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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

05SEP2023
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Die ganzseitige Anzeige in einer großen Zeitung fällt mir gleich ins Auge. Es ist ein Plädoyer für die Kunstsprache Esperanto. 1887 wurde sie von einem polnischen Augenarzt erfunden. Eine Weltsprache, die für jeden Menschen einfach zu erlernen ist, wollte er damals schaffen. Doch heute, mehr als 130 Jahre später, gibt es kaum mehr als zwei Millionen, die Esperanto sprechen. Weltweit. Als Sprache, die die ganze Welt verbinden soll, ist das Projekt gescheitert. Bis heute spannend finde ich allerdings die Hoffnung, die Ludwik Zamenhof, so hieß der Mann, mit seiner Kunstsprache verbunden hat. Zamenhof hatte sich nämlich erhofft, dass sie ein Weg sein könnte zu einem umfassenden Weltfrieden. Oder wie er es schrieb: „Ein Mittel, die Gleichgültigkeit der Welt zu überwinden.“ Aufgewachsen war er in einer Stadt im heutigen Ostpolen. Damals ein Schmelztiegel zahlreicher Nationalitäten. Menschen mit verschiedenen Sprachen lebten dort, die in ihren jeweiligen Ghettos aber weitgehend unter sich blieben. Gewaltsame Konflikte zwischen den Gruppen gab es häufig. Wenn sich alle Menschen nur problemlos miteinander verständigen könnten, so dachte Zamenhof, dann würden sie sich nicht mehr bekriegen. Ein umfassender Frieden könnte einkehren.

Vielleicht hatte der Jude Ludwik Zamenhof damals ja die biblische Geschichte vom Turmbau zu Babel im Hinterkopf. Die erzählt nämlich von einer Menschheit, die nur eine Sprache kennt. Als geeinte große Gemeinschaft glauben die Menschen in ihrer Hybris, wie Gott zu sein. Doch als Gott ihnen quasi zur Strafe die gemeinsame Sprache verwirrt und es plötzlich ganz viele Sprachen gibt, da ist es ganz schnell vorbei mit der Gemeinsamkeit.

Ob sich diese Geschichte aber auch rückwärts erzählen lässt ist fraglich. Dass eine gemeinsame Sprache Konflikte wirklich überwindet, wie Ludwik Zamenhof es sich erträumt hat, erscheint mehr denn je als naiver Traum. Die schrecklichen Verbrechen, die durch den russischen Angriff in der Ukraine geschehen, konnte die russische Sprache, die beide Völker beherrschen, kaum verhindern. Sich verstehen und gegenseitig akzeptieren braucht eben doch mehr als gemeinsame Worte.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

04SEP2023
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Wenn es unter meinen Kolleginnen und Kollegen im Büro ein Thema gibt, das garantiert für Gesprächsstoff sorgt, dann ist es die Bahn. Selbst die, die nur gelegentlich mit ihr fahren, können was erzählen. Oft genug dann nichts Gutes. Schimpfen auf die Bahn, das gehört in vielen Small-Talks schon zum Standardrepertoire. Die Bahn ist inzwischen sowas wie das Wetter. Auch dazu hat jede und jeder irgendeine Meinung. Und es stimmt ja. Wenn es mal wieder nicht rund läuft, Züge ausfallen, Anschlüsse weg sind, dann nervt das schon gewaltig. Aber wenn es läuft, dann kann die Bahn für mich auch eine echte Wundertüte sein.

Da drin finde ich zum Beispiel freie Zeit. Auf jeder Heimfahrt von der Arbeit kann ich mich entscheiden. Arbeite ich im Zug weiter, weil etwas nicht fertig geworden ist? Lese ich ein Buch, höre Musik, einen Podcast? Oder döse ich einfach vor mich hin und genieße die Landschaft, die draußen vorbeizieht?

Ich finde in dieser Wundertüte aber auch einen Ort, an dem ich Menschen begegne, mit denen ich sonst nie zu tun hätte. Immer wieder sind auch interessante Leute dabei und manchmal ergibt sich unversehens sogar ein Gespräch. Den einen oder die andere kenne ich inzwischen sogar, weil wir uns regelmäßig im Zug begegnen. Aber natürlich gibt es da auch die Dauertelefonierer, die mir ungefragt ihre Lebensgeschichten aufdrängen. Besonders nervig, wenn ich nach einem anstrengenden Arbeitstag einfach nur meine Ruhe haben möchte.

Und dann wird diese Wundertüte Bahn eben zu einem Übungsraum für Toleranz und Gelassenheit. Da kann, ja muss ich dann lernen, dass ich manches am besten gelassen hinnehmen sollte, weil ich es eh nicht ändern kann. Etwas, das mir - zugegeben - oft ziemlich schwerfällt. Und vielleicht gelingt mir das mit der Gelassenheit ja dann auch leichter, wenn es das nächste Mal im Zug heißt: Unsere Weiterfahrt wird sich leider auf unbestimmte Zeit verzögern.

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SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

03SEP2023
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Sport im Fernsehen hat mich noch nie besonders interessiert. Ein bisschen reingeschnuppert hab ich dann aber doch in die Sendungen von der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Budapest, die vor einer Woche zu Ende gegangen ist. Und da ist mir bei einigen Wettkämpfen wieder aufgefallen, wie manche Sportlerinnen und Sportler im Stadion ganz offen ihren Glauben demonstrieren. Da kniet sich ein Läufer vor dem Start hin und betet still. Ein anderer bekreuzigt sich, nachdem er in den Startblock gestiegen ist. Und eine Sportlerin, die gerade das Finale gewonnen und den Weltmeistertitel geholt hat, blickt beseelt hoch zum Himmel. Bedankt sich bei Gott für ihren Erfolg. Szenen, wie man sie auch im Fußball immer wieder sieht. Wenn Spieler offenbar einen kurzen Moment lang Kontakt zu Gott suchen. Sich vor dem Match, oder nach einem Torerfolg auf dem Rasen bekreuzigen. Mich berührt so etwas. Ich nehme an, dass kein Leistungssportler und keine -sportlerin wirklich glaubt, dass sie ihren Sieg allein Gott verdanken. Erfolg erzielt man nicht durch beten. Egal, ob im Spitzensport oder einer Examensprüfung. Erfolg ist das Ergebnis von knochenhartem Training oder intensivem Lernen. Und doch hat so ein kurzes Gebet für mich auch einen tieferen Sinn. Weil ich mir damit eingestehe, dass ich eben nicht alles im Leben selbst in der Hand habe. Dass ich zwar mein Möglichstes geben, schuften und mich quälen kann. Dass aber dennoch genug bleibt, das sich nur in Grenzen beeinflussen lässt. Meine Gesundheit etwa, oder mein Leistungsvermögen. Der Rest ist Geschenk. Für gläubige Menschen ein Geschenk von Gott.

Der frühere Nationalspieler und Fußballweltmeister Wolfgang Overath, eine echte Fußballlegende, ist gläubiger Christ. Er hat das vor kurzem so beschrieben: „Am Spieltag habe ich immer vor dem Spiel gebetet, klar. Aber auf dem Platz musste ich schon selbst ran. Weder das Tor noch den Fehlpass konnte ich ‚dem da oben‘ in die Schuhe schieben. Ich hoffe, der liebe Gott ist mein Freund. Er hat mir sicher auch beim Fußball geholfen, genau wie er mir sonst im Leben immer geholfen hat.“

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SWR1 3vor8

03SEP2023
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Sie müssten ihm schon erlöster aussehen, die Christen, damit er an ihren Gott glauben könne. Das schreibt einmal der Philosoph und Religionskritiker Friedrich Nietzsche. Er trifft damit einen wunden Punkt. Denn Hand aufs Herz. Das Bild eines gelösten Menschen voll von überschwänglicher Freude ist vielleicht nicht das Erste, was vielen zu einem Christen oder einer Christin einfällt. Christ zu sein, das hat in der öffentlichen Wahrnehmung leider viel öfter diesen faden Beigeschmack von Freudlosigkeit. Von Rigorismus, Enge und Verbot. Ja, manchmal geradezu von einem regelrechten Wunsch zu leiden. Je mehr, desto besser.

Die Bibelstelle, die heute in den katholischen Gottesdiensten zu hören ist, ist daran vielleicht nicht ganz unschuldig. Denn da spricht Jesus davon, worauf es für einen echten Jünger, eine echte Jüngerin ankommt. Und dann heißt es da: Wer hinter mir hergehen will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es finden. Zugegeben, das ist ziemlich starker Tobak. Und zahlreiche fromme Menschen haben das wohl so verstanden, dass sie Jesus dann am nächsten sind, wenn es ihnen am dreckigsten geht. Dass ein wahrer Jesusanhänger die Last des Kreuzes so richtig spüren muss und sein eigenes Leben nicht so wichtig nehmen darf. Christenleben – Opferleben. So lässt sich das auch verstehen. Und doch will ich diese Sätze nicht als Lobgesang auf das Leiden lesen. Nicht als Aufforderung, als Christ nun bitteschön das Kreuz zu suchen. Ein sorgenfreies, glückliches Leben eher verdächtig zu finden, anstatt Gott dafür von Herzen zu danken.

Die entscheidende Frage ist doch, was das heißen kann, dieses Kreuz. Wenn ich Jesus richtig verstehe, dann geht es ihm darum, konsequent zu sein, gradlinig zu bleiben. Für die Werte, die mir wichtig sind, auch einzustehen. Nicht jeder Stimmung hinterher zu laufen. Rückgrat zu zeigen. Auch dann, wenn es rau und ziemlich ungemütlich wird. Das trifft etwa auf Menschen zu, die sich aus einer tiefen christlichen Überzeugung für Schwächere einsetzen, obwohl sie dafür bedroht und angefeindet werden. Ich denke aber auch an Bürgermeisterinnen und Landräte, die standhaft demokratische Ideale verteidigen, auch wenn ihnen der populistische Gegenwind brutal ins Gesicht bläst. An Regimegegner in Russland, die für Mitmenschlichkeit lieber ins Gefängnis wandern, als sich schweigend wegzuducken. Nach dem Kreuz muss ich nicht suchen. Es kann urplötzlich im Weg stehen. Aber dann muss ich mich entscheiden, ob ich es auf mich nehmen will und dem Weg Jesu folge.

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SWR3 Gedanken

02SEP2023
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Auf einer bunten Newsseite im Internet finde ich die Krise der Fußball-Nationalmannschaft direkt neben dem blutigen Krieg in der Ukraine. Gleich darunter den neuesten Klatsch von den britischen Royals. Und am Rand ploppt auch noch Werbung für ein neues Smartphone auf. Ich klicke weiter. Mir ist das gerade einfach zu viel. Aber so ist die Welt. Auf meinem Bildschirm wird alles gleich wichtig – oder gleich egal.

Ein Grund, warum ich diese Ferienzeit so mag. Weil ich mir im Urlaub bewusst Entzug gönnen kann. Entzug von Fernsehen und Handy, soweit das eben geht. Keine beruflichen Mails. Keine Push-Nachrichten aufs Smartphone. Keine Eilmeldungen, die meistens nicht besonders eilig sind. Oft brauche ich ein paar Tage, bis ich die Ruhe überhaupt genießen kann. Der Drang weg ist, kurz mal schnell aufs Handy zu schauen. Die Einsicht durchdringt, dass die Welt sich trotzdem einfach weiterdreht, ganz ohne mich. Dass es auf mich nicht ankommt. Nicht jetzt zumindest, in diesen paar Tagen.

Ich jedenfalls brauche so einen Abstand unbedingt und immer wieder. Als kurze Auszeit von all den wirklichen oder vermeintlichen Wichtigkeiten. Um dem mal nachzuspüren, was jetzt wirklich wichtig und nötig ist. Und danach dürfen gern all die News wieder kommen, die es sonst noch gibt in der Welt.

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SWR3 Gedanken

01SEP2023
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In der Nähe des kleinen Örtchens Waldleiningen im Pfälzer Wald steht die „Pfälzer Weltachs“. Ein Sandsteinmonument, um das sich angeblich die Welt dreht. Zumindest die pfälzische, wenn es nach dem Mundartdichter Paul Münch geht. Die echte Weltachse dagegen ist tausende Kilometer weit weg. Eine gedachte Linie zwischen Nord- und Südpol. Um diese Achse dreht sich unsere Erde nämlich wirklich. Und die haben wir nun verschoben. Wir alle. Nicht viel zwar, aber immerhin ein bisschen. Indem wir in den letzten Jahrzehnten Milliarden Tonnen Grundwasser aus den Tiefen der Erde gepumpt und die Meeresspiegel oben haben ansteigen lassen. Wissenschaftler konnten das ziemlich sicher nachweisen. Nun schwankt die Erdachse ohnehin, ganz ohne uns. Alles also nicht tragisch?

Leider passt die Nachricht zu einer anderen. Dass vor rund siebzig Jahren nämlich ein neues Zeitalter unsere Erde begonnen hat. Der Anthropozän. Jene Zeit also, seit der wir Menschen die Erde und ihr Klima unwiderruflich verändern. Das tun wir noch immer, und die verschobene Erdachse ist dabei noch das kleinste Problem.

Als ich die beiden Meldungen gelesen habe, musste ich an die uralte Schöpfungsgeschichte in der Bibel denken. Wie Gott da zum Menschen sagt, er soll sich die Erde untertan machen. Das haben wir gemacht. Im wahrsten Sinne. Weltbewegend sogar. Nur, ob das damals tatsächlich so gemeint war, da habe ich Zweifel.

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SWR3 Gedanken

31AUG2023
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Im politischen Wettstreit geht’s manchmal um die Wurst. Und das ganz wörtlich. Zum Beispiel, weil es da angeblich Leute geben soll, die sie verbieten wollen, die Wurst. Also die Richtige, mit Fleisch und Speck drin. Als ich das gelesen habe, fand ich das unfreiwillig komisch. Weil es dabei am allerwenigsten um die armen Würstchen geht. Vielmehr um Selbstvergewisserung. Um Wir gegen Die. Wir, die schließlich normal sind, gegen die anderen. Die Spinner. Polemik, die so oder ähnlich mit ganz vielen Themen funktioniert. Auf allen Seiten des politischen Spektrums.

Und dann hab ich mich gefragt, was das eigentlich sein soll: normal? Für mich ist „normal“ nämlich bunte Vielfalt und nicht Schwarz oder Weiß. Ein offener Blick in die Welt genügt. Als Christ glaube ich außerdem, dass Gott die Welt auch genau so gewollt hat: Bunt und vielfältig eben. Und mit Platz für alle. Und natürlich darf, ja muss über alles geredet und gern auch hart gestritten werden. Aber nicht ausschließend, menschenverachtend und herabwürdigend. Kein „Wir, die Normalen, gegen Die, die Spinner“. Denn am Ende wird uns gar nichts anderes übrigbleiben, als es irgendwie miteinander auszuhalten. Hinzunehmen, dass der oder die andere anders ist und anders tickt. Andere Ansichten hat und andere Geschmäcker. Das fällt manchmal verdammt schwer, und mögen muss ich den anderen auch nicht. Aber ohne ein Mindestmaß an Toleranz und Respekt sind wir am Ende halt alle ziemlich arme Würstchen.

 

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SWR3 Gedanken

30AUG2023
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Über Geld spricht man nicht. In Deutschland ein eiserner Grundsatz. Besonders unter denen, die viel davon haben. Doch vielleicht wäre es manchmal gar nicht so schlecht, offener über Geld zu reden. Der Gerechtigkeit halber. Als ich im Netz auf einen interaktiven Vergleichsrechner gestoßen bin, war ich erstaunt. Da kann ich anonym mein monatliches Einkommen eingeben, und dann zeigt mir dieser Rechner an, wo ich finanziell in unserer Gesellschaft stehe. Wie viele Leute mehr und wie viele weniger haben als ich. Das kann dann ziemlich ernüchternd sein, weil viele sich offenbar für ärmer halten, als sie es in Wahrheit sind. Die so oft beschworene Mitte der Gesellschaft ist nämlich gar nicht so groß.

In Reden werden schon mal die hart arbeitenden Leistungsträger unserer Gesellschaft beschworen. Mir fallen da immer Leute ein, die vielleicht gar nicht unbedingt gemeint sind. Müllwerker und Paketboten etwa. Reinigungskräfte und Pflegehelferinnen. Leute, die vergleichsweise wenig verdienen. Deren harte Arbeit aber für alle unverzichtbar ist. Weil sie den Laden am Laufen halten und allen Grund hätten, sich eine gute Bezahlung zu wünschen. Und wenn wir offener darüber sprechen würden, wer wohlhabend ist und wer nicht? Vielleicht wäre manch einer, der gut verdient, dann ja sogar bereit, etwas mehr davon abzugeben. Für die, die wenig bekommen, aber hart schuften für uns alle. Damit es insgesamt ein bisschen gerechter zugeht unter uns.

 

 

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SWR3 Gedanken

29AUG2023
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In manchen Konferenzen oder Debatten bin ich ziemlich still. Je lauter und wortreicher sich Einzelne da in den Vordergrund drängeln, um so stiller werde ich. Ich weiß, dass ich damit nicht alleine bin. Dass es etliche gibt, denen es ähnlich geht. Weil sie keine Lust auf diesen Wettbewerb haben, wer der Lauteste ist und am meisten reden kann. Irgendwie schade. Denn wer besonders laut und dominant daherkommt, ist ja nicht per se auch wichtig. Und Recht hat er oder sie deshalb auch noch nicht. Dafür jede Menge Aufmerksamkeit. Und auf die kommt es leider oft an. Ein bisschen ist das wie früher in der Schule, bei der Klassensprecherwahl. Auch da haben die Vorlautesten oft die meisten Stimmen bekommen.

Schlimm wird das dann, finde ich, wenn die Lautsprecher und Vielredner wie selbstverständlich glauben, auch für alle anderen zu sprechen. Für die vermeintlich „schweigende Mehrheit“. Das, liebe Lautsprecher und Vielredner, ist ganz oft aber nicht der Fall.

Das einzige, was hilft: Wenn es um Dinge geht, die mir wirklich wichtig sind, den Mund aufmachen. Mich einmischen. Meine Meinung sagen. Klar, überlegt und mit guten Argumenten. Auch, wenn es Überwindung kostet. Aber nur so geht Demokratie. Denn sonst bestimmen am Ende wirklich die Lautesten mit den größten Ellenbogen, wo es langgeht.

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SWR3 Gedanken

28AUG2023
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Es ist noch früh am Tag, aber der Zug, mit dem ich zur Arbeit fahre, ist schon halbvoll. Menschen mit Rucksäcken, Wanderstöcken, robusten Schuhen sitzen da. Menschen, die ihr Arbeitsleben offenkundig hinter sich haben. Die nun ihre freie Zeit genießen und, wie es scheint, auch ihr Leben. Beneidenswert, hab ich erst gedacht. Bis mir einfiel, dass ich ja schon in ein paar Jahren selbst dazugehöre. Ob ich dann auch hier im Zug sitze? Mit Proviant und Sonnencreme im Rucksack, und nicht wie jetzt, mit Arbeitsmappe und Laptop? Keine Ahnung. Denn was ich dann tun will, wenn ich nur noch frei habe, jeden Tag, darüber hab ich bisher kaum nachgedacht.

Dabei hat alles im Leben seine Zeit. Das hat ein Weiser in der Bibel schon vor zweieinhalbtausend Jahren gesagt. Klingt zwar banal. Ist aber oft so verdammt schwer zu akzeptieren. Dass etwas vorbei ist im Leben, unwiderruflich. Die ewige Jugend, die leider doch nicht so ewig ist. Eine langjährige Freundschaft. Oder eben der Job, der zwar stressig ist, meinen Tagen aber auch Sinn gibt. Das Gefühl, gebraucht zu werden. Klar ist: Jeder Abschied im Leben erinnert mich auch ein bisschen daran, dass ich selber endlich bin. Oder, wie es der Weise aus der Bibel sagt: Dass alles im Leben letztlich wie ein Windhauch ist. Nach dem freilich immer etwas Neues beginnt. Und warum eigentlich nicht mit Proviant und Sonnencreme frühmorgens im Zug.

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