. Und dann in der alltäglichen Realität immer wieder den Vorschein einer anderen Welt entdecken wird. Offen wird, wie Genazino notiert, für „die betörenden  Augenblicke“, in denen das Ich sich weitet und „die bedürftige Seele“ sich stärkt.

Ganz in diesem Sinne wünsche ich Ihnen heute einen Tag mit vielen alltäglich-wunderbaren Entdeckungen!

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