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18MRZ2025
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Fünfzig Jahre lang hat der Stein auf dem Fensterbrett im Wohnzimmer gelegen. Zwischen Zimmerpflanzen und je nach Jahreszeit wechselnden Deko-Teilchen. Jetzt hat ihn mein Mann auf den Stapel gelegt mit den Dingen, die wir mitnehmen möchten. Wir sind dabei, das Haus meiner Schwiegermutter auszuräumen. Sie ist Anfang des Jahres gestorben, und nun hat sich überraschend schnell ein Käufer gefunden. Er hat gute Ideen für einen Umbau. Und es freut uns, dass sich das Haus bald wieder mit Leben füllen wird. Nun also dieser Stein. Ich schaue meinen Mann verständnislos an. Was will er bloß mit dem hässlichen Brocken? „Den hab´ ich mal drüben im Steinbruch gefunden“, sagt er. „Da war ich vielleicht zwölf.“ Sofort sehe ich den Stein mit anderen Augen an. Ist er nicht schön? Tatsächlich etwas ganz Besonderes. So ist das mit den Dingen, die wir im Lauf eines Lebens ansammeln. Manche haben objektiv einen materiellen Wert. Andere sind in diesem Sinn längst wertlos geworden, abgeschrieben. In vielen steckt jedoch eine Geschichte, die sie wertvoll macht für den, der sie kennt. Etliche solcher Geschichten haben wir uns erzählt in den letzten Tagen.  Aber die Frage, was wir mitnehmen, bleibt. Was wir behalten, verschenken, wovon wir uns trennen. Soll der Stein noch einmal ein paar Jahrzehnte auf einer Fensterbank verbringen? Solange, bis niemand mehr seine Geschichte kennt? Jesus empfiehlt, sich auf anderes zu konzentrieren. Er sagt: „Häuft keine Schätze auf der Erde an. Hier werden Motten und Rost sie zerfressen und Diebe einbrechen und sie stehlen. Häuft euch vielmehr Schätze im Himmel an. Dort werden weder Motten noch Rost sie zerfressen und keine Diebe einbrechen und sie stehlen.“ Es hört sich so klar und einfach an, was Jesus sagt. Aber kann ein irdischer Stein nicht auch ein himmlischer Schatz sein? Etwa, wenn seine Geschichte auf Gott und den Himmel hinweist?  Ich denke an meine Fensterbretter zuhause. Die sind ebenfalls mit bedeutungsschweren Gegenständen bepackt. Wenn ich mir vorstelle, was da auf meine Erben einmal zukommt, bekomme ich gleich ein ganz schlechtes Gewissen. Aber ich hoffe auch, dass das eine oder andere Stück die Geschichte von meiner Himmelssuche weitererzählt. Wenn ich selbst es nicht mehr kann. Mein Mann hat den Stein übrigens in den Garten gesetzt. Erde zu Erde, Stein zu Stein. Aber wer weiß: Vielleicht hebt ihn jemand auf, findet ihn schön und beginnt mit ihm eine neue Geschichte.

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17MRZ2025
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Poetisch nennt sie sich die „Stadt der Tore, Türme und Giebel“. Und ja, sie ist wirklich ein schmuckes Städtchen mit einer alten Stadtmauer, farbigen Häuserfassaden am Marktplatz und einem Bach, der durch ihre mittelalterlichen Gassen plätschert. Die Stadt Memmingen gibt sich aber auch oberschwäbisch bescheiden, denn sie dürfte sich genauso brüsten, der Ort der ältesten Erklärung der Menschenrechte zu sein. Im Saal der ehemaligen Krämerzunft, den man noch besichtigen kann, haben sich nämlich im März 1525, also vor 500 Jahren, ein paar Dutzend Bauern aus dem ganzen Südwesten getroffen und ihre Forderungen zu Papier gebracht. In zwölf bemerkenswerten Artikeln. Ich staune beim Lesen. Klug und besonnen argumentieren sie. Und sehr selbstbewusst. Lange vor der französischen Revolution, lange vor der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung ist hier zum ersten Mal ein allgemeiner Ruf nach Freiheit formuliert. Gleichheit und Brüderlichkeit stehen noch nicht auf dem Zettel. Denn die Verfasser erkennen die für sie gottgegebene Ordnung der Welt an. Die Verhältnisse auf den Kopf stellen wollen sie nicht. Aber innerhalb dieser bestehenden Ordnung fordern sie gerechte Verhältnisse: Teilhabe an natürlichen Ressourcen wie Wasser, Weideflächen und Wald. Sie verlangen eine angemessene Besteuerung und wenden sich gegen jede Form von Willkür in der Rechtsprechung. Die Leibeigenschaft soll abgeschafft werden, denn, so steht es im dritten Artikel: „Christus hat uns alle erkauft mit seinem kostbaren Blut, den Hirten genauso wie den Höchsten, keinen ausgenommen.“ Die zwölf Memminger Artikel nehmen den Reformator Martin Luther beim Wort. Er hat gerade den Bestseller „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ geschrieben. Wie Luther zitieren die Bauern selbstbewusst aus der Bibel: „Damit ergibt sich aus der Schrift, dass wir frei sind, und das wollen wir sein. Aber nicht, dass wir ganz und gar frei sein und keine Obrigkeit haben wollten. Das lehrt uns Gott nicht.“ Ich finde: Eine grandiose Grundlage für Verhandlungen mit der gegnerischen Seite. Und tatsächlich verhandelt ein Schwäbischer Bund aus Fürsten, Klöstern und Städten mit den Bauern darüber. Aber als manche Bauerngruppen im Freiheitsrausch Burgen und Klöster zerstören und brandschatzen, formieren die Fürsten schnell ihre Heere. Sie beenden den Bauernkrieg mit Gewalt.  Der Aufstand von Bauern, Bergarbeitern und Handwerkern wird niedergeschlagen. Aber ihre Ideen wirken fort.     

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15MRZ2025
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Corona braucht niemand mehr – die Pandemie mit vielen Kranken und Toten, mit Lock Down, geschlossenen Schulen und Bahnhöfen – und sogar die Kirchen waren eine Zeit lang zugesperrt. Gottesdienst sonntags nur online oder im Radio oder am Fernsehen. Braucht niemand mehr – obwohl: ein paar Erlebnisse von damals würde ich mir schon nochmal wünschen.

Einen Sonntag mal kurve ich mit dem Rad auf die Piazza vor unserer Kirche – und kann gerade noch bremsen, bevor ich in die Warteschlange fahre. Alle Plätze für die Sonntagsmesse ausgebucht und reserviert – und wer unangemeldet gekommen ist, muss erst mal abwarten. Das war in der zweiten oder dritten Corona-Phase; da durften wir wieder in die Kirchen – aber nur mit Abstand, höchstens auf jeden dritten Platz. Gemeinsames Singen verboten, Friedensgruß oder andere Nähe sowieso. Und tatsächlich gab es Gedränge, gelegentlich. Weil das mit anmelden, Test-Ergebnis vorzeigen, Impfstatus und so einfach bisschen länger dauerte.

Wir werden uns wundern, hab ich damals gesagt, wie leer unsere Kirchen sein werden, wenn sie wieder voll sein dürfen, nach Corona also und allen seinen Folgen. Und tatsächlich: viele haben anscheinend gemerkt, dass es sonntags auch ohne Kirche geht. Die verzichten seither auch weiterhin – ich wünsche ihnen, dass sie die gewonnene Zeit aber auch gut für sich und andere nutzen. Und eigentlich vermisse ich sie!

Manche Kirchen-Gemeinden haben aber auch für sich was gelernt. Bei uns war es so: Ja, die Eingangskontrollen waren lästig in der Corona-Zeit. Aber irgendwie doch auch ganz schön: immer hat dich jemand begrüßt, wenn du in die Kirche kamst. Sollen wir das jetzt auch wieder lassen? In meiner Gemeinde haben sie sich anders entschieden: Jeden Sonntag – oder fast jeden Sonntag – stehen ein oder zwei Menschen vor der Kirche, begrüßen die Leute freundlich, die da kommen, halten die Türen auf, wünschen einen guten Sonntag…

Keine Kontrolle, aus welchem Grund auch immer – einfach nur: herzlich willkommen, schön, dass du da bist – dann lass uns gemeinsam feiern. Denn das ist doch Kirche: jede und jeder ist willkommen – und richtig Sonntag ist jedenfalls für mich nur, wenn wir Gottes Dienst an uns auch gemeinsam feiern. Mir tut es nämlich richtig gut für mein Leben.

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14MRZ2025
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Vor achtzig Jahren haben die Nazis Gottfried Könzgen ermordet – kurz vor ihrem eigenen Ende, am 15. März 1945 noch. Im Konzentrationslager Mauthausen in Oberösterreich hatten sie ihn – schwer krank schon – Steine schleppen und behauen lassen. Verhaftet hatte die Gestapo Könzgen im August vierundvierzig. Aber schon lange und jetzt wieder lautete der Vorwurf: „unverbesserlicher Katholik“. In den Augen der Hitlerei hatte Könzgen aber noch einen weiteren Makel. „unverbesserlicher Katholik und Zentrumsmann“ war er. Also politisch unterwegs in der damals vor allem katholischen Zentrumspartei, ein bisschen einem Vorläufer der heutigen CDU und CSU. Für die war er im Stadtrat und ein paar Jahre im Landtag …

Für die Nazis gefährlich aber: Gottfried Könzgen, gelernter Weber, studierter Jurist und BWLer, hatte eine führende Rolle in den katholischen Arbeitervereinen. Da hat er vor allem Bildungs-Arbeit gemacht, Vorträge gehalten – und zwar selbstverständlich im Sinne der katholischen Soziallehre; die spricht von der Würde jedes Menschen, von Frieden und Gerechtigkeit, von Mitwirkungs-Rechten der Arbeiterschaft… Es müsse damit gerechnet werden, heißt es in einem Gestapo-Bericht, „dass er in seinen Vorträgen immer wieder in irgendeiner Form gegen die nationalsozialistische Weltanschauung Stellung nehmen wird.“ Da hatte Könzgen sich einer Nazi-Schlägertruppe widersetzt, die einen ArbeiterBildungsVortrag zerschlagen wollten.

Seltsam, dass er dann doch noch lange weitermachen konnte – nur Redeverbot bekam er. Gezielte Einschüchterungs-„Besuche“ hatte die Familie aber immer wieder.

Erst als das Ende des angeblich tausendjährigen Reiches schon ziemlich klar ist, verhaften sie ihn und verschleppen ihn ins KZ. Könzgen schreibt aus der Haft an seinen Sohn von seiner Hoffnung auf Frieden – aber er wusste wohl, dass er dessen Ausbruch kaum noch erleben würde. „Dann werden wir schon klar erkennen,“ heißt es in dem Brief, „dass gerade in der dunkelsten Nacht des Leidens uns am besten und schönsten die Sonne der göttlichen Liebe bestrahlt.“

Eigentlich dringend, dass die Kirche diesen Märtyrer auch ausdrücklich selig spricht und sein Andenken deutlich höher hält – und auch das von manchen anderen Christenmenschen im Widerstand. Gerade in Zeiten wie diesen.

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13MRZ2025
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Er muss sich bedanken bei Polizei und Feuerwehr: Alle haben sich um ihn und sein neunmonatiges Kind nach dem Unfall „super gekümmert“, meint André L. am Tag danach. Sein Auto war mit einem anderen Auto zusammengestoßen. Belebte Straße, viele Schlaglöcher, alles bisschen eng da Der andere Fahrer war schuld – oder hat jedenfalls ein Problem gehabt. André L. hat ein Schleudertrauma – und der kleine Sohn wohl erst mal nur einen Schrecken, höchstens. Alles gut bei beiden.

Allerdings: André sieht – mehr aus dem Augenwinkel zunächst – er hat jedenfalls mitbekommen, dass das gegnerische Auto nach der Kollision wohl ganz außer Kontrolle geraten ist; gerade versinkt es im Weiher neben der Straße. Und weil er selbst und das Kind offenbar kein größeres Problem haben, steigt der Vater aus seinem Wagen aus, springt ins Wasser, taucht kurz und rettet den 89-jährigen Fahrer vor dem Ertrinken.

Keine Ahnung, was André glaubt; gehandelt hat er jedenfalls ziemlich christlich: Sieht einen Menschen in Not oder Gefahr – und greift ohne große Rücksicht auf sich selbst ein und zieht ihn da raus. Das ist „Nächstenliebe“ - gelebte Nächstenliebe.

Der Ort des Geschehens ist übrigens auch neben der Straße ziemlich belebt: Naherholungsgebiet in der Stadt. Ein Café gleich nebenan. Warum bleiben die vielen Leute da in der Sonne auf der Terrasse sitzen, statt einzuspringen? „Nichts gemerkt“ ist ne schlechte Entschuldigung. Smartphones haben einige gezückt; Fotos geschossen oder gefilmt, was da zu sehen war. So was will ich doch schnell verbreiten… Wenigstens behindert haben sie die Rettung hoffentlich nicht!?

Es ist gruselig – da gibt es keine Ausrede. Unabhängig von irgendeiner Religion: Helfen und mithelfen wäre doch einfach nur menschlich gewesen. Jemand hätte sich um das Kleinkind kümmern können, während der Vater den alten Mann rettet. Jemand hätte die Unfallstelle absichern müssen und Polizei und Krankenwagen rufen, sowieso. Nix gesehen – da musst du dich schon wegdrehen, in so einer Situation.

Jesus in der Bibel kommentiert solche Geschichten so: Was ihr dem Geringsten getan habt, also einem Ertrinkenden, einer Hungrigen, anderen ohne Wohnung und Hilfe… was ihr denen getan habt, das habt ihr mir getan; oder eben nicht.

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12MRZ2025
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Anfang April vor 80 Jahren ist der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer hingerichtet worden, nach fast zwei Jahre Haft „wegen Zersetzung der Wehrkraft“. Dabei kämpfte er nur für die Absetzung der Nazi-Herrschaft und eine gerechtere Welt. „Widerstand und Ergebung“ waren sein Leben, so hat man seine tiefsinnigen Gefängnisschriften überschrieben. Darin findet sich folgendes Gedicht mit der Überschrift „Christen und Heiden“, eine Art Lebenssumme des Christlichen. Dicht wie ein Telegramm sind diese drei Strophen.

„Menschen gehen zu Gott in ihrer Not, / flehen um Hilfe, bitten um Glück und Brot, / um Errettung aus Krankheit, Schuld und Tod. So tun sie alle, alle, Christen und Heiden.“

Schon dieser Anfang gibt zu denken, denn viele heute gehen nicht mehr zu Gott, in ihrer Not nicht und nicht in ihrem Glück. Am Sprichwort „Not lehrt beten“ ist freilich doch mehr dran, als man denkt. Denn selbst wer an Gott nicht mehr glauben kann oder will, an einen allmächtigen schon gar nicht, braucht Adressaten - für seine Nöte und Bitten und wohl auch für das ebenfalls wichtige „Danke“. 

„Menschen gehen zu Gott in Seiner Not, / finden ihn arm, geschmäht, ohne Obdach und Brot, / sehen ihn verschlungen von Sünde, Schwachheit und Tod, / Christen stehen bei Gott in Seinen Leiden.“

Mit dieser zweiten Strophe kommt überraschend gleich die Wende: nicht unsere Not, sondern Seine. Abschied vom allmächtigen Gott, dem Alles-Könner und Alles-Macher. Von Gottes Ohnmacht ist da die Rede, und dass er oder sie eine Schwäche hat für uns und die Welt: Gott selbst in Not ist. Hier im Rheingau, wo ich lebe, gibt es einen alten Wallfahrtsort „Not Gottes“; da pilgern die Leute zum Schmerzensmann Jesus, er „trägt die Sünden der Welt“ und schafft sie weg. Dieser Gott sucht Mitliebende, Mitarbeitende, Mitleidende.  Und dann die dritte Strophe:

„Gott geht zu allen Menschen / in ihrer Not, / sättigt den Leib und die Seele mit seinem Brot, / und vergibt ihnen beiden.“

So übernimmt Gott selbst die Regie, und das im Geben und Vergeben, wie es seine Art ist. Das nennen wir Christen dann Ostern, den Anfang der wahren Welt mitten schon in der noch falschen. Dafür hat Bonhoeffer gelebt, das ist das Geschenk des Christlichen, Grund der Hoffnung für alle. Aus Gottes Vergebung zu leben und sie zu bezeugen, das ist es.

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11MRZ2025
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„Die Furcht vor der Freiheit“ heißt das Buch, vor 80 Jahren auf Deutsch erschienen und immer noch brandaktuell. Geschrieben hatte es der deutsche Psychoanalytiker Erich Fromm. Als Jude musste er vor den Nazis fliehen. Noch während des Weltkrieges damals wollte er genauer verstehen, warum so viele Deutsche dem braunen Verführer namens Hitler gefolgt sind. Und überhaupt: was sind „die Gründe für die totalitäre Angst vor der Freiheit“?  Woher diese verbreitete Neigung, andere hochzujubeln oder zu verteufeln? Warum sich hinter anderen verstecken?  Erich Fromm analysiert die Ich-Schwäche dahinter, die Angst vor eigener Verantwortung und letztlich die Weigerung, wirklich erwachsen zu werden. Zwar habe der moderne Mensch wahnsinnig viel erreicht, aber irgendwie sei da diese Angst vor der eigenen Courage, die Angst vor einem wirklich eigenständigen Leben.

Drei Fluchttendenzen macht der große Zeitdiagnostiker aus. Zuerst die Flucht ins Autoritäre. Wo man sich selbst hilflos und überfordert fühlt, sind andere willkommen, die Sicherheit versprechen und die angeblich glasklar wissen, wo es langgeht. Erich Fromm findet dahinter sehr viel eigene Unsicherheit; weil man und frau sich selbst nichts zutrauen, kommen sie nicht aus der Deckung, ihnen fehlt die Kraft zur eigenen Meinung.

Zweitens die Flucht ins Destruktive. Man jammert oder flucht über andere, weil man sich selbst nicht gut findet und nicht klarkommt. Da wird dann alles niedergemacht, was den eigenen Wünschen im Wege ist. Erich Fromm hat diese Tendenz zum Zerstörerischen an der Biografie Hitlers veranschaulicht. Wo viel Demütigung und Enttäuschung erlitten wurde, entstehen Ressentiment und Rachsucht. Und letztendlich manifeste Gewalt.

Und drittens die Flucht ins Konformistische: man passt sich an, man möchte nicht auffallen. Die Kunst, Ich zu sagen und Flagge zu zeigen, bleibt ungelernt. Jede wirkliche Veränderung wird so zur Bedrohung, man passt sich lieber an und trottet mit.

Wie es anders ginge, hat Erich Fromm selbst in seinem Bestseller „Die Kunst des Liebens“ beschrieben. Sich lieben zu lassen und ein positives Selbstgefühl zu entwickeln, lautet da die Einladung.  Und verbunden damit: die Lust am Anderen, die Fähigkeit zu Beziehung mit ihnen. So wie man um einen anderen Menschen wirbt und freit. Meine Freiheit lebt ja von der Anerkennung deiner Freiheit, und umgekehrt. „Die Kunst des Liebens“ also – darauf kommt es an.

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10MRZ2025
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80 Jahre ist es her, dass die Nazi-Herrschaft endlich zu Ende ging. Ich war sieben Jahre alt, und noch heute höre ich das Geraune der Erwachsenen damals Ende April 1945: „der Führer ist tot“. Seit Beginn dieses Jahres nun häufen sich deshalb die 80-jährigen Gedenktage: die Befreiung von Auschwitz, aber eben auch die Hinrichtung so vieler Kämpfer für ein neues Deutschland: Graf Moltke, Alfred Delp und Anfang April Admiral Canaris, Dietrich Bonhoeffer und so viele andere noch.

Im Vergleich zu damals haben wir gewiss privilegierte Zeiten. Nie sollten wir vergessen, wem wir diese Erfolgsgeschichte namens „freiheitlich demokratische Grundordnung“ verdanken. Aber rosig sieht es derzeit bei uns keineswegs aus:  zu groß sind Verteilungsnöte und Verlustängste, zu unklar ob es bergauf oder bergab geht, zu verwirrend die weltpolitischen Verhältnisse. 80 Jahre danach geht erneut das Gespenst des Nationalegoismus um, Hasstiraden und Hetzkampagnen nehmen zu, Schwarz-Weiß-Malerei gefährdet Gespräche und Kompromisse.  Wo sind die Kräfte, die zusammenführen und für Zusammenhalt kämpfen, für wirklich gerechte Verhältnisse? Damit nicht wie damals das Recht der Stärkeren wieder das letzte Wort gewinnt und militante Minderheiten die Macht ergreifen?

Vor 80 Jahren, zehn Tage vor seiner Hinrichtung, schrieb der Jesuitenpater Alfred Delp an sein Patenkind: „Ich möchte, dass du verstehst, was ich gewollt habe, wenn wir uns nicht richtig kennen lernen sollten in diesem Leben; das war der Sinn, den ich meinem Leben setzte, besser, der ihm gesetzt wurde: die Rühmung und Anbetung Gottes mehren; helfen, dass die Menschen nach Gottes Ordnung und in Gottes Freiheit leben und Menschen sein können“. Das klingt wie die Quadratur des Kreises: „Ordnung“ und „Freiheit“ zusammen, und das im Vertrauen auf jene gute Schöpfermacht, die alles im Innersten zusammenhält. Aber genau darum ging es damals, in einem neuen Deutschland sollten Mitmenschlichkeit und Menschenrechte das Sagen haben, nicht Eigensucht und Fremdenhass. Christenmenschen wie Delp, Moltke, Bonhoeffer und manch andere sonst gehören zu den geistigen Gründervätern unseres Staates -  und das in schwierigsten Zeiten. Sie haben sich eingemischt und nicht lockergelassen. Wie gut, wenn wir solch mutige Leute im Boot haben, in dem Boot, in dem wir alle sitzen.  

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08MRZ2025
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In meiner Familie kursiert eine Geschichte von meinem Großvater: Landwirt, Jahrgang 1885. Kurz vor Beginn des II. Weltkriegs ist er mit seiner Frau und den fünf Kindern zum Urlaub an die Ostsee gefahren. Sonne. Wasser. Strand. Für die einen das Nonplusultra. Nicht so für meinen Opa: „Nur Sonne und Sand und Wasser – das ist nichts für mich. Ihr könnt gerne hier bleiben. Ich brauche meinen Acker.“ Sprach´s und verschwand nach drei Tagen. Und hat der Familie von zuhause in den Urlaub nach Swinemünde einen Korb Obst geschickt  – und für die Hotelküche jede Menge frisches Gemüse.

Dem Landwirt in der Magdeburger Börde waren Ausruhen und Erholen, Nichtstun und Muße ein Gräuel. Das zu genießen, war ihm nicht in die Wiege gelegt. Darüber kann ich schmunzeln. Aber auch nachdenklich werden. Denn: Wie geht die Geschichte weiter?

Mein Vater hat die Sonntage in aller Regel mit Musik aus dem Radio und Büroarbeiten für sein Geschäft verbracht. Ohne Kirchgang, ohne Spaziergang, ohne Ausflug. Und ich selber?

Ich erinnere mich, wie ich vor vielen Jahren beim Urlaub am Meer in 14 Tagen ein einziges Mal Schwimmen gewesen bin. Familie und Freunde habe ich gerne am Morgen verabschiedet und am Nachmittag freudig zurückerwartet. Unterdessen habe ich an einem Essay geschrieben. Da fiel mir auf: Du bist zwar kein Landwirt und kein Geschäftsmann geworden. Aber Du steckst da voll drin. Hinter deinem Rücken ist etwas in dir weiter lebendig. Das wolltest du doch ganz anders machen.

Das immerfort betriebsam sein steckt tief in mir drin. Die Arbeit niederlegen, Aus-Ruhen, einen Ruhetag halten – offen sein für Muße, für Spaziergänge, für unbeschwerte Stunden für Leib und Seele –  das liegt mir nicht im Blut.

Menschen wie mir muss das erst gesagt werden. So wie es im Gebot Gottes steht: „Vergiss nicht den Ruhetag zu halten!“ Gott, der Schöpfer der Welt, hat ihn gehalten und Du bist nun wirklich nicht kreativer und stärker.

Du brauchst diesen Tag und andere Auszeiten für alle anderen Zeiten. Für alle anderen Tage in der Woche. Komm raus aus der Daueraktivität. Ruhe dich aus. Erlebe etwas von der Muße Gottes. Sonst lebst du daran vorbei.

Es lohnt, sich bewusst in Familiengeschichten zu vertiefen. Man kann lange Schatten und verlorene Schätze entdecken.

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07MRZ2025
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Ich bin kein guter Seelsorger. Jedenfalls kein guter, so wie ich ihn mir vorstelle: Ruhig, abwartend, zuhörend. Ich habe, wie man im Sprichwort so sagt: Hummeln unter dem Hintern. Das heißt: Ich bin unruhig. Ich kann nicht wirklich eine Stunde dasitzen und Hände halten. Schweigend. Obwohl ich weiß, wie gut das tun kann.

Nachdem meine Mutter gestorben war, habe ich gedacht: Ruhe ausstrahlen, das ist dir nicht wirklich gelungen. Pflegende haben mich beruhigt: Es sei schon alles recht so gewesen. Das Wichtigste sei nämlich: Dasein. Nur das. Und das stimmt: Für meine Mutter war das unfassbar: „Du bleibst wirklich da? Bis ganz zum Schluss?“
Wieder und wieder hat sie mich gefragt: „Du musst doch heute Abend wieder fort? Oder Morgen früh?“ So kannte sie mich. Immer auf dem Sprung.

Ihre Angst, allein zu sein, wenn es auf das Ende zugeht – war riesig. Was diese Angst vertreiben kann? Vielleicht nichts. Aber dieses eine hilft wohl: Ganz einfach und schlicht da sein. Ich bin da – und bleibe. Recht oder schlecht. So oder so. Etwas unruhig – vom Schlafzimmer in die Küche und zurück. Am Bett sitzend oder in der Nähe am Schreibtisch.

Vor allem dann, wenn die Kräfte immer mehr schwinden, so hat es mir eine weise Pflegende gesagt: Einfach da sein. Nichts mehr machen wollen; nichts mehr organisieren; nichts mehr besorgen. Sondern schlicht: Lassen. Und spüren, was die Sterbende will. Liebe Worte – Gesten der Zuneigung: aber in Maßen!

Ich habe mich da an die Worte von Jesus an seine Jünger erinnert – in der Nacht vor seiner Gefangennahme: „Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibet hier und wachet mit mir!“ (Matth 26,38)
Das war sein inniger Wunsch: Dableiben. Nicht allein sein in der Not.

Doch was, wenn der Wunsch nicht erfüllt wird, wie Jesus das erlebt hat? Dann ist das seine Zuflucht gewesen: Da ist Einer, der sagt: „ICH bin da für dich. ICH bin und bleibe dein Gott. Das ist mein Name. Daran erkennst du mich. ICH bin da – für immer – also bis zuletzt und darüber hinaus.“

Für mich ist das mein Trostfundament. Ganz gleich, ob ich nun unruhig bin oder Ruhe ausstrahle. Es geht um mehr als um ein passendes Verhalten. Dieser Trost gründet tiefer. In der Zusage Jesu: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ (Matth 28,20).

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