SWR2 Wort zum Sonntag

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Mit der 11. Klasse beschäftigte ich mich mit der Person Corrie ten Booms. Wir sahen die Verfilmung ihres Buches "Die Zuflucht". Dort schildert die Niederländerin, wie ihre Familie in Den Haag zur Zeit der deutschen Besetzung Juden versteckte. Sie tut es aus christlicher Überzeugung; der Vater, ein stadtbekannter Uhrmacher, heftet sich einmal sogar einen Judenstern an, um seine Verbundenheit zu zeigen. Über ein Jahr lang geht alles gut; einige Juden finden im Haus eine Zuflucht, bis ein weiteres Mitglied der Familie ihre Flucht organisiert. Dann jedoch bricht alles zusammen. Bei einer Razzia werden zwar die hinter einer Wand versteckten Juden nicht gefunden, aber die ganze Familie wird verhaftet. Corrie, damals schon über 40 Jahre alt, kommt mit ihrer Schwester ins KZ Ravensbrück Dort erlebt sie die Hölle: Zwangsarbeit, Schläge, Kälte, Mord. In der überfüllten Baracke gibt es Flöhe; für Corrie ist das ganz besonders schlimm.
Corries Schwester - so jedenfalls erzählt es das Buch - hat zwar die schwächere Konstitution, jedoch den stärkeren Glauben. Wie ein kleines Kind beharrt sie auf der Güte und der Weisheit Gottes im Angesicht menschlicher Grausamkeit. "Gott macht keine Fehler!" sagt sie immer wieder. Und so stellt sich heraus, dass die Baracke wegen der Flöhe von den Aufsehern nicht betreten wird. Die Schwestern nutzen diesen Freiraum; sie organisieren Medikamente und Lebensmittel für die Mithäftlinge und halten Bibelstunden. Die meisten von ihnen kommen später um, auch Corries Schwester stirbt. Durch eine Verwechslung wird Corrie Ende 1944 aus der Haft entlassen; sie hat nach Kriegsende weltweit als Missionarin gearbeitet.

Betroffenes Schweigen in der Klasse, als der Film zuende ist. Wollt ihr reden? frage ich. Kopfschütteln. Dann bricht es aus einem Schüler heraus: Gott macht keine Fehler! Das kann man doch nicht sagen, das ist doch der reine Hohn. Wenn es einen Gott gibt, dann hat er das alles zugelassen, dann ist er dafür verantwortlich, dann hat er einfach Fehler gemacht.

An dieser Stelle schaltet sich eine weitere Schülerin in das Gespräch ein. "Wenn ich ehrlich bin, dann würde ich gerne auch so glauben können. Dass Gott keine Fehler macht, das finde ich einfach stark, jedenfalls als Gedanken. Das heißt doch, dass letztlich alles irgendwann seine Richtigkeit hat.
Das heißt auch", fügt sie nachdenklich hinzu, "dass meine eigenen Fehler kein so großes Gewicht haben."

Gott macht keine Fehler - dieser Satz hat sich meinen Schülern eingeprägt und eingebrannt. Und jetzt beschäftigt er mich auch. Kann ich das denn selber glauben? Die Geschichte von Kain und Abel wird heute in den Gottesdiensten gelesen - wie der eine aus purem Neid seinen Bruder erschlägt. Gott verhindert diesen Mord nicht. Er stellt sich sogar schützend vor den Mörder. Niemand darf ihn antasten, sagt Gott, er ist mein Geschöpf. Menschliche Fehler können seinen Plan nicht durchkreuzen.

Einfach stark, einfach tröstlich. Gott hält seinen Geschöpfen die Treue, trotz unvorstellbarer Schuld, trotz Leid und Tod. Der Brudermord, das Grauen von Ravensbrück, auch mein eigenes Versagen: Alles das wirft Fragen auf, auf die es keine Antwort gibt. Ich kann an dieser Stelle nur auf Jesus sehen, auf das Kreuz. Gott selbst wird zum Opfer menschlicher Schuld, muss leiden und sterben. Aber am Ende dieser schrecklichen Geschichte steht nicht die Verzweiflung, sondern das neue Leben, und eine neue Möglichkeit des Miteinanders.

Die Schwestern Ten Boom wurden von diesem Glauben getragen.
Das war es, was letztlich meine Schüler und mich auch so bewegt hat.
Der Glaube an Christus war ihre Zuflucht, und dort waren sie wirklich geschützt.
Das hilft mir, diesen Satz auszuhalten und auszusprechen:
Gott macht keine Fehler. https://www.kirche-im-swr.de/?m=6597
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