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SWR4 Abendgedanken

03MRZ2023
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„Welcher Fastentyp bist Du?“ Diese Frage kommt mir auf einer Seite im Internet entgegen. Und verweist mich dann auf eine Box mit gefriergetrockneten Suppenzutaten und süßen Riegeln für ziemlich viel Geld. Ich schließe die Seite. Doch die Frage bringt mich zum Nachdenken. Welcher Fastentyp bin ich? Das Thema Fasten schiebe ich nämlich gerne ein wenig von mir weg. Weil ich es mit „verzichten“ verbinde. Ich möchte gar nicht darüber nachdenken, was ich in den Wochen zwischen Aschermittwoch und Ostern weglassen kann. Ich finde: das Leben ist herausfordernd, und manchmal kostet es mich ganz schön Kraft, alles gut hinzubekommen: Job, Kinder, Familie, Haushalt, Ehrenamt. Warum soll ich wochenlang zusätzlich noch auf etwas verzichten und mich damit quälen?

Der eigentliche Sinn des Fastens in vielen Weltreligion ist: sein Leben neu auf Gott ausrichten. Also: Gewohnheiten zu hinterfragen und dann gegebenenfalls zu ändern. Das kann gelingen, indem ich zum Beispiel auf etwas verzichte. Weil ich dann merke, was mir fehlt und was nicht. Wovon ich abhängig bin. Es gibt aber auch einen anderen Blick auf das Thema Fasten. Den finde ich bei Hildegard von Bingen.

Die berühmte Ordensfrau und Heilige hat im 12. Jahrhundert gelebt. Sie hat erkannt, wie Vieles miteinander zusammenhängt: Körper, Seele und Geist, Ernährung und Gesundheit. In ihren Schriften finden sich auch Hinweise zum Fasten. Was mir dabei auffällt: Hildegard von Bingen schreibt an keiner Stelle, dass Fasten etwas mit Entbehrung zu tun haben muss. Oder gar mit asketischem Hungern. Hildegard hat grundsätzlich alles abgelehnt, was in die Richtung geht: Wenn ich leide, wenn ich mich aufopfere, dann komme ich näher zu Gott. Sondern ganz im Gegenteil: Für Hildegard war Gott einer, der barmherzig ist und die Menschen liebt; und der ihnen deshalb nichts abverlangen kann, was sie quält. Fasten hat Hildegard von Bingen als Gesundheitsmaßnahme verstanden. Körper und Geist sollen sich erholen.

Hildegard hat keine Koch- oder Backrezepte aufgeschrieben. Aber sie hat herausgefunden, was den Menschen guttut. Speisen aus Dinkel beispielsweise oder alte Gewürzpflanzen wie Quendel und Bertram. Hildegards Verständnis vom Fasten motiviert mich. Deshalb will ich in den kommenden Wochen ganz bewusst auf Körper und Geist achtgeben. Mit gesunden Zutaten kochen und mir dafür auch Zeit nehmen. Was mir auch gefällt: Hildegard hat für ihre Schwestern im Kloster einst eine tägliche Regenerationszeit eingeführt. Damit auch der Geist zur Ruhe kommt. Für mich bedeutet das: mit gutem Gewissen in der Fastenzeit regelmäßig ein Mittagsschläfchen zu halten. Somit ist meine Antwort auf die Frage: „Welcher Fastentyp bist Du?“ ganz klar: Ich bin ein Hildegard-Fasten-Typ.

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SWR4 Abendgedanken

02MRZ2023
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200 Kilometer für ein Antibiotikum. So weit ist mein Bruder gefahren, um das dringend benötigte Medikament für seinen Sohn zu bekommen. Er hat genau das erlebt, was seit Monaten Thema in den Medien ist: Zahlreiche Medikamente sind knapp und einige kaum noch zu bekommen. Das fängt beim Fiebersaft an, geht über Antibiotika bis hin zu Krebstherapiemitteln.

Wie konnte es so weit kommen? Die Pandemie spielt eine Rolle, auch die Folgen des Krieges. Aber gewisse Medikamente waren auch schon vor Pandemie und Krieg knapp. Es gibt einen anderen Grund: Weil Verantwortliche im Gesundheitswesen bis heute die falsche Frage stellen! Sie fragen nämlich nicht: „Wie kann ich dich gesund machen?“, sondern: „Wieviel verdiene ich, wenn ich Dich gesund mache?“ Das ist sicher vereinfacht formuliert. Aber es zeigt den Kern des Problems: Krankenkassen haben den Pharmaherstellern immer weniger für ihre Arzneimitteln bezahlt; diese wiederum haben deshalb ihre Produktionen eingestellt oder nach Asien verlagert. Das Ziel: Kosten sparen und Gewinn erwirtschaften. Mit der Folge, dass Medizin dann nicht da ist, wenn sie gebraucht wird.

Was in diesem ganzen System allerdings keine Rolle zu spielen scheint ist die Fürsorge! Für Kranke, für Menschen, die Hilfe brauchen.

Mir fällt dabei das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter ein. Jesus erzählt darin von einem Mann, der unter die Räuber gefallen ist und halb totgeprügelt wurde. Dieser war darauf angewiesen, dass einer stehenbleibt. Dass einer sich kümmert. Der Evangelist Lukas erzählt die Begebenheit so: „Als der Samariter ihn sah, wurde er innerlich bewegt; und er trat hinzu und verband seine Wunden und goss Öl und Wein darauf; und er setzte ihn auf sein eigenes Tier und führte ihn in eine Herberge. (Lukas 10, 25-37)

Anschließend hat der Samariter dem Herbergs-Wirt noch Geld dagelassen, damit der den Verletzten gut pflegen kann. Hätte der Samariter zuerst überlegt: Habe ich einen Vorteil, wenn ich hier helfe? – der Überfallene wäre wohl gestorben.

Von der Pharmaindustrie erwartet man nicht, dass sie selbstlos oder gar aus reiner Nächstenliebe arbeitet. Dennoch sollten auch Arzneimittelhersteller eine Verantwortung übernehmen. Wer sich um die Gesundheit von Menschen kümmert, der sollte dazu verpflichtet sein.

Der überfallene Mann hatte Glück, weil zufällig einer vorbeikam, der Mitleid hatte und die Not gesehen hat. Mein Bruder hatte Glück, weil unser Cousin Apotheker ist und zufällig genau das Medikament im Schrank hatte, dass sein Sohn gebraucht hat. Aber Glück und Zufall dürfen niemals die Basis für eine gute medizinische Versorgung sein. Sondern eine echte und ehrlich gemeinte Fürsorge. Ohne Profitstreben.

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SWR4 Abendgedanken

01MRZ2023
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Ich habe ein neues Wort gelernt. Übernächstenliebe. Gehört habe ich es von dem Arzt und Entertainer Eckart von Hirschhausen. Bei einem seiner letzten Bühnenauftritte vor einigen Wochen. Er beendet seine Bühnenshows. Weil er sich intensiver, wie er es formuliert, um gesunde Menschen auf einer gesunden Erde[1], kümmern möchte. Dass die Erde nicht mehr gesund ist, dafür gibt es genug Studien und Beweise. Aber das reicht anscheinend nicht. Eckart von Hirschhausen sagt, er hat den Eindruck: wir haben das immer noch nicht kapiert. Und deshalb kommt er zu dem Schluss: Wir brauchen eine andere Haltung, wir müssen anders miteinander umgehen: Mit dem Jute-Beutel zum Einkaufen – das reicht nicht. Eine echte Veränderung gelingt nur, wenn wir nicht nur unseren Nächsten im Blick haben, sondern auch den Übernächsten. Wir brauchen also eine Über-Nächstenliebe.

Mir gefällt diese Formulierung. Doch was bedeutet das? Wir müssen weiterdenken. Und zwar in zwei Richtungen. Zum einen räumlich: Über unseren Gartenzaun und über unsere Landesgrenzen hinaus. Der Junge in Afrika zum Beispiel, der muss uns ebenso wichtig sein, wie der von nebenan. Und zum anderen müssen wir zeitlich weiter vorausschauen: Über die Generation unserer Kinder hinweg. Wir müssen die Generation lieben, die noch gar nicht geboren ist.

Was sich kompliziert anhört, ist im Grunde ganz einfach: Damit die übernächste Generation gut leben kann, muss die nächste von uns lernen. Wir müssen es unseren Kindern vorleben. Und zwar jetzt. Wir wissen ganz genau, was jeder selbst, im Kleinen tun kann. Die Schlagworte hierfür sind klar: Konsumverhalten: regionale Produkte, weniger Fleisch; Energieverbrauch: sparsamer leben und nachhaltig reisen. Diese Übernächstenliebe braucht es aber auch bei politischen Entscheidungen. Deshalb ist nicht zu verantworten, wenn Politiker heute überlegen, ob Kernenergie möglicherweise in einigen Jahren oder Jahrzehnten doch wieder genutzt werden kann. Wer über so etwas nachdenkt, der hat den Übernächsten eben nicht im Blick. Den Jungen in Westafrika zum Beispiel, in der Republik Niger, einem der ärmsten Länder der Erde. Dessen Dorf mitten in den Abraumhalden des Uran-Tagebaus liegt. Und auf ewig radioaktiv verseucht ist. Dessen Vater früh gestorben ist. Woran genau, ist nicht bekannt. Aber er hat viele Jahre Uran für die Atomkraftwerke in Europa abgebaut.

Übernächstenliebe. Das Wort wäre mein Vorschlag zum Wort des Jahres 2023. Denn ich glaube: Wenn wir auch auf die einen liebevollen Blick haben, die uns fremd sind und an die denken, die nach uns hier leben - dann gibt es tatsächlich eine Chance: für eine gesunde oder zumindest für eine wieder genesene Erde.

 

[1]https://stiftung-gegm.de/

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SWR4 Abendgedanken

28FEB2023
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Vergangene Woche, an Aschermittwoch, habe ich mir ein Brot gekauft. Nicht irgendeines, ein besonderes. Ein Solibrot. An Aschermittwoch beginnt in der christlichen Tradition jedes Jahr die Fastenzeit. Sie dauert 40 Tage und endet mit Ostern. Kurz zusammengefasst sind es drei Dinge, die Christen in dieser Zeit tun sollen: beten, fasten und geben. Was das Geben angeht, habe ich schon einen Plan für diese Fastenzeit: Da kommt bei uns das Solibrot auf den Tisch. Soli steht für Solidarität. Solidaritäts-Brot also. Die Solibrot-Aktion gibt es seit zehn Jahren, immer in der Fastenzeit. Die Idee dazu hatten das katholische Hilfswerk Misereor und der Katholische Deutsche Frauenbund. Viele Bäckereien in ganz Deutschland machen dabei mit. Entweder sie backen ein Brot, das es tatsächlich nur in der Fastenzeit gibt oder eine Brotsorte, die sie ohnehin im Sortiment haben, wird zum Solibrot. Das ist dann ein bisschen teurer und von jedem verkauften Solibrot geht ein Anteil direkt in die Spendenbox auf der Ladentheke.

Mit dem gesammelten Geld werden Projekte in Ländern auf der Südhalbkugel unterstützt. Es geht dabei immer darum, dass sich Lebensbedingungen verbessern, dass Armut und Hunger weniger werden. Der Katholische Frauenbund und die Bäckereien im Land unterstützen in diesem Jahr ein Projekt in Kenia. Es geht um Hilfe für Mädchen auf der Straße. Das Rescue Dada Centre in Nairobi kümmert sich vor allem um jene Mädchen, die in den Slums leben. In diesem Zentrum bekommen sie regelmäßig zu essen, werden unterrichtet und medizinisch versorgt. Ziel ist es, die Mädchen vor Ausbeutung und sexueller Gewalt zu schützen und sie stark zu machen. Dabei helfen Stipendien für die Schule und eine Berufsausbildung.

Ich finde die Solibrot-Aktion klasse – weil sie so einfach ist. Für den Bäcker und für die Kunden. Und weil Brot so ein wunderbares Symbol ist. In vielen Kulturen ist Brot nicht nur das Grundnahrungsmittel, es steht auch für das Leben und die Lebenskraft. Im Christentum kommt das Brot im Vaterunser vor: „Unser tägliches Brot gib uns heute“. Jesus selbst wird als „Brot des Lebens“ bezeichnet – als Nahrung also für Körper und Geist.

Das Solibrot bei meinem Bäcker ist ein Emmer Urkornbrot. Die Bäckerei ist ein kleiner Familienbetrieb, eine echte Handwerksbäckerei. Sie macht zum ersten Mal bei der Aktion mit. Der Bäckermeister hat mit seinem Team dafür extra ein neues Brot mit dieser alten Getreidesorte „Emmer“ gebacken. Für ihn bedeutet ein gutes Brot: Lebensqualität. Und deshalb hofft er und viele hundert Kollegen in der Fastenzeit auf Kundinnen und Kunden, die ganz bewusst zum Solibrot greifen: zu einem guten Brot für ein gutes Leben. Auch auf der Südhalbkugel.

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SWR4 Abendgedanken

27FEB2023
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Auf den ersten Blick haben die beiden Jahrestage nichts miteinander zu tun. Der Namenstag des heiligen Valentin am 14. Februar – und der Jahrestag des Kriegsbeginns in der Ukraine am 24. Februar. Auf den zweiten Blick gibt es eine Verbindung.

Valentin war Priester in Rom und hat im dritten Jahrhundert junge Paare nach einem christlichen Ritus getraut und ihnen dazu bunte Blumensträuße aus seinem Klostergarten geschenkt. So besagt es eine von vielen Legenden. Und noch etwas wird über ihn erzählt: Valentin soll römischen Männern geraten haben: „Bleibt lieber bei euren Frauen, als in den Krieg zu ziehen.“ Das hat dem römischen Kaiser nicht gepasst und Valentin wurde deswegen hingerichtet. Weil er sich gegen den Kriegsdienst und für die Liebe ausgesprochen hat. Heute wird er als Schutzheiliger für alle Liebenden verehrt.

Deshalb, so finde ich, sind diese beiden Tage im Februar 2023 auf traurige Weise eng miteinander verbunden. Tausende Männer, ukrainische wie russische, sind in den letzten 12 Monaten in den Krieg gezogen. Und viele sind nicht wieder zu ihren Frauen nachhause zurückgekehrt.

Dieser Krieg dauert nun ein Jahr. Doch die Folgen werden noch über Jahrzehnte zu spüren sein. Es wird dasselbe passieren, wie nach dem zweiten Weltkrieg: Das Trauma, das Menschen durch den Krieg erlitten haben, wird sogar die belasten, die heute noch gar nicht geboren sind. Diese Erkenntnis ist uralt – und die Warnung davor hat Gott bereits Mose mitgegeben, als der die Tafel mit den Zehn Geboten erhalten hat. Im Buch Exodus ist nachzulesen: Wenn sich das Volk nicht an Gottes Friedensweisungen hält, wird es „bis ins dritte und vierte Glied“ von den Folgen heimgesucht. (Ex 20,5).

Ich bin dieses Jahr am Valentinstag ganz bewusst in unserer Kirche vorbeigegangen und habe dort zwei Kerzen angezündet. Eine für alle Männer, die an diesem Tag nicht bei ihren Freundinnen und Frauen sein können, weil sie im Krieg sind. Und eine für meinen Opa. Den ich nie kennengelernt habe. Er ist im zweiten Weltkrieg gefallen, lange, bevor ich geboren war. Auch er ist nicht mehr nachhause zurückgekehrt. Meine Mutter ist ohne ihren Vater aufgewachsen – und ich ohne diesen Großvater.

Ich weiß nicht, was zu tun ist, damit dieser unsägliche Krieg endet. Ich hoffe, ich bete, ich zünde eine Kerze an; und ich ermutige meine Kinder, sich von ihren Großeltern die Geschichte der Ur-Großeltern erzählen zu lassen. Damit sie nicht verlernen, den Frieden zu schätzen und ihn zu schützen. Damit es wieder Valentinstage gibt, an denen Männern nicht im Krieg sind, sondern bei ihren Frauen. Und Väter bei ihren Kindern.

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SWR1 Begegnungen

05FEB2023
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Eckart von Hirschhausen Foto: Julian Engels

… und mit Eckart von Hirschhausen. Man kennt ihn. Als Arzt und Komiker, als Fernsehmoderator. Ich treffe ihn in Ulm. Nach einem seiner letzten Bühnenauftritte als Kabarettist. Seine Zeit und sein Engagement will er künftig den Themen seiner Stiftung[1] widmen: gesunde Menschen auf einer gesunden Erde. Eckart von Hirschhausen will aufrütteln und aufmerksam machen. Auf die dramatischen Folgen des Klimawandels. Weil er das Gefühl hat: Wir haben es immer noch nicht kapiert. Seine letzte Bühnenshow trägt nicht ohne Grund den Titel „Endlich!“.

Ich hatte vorher viele Programme gemacht, über den menschlichen Körper, zur menschlichen Seele, zu Glück, zu Liebe, zu Wundern. Und dann dachte ich: So, jetzt mal an das dickste Brett, nämlich unsere eigene Endlichkeit, unsere Sterblichkeit. Und eng damit verbunden ist für mich auch, dass mit dem Nicht-akzeptieren-Wollen, dass wir endlich sind, wir ja auch die Erde ruinieren. Wir glauben, es gibt unendlich viele Ressourcen. Und es gibt eben genau das Gegenteil. Weil wir eine spirituelle Leere haben, die mit Hyper-Konsum versuchen zu füllen, und damit die Situation eben immer bedrohlicher wird.

Dass wir bereits in einer extrem bedrohlichen Situation sind – und zwar hier in Deutschland - ist für Eckart von Hirschhausen längst klar.

Mit dem Ahrtal, mit einem Dürre-Sommer, mit brennenden, Wäldern, die alle lokalen Feuerwehren überfordern, mit Missernten, mit einem Rhein, einer Lebensader, die plötzlich austrocknet. Also die Zeichen sind alle da und trotzdem denken wir immer noch: Ja, das war jetzt ein Jahrhundertereignis und hoffen, wenn es einmal im Jahrhundert schon mal so war, dann reicht es ja, dann kommt es auch nicht wieder.

Ist das tatsächlich der Grund, warum viele bis heute den Klimawandel nicht richtig ernst nehmen?

Ich glaube, dass wir bislang die falschen Geschichten erzählt haben. Wir haben immer gesagt, Klimakrise ist ein Problem von Eisbären oder von mir aus auch von Inselstaaten, die überschwemmt werden. Wir haben immer so getan, als wenn wir das irgendwie aus Liebe zu der Natur oder zu Menschen im globalen Süden machen müssten. Die sind viel, viel härter getroffen als wir jetzt, aber jeder Mensch auf dieser Erde, auch in den reichen Ländern, wird leiden.

Mit einem simplen Beispiel macht Eckart von Hirschhausen klar, warum unser System Erde in Schieflage geraten ist:

Solange in unserem Wirtschaftssystem ein Baum mehr wert ist, wenn wir ihn in Bretter zerschneiden, als wenn er mit Wurzeln und Blättern wachsen kann, so lange werden Bäume gefällt. Das heißt, wir haben auf eine kuriose Art den Wert der Schöpfung vergessen wertzuschätzen. Und damit sind wir alle in einem Hamsterrad gefangen, wo eben nicht mehr der Jutebeutel den Unterschied machen kann, sondern nur eine wirksame Klimapolitik.

Eckart von Hirschhausen ist Arzt und Fernsehmoderator. Und engagierter Kämpfer gegen den Klimawandel und für eine gesunde Erde. Denn von deren Zustand hängt auch unsere Gesundheit ab.

Es gibt biologische Grenzen, aus denen wir als Menschen uns nicht befreien können. Und die liegen in unserer Körperlichkeit. Also wir bestehen aus Eiweißstoffen, die bei 42 Grad ihre Struktur ändern. Und dann denkt man, das ist aber sehr theoretisch, dann sage ich: Nein. Jeder hat doch schon mal ein Ei gekocht.

Was er dann erzählt, erschreckt mich. Denn: Ein Ei wird hart, wenn man es in warmes Wasser legt, da reichen gute 40 Grad schon aus.

Das heißt, dieses Ei hat irreversibel, unumkehrbar für immer seine Struktur verändert. Warum erzähle ich das? Woraus besteht ein Ei? Aus Wasser, aus Fett und aus Eiweiß. Woraus besteht unser Hirn? Aus Wasser, aus Fett und aus Eiweiß. Aus exakt den gleichen Baustoffen. Mit genau den gleichen biologischen und physikalischen Grundgesetzen. Die sind nicht verhandelbar.

Das ist der wissenschaftliche Blick. Doch es gibt noch einen zweiten. Der hat mit seiner Geschichte zu tun. Hirschhausen kommt aus einer Pastorenfamilie. Seine Vorfahren waren über mehrere Generationen hinweg Pfarrer im Baltikum.

Wir müssen diese Schöpfung bewahren, und zwar nicht aus Übereifer oder aus Moral, sondern weil wir Menschen davon abhängen. Und ich glaube, dass diese Idee, dass die Erde eigentlich ein Lebewesen ist, dass wir leben, weil es anderes Leben gibt - die Erde mit den verschiedenen Lebensformen auch als beseelt wahrzunehmen, das ist etwas, was ganz wichtig ist, weil wir können nur schützen, was wir schätzen.

Es kommt also nicht von ungefähr, wenn Eckart von Hirschhausen eine ganz konkrete Vorstellung davon hat, welche Rolle die Kirchen bei der Bekämpfung des Klimawandels spielen müssten.

Ich träume davon, dass jede Kirche in jedem Dorf Solarpanels auf dem Dach hat. Ich träume davon, dass jede kirchliche Einrichtung eine pflanzenbasierte Küche hat, also dass wir endlich aufhören, Billigfleisch in jedem Kita-Hort, in jedem Krankenhaus anzubieten. Das ist echt unchristlich, dieser Pamp.

Und er träumt davon, dass die Kirchen auf den Gedanken der Nächstenliebe noch etwas draufpacken. Dafür hat er ein neues Wort kreiert. Er sagt: Es braucht die Über-Nächstenliebe:

Über-Nächstenliebe bedeutet über Grenzen hinweg auch Menschen mit in die Empathie mitzunehmen, die weiter weg sind. Und Über-Nächstenliebe im Sinne von: Die Generationen, die kommen sollen - wir haben diese Erde halbwegs heil übernommen, wir sollten sie nicht in deutlich schlechterem Zustand weitergeben, als wir sie empfangen haben.

Zum Abschluss unseres Gesprächs frage ich Eckart von Hirschhausen, was ihn mehr antreibt, der Wissenschaftler in ihm oder der Christ. In seiner Antwort höre ich beide – und einen Kabarettisten, der es sehr ernst meint:

Es gibt einen Himmel und eine Erde. Und jede Tonne CO2, die wir da hochpusten, uns unsere eigene Luft dreckig machen und uns selber die Hölle machen - im wahrsten Sinne - erfüllt das, was im Vaterunser steht, nämlich wie im Himmel, so auf Erden. Also da können wir alte Weisheiten neu interpretieren und hoffentlich daraus auch Kraft schöpfen für die Veränderung, die jetzt ansteht.

 

[1]https://stiftung-gegm.de/

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

14JAN2023
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Das erste Mal in meinem Leben betrete ich ein Gefängnis. Genauer gesagt: Ein Abschiebegefängnis. Ich besuche dort einen Häftling. Er heißt nicht so, aber ich nenne ihn Eric. Als wir uns Ende des vergangenen Jahres begegnen, hat er nur noch 48 Stunden. Dann geht sein Flugzeug nach Kigali, er wird nach Ruanda abgeschoben. Wir haben uns in einer Kirchengemeinde kennengelernt.

Ob seine Abschiebung gerechtfertigt ist, das ist nicht mein Thema. Ich kann das auch nicht kompetent bewerten, sondern muss die Entscheidung schlicht hinnehmen. Erics Fall ist auf traurige Weise spektakulär: Es gab ein jahrelanges Gerichtsverfahren und große politische Interessen waren im Spiel.

Ich möchte von etwas anderem erzählen: vom Vertrauen. Von einem unfassbaren Gottvertrauen. In einer Situation, die das ganze Leben verändert.

Eric und ich unterhalten uns auf Deutsch. Unsere Sprache spricht er fließend, er hat in Deutschland studiert. Als ich ihn im Gefängnis besuche, lebt er schon über 30 Jahre hier. Fakt ist nun: Er darf nie mehr zurückkommen und in das Land einreisen, in dem seine Kinder weiterhin leben. Und er fürchtet: Er kann nie mehr ohne Angst ins Bett gehen. Weil er sich in seinem Heimatland Ruanda nicht sicher fühlt.

Aber trotz all dem, was da vor ihm liegt, ist Eric unglaublich ruhig. Er ist weder wütend noch verzweifelt. Er vertraut auf Gott. Er glaubt noch immer, dass der einen Plan mit ihm hat. Ich frage ihn, ob er denn mit Gott gerade jetzt nicht hadert oder an ihm zweifelt. Er sagt: „Ich kann mit Gott nicht schimpfen, er macht nichts Falsches. Ich bete viel, aber ich kenne auch die Worte von Jesus am Kreuz: ‚Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?‘ Und deshalb weiß ich: Gottes Wille ist anders, als die Menschen das glauben. Wir dürfen nicht beten: ‚Gott mach dies oder mach das‘. Denn wenn nichts passiert und nicht eintrifft, worum ich gebetet habe, dann bin ich mit Gott im Konflikt. Das will ich nicht. Ich möchte beten, um mich zu bedanken! Ich danke Gott, weil ich noch am Leben bin. Gott beschützt mich, er weiß, was mein Schicksal ist.“

Mich hat die Begegnung mit Eric in der Abschiebehaft sehr bewegt. In so einer Situation weiter auf Gott zu vertrauen, das ist fast übermenschlich. Ich glaube, wer so von Gott reden kann, in dieser Lage, der hat die Kraft alles zu schaffen, was ihm im Leben begegnet. Das hoffe ich auch für Eric.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

13JAN2023
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Kurz vor dem ersten Frost haben wir die große Yucca-Palme von der Terrasse ins Wohnzimmer geholt. Wie jedes Jahr. Und erst dann ist mir aufgefallen: Die ist gewachsen! Sie reicht jetzt fast bis zur Decke. In den vergangenen Jahren ist das nämlich nicht so gewesen. Im Gegenteil. Sie hatte sogar im Sommer viele braune Blätter und ich musste immer wieder gelbe Triebe ganz entfernen.

Diese Palme ist eine besondere Palme. Ich habe sie von Freunden zum 18. Geburtstag bekommen. Da war sie noch sehr klein. Von da an war sie immer dort, wo ich gelebt habe; sie war für mich wie eine Begleiterin. Und hat ein halbes Dutzend Umzüge überlebt. Ich habe immer gut auf sie aufgepasst. Weil ich das Gefühl hatte, in dieser Pflanze steckt mein halbes Leben, die weiß so viel von mir.

Im letzten Jahr ist meine Tochter 18 geworden. Und zum ersten Mal habe ich mich etwas getraut: Ich habe einen schönen, grünen Trieb von der Palme abgeschnitten. Diesen Ableger habe ich neu eingepflanzt und meiner Tochter geschenkt.

Es hat tatsächlich 30 Jahre gedauert, bis ich mich das getraut habe. Kaum zu glauben. Eigentlich ist das keine große Sache und man kann überall nachlesen, wie das geht mit dem Ableger. Ich glaube es war eher eine Kopfsache. Weil ich mir eingebildet habe: Wen ich einen so schönen Trieb abschneide, dann schadet das der Palme. Dann verliert sie vielleicht das Gleichgewicht. Vielleicht musste ich erst älter werden. Um voller Überzeugung sagen zu können: Jetzt ist der Zeitpunkt da. Jetzt muss ich den alten Baum beschneiden. Einen Trieb entfernen und neu einpflanzen, dann kann ein ganz neuer Baum daraus wachsen. Eine neue kleine Yucca-Palme. Eine, die vielleicht eines Tages die Wege meiner Tochter begleiten wird.

Ich glaube das war ein guter Zeitpunkt. Gerade noch rechtzeitig. Denn nicht nur die kleine Palme für meine Tochter wächst, auch der großen Palme hat es gutgetan, sie ein bisschen zu stutzen. Sie ist grüner geworden und tatsächlich nochmal gewachsen. Und weil das so gut funktioniert hat, habe ich gleich nochmals zwei Triebe abgeschnitten. Diese Ableger habe ich meinen Jungs am Neujahrs-Morgen vor die Türe gestellt. Das Leben geht weiter!

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

12JAN2023
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Mein schönstes Geschenk vergangene Weihnachten war ein Brief aus Argentinien. Von meinem Patenkind Andrés. Andrés ist nicht verwandt mit mir. Ich habe ihn vor 15 Jahren kennengelernt. Auf einer Reise mit unserer Kirchengemeinde unterwegs durch Südamerika; wir haben Sozialprojekte besucht, die von der Kirchengemeinde unterstützt werden. Damals hatte Andrés noch zwei Jahre bis zum Abitur. Er lebt in einem Dorf im Chaco, im Norden von Argentinien. In diesem Dorf gibt es keine geteerten Straßen, nur braun-rote Staubpisten. Sehr viele Menschen hausen in Wellblech-Baracken ohne fließendes Wasser. Ordensschwestern leiten in diesem Dorf ein Sozialzentrum und unterstützen die rund 5.000 Einwohner. Andrés fällt den Ordensschwestern auf. Er ist ein 1-er Schüler, gewinnt Preise im Sport und engagiert sich in der Kirchengemeinde. Und Andrés hat einen Traum: er möchte Jura studieren und Anwalt werden. So einen gab es in diesem Dorf noch nie.

Ich wage es. Und erhöhe meine Patenschaft für Andrés, damit er studieren kann. Ab jetzt 50 Euro im Monat. Das hilft seiner ganzen Familie. Andrés Vater ist Polizist und seit einem Unfall arbeitsunfähig. Seine Mutter ist krank und benötigt teure Medikamente. Und eine kleine Schwester gibt es auch noch.

Die nächsten Jahre sind schwierig: Andrés verlässt die erste Uni, die Gebühren sind zu teuer. Stattdessen: Ausbildung zum Tanzlehrer. Dann: eine zweite Uni, ohne Gebühren, aber jeden Tag drei Stunden Busfahrt. Immer wieder fällt er durch einzelne Prüfungen. Unser Kontakt reißt ab.

Vor zwei Jahren erreicht mich dann die Information: Andrés arbeitet und verdient Geld. Ich bin erschrocken. Studiert er nicht mehr? Habe ich Andrés falsch eingeschätzt? Und ich mache mir Vorwürfe, weil ich mich nicht um ihn gekümmert habe. Wir nehmen wieder Kontakt auf und tauschen uns über die vergangenen Jahre aus. Ich erfahre, dass er nebenher im Callcenter jobbt, weil das Geld für die Familie nicht reicht. Er ist noch an der Uni, kommt aber nur langsam voran. Seinen Traum hat er noch nicht aufgegeben. Ich bestärke ihn und sichere ihm zu, die Patenschaft zu verlängern.

Ein paar Tage vor Weihnachten kommt dann von Andrés eine E-Mail: Im Anhang eine Bescheinigung. „Abogado“ steht drauf. Rechtsanwalt. Er hat es tatsächlich geschafft! Ich bin so stolz auf ihn! Er bedankt sich bei mir, dass ich ihm vertraut habe, dass ich ihn unterstützt habe. Und dass ich nicht aufgehört habe, an ihn zu glauben.

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SWR1 Begegnungen

01JAN2023
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Dr. Katrin Brockmöller Fotonachweis: Katholisches Bibelwerk

Manuela Pfann trifft Dr. Katrin Brockmöller. Die Leiterin des katholischen Bibelwerks sagt, der Austausch über die Bibel füllt Herzen und schützt vor Abgrenzung.

Ein neues Jahr liegt vor uns – und das alte, dicke Buch liegt neben mir. Die Bibel. Immer wieder habe ich überlegt, wie ich die Bibel richtig lesen kann. Und ob die Texte vielleicht hilfreich sind, mich durch mein Jahr zu begleiten. Doch so richtig weiß ich nicht, wie ich es anpacken soll. Deshalb treffe ich mich heute mit Katrin Brockmöller. Sie muss das wissen. Katrin Brockmöller ist Theologin und Direktorin des katholischen Bibelwerks in Stuttgart. Und ihr Ziel ist genau das: Wer die Bibel liest, der soll was mitnehmen, der soll begeistert sein. Ihre eigene Leidenschaft für die Heilige Schrift; die hat sie schon als Kind entdeckt:

Ich habe zur Erstkommunion von meiner Taufpatin ein Bibel Comic geschenkt bekommen über Jesus. Und da gab es fünf Hefte: Jesus und seine Mutter, Jesus und seine Freunde, Tod und Auferstehung. Und ich habe als Kind diese Texte gelesen, je nachdem, was ich für eine Laune hatte. Und wenn ich schlecht drauf war, habe ich Tod und Auferstehung gelesen und habe geweint. Aber am Ende war alles gut.

Im Gymnasium bei Benediktiner-Patres war sie dann genau richtig: Psalmen singen, Gebete lernen und Bibeltexte lesen. Doch in einem Punkt haben die Patres sie provoziert:

Wenn es dann um Diskussionen ging, haben die oft gesagt „Das wisst ihr nicht, das habt ihr nicht studiert“. Und da hatte ich so einen Widerspruchsgeist und einfach gedacht: Gut, der Sache kann man abhelfen. Und hab dann schon wirklich in der achten Klasse entschieden, das mit der Theologie interessiert mich.

Ich habe nicht Theologie studiert. Mir fehlen also viele historische Hintergründe. Kann ich die Bibel trotzdem richtig verstehen?

Also man muss gar nicht die ganze Bibel lesen. Vielleicht einen Satz. Und wenn der mir was sagt, dann bin ich doch schon irgendwie einen Schritt weiter. Also die ganze Bibel halte ich für eine Überforderung.

Katrin Brockmöller hat es selbst immer genau so gehalten. Sie hat einzelne Textstellen auf sich wirken lassen. Schon als Jugendliche:

‚Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten tragt‘, so hieß es in der alten Einheitsübersetzung, ‚und ich werde euch Ruhe verschaffen‘. Und da hab ich gedacht: Ah, wie? Wieso? Und ich hatte als Jugendliche das Gefühl, alle sind gegen mich. Die Eltern verstehen mich nicht, die Lehrer verstehe mich nicht. Und dann: Wow, genau, Ruhe finden, das ist, was ich möchte. Und da war ich so begeistert. Und dann stand da irgendwie, dass Jesus demütig und sanftmütig von Herzen ist. Und ich sagte: Ja, genau, Ich würde auch gerne einfach so ein bisschen sanftmütiger sein und nicht mit allen immer in Konflikt gehen. Und das hat mich wirklich so gefasst.

Katrin Brockmöller ist fasziniert von der Heiligen Schrift, immer noch. Weil es eben nicht nur den historischen Zeitpunkt gibt, an dem ein Text entstanden ist. Wenn manche meinen, mit einem Text fertig zu sein …

…  dann gibt es immer noch die, die ihn jetzt lesen, mit ihrem Kontext, ihren Fragen, ihrem Weltwissen. Und von daher ist es nie zu Ende. Mit einem literarischen Text wird man nie zu Ende sein, wenn er gut ist. Und ich glaube, die Bibel ist gut und von daher werden wir weiter Bibliotheken füllen und vielleicht Herzen, die miteinander in Austausch sind.

Katrin Brockmöller ist promovierte Theologin, Direktorin des Katholischen Bibelwerks und findet: Über Bibeltexte sollte man am besten mit anderen reden. Das hat sie auch einem Bischof empfohlen, der sie gefragt hat:

„Frau Brockmöller, die Texte sprechen manchmal nicht so zu mir. Was soll ich tun? Was soll ich lesen?“ Da hilft Ihnen Lesen nicht, da müssen Sie mit anderen reden. Ich glaube, das ist so ein Schlüssel. Also sich der Kommunikation mit anderen zu stellen. Die Bibel ist nichts anderes. Das ist geronnene Kommunikation. Gespräche über Gott und die Welt, die über Jahrhunderte Autoren geführt haben und daran weitergearbeitet haben.

Während der Corona-Zeit hat Katrin Brockmöller begonnen, solche Gespräche über und mit der Bibel online anzubieten. Das kam so gut an, dass es diesen Austausch nach wie vor gibt. Immer am 14. in jedem Monat. Das ist ein Angebot für alle, ohne Vorwissen.

Ich glaube, wir sind einfach sehr viel empfindlicher geworden durch die letzten drei Jahre. Und damit, glaube ich, kommen auch manchmal die biblischen Texte näher zu uns, weil sie einfach auch Situationen erzählen, wo Menschen ganz konkret Leid erfahren haben und wie es dann weitergegangen ist.

Und da landen wir als Beispiel bei der Geschichte der Sklavin Hagar. Kurz zusammengefasst geht es darum: Abraham bekommt mit seiner Frau keine Kinder, dann versucht er es mit seiner Sklavin und Nebenfrau Hagar. Die wird tatsächlich schwanger. Doch das führt zu Spannungen mit Sarah. Die beiden Frauen kommen nicht mehr klar miteinander und in ihrer Not flieht Hagar in die Wüste. Sie und das Kind kommen dabei fast um. Dann kommt ein Engel und versorgt sie mit Wasser. Daraufhin sagt Hagar zu Gott: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“

Das heißt für mich, wenn wir von Hagar was lernen, wo gibt es denn Erfahrungen, wo wir heute sagen können: Ah, da war Gott am Werk. Wir würden vielleicht das nicht so direkt aussprechen, da sind wir so ein bisschen zurückhaltend. Aber diese Frage sich einfach zu gönnen, zu sagen: Okay, wenn ich zurückschaue, letzte Woche, das letzte Jahr - was ist eigentlich so passiert? Und wo, wenn ich ehrlich bin, muss ich sagen okay, da habe ich Hilfe bekommen von einem Engel, von Gott selbst.

Für Katrin Brockmöller ist es gar keine Frage, ob man die Bibel lesen sollte. Klar sagt sie, sonst würde man etwas verpassen; denn sie findet: Die Bibel ist einer der größten Schätze der Menschheitsgeschichte. Ich hätte tatsächlich gerne mehr von diesem Schatz.

Der Schatz ist, dass wir alle relevanten Fragen des Lebens in hoch poetischer Form diskutiert haben. Sie werden kein Thema finden, was in der Bibel nur eine Antwort hat. Und sie fordert uns immer dazu auf, zu diskutieren, zu vergleichen: Was ist meine Position? Was ist die Position im biblischen Text? Was ist die Position von jemandem, der es ausgelegt hat? Also ich glaube, dass wir die Welt immer unter vielen Perspektiven anschauen sollten. Das schützt uns vor Abgrenzung, vor Abwertung von anderen. Das macht uns offen. Das, glaube ich, wäre der Clou: dass wir aufhören, einander zu hassen, sondern zur Liebe kommen.

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