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SWR2 Wort zum Tag


In den letzten Tagen habe ich Erfahrungen mit dem Schnee gemacht. Morgens musste ich mich bei starkem Schneetreiben zur Arbeit geradezu durchkämpfen. Die Mütze tief heruntergezogen, weil der Wind mir den Schnee so fest ins Gesicht blies, dass ich kaum etwas sehen konnte. Und ich dachte: Wie wäre es jetzt, wenn ich nicht aus einer warmen Wohnung käme und in eine geheizte Schule ginge? Wenn ich ganz auf mich gestellt irgendwo im Winter unterwegs wäre, vielleicht auf der Flucht? Wenn ich nicht wüsste, wo ich hingehöre und ob sich überhaupt ein Ort findet, wo ich bleiben darf?

Viele Menschen haben das ja einmal erlebt. Unterwegs sein in Not und Kälte, ohne zu wissen, wo man hingehört. [Und immer noch erzählen sie davon, wie es war, damals auf der Flucht, oder als man sie im damaligen Russland zwang, ihre Dörfer zu verlassen und nach Sibirien umsiedelte.] Und wo immer sie dann landeten: Sie waren nicht willkommen, man empfing sie mit Mißtrauen und Ablehnung. Zu den Schmerzen über die verlorene Heimat kam die Kränkung, nicht gewollt zu sein.

So ein Schneesturm und die Erfahrung von Kälte und Verlorenheit kann aber auch zum Bild für das eigene Leben werden. Man fühlt sich verlassen, Kräfte zerren an einem, man sieht den Weg nicht mehr vor sich, und das weiterkommen ist ein mühsamer Kampf. In so eine Sturmsituation hat Jesus etwas sehr tröstliches gesagt: Seid nicht bestürzt, habt keine Angst. Vertraut auf Gott und vertraut auf mich. Denn im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen, und ich gehe voran, um alles für euch vorzubereiten.

Ein starkes Wort, hineingesprochen in Kälte und Ausweglosigkeit. "Du bist nicht allein. Du bist nicht unterwegs ohne Richtung und ohne Ziel. Weiter vorn, da steht ein Haus, und der dort wohnt, wartet. Es gibt genügend Plätze. Du wirst ihm nicht lästig sein. Das Zimmer, indem du wohnen wirst, ist gerichtet. Und ich gehe vor dir her, um dir den Weg zu bahnen und dich dorthin zu bringen. Allein würdest du den Weg nicht finden. Aber an meiner Hand kannst du es schaffen."

Mir kommt es vor, als würde Gott mit diesen Worten seine Hand nach mir austrecken. Er verhindert den Sturm nicht, nicht das Altwerden mit seinen schmerzhaften Abschieden, nicht das Erkalten und Zerbrechen von Beziehungen.
Er verhindert mein Leben nicht und auch nicht meinen Tod.
Aber er bringt mich dorthin, wo es gut ist.
Deshalb will ich auf Gott vertrauen und auf den, der mich zu ihm bringt.

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SWR2 Wort zum Tag


Eine holländische Gemeinde unterwirft sich den Geboten Gotten aufs Strengste. Auch die Heiligung des Sonntags gehört dazu. Und just an einem Sonntag wird der kleine Küstenort von Wind und Wellen derart bedroht, dass man den Deich verstärken muss, wenn man überleben will. Für den Ortspfarrer die Situation äußerst schwierig. Darf er die ihm anvertraute Gemeinde am Sonntag zur Arbeit rufen? Darf er die Gemeinde umgekehrt dem Untergang preisgeben, um den Sonntag zu ehren?
Der Last persönlicher Verantwortung nicht gewachsen, beruft er den Kirchenvorstand ein.
Die Debatte verläuft wie vorherzusehen, der Vorstand besteht auf die Erfüllung des göttlichen Gebotes, komme, was da wolle.Der Pfarrer versucht ein Letztes: "Hat nicht Jesus gelegentlich auch das Gebot des Sabbats durchbrochen? Hat er nicht selber gesagt, dass nicht der Mensch für den Sabbat da ist, sondern der Sabbat für den Menschen?"
Darauf erhebt sich ein ehrwürdiger Greis: Herr Pfarrer, es hat micht stets gedrängt, aber nun muss ich es Ihnen sagen. Ich habe schon immer das Gefühl gehabt, dass unser Herr Jesus ein bißchen zu liberal gewesen ist."

Diese Anekdote macht mich nachdenklich. War Jesus wirklich liberal? [In diesem Wort steckt das lateinische liber, was auf deutsch frei heißt, ungehindert, ungebunden, unbeschränkt. Aber auch Bedeutungen wie zügellos und ausschweifend sind belegt.] Tatsächlich hat man Jesus schon zu Lebzeiten vorgeworfen, ein Freigeist und ein Gesetzesübertreter zu sein. Er hat es immer abgelehnt, die Gebote um ihrer selbst willen zu erfüllen. Er sah in ihnen Freiräume, in denen das Leben sich entfalten kann. Nicht von ungefähr hat man die 10 Gebote auch die 10 großen Freiheiten genannt: Nur in diesen Räumen können Beziehungen gelingen, von Mensch zu Gott und Mensch zu Mensch.

Du sollst den Feiertag heiligen. Heute würde ich sagen: Ich kann und soll auch den Montag heiligen. Dankbar will ich sein, weil ich arbeiten und Geld verdienen kann. In der Pause, im Auto gönne ich mir einen Moment der Besinnung, vielleicht ein Bibelwort. Und wenn ich nach hause komme, brauche ich eine Auszeit, für mich selbst, für die Familie. Ich beende den Tag nicht so spät wie sonst, sondern lasse ihn ausklingen, vielleicht mit einem Gebet.

Du sollst nicht nur den Feiertag, sondern jeden Tag Deines Lebens heiligen.
Für mich bedeutet das: Meine ganze Zeit gehört Gott.
Und wo Gott diese Zeit prägt, da kann mein Leben sich entfalten, da bin ich frei, trotz mancher Zwänge.
Von Fall zu Fall darf ich dann auch ein bißchen liberal sein.
Denn Gottes Worte und Gebote sind für den Menschen da, nicht umgekehrt.

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SWR2 Wort zum Sonntag

Wenige Tage nach dem Erdbeben auf Haiti fiel mir ein Bilderbuch für Kinder in die Hände. Es erzählt die Geschichte von Helen Keller, und ich habe in dieser Geschichte einen Gedanken gefunden, der mir geholfen hat, auch im Hinblick auf Haiti.
Helen Keller erkrankte als kleines Kind schwer und verlor dadurch nicht nur ihr Augenlicht, sondern auch ihr Gehör. Die verzweifelten Eltern stellten eine junge Blinden-Lehrerin ein mit dem Auftrag, dem völlig isolierten Kind das Sprechen beizubringen. Ein scheinbar aussichtsloses Unterfangen. Als die junge Frau wieder einmal mit den Nerven völlig am Ende war, weil Helen einfach nicht begriff, beschloss sie, mit ihr an die frische Luft zu gehen. Vor dem Haus [- es lag in einer Kleinstadt im amerikanischen Alabama -] gab es einen Brunnen, und da kam ihr eine Idee. Sie pumpte und ließ Wasser über die eine Hand des Kindes laufen, und in die andere Hand schrieb sie in Blindenschrift das Wort "Wasser". Und zum erstem Mal in ihrem Leben verstand die kleine Helen. Sie begriff plötzlich, dass es Worte gab, dass es eine Sprache gab und durch diese Sprache Kommunikation mit anderen Menschen möglich war. "Es war, als ob ich vom Tod zum Leben auferweckt worden wäre", schrieb Helen später; und von diesem Tag entfaltete sich ihr Leben wie eine Explosion. Sie lernte Lesen, Schreiben, sogar sprechen. Später studierte sie, gründete eine Schule, wurde zu einer weltweit gefragten Rednerin. Als sie 1968 in hohem Alter starb, hatte sie zahllosen Taubblinden eine Sprache gegeben.

Diese Geschichte von Helen Keller zeigt mir, dass Menschen lernen können, auch aus tiefstem Leid aufzustehen, es nicht als letzte Wirklichkeit zu sehen. Gott hat das Unglück nicht verhindert. Gott läßt es zu, dass Menschen Gefahren ausgesetzt sind und manche ganz schlimm leiden müssen. Und doch: Gott kapituliert nicht vor dem Leiden. Er kann eine Wende herbeiführen, einen unverhofften Neuanfang schenken - in jeder noch so aussichtslosen Lage. Aber dazu braucht er Menschen, die durchhalten. Ich denke an die junge Lehrerin von Helen Keller, die trotz Rückschläge einfach nicht aufgab. Ich denke an die Menschen aus aller Welt, die in Haiti Hilfe organisieren. Sie haben die Vision, dass dieses Unglück zwar nicht ungeschehen gemacht, aber doch gewendet werden kann.

Diese tapferen Leute braucht Gott, um Wunder zu tun. Das Wunder sehe ich darin, dass Menschen, ähnlich wie Helen Keller, eine neue Sprache lernen, eine Sprache, die das Leben total verändert, die eine neue Wirklichkeit erschließt. "Ich gebe dich nicht auf. Deine Schmerzen will ich lindern, deine Wunden will ich verbinden, Deinen Hunger will ich stillen mit dem, was ich habe. Und ich tue es nicht nur einmal, nicht nur heute. Ich will es so lange tun, bis du verstehst, bis du selber anfängst, diese Sprache der Hoffnung zu sprechen.

Jemandem, der im Dunkeln sitzt, diese Hoffnung zu bringen, ist nicht leicht. Es erfordert unendliche Geduld und großes Durchhaltevermögen. Gott hat diese Sprache erfunden, und Jesus hat sie den Menschen gebracht. Mit unendlicher Geduld hat er ihre Worte vorbuchstabiert, sie den Menschen in die Hände und in die Herzen geschrieben. Wo Menschen sie begreifen, da kann Unglaubliches geschehen. Da bricht das Licht der Hoffnung hinein in unsre alte, vergehende Welt.

Es ist nichts aussichtslos, weder in meinem noch in Ihrem Leben.
Und deshalb lohnt es sich, die Sprache der Hoffnung zu lernen und sie anderen beizubringen.
Hinschauen, hingehen, helfen, allen Rückschlägen zum Trotz.
Unbeirrbar, mit heiliger Sturheit. https://www.kirche-im-swr.de/?m=7756
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SWR2 Wort zum Tag


Wer anderen schenkt, wird selber reich.
Das ist eine etwas ungewöhnliche Maxime.
Für manche gehört der gelebte Geiz ja fast schon zum guten Ton.
Andere sind überzeugt, gar nichts zu besitzen, was man schenken könnte.
Oder sie halten das Geben für Verschwendung oder für bedrohlich. Man will vielleicht die wenigen Krümel Glut unter der Asche der Jahre für sich selber bewahren.

Die Bibel jedoch ist in diesem Punkt eigensinnig: Gebt, so wird euch gegeben. Eigentlich ist das eine simple Lebensweisheit. Man kann es an den vielen Eltern von Kindern ablesen. Sie haben gegeben, in ihre Kinder investiert: Viel Liebe, viel Zeit, viel Lebenskraft - manchmal auch viel Geld. Sie haben sich abgemüht mit ihren Kindern, bei den Hausaufgaben, bei den Fahrdiensten, haben sie in den Zeiten der Ausbildung unterstützt, haben ihre Partner akzeptiert und in die Familie geholt.
Jetzt sind die Kinder aus dem Haus, und ich beobachte, dass die Eltern nicht verwaisen, nicht einsam und ohne Antrieb sind. Nein, sie fühlen sich behütet, auch wenn der Umzug in die Pflege unvermeidlich ist. Die Liebe, die sie schenkten, fließt zurück, gibt ihnen das Gefühl, geborgen und gesegnet zu sein.

Das macht mich nachdenklich. Ich habe auch Menschen, denen ich unendlich viel verdanke. Wie viel Zeit, wie viel Zuwendung haben andere in mein Leben investiert, wie viel Trost und Verständnis wurde mir schon geschenkt. Letztlich verdanke ich ja alles meinem Schöpfer. Und dann weiß ich: Ich habe etwas zu geben, und das wächst in dem Maße nach, in dem ich es auch wirklich ausgebe. Ich bin nicht arm, nicht klein und ich muss auch nicht klein von mir denken. Und es ist nie zu spät, die Tür zu öffnen, die innere Grenze zu überwinden und meinem Mitmenschen etwas zu geben.

So erlebe ich es und lerne es täglich, denn immer noch bin ich viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt. Eine Frau an der Tankstelle, die an ihrem blöden Tankschloss verzweifelt - für mich nur ein Handgriff, und wie dankbar ist sie. Einem anderen den Vortritt lassen, an der Kasse, im Verkehr. Eine extra Portion Zuwendung für das traurige Kind oder den geknickten Partner.
Da lebt ein anderer wegen einer kleinen Geste wieder auf, atmet auf, fängt an, wieder etwas richtig zu machen. In diesen Augenblicken säst du eine Handvoll Segen, und du bekommst ihn zurück.

Wer sät, darf ernten. Wer andere beschenkt, wird selber reich.
Beginnt, sich selber zu mögen, sich selber zu trauen.
Das ist wahre Lebenskunst.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=7280
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SWR2 Wort zum Tag


Ein besonderer Höhepunkt des Jahres ist in unserer Gemeinde immer das Krippenspiel, das der Freundeskreis für Behinderte auf die Bühne bringt. Hier machen Junge und Alte mit, Menschen mit und ohne sichtbare Behinderungen. Sie alle erfüllen die Geschichte von der Geburt Jesu ganz neu mit Leben: Gott nimmt in seinem Sohn Jesus menschliche Gestalt an (Phil 2,6). Und die Menschen sind eben nicht immer jung, schlank und schön. Es gehört zum Leben dazu, einen verletzlichen Körper zu haben. Einen Körper, der alt wird oder krank. Der vielleicht im Rollstuhl sitzen muss. Nicht zu reden von den vielen unsichtbaren Narben und Verletzungen, die Menschen an sich tragen.

Wenn Maria im Rollstuhl nach Bethlehem geschoben wird und den Hirten und Weisen beim Niederknien vor der Krippe die Knie ächzen, dann wird es besonders deutlich: Gott ist wirklich mitten in dieses Leben hier gekommen. Gott überwindet Grenzen, indem er sich menschliche Grenzen zueigen macht. Er wurde als Jude in eine arme Familie hineingeboren und war wie sein ganzes Volk der Willkür der römischen Behörden unterworfen. Er weiß, was es heißt, sich mühselig von Ort zu Ort zu bewegen und Ablehnung zu erfahren. Er hat Schmerzen und einen grausamen Tod erlitten. Er hat Lasten und Beschwernisse mitgetragen. Darum kann er es nachfühlen, wenn Menschen leiden, weil chronische Schmerzen ihnen die Hoffnung rauben. Oder wenn ihre Mitmenschen keinen Gedanken daran verschwenden, welche Hindernisse schon ein normaler Einkauf für einen Rollstuhlfahrer mit sich bringt. Oder weil sie mit zunehmendem Alter nicht mehr ernst genommen werden.

Gott wird Mensch, Gott verlässt den Himmel und geht dorthin, wo es nicht so schön ist.
Er kommt zu konkreten Menschen, zu Menschen mit Behinderungen und Begabungen, zu Schwierigen und zu Glücklichen.
Vielleicht gehören Sie zu denen, die sehnlichst auf sein Eingreifen warten, weil es bei Ihnen gerade nicht so schön ist:
Vielleicht gehören Sie aber auch zu denen, die es gut haben.
Dann kommt er, um zu bitten. Hilf mir, sagt er. Ich brauche deine Kraft, deine Zeit, dein Geld, damit ich auch bei anderen ankommen kann.

Ich kenne Menschen, auf die beides zutrifft. Sie haben Gottes Hilfe im eigenen Leben erfahren. Und das gibt ihnen die Kraft, für andere Menschen dazu sein. Etwa, indem sie unsere Behinderten betreuen, oder im Tafelladen mithelfen. Oder Besuche.
Ich bin dankbar für solche Leute.
Denn an ihnen kann ich ablesen, was Gottes Kommen bewirkt.
Gott hat ihre Not verstanden und ihnen geholfen.
Jetzt können sie auch die Nöte anderer verstehen - und seine Liebe weitergeben.
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SWR2 Wort zum Tag


Advent ist die Zeit der offenen Grenzen.
Christen feiern die Öffnung der Grenze, den Fall der Mauer zwischen Gott und Mensch.
Gott kommt zu den Menschen.
Gott kommt als Mensch zur Welt, er wird sichtbar, fühlbar, angreifbar, er teilt das Schicksal seiner Geschöpfe. Und das bedeutet, dass nun auch Menschen zu Gott kommen können - und zueinander. Sie sind nicht mehr sich selber überlassen.
Nicht mehr eingesperrt in dem Gefängnis aus Angst und Schuld, Leiden und Tod.
Die Grenze ist offen, es gibt einen Ausweg, es gibt Hoffnung und ein neues Miteinander.

Von offenen Grenzen war in diesem Jahr viel die Rede. In unserem Land dachte man dankbar daran, dass vor 20 Jahren die Mauer fiel und die Teilung Deutschlands ein Ende hatte.
Damals wurde durch eine unglaubliche Serie von Pannen und Missverständnissen in dem DDR-Medien verkündigt: Ab sofort herrscht Reisefreiheit! Und die Menschen in Berlin strömten an die Grenzübergänge, um die neue Freiheit zu genießen.
Aber nicht alle wollten das wahrhaben. Studenten zogen in dieser Nacht in die umliegenden Viertel Ostberlins. Und sie klingelten Sturm und riefen zu den Fenstern hoch: Leute, aufwachen, die Mauer ist offen! kommt raus und schaut euch das an. Was aber taten die meisten Leute? Sie schliefen weiter oder schimpften über die Ruhestörung: [Die Mauer soll offen sein? ich lass mich doch nicht verschaukeln!]

Eigentlich kann ich diese Leute gut verstehen. Ich wäre da auch sehr vorsichtig.
Aber - Grenze war ja offen. Das Unfassbare war ja geschehen, und es wirkt immer noch nach. Genauso ist es mit dem Kommen Gottes, mit Jesu Geburt, mit seinem Leben, Sterben und Auferstehen. Die Grenze ist offen! Und wer der Botschaft Glauben schenkt, wer sich aus dem Bett holen lässt und auf den Weg macht, wird es erfahren. Gottes Menschenfreundlichkeit, Bereitschaft zur Vergebung kann sich auch bei mir durchsetzen, in meinen Beziehungen. Ich muss nicht mehr eingesperrt zu sein, z. B. in der Mauer mit dem Namen: Ich bin im Recht! Ich gebe nicht nach!
Ich erlebe es, wie Gott die Kraft schenkt, den Stolz zu überwinden, auf einen Menschen zuzugehen, Dinge beim Namen zu nennen. Und wenn wir uns dann wieder in die Augen sehen können, wieder miteinander leben und arbeiten können, ist das ein echter Mauerfall, ein anderes Leben.

Advent. Eine Stimme ruft vor meinem Fenster: Die Grenze ist offen.
Trägheit, Vorurteile, Bequemlichkeit muss ich schon selber überwinden. Auch die Angst vor der Enttäuschung.
Aber ich mache mich auf den Weg.
Ich muss ja nicht gleich umziehen.
Aber ich kann schon mal lernen und genießen, mit offenen Grenzen zu leben.

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SWR2 Wort zum Tag

Ein Mensch will unbedingt im Lotto gewinnen, nur einmal im Leben.
Er geht extra in eine Kirche, um dort zu für den Gewinn zu beten:
„Gott, lass mich diese Woche die Lotterie gewinnen. Ich brauche das Geld. Bitte lass mich gewinnen!“
Aber er kriegt keine Antwort, und ein anderer kassiert das große Geld.
In der nächsten Woche steht er wieder in der Kirche und betet noch heftiger:
„Gott! Du musst mich erhören. Ich war mein Leben lang ein guter Mensch.
Ich habe gutes getan, wo ich nur konnte. Nun bitte ich dich, mir zu helfen,
nur dieses eine Mal. Lass mich gewinnen!“
Wiederum keine Antwort, und der Gewinn geht an jemand anderen.
Nächste Woche ist er wieder in der Kirche, fleht und bestürmt Gott:
„Lass mich endlich im Lotto gewinnen, nur dieses einzige Mal!“
Als er einige Minuten erschöpft geschwiegen hat, hört er eine Stimme.
Es ist die Stimme Gottes. Und die Stimme sagt: „Hör mal!
Gib mir auch eine Chance: Kauf dir endlich ein Los!“

Gott eine Chance geben? Eigentlich bin ich auch der Meinung, dass Gott es ist, der die Chancen verteilt. Aber offenbar muss man auch selber etwas tun, damit Gott helfen kann. Das Beten gehört sicher dazu, und natürlich nicht nur dann, wenn ich einen speziellen Wunsch habe. Diese Lotto-Geschichte zeigt: Wenn ich von Gott etwas erwarte, dann erwartet er auch etwas von mir. Er traut mir zu, dass ich mein Leben lebe. Dazu hat er mir Kräfte und Gaben gegeben. Wenn ich mir wünsche, mit einem anderen Menschen klarzukommen, dann reicht das Beten nicht. Dann muss ich mich auf den Weg zu diesem Menschen machen. Mut und Vertrauen brauche ich dazu, ich riskiere ja, dass ich abgewiesen werde, dass ich als Verlierer dastehe. Auch bei beruflichen Entscheidungen ist das so, oder bei der Frage, wie es nach dem Berufsleben weitergehen soll. Gott liefert nur selten die fertige Lösung. Er bleibt in Rufweite, aber er möchte auch, dass wir selber handeln, selber leben, von den Gaben und Möglichkeiten Gebrauch machen.

Es wird sicher Augenblicke geben, in denen ich das nicht mehr kann oder will. Wenn ich mit meinen Kräften oder meinem Latein am Ende sind, wird er für uns dasein, ohne Bedingung.
Dann darf ich ihn mit meinen Fragen und Wünschen bestürmen - wie jener Lottospieler.
Dann werde ich vielleicht auch seine Stimme hören.
Und manchmal wird es vorkommen, dass die Stimme Gottes sagt:
Sei getrost! Ich sehe, dass du alles versucht hast. Jetzt gehe ich selber und erledige das für dich.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=6600
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SWR2 Wort zum Tag

Gutes zu tun ist ein menschliches Grundbedürfnis.
Wenn ich anderen helfe, dann helfe ich mir im Grunde selbst.
Von dem christlichen Philosophen Amos Comenius stammt der Satz:
„Wer sich nicht ernstlich wünscht, dass es der Menschheit gut gehe, der vergeht sich an ihr.
Er ist aber auch kein wahrer Freund seiner selbst, wenn er sich wünscht, als Weiser unter Dummen, als Gesunder unter Kranken, als Guter unter Schlechten, als Glücklicher unter Elenden zu leben.“

Wer Gutes tut, denkt also durchaus auch an sich selbst. Oder umgekehrt: Wenn mir das eigene Wohl am Herzen liegt, werde ich für das Wohl anderer sorgen. Hängt doch das Glück des Einzelnen vom Gleichgewicht des Ganzen ab - und umgekehrt. Beispiel Wasser: Es lohnt sich, mit seinem Geld wasserarmen Ländern beim Aufbau einer Versorgung zu helfen. Es lohnt sich auch, politische Entscheidungen kritisch unter die Lupe zu nehmen, die den globalen Wasserverbrauch in die Höhe treiben. In diesem Zusammenhang etwa die sog. Abwrackprämie.
Wussten Sie, dass die Produktion eines Neuwagens neben zahllosen Rohstoffen ca 400.000 Liter Frischwasser verschlingt? Bei 10 Autos sind das schon 4 Millionen Liter Wasser. Ich wage kaum zu fragen, wie viele Haushalte man damit versorgen könnte. Geschweige denn, was es bedeutet, wenn in wasserarmen Ländern unsere Billigautos produziert werden.
Umweltpolitisch ist jeder Neuwagen ein Desaster.

Nun tue ich ja noch nichts Gutes, wenn ich keinen Neuwagen kaufe. Man könnte sogar sagen: ich schade der angeschlagenen Auto-Wirtschaft, übersehe das Problem der Arbeitslosigkeit. Und doch gehört das für mich zum Thema. Indem ich mir um die Versorgung wasserarmer Länder Gedanken mache, denke ich auch an mich und vor allem an die Zukunft meiner Kinder. Wenn weltweit das Wasser knapp wird, steht der Friede auf dem Spiel, auch in Europa, auch in unserem Land.

Wer Gutes tut, darf auch an sich selber denken, und er muss es sogar tun.
Wenn Menschen einander Böses tun oder die Schöpfung aus dem Gleichgewicht bringen, dann ist die Grundlage meiner eigenen Existenz in Gefahr. Dann werde ich zum Freund meiner selbst, wenn ich Partei ergreife, wenn ich mir das Wohlergehen anderer etwas kosten lasse.
Denn letztlich geht es dabei immer um die ganze Menschheit, um Gottes Schöpfung, um Gottes Ehre.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=6599
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SWR2 Wort zum Tag

„Nur keine Angst vor der Wahrheit! Sie wird auch in diesem Wahlkampf nicht das Licht der Welt erblicken." So stand es kürzlich in der Zeitung. Sie würde wehtun, hieß es weiter, die Wahrheit über unser Land, schrecklich wehtun. Und weil der Bürger vernünftigerweise niemanden wählt, der ihm wehtut, wird die Wahrheit standhaft verschwiegen.

Ja – wenn es nur so einfach wäre, die Wahrheit zu sagen, höre ich manchen Betroffenen einwenden. Wie kann ich etwas bewirken, wenn ich nicht gewählt werde? Wie soll ich die Gunst der Wähler gewinnen, wenn ich von Verzicht, von geteilter Arbeit und geteiltem Lohn, von einer neuen sozialen Kultur predige?

Und das ist ja nicht nur im politischen Geschäft ein Dilemma. Manchmal erlebe ich Situationen, in denen die Wahrheit zunächst einmal mehr Schaden als Nutzen anrichten würde. Wer sagt der Kollegin, die stolz ihr neues Kleid vorführt: Du siehst darin nicht vorteilhaft aus? Wie bringe ich dem Freund bei, dass er sich mit seinen Witzen blamiert? In Amerika gibt es inzwischen Agenturen, die es übernehmen, solche unangenehmen Wahrheiten schonend zu überbringen.

Wahrheit kann wehtun. Und doch kenne ich Menschen, die die ungeschönte Wahrheit über sich wissen wollen. Schwerkranke zum Beispiel. Sie brauchen keine halbherzigen Versprechungen, sonder sie wollen Klarheit über sich selbst, damit sie planen und handeln können. Und genau aus diesem Grund fordert die Bibel dazu auf, die Wahrheit zu sagen.
„Darum legt die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, weil wir untereinander Glieder sind.“
Sagt es anderen und lasst es euch sagen, wie es steht, denn nur so habt ihr die Möglichkeit, Leben und Beziehungen neu zu gestalten.

Natürlich spielt es eine große Rolle, wie die Wahrheit gesagt wird. „Wahrheit, die nur weh tut, ist nicht wahr genug“, heißt es. Menschen, die anderen die Wahrheit sagen, wirken häufig arrogant, als selbstgerechte Besserwisser.
Wer anderen die Wahrheit sagen will, muss wohl auch selbst die Wahrheit über sich aushalten können. Wer anderen den Spiegel vorhält, muss zuerst selbst hineingeschaut haben.
Und selbst dann muss er damit rechnen, dass andere die Wahrheit nicht hören wollen.

Die Wahrheit zu sagen, ohne nur zu verletzen – es scheint fast unmöglich.
Aber vielleicht gibt es sie ja doch, Zeitgenossen, die das Unmögliche versuchen.
Ganz sicher gibt es Menschen, die auf sie hören und daraus die nötigen Schlüsse ziehen.
Nur keine Angst vor der Wahrheit.
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SWR2 Wort zum Sonntag

Mit der 11. Klasse beschäftigte ich mich mit der Person Corrie ten Booms. Wir sahen die Verfilmung ihres Buches "Die Zuflucht". Dort schildert die Niederländerin, wie ihre Familie in Den Haag zur Zeit der deutschen Besetzung Juden versteckte. Sie tut es aus christlicher Überzeugung; der Vater, ein stadtbekannter Uhrmacher, heftet sich einmal sogar einen Judenstern an, um seine Verbundenheit zu zeigen. Über ein Jahr lang geht alles gut; einige Juden finden im Haus eine Zuflucht, bis ein weiteres Mitglied der Familie ihre Flucht organisiert. Dann jedoch bricht alles zusammen. Bei einer Razzia werden zwar die hinter einer Wand versteckten Juden nicht gefunden, aber die ganze Familie wird verhaftet. Corrie, damals schon über 40 Jahre alt, kommt mit ihrer Schwester ins KZ Ravensbrück Dort erlebt sie die Hölle: Zwangsarbeit, Schläge, Kälte, Mord. In der überfüllten Baracke gibt es Flöhe; für Corrie ist das ganz besonders schlimm.
Corries Schwester - so jedenfalls erzählt es das Buch - hat zwar die schwächere Konstitution, jedoch den stärkeren Glauben. Wie ein kleines Kind beharrt sie auf der Güte und der Weisheit Gottes im Angesicht menschlicher Grausamkeit. "Gott macht keine Fehler!" sagt sie immer wieder. Und so stellt sich heraus, dass die Baracke wegen der Flöhe von den Aufsehern nicht betreten wird. Die Schwestern nutzen diesen Freiraum; sie organisieren Medikamente und Lebensmittel für die Mithäftlinge und halten Bibelstunden. Die meisten von ihnen kommen später um, auch Corries Schwester stirbt. Durch eine Verwechslung wird Corrie Ende 1944 aus der Haft entlassen; sie hat nach Kriegsende weltweit als Missionarin gearbeitet.

Betroffenes Schweigen in der Klasse, als der Film zuende ist. Wollt ihr reden? frage ich. Kopfschütteln. Dann bricht es aus einem Schüler heraus: Gott macht keine Fehler! Das kann man doch nicht sagen, das ist doch der reine Hohn. Wenn es einen Gott gibt, dann hat er das alles zugelassen, dann ist er dafür verantwortlich, dann hat er einfach Fehler gemacht.

An dieser Stelle schaltet sich eine weitere Schülerin in das Gespräch ein. "Wenn ich ehrlich bin, dann würde ich gerne auch so glauben können. Dass Gott keine Fehler macht, das finde ich einfach stark, jedenfalls als Gedanken. Das heißt doch, dass letztlich alles irgendwann seine Richtigkeit hat.
Das heißt auch", fügt sie nachdenklich hinzu, "dass meine eigenen Fehler kein so großes Gewicht haben."

Gott macht keine Fehler - dieser Satz hat sich meinen Schülern eingeprägt und eingebrannt. Und jetzt beschäftigt er mich auch. Kann ich das denn selber glauben? Die Geschichte von Kain und Abel wird heute in den Gottesdiensten gelesen - wie der eine aus purem Neid seinen Bruder erschlägt. Gott verhindert diesen Mord nicht. Er stellt sich sogar schützend vor den Mörder. Niemand darf ihn antasten, sagt Gott, er ist mein Geschöpf. Menschliche Fehler können seinen Plan nicht durchkreuzen.

Einfach stark, einfach tröstlich. Gott hält seinen Geschöpfen die Treue, trotz unvorstellbarer Schuld, trotz Leid und Tod. Der Brudermord, das Grauen von Ravensbrück, auch mein eigenes Versagen: Alles das wirft Fragen auf, auf die es keine Antwort gibt. Ich kann an dieser Stelle nur auf Jesus sehen, auf das Kreuz. Gott selbst wird zum Opfer menschlicher Schuld, muss leiden und sterben. Aber am Ende dieser schrecklichen Geschichte steht nicht die Verzweiflung, sondern das neue Leben, und eine neue Möglichkeit des Miteinanders.

Die Schwestern Ten Boom wurden von diesem Glauben getragen.
Das war es, was letztlich meine Schüler und mich auch so bewegt hat.
Der Glaube an Christus war ihre Zuflucht, und dort waren sie wirklich geschützt.
Das hilft mir, diesen Satz auszuhalten und auszusprechen:
Gott macht keine Fehler. https://www.kirche-im-swr.de/?m=6597
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