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24APR2025
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Jungs haben es schwer. Zumindest, wenn sie noch mitten in der Pubertät stecken, und nicht wissen, was sie wollen und wer sie eigentlich sind. Weniger jedenfalls als die gleichaltrigen Mädchen. Ich sehe das an meinen Schülern in der 9. und 10. Klasse. Früher war ziemlich klar definiert, was von ihnen erwartet wird. Jungs sollten wissen, was sie wollen, stark sein, beschützen können. Ein kräftiger Händedruck war gut. Männlich eben. Wie es sich im Laufe der Jahrhunderte eingespielt hatte, um erfolgreich zu sein.
Inzwischen ist das anders. Und dass es so ist, finde ich richtig und gut. Aber es macht es für die Jungs eben schwieriger. Oft sind die Mädchen in der Schule erfolgreicher. Sie können sich besser im Unterricht konzentrieren und erfüllen mehr, was ihre Eltern erwarten. Auch wenn’s um die Liebe geht, ist beileibe nicht mehr so klar, was von einem Jungen erwartet wird: cool sein oder zärtlich oder durchtrainiert. Einer, der die Führung übernimmt oder lieber in der zweiten Reihe unterstützt. Oder am besten alles zusammen?
Ich widme diese Sendung einem fast Fünfzehnjährigen, mit dem ich hin und wieder zu tun habe. Er kämpft sich durch die Pubertät und erlebt sein Leben auch als einen Kampf. Mit den Eltern und Lehrern, mit seinen jüngeren Geschwistern, mit den Gleichaltrigen in der Schule. Ich spüre, dass es unübersehbar vor allem auch ein Kampf mit sich selbst ist. Die Fragen, die dabei auftauchen, stehen ihm ins Gesicht geschrieben: „Was wollen die nur alle von mir? Bin ich ok, wie ich bin? Wie komme ich einigermaßen durch die Schule und finde einen Beruf, der zu mir passt?“ Meistens will er am liebsten nur seine Ruhe haben.
Wenn ich mit ihm zu tun habe, höre ich oft nur zu, was er erzählt. Was gar nicht viel ist. Nur kleine Schlaglichter aufs Familienleben, die Schule, und was er sonst so tut. Ich gebe kaum Ratschläge. Mir ist im Grunde nur eines wichtig: Er soll spüren, dass er in Ordnung ist. Als Junge, als Fünfzehnjähriger, mit seinen Ecken und Kanten, auch wenn er übers Ziel hinausschießt und frech und faul ist. Mal männlich, mal weniger männlich, mal eher weiblich. Wie es seit kurzem in der katholischen Einheitsübersetzung der Bibel auch heißt: Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie1. Beides gehört zu jedem von uns, und es braucht Zeit, um es zu verstehen, richtig damit zu leben. Vieles weiß der fünfzehnjährige Junge noch nicht. Muss er auch nicht. Aber ihn und seine Altersgenossen zu unterstützen, ihnen Mut zu machen, das liegt mir am Herzen.਍

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23APR2025
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Jesus aus Nazaret war ein Mensch mit Gefühlen. Ganz klar. Jesus weint, als er die Nachricht vom Tod eines guten Freundes bekommt. Jesus ist traurig und wütend, weil Gegner ihn daran hindern wollen, eine Kranke zu heilen - nur weil Shabbat ist, Arbeitsverbot also.

Aber seltsam: nirgends ist auch nur ein Wort darüber zu finden, wie Jesus gelacht oder gescherzt hat, dass er Witze macht oder sonst einmal fröhlich gewesen wäre...

Na gut - als Gast bei einem Hochzeitsfest sorgt er mal dafür, dass genug Wein da ist. Und gelegentlich fordert Jesus seine Leute ausdrücklich auf, jetzt aber mal keine Trauer zu schieben, solange sie ihn noch bei sich haben. Das sind doch indirekte Hinweise darauf, dass der Mann kein Trauerkloß gewesen sein dürfte. Man hat ihn sogar als Fresser und Weinsäufer kritisiert; der hat doch sicher wenigstens gelegentlich auch mal gefeiert und gelacht.

Allerdings: Lachen ist in der Bibel sowieso ein eher seltenes und irgendwie auch seltsam negatives Wort. Lachen und Gelächter haben immer einen schlechten Unterton. Böse Menschen, Feinde, Unterdrücker: die lachen brutal und sarkastisch. Gelächter richtet sich anscheinend immer gegen andere – und das ist ja nun wirklich sehr hässlich...

Vielleicht lassen die JesusGeschichten der Bibel auch deswegen aus, dass und wie Jesus gelacht hat? Er war aber jedenfalls so menschlich und so nah bei den Menschen und geradezu vernarrt und verliebt in sie, dass er sicher auch mit den Fröhlichen gelacht hat. Schade, dass die Evangelisten das vergessen haben. So können und dürfen wir es nur stark und fröhlich vermuten.

In manchen Kirchen gehört ein fröhliches Gelächter als fester Brauch zum Oster-Gottesdienst. Hat sogar einen lateinisch-theologischen Namen: risus paschalis – österliches Gelächter heißt es. Die Leute im frühen Mittelalter hatten ja wenig zu lachen und so ein Ostergottesdienst konnte schon lange dauern; und damit die Christenleute ausgerechnet am Osterfest ein bisschen fröhlich in die Welt gucken sollten: Erzählte der Pfarrer am Ende einen guten Witz – den OsterWitz eben. War gelegentlich sehr derb oder direkt. Aber das lässt sich ja leicht vermeiden.

Das Ostergelächter, das ich mal selbst erlebt habe, war allerdings unfreiwillig und eher einem Versprecher geschuldet – zudem in der Fastenzeit drei Wochen vor Ostern. „Gib deinem Volk einen hochherzigen Glauben“, betete da ein alter Pfarrer, „damit es mit froher Hingabe dem Oktoberfest entgegeneilt.“

Ist noch ein bisschen bis dahin – aber „Frohe Ostern“ jetzt und weiterhin wünsche ich!

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22APR2025
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Papst Franziskus ist gestorben. Von einem Menschen, der es keiner Seite recht machen kann, sagen manche ja, dass so ein Mensch vieles richtig macht. Für mich war Franziskus so ein Mensch. Vielen in Deutschland etwa, die sich eine weltoffenere, modernere Kirche wünschten, war er zu zögerlich. So hielt er daran fest, dass die Priesterweihe nur Männern vorbehalten sei. Zugleich setzte er Frauen in hohe Leitungsämter der Kirche ein. Homosexualität bezeichnete er als Sünde, begegnete queeren Menschen aber dennoch mit großer Wertschätzung. Erzkonservativen Hardlinern, die jede Modernisierung ablehnen, galt er deshalb als Verräter an der reinen Lehre. Ja, einige dieser sogenannten Würdenträger haben sogar versucht, ihn zu stürzen.

Ich habe Papst Franziskus um seine Aufgabe nie beneidet. Eine weltumspannende Kirche zusammenzuhalten in einer Welt, die so widersprüchlich und vielfältig ist, wie sie es wohl nie zuvor war. Ein fast schon übermenschlicher Anspruch. Und so sind es vor allem zwei Aspekte, die mir persönlich von seinem Pontifikat besonders in Erinnerung bleiben:

Da war sein weites Herz für die Armen, die Schwächsten, die an den Rand Gedrängten. Franziskus war einer, der Menschen gemocht hat. Ein Menschenfischer im Geiste Jesu. Einer, der Demut und Bescheidenheit nicht nur gepredigt, sondern auch vorgelebt hat. Der davon sprach, ihm sei „eine ‚verbeulte‘ Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber, als eine Kirche, die wegen ihrer Verschlossenheit krank ist“.

Und dann ist da seine Enzyklika „Laudato si“. Sie war ihm ein Herzensanliegen und bleibt sein Vermächtnis. Die rücksichtslose Zerstörung unserer Lebensgrundlagen und den Klimawandel als vielleicht größte Bedrohung der Menschheit hat kein Papst vor ihm so klar benannt. „Alles ist mit allem verbunden“, schreibt Franziskus darin. Ein Satz, an den man als Christ derzeit nicht oft genug erinnern kann, angesichts egoistischer Alleingänge überall auf der Welt.

Wer auch immer Papst Franziskus nun nachfolgt. Ich bin sicher: Seine Stimme wird fehlen. In der Kirche und in der Welt.

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19APR2025
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Die Kirche ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Bachs H-Moll-Messe steht auf dem Programm. Im Credo, dem Glaubensbekenntnis, herrscht auf einmal völlige Stille. Kein Orchester. Kein Chor. Generalpause!  Der Chor hat sein „sepultus est“ gesungen. Auf Deutsch: “Er ist begraben worden!“ Eine ungeheure Spannung liegt in der Luft. Bis es weitergeht mit dem triumphierenden „Et ressurexit!“ „Er ist auferstanden!“

Der heutige Karsamstag hat für mich etwas von einer solchen Generalpause, dieser eine Tag zwischen Karfreitag und Ostern. In den Kirchen stehen da meist keine Blumen auf dem Altar. Es gibt auch kein Glockengeläut. In manchen Gegenden Süddeutschlands oder Österreichs sind Rätschen zu hören, hölzerne Geräte, die knarrende Laute von sich geben. Manche Altarflügel mit ihren bunten Bildern sind verhüllt. Die normalen Abläufe – sie sind unterbrochen. Zumindest im Kirchenjahr. Bevor dann in der Osternacht lautstark der Osterjubel einsetzt.

Für mich ist diese Generalpause mehr als ein Überbleibsel aus vergangenen Zeiten. Für mich ist sie ein Bild dessen, was mein Leben oft ausmacht. Eine Unterbrechung reiht sich an die andere. Meist tun mir Unterbrechungen von vertrauten Abläufen erst einmal gut, wie der Verzicht auf Süßes oder auf Alkohol in der Passionszeit. Ein kleines Fastenzeichen, mit dem ich übe, was das heißt, sich im Gewohnten zu unterbrechen. Unterbrechungen können mich aber auch völlig unerwartet und schrecklich treffen. Dann steht von einem Moment auf den anderen die Welt still. Generalpause – ohne Vorwarnung. Dann ist es wichtig, dass ich mir diese Unterbrechung zugestehe. Dass ich die Stille der Pause aushalte. Dass ich – in aller Wut oder in allem Widerstand – damit rechne, dass das Leben irgendwann wieder in Bewegung kommt. Dass ein neuer Einstieg ins Leben möglich wird.

In der Musik gibt es solche Generalpausen immer genau dann, wenn ein grundsätzlicher Umschwung angedeutet wird. Wie eben im Credo nach dem Bericht über Jesu Tod – ehe die Auferstehung besungen wird. Aus der Stille erwächst der Neuanfang, wie dem Karfreitag der Ostermorgen folgt. In der Feier der Osternacht kann ich das erleben. Die Generalpause des Karsamstags ist vorüber. Da wünsche ich mir, dass sich Vergleichbares in meinem Leben doch auch ereignet. Ein kleines Osterfest, mitten im bedrängenden Alltag. Immer wieder.

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17APR2025
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Ganz ehrlich, zuerst habe ich meinen Augen nicht getraut. Da kommen zwei Männer zu meiner Abendandacht in die Kapelle. Der eine mit einem Glas Wein in der Hand, der andere mit einem Glas Bier. Sie haben sich in eine der hinteren Reihen gesetzt, aber waren ganz mit dabei. Immer wieder musste ich zu ihnen hinschauen. Nach der Andacht bin ich auf die beiden zugegangen. „Ich war schon überrascht!“, habe ich zu ihnen gesagt. Darauf der eine der beiden: „Aber bei euch gibt’s doch auch Wein in der Kirche, wenn ihr Gottesdienst feiert!“ „Ja natürlich, das stimmt!“, habe ich geantwortet. Und ich habe versucht, den beiden den Unterschied zu erklären. Aber richtig zufrieden war ich mit meiner Antwort nicht.

Ist der Unterschied wirklich so groß zwischen einem Abendmahl in der Kirche, mit Brot und Wein oder Saft, und einem ganz normalen Essen und Getränk –  wie bei den beiden, die einfach aus ihrem normalen Glas trinken.

Heute ist Gründonnerstag. Der Tag, an dem in den Kirchen die Erinnerung an die letzte Mahlzeit von Jesus und seinen Freunden im Mittelpunkt steht. Genau darauf hat der Mann ja angespielt, als er davon sprach, in der Kirche würde doch auch Wein getrunken. Schon erstaunlich, dass sich Menschen nach zweitausend Jahren an dieses besondere Essen von Jesus mit seinen Freunden immer noch erinnern. Und im Gottesdienst ganz selbstverständlich wiederholen, was damals doch etwas Besonderes war. Aus allen Speisen und Getränken, die auf dem Tisch standen, hat Jesus die beiden herausgegriffen, die bis heute bei kaum einem Festessen fehlen: Brot – ein elementares Grundnahrungsmittel. Und Wein, schon damals ein festliches Getränk der Lebensfreude! Es wurde gefeiert! Vor allem die Erinnerung an die Befreiung der Vorfahren aus der Sklaverei in Ägypten. Gefeiert haben die Freunde von Jesus aber auch, dass bei diesem Essen im Angesicht des Todes Jesu Gott in ihrer Mitte war. Aus der Erinnerung ist Kraft und Lebensenergie erwachsen. Das ist bis heute so geblieben

Daran erinnere ich mich, wenn ich heute oder in den nächsten Tagen in der Kirche zu Brot und Wein oder Traubensaft eingeladen werde. Ich entdecke und feiere die Gegenwart Gottes in dem, was er hat wachsen lassen: Getreidekörner und Trauben. Zutaten aus der Natur. Eigentlich ein Wunder. Vielleicht, so denke ich, haben die beiden Männer nur ihren eigenen Zugang zu diesem Wunder gesucht. Und hoffentlich dann auch etwas davon gespürt.

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16APR2025
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Manchmal muss man das Leben einfach feiern. Jesus hat das zwei Tage vor seinem Tod erlebt. Er ist bei einem wohlhabenden Freund eingeladen, als überraschend eine Frau den Raum betritt. Sie gießt Jesus wertvollstes Öl über den Kopf, eine Kostbarkeit. So teuer, dass ein Tagelöhner dafür ein ganzes Jahr lang hätte arbeiten müssen. Der Raum dürfte mit dem Duft des Öls geflutet worden sein.

Und: Die Frau schenkt Jesus noch mehr als kostbares Öl. Seine Botschaft ist bei ihr angekommen. Sie handelt, als ob sie jetzt schon Teil der kommenden Welt Gottes ist, von der Jesus mit aller Kraft erzählt hat auf der wilden Reise seines Lebens. Sie feiert das Leben!

Sofort flammt Empörung auf. Wenn man das Öl verkauft hätte, statt es so zu verschwenden, dann hätte man das Geld den Armen geben können.

Jesus stellt sich schützend vor die Frau. Er lässt zu, dass sie überschwänglich ist, voller Hingabe. Verschwenderisch, überfließend wie die Liebe Gottes, von der er so oft gepredigt hat. Mit dem Duft der Salbe entfaltet sich eine Ahnung im Raum: So könnte es sein, wenn die Welt für Augenblicke so ist, wie Gott sie einmal gewollt und geschaffen hat: Wohltuend, voller Liebe und Hingabe. Ohne Krieg und Schmerz. Eine Welt in Frieden. Duftend. Und Gott sah, dass es gut war.

Diese Begegnung der Frau mit Jesus beim Festmahl gibt mir zu denken: Vergiss über dem Einsatz für die Gerechtigkeit das Leben nicht. Oder um es mit den Worten des Liederdichters Wolf Biermann zu sagen: Du, lass dich nicht verbittern in dieser bittern Zeit.

Der Einsatz für eine bessere Welt kann nämlich auf Dauer auch ermüden. Wenn alles Engagement fruchtlos erscheint, wenn immer wieder die triumphieren, die sich selbst an die erste Stelle setzen. Wenn die Kriegstreiber und Diktatoren unbeirrt töten und siegen. Dann kann das hart machen, humorlos und traurig.

Mir scheint: Für alle, die es ernst nehmen mit der Botschaft Jesu, die sich nicht abfinden wollen mit den Ungerechtigkeiten dieser Welt und zugleich darüber müde geworden sind, für sie ist diese Geschichte der Frau mit dem Salböl bewahrt worden.

Du, lass dich nicht verbittern! Lebe! Liebe!

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15APR2025
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„Worauf freuen Sie sich nach dem Tod?“ Diese interessante Frage hat der Bestatter Julian Heigel in einem Tweet gestellt. Und viele haben geantwortet.

Die meisten Antworten auf seine Frage finde ich ziemlich witzig. Wie lustig ist etwa die kurze Antwort: „Erst mal ausschlafen! Dann die anderen besuchen.“ Oder: „Endlich leben.“ Oder auch ganz frisch-fromm-fröhlich-frei: „Jesus sehen.“

Worauf freue ich mich nach dem Tod? Die Frage ist auch deshalb so reizvoll und tiefgründig, weil sie, ganz beiläufig, unterstellt, dass nach dem Tod tatsächlich noch etwas kommt. Etwas, das fröhliche Gespanntheit auslösen könnte.

Ich glaube an die Auferstehung. Aber: Freue ich mich auch darauf?

Der gruselige Pfarrer, der mich vor Jahrzehnten konfirmiert hat, hat uns im Konfirmandenunterricht die Ereignisse nach dem Tod ziemlich plastisch geschildert. Er hat damals erklärt, dass nach dem Tod eine Art Kinofilm auf Großbildleinwand ablaufen würde, der alle Schandtaten unseres Lebens der versammelten Schar der Auferstandenen vorführen würde. Ein beeindruckendes Szenario. Aber nicht unbedingt ein Grund zur Freude. Ich war schon mit 14 Jahren nicht scharf darauf, dass meine Mutter erfährt, wer ihr einmal fünf Mark aus dem Portemonnaie geklaut hat. Heute denke ich, dass sie das sowieso gewusst hat und selbst im Himmel daraus keine große Sache mehr machen wird.

Worauf freue ich mich?! Ich freue mich auf ein himmlisches Fest – jedenfalls hat Jesus das seinen Freundinnen und Freunden versprochen. „Das Himmelreich gleicht einem König, der seinem Sohn die Hochzeit ausrichtet,“ hat er gesagt. Oder er hat den Himmel mit einem großen Festessen verglichen, zu dem ein Gastgeber großzügig einlädt.

Worauf freue ich mich, nach dem Tod? Ich freue mich auf ein Fest voller Musik, Tanz und Lachen. Ich möchte lachen über das, was in meinem Leben gelungen ist, aber auch humorvoll auf das schauen, was so richtig peinlich war. Ich freue mich auf ein Fest, zu dem ich eingeladen bin und ganz selbstverständlich dabei sein darf. Ein Fest ohne Kater am nächsten Tag. Ein Fest, das nachschwingt und nachklingt und die Herzen zum Himmel schweben lässt.

Wobei, im Himmel, da bin ich dann ja schon.

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14APR2025
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„Stille Woche“ wird die Karwoche genannt. Dabei ist es damals in Jerusalem gar nicht leise zugegangen. Die Evangelien berichten: Jesus hat getobt und gewütet, er ist sogar ungerecht und verletzend. Bekannt ist die Szene, in der Jesus die Händler und Geldwechsler aus dem Tempel vertrieben hat. Weniger bekannt ist, dass Jesus einen Feigenbaum verflucht und ihn verdorren lässt, weil der Baum keine Früchte trägt. Die arme Pflanze ist dabei völlig unschuldig, denn es war an diesem Frühlingstag nicht die Jahreszeit für Feigen.

Ich bin froh darüber, dass die Jüngerinnen und Jünger die Erinnerung daran bewahrt haben. Jesus weiß, ahnt zumindest, dass sein Tod kurz bevorsteht. Noch vier Tage, und er wird am Kreuz sterben. Er flucht, bevor der Tag kommt, an dem andere ihn verfluchen werden, sein Leben verdorren lassen wie diesen Feigenbaum am Weg.

Wenn ich als Seelsorgerin Menschen begleitet habe, deren Leben sich dem Ende zuneigte, dann waren die auch nicht immer sanft. Nicht jeder kann ruhig eine schwere oder tödliche Krankheit akzeptieren, lebenssatt Abschied nehmen und friedlich mit einem Lächeln auf den Lippen sterben. Wahrscheinlich kennen Menschen, die im Krankenhaus oder im Hospiz begleiten, auch das: Diesen Zorn von Sterbenden gegenüber denen, die weiterleben können. Eine bittere Wut, die ganz oft ungerecht wirkt und verletzend. Es gibt Menschen, die zum Ende des Lebens ungeahnte Kräfte entwickeln und um jeden Atemzug kämpfen. Gegen den Tod. Und gegen die, die sie begleiten.

Ich meine: Für sie alle ist diese Geschichte vom ersten Tag der Karwoche festgehalten worden. Jesus kennt auch das: Diese Wut über den Tod, vielleicht auch die Scham darüber, ungerecht zu sein und in der Erregung gerade die zu verletzen, die am wenigsten dafür können. Gut, wenn es Menschen gibt, die das aushalten. So wie die Jüngerinnen und Jünger, die - zumindest an diesem Tag vor Jesu Tod in Jerusalem - bei ihrem Herrn geblieben sind.

So kann die Geschichte von Jesus, der einen Feigenbaum verflucht, trösten. Jesus kennt Zorn. Kennt auch Wut. Zeigt, dass das sein darf.

Am Ende eines Lebens sind keine moralischen Appelle angebracht. Sterbende sollte man nicht erziehen. Wer weiß, wie es mir einmal geht, wenn das Ende meines Lebens kommen wird. Ich wünsche mir dann Menschen an meiner Seite, die verständnisvoll sind. Die mich, hoffentlich, lieben können. Zumindest ertragen mögen.

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12APR2025
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Der Eindruck, wir lebten in einer unübersichtlichen, komplexen Welt, ist weit verbreitet. Und nicht nur ich habe das Gefühl, dass sie ständig noch unübersichtlicher wird. Marco Wehr, Physiker und Philosoph, hat ein Buch darüber geschrieben mit dem Titel „Komplexe neue Welt und wie wir lernen, damit klarzukommen“, Darin schreibt er, dass die Welt wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte zu „einem verwickelten Knäuel des Komplexen“ geworden sei. Ich meine, dass Christinnen und Christen, Menschen der Kirche, diese Herausforderung, annehmen sollten. Sie glauben an einen Gott und an eine Botschaft, die zuversichtlich macht, die Angst besiegt. Vielen Menschen macht es nämlich Angst, wenn sie das Gefühl haben, dass ihnen all diese komplexen Zusammenhänge entgleiten, sie verwirren und ins Chaos stürzen. Entfremdung ist die Folge und das Gefühl, überall wird nur gemauschelt und werden Tatsachen verdreht. Eindeutige Erklärungen müssen her und die finden viele dann in den sogenannten Verschwörungstheorien, die eigentlich Verschwörungs-Erzählungen sind. Was sich irgendwie, wenn auch noch so abenteuerlich, erklären lässt, scheint ihnen weniger bedrohlich und sie meinen, es dann eher handhaben zu können.

Das Problem an diesen Erzählungen ist nicht nur, dass sie der komplexen Realität nicht gerecht werden, Menschen sich damit also meist in die Tasche lügen, sondern vor allem auch, dass sie die Gesellschaft spalten. Sie fördern Misstrauen, und zwar meist gegen Randgruppen, die ohnehin schon unter Diskriminierung zu leiden haben. Wenn aber mit Schaum vor dem Mund Sündenböcke gesucht werden, kann das mir als Christ nicht egal sein. 

Wenn der Glaube ein Mittel gegen Verschwörungserzählung sein kann, dann vor allem weil wir als Christen Teil von Gemeinschaften sind, die uns Halt geben, den Austausch fördern und uns ermutigen, verschiedene Sichtweisen zuzulassen und nebeneinander auszuhalten. Grundlage ist der gemeinsame Glaube an einen liebevollen Gott, der uns Menschen Gutes möchte. Er lässt hoffen und gibt Zuversicht. So kann wachsen, was ich ‚Komplexitätstoleranz‘ nennen möchte: Die Fähigkeit, auszuhalten, dass es eben schwieriger wird, die globalen Zusammenhänge zu durchschauen – und das in einer Welt, die immer mehr zusammenwächst. Christen sollten diese Haltung einüben – für eine offene und tolerante Gesellschaft. Statt über den Rückzug des Glaubens zu lamentieren, hätten die Kirchen hier eine neue, lohnende Aufgabe.

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11APR2025
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Oswiecim, eine sympathisch wirkende polnische Kleinstadt unweit des märchenhaft schönen Krakau. Ganz normales Leben findet hier statt und doch steht in Oswiecim eine Gedenkstätte, deren Namen sich als Synonym für den Holocaust und Inbegriff des Bösen weltweit ins Bewusstsein eingebrannt hat. Oswiecim heißt auf Deutsch: Auschwitz.

Neben der Gedenkstätte und dem Museum gehört das "Zentrum für Dialog und Gebet" sicher zu den bemerkenswertesten Einrichtungen vor Ort. Gegründet wurde es 1992 von der katholischen Kirche in enger Absprache mit Vertretern jüdischer Organisationen. Hier, in fußläufiger Nähe des Stammlagers Auschwitz, sollte ein Ort geschaffen werden, der einlädt sich zu besinnen, zu begegnen, zu lernen und zu beten – und zwar für alle Menschen, die erschüttert sind von dem, was dort geschehen ist, unabhängig von ihrer religiösen Orientierung.

Ideengeber für das Zentrum war vor allem Manfred Deselaers, Priester des Bistums Aachen, der seit über 30 Jahren dort lebt. Inzwischen fast 70-jährig begleitet er bis heute Gruppen beim Besuch der Gedenkstätte. Deselaers bietet sich selbst an, um mit den Besucherinnen und Besuchern die Gedanken, Eindrücke, Tränen, Trauer, Wut und Ohnmacht zu verarbeiten und zu besprechen – oder auch nur zu schweigen. "Manchmal genügt es schon, wenn man einfach nur da ist." "Das Zeugnis der Kirche an der Gedenkstätte Auschwitz“, so erklärt Manfred Deselaers, „ist vor allem ein Glaubenszeugnis: Die Macht des Bösen und des Todes hat nicht das letzte Wort. Das letzte Wort hat Gott, der Liebe ist." Dabei hat er in seiner akademischen Dissertation selbst ganz tief in den Abgrund geschaut, als er sich mit Gott und dem Bösen beschäftigte – im Hinblick auf die Biografie und die Selbstzeugnisse von Rudolf Höß, dem Kommandanten von Auschwitz. Höß war ein Mann, der die Ermordung und Vernichtung generalstabsmäßig organsierte und durchführte. Gewohnt hat er als liebender Ehemann und Vater vierer Kinder direkt hinter der Mauer des Lagers. Manfred Deselaers steht dafür, solch perfider Verdrängung nicht das letzte Wort zu geben, und vor allem nicht dem Hass. Und er weitet die Perspektive auch auf die heutige politische Landschaft in Europa und auf die Tatsache, dass faschistische und völkische Ideen immer stärker werden, wenn er sagt: "Auschwitz steht als Symbol des Bösen an sich; als Symbol einer Welt ohne Gott; als Symbol für entartete Religion, als Symbol für die Folgen von Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Faschismus, politischem Machtmissbrauch".

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