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SWR4 Abendgedanken

08FEB2022
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Sonne, Sand, Meer… Sehnen Sie sich auch schon nach dem nächsten Sommerurlaub?
Sand, ganz viel Sand. So hat eine Journalistin in einem Zeitungsartikel ihren letzten Sommerurlaub beschrieben. Aber, leider: Auch Wind. Ganz viel Wind. Und die kleine Tochter der Journalistin hat, anstatt fröhlich im Sand zu spielen, nur gebrüllt. Sie hatte Sand in den Augen, Sand im Mund, Sand einfach überall. Die Kleine war totunglücklich und die Eltern mit den Nerven am Ende. Doch dann sah das Kind Drachen in den verrücktesten Formen am Himmel, die andere Urlauber fliegen ließen. Sie war begeistert. „Mama, da fliegen ja Frösche!“. Es wurde wohl doch ein schöner Urlaub. Anders als geplant. Aber die Journalistin schreibt: „Ich habe in diesem Sommer verstanden, dass ein lästiger Wind manchmal Frösche fliegen lassen kann.“

Aus etwas richtig Ätzendem wird – ganz überraschend – etwas Schönes. Ein kleines Wunder, irgendwie, wenn die Perspektive sich so wandelt.

Die Urlaubserzählung erinnert mich an eine Geschichte aus der Bibel. Die fängt auch ganz übel an. Und auch hier wird aus dem Übel am Ende etwas Gutes: Es geht um Joseph. Er hat seine Brüder so sehr verärgert, dass sie ihn fesseln und an einen ägyptischen Händler verkaufen. Damit ist klar, was Joseph nun blüht: Sklavenarbeit, Erniedrigung, ein würdeloses Leben. Aber Joseph stellt es geschickt an. Nach und nach arbeitet er sich bis zum Berater des Pharao hoch. Durch seinen klugen Rat schafft er es, eine Hungersnot zu verhindern. Und rettet damit am Ende auch seinen Brüdern das Leben. Joseph grollt nicht, Joseph hilft. Die Familie überlebt. Die Brüder versöhnen sich. Und Joseph deutet das Geschehen: „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen.“ (1.Mose 50,20)

Da fängt etwas ganz verkorkst an. Und endet gut. Ja geradezu wundervoll. Mich fasziniert das. Da wird aus einer bösen Gemeinheit ein Segen. Da wird aus fiesem Wind ein wunderschönes Erlebnis. Das macht mir Mut. Und Lust darauf, mich in meinem Leben immer wieder neu überraschen zu lassen. Von Gott. Oder auch nur vom lästigen Wind, der manchmal Frösche fliegen lassen kann.

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SWR4 Abendgedanken

07FEB2022
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“An enemy is a friend, waiting to be made.” Eine Postkarte mit diesem Satz stand lange auf meinem Schreibtisch. „Ein Feind ist jemand, der darauf wartet, als Freund gewonnen zu werden.“, so könnte man diesen Satz ungefähr übersetzen.

Er ist ein Zitat von Desmond Tutu, der letztes Jahr an Weihnachten verstorben ist. Desmond Tutu war für mich ein ganz Großer. Er war anglikanischer Erzbischof in Südafrika. Aber das war nur sein offizieller Titel. Für mich war er viel mehr:

Einmal habe ich ihn getroffen. Naja, sagen wir, wir haben uns im selben Raum aufgehalten. Gesprochen haben wir nicht miteinander. Aber allein durch seine Anwesenheit hat er mich umgehauen. Tutu war damals schon alt, gebeugt. Und dennoch: Er versprühte so eine Energie, so eine Kraft und Lebensfreude. Mit funkelnden, humorvollen Augen stand er da und strahlte in die Welt. Allein sein „Da-Sein“ hat mich überwältigt.

Tutu steht für mich dafür, dass Christen keine Ungerechtigkeit geschehen lassen dürfen, dass sie aufstehen und dagegen vorgehen müssen. Er hat es vorgemacht, immer tief verwurzelt in Jesu Spuren: Menschen dürfen nicht aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden. Wir sind alle gleich, alle Geschöpfe Gottes, alle gleich wertvoll, alle von Gott geliebt. Die Bibel war deshalb für Tutu ein zutiefst politisches Buch. Einmal soll er gesagt haben: „Wenn die Leute sagen, dass Bibel und Politik nicht zusammenpassen, dann frage ich sie, welche Bibel sie lesen.“ Recht hat er.

Dabei war Desmond Tutu aber immer ein Verfechter des Friedens. Er hat mit Worten gekämpft, nie mit Waffen. „Ein Feind ist jemand, der darauf wartet, als Freund gewonnen zu werden.“, hat er gesagt. Schwarze und Weiße waren in seinem Land lange Feinde gewesen. Er wollte Menschen zusammenbringen, Leid mindern, Trost stiften. Die Opfer der Rassentrennung zwischen Schwarz und Weiß durften vor seiner Wahrheits- und Versöhnungskommission ihre Leidesgeschichte erzählen. Die Täter mussten eingestehen, was sie Unmenschliches getan hatten. Das Ziel war nicht Vergeltung oder Strafe, sondern Versöhnung.

Desmond Tutu war für mich einer der ganz Großen: Menschenfreund, Mutmacher, Wortkämpfer, Witzereißer, Christ, Vorbild… Er wird mir fehlen.

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SWR4 Abendgedanken

30DEZ2021
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An Gott zu glauben heißt für mich, auch manchmal gehörig trotzig zu sein. Ich versuche mal zu erklären, warum. Ich sitze hier im Studio und nehme meinen Abendgedanken für Sie auf zu einer Zeit, in der die Corona-Zahlen in die Höhe schnellen. Ob das heute, wenn mein Beitrag ausgestrahlt wird und Sie ihn hören, noch immer der Fall ist, steht in den Sternen. Jetzt, Mitte Dezember, sieht es mies aus: Viele Kranke, über alle Maßen strapazierte Ärztinnen und Pfleger in den Kliniken, täglich mehrere hundert Tote. Das ist alles richtig mies. Anders kann ich es nicht sagen.

Am liebsten würde ich den Kopf in den Sand stecken. Oder Winterschlaf halten. Erst im Frühling wieder aufwachen, wenn hoffentlich alles vorbei ist. Das wär’s doch. Aber dann bin ich über einen Satz in unserem Gemeindebrief gestolpert. Dort stand: Die Corona Zeit ist „keine gute Zeit. Aber es waren viele Monate Leben und ich erlaube dieser Seuche nicht, mir die einfach wegzunehmen“.1 Und diese Worte haben meinen Trotz geweckt. Meinen Trotz-Glauben.

Ja, die Corona Zeit ist hässlich. Ätzend. Nervig. Und verletzend. Plötzlich wird uns bewusst, wie zerbrechlich alles ist. Wie viel Angst wir haben können. Und wie wenig Schutz. Aber: Ich will mir von dieser Seuche nicht mein Leben klauen lassen. Klar: Ich kann nicht alles machen, wie ich es gerne hätte. Ich muss Regeln befolgen, die Zeit kosten und die die Nerven strapazieren. Es ist ein Leben mit Einschränkungen. Aber dennoch: Nicht alles ist gerade schlecht. Ich habe Menschen um mich, die mich lieben. Und für die ich da sein will. Ich höre Kinder unbeschwert lachen. Ich genieße das warme Kerzenlicht am Adventskranz. Und, übrigens, die Sonne scheint auch trotz Corona. Ich lebe kostbare Tage meines Lebens!

Und das ist es doch, was Christ-Sein ausmacht: Der Dunkelheit trotzen. Das Licht sehen, und sei es noch so klein. Und das überall, in allen Bereichen: Kranke heilen, statt sie verkümmern zu lassen. Trösten, statt in das Jammern einzustimmen. Lieben, wo viele Hass verbreiten. Mitleiden, wo sich alle abwenden. Auferstehung, wo alle nur den Tod sehen. Das ist mein Glaubens-Trotz!

Ich schaffe das nicht immer. Manchmal kommen die Zweifel, die Angst, die Trauer nimmt überhand. Aber: Die Worte im Gemeindebrief haben mich berührt und wach geschüttelt. Aus meinem Corona-Jammer-Schlaf.

Ich hoffe, dass ich sie mir bewahren kann. Für die Zeit, die jetzt kommt. Denn es stimmt: Ich will mir mein Leben von dieser Seuche nicht wegnehmen lassen.

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Zitiert aus einem Text von Andrea Bachmann (www.frau-bachmann-bloggt.de) in „Kirche in der Stadt“. Zeitung für die evangelische Kirche in Tübingen, Dezember 2021

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SWR4 Abendgedanken

29DEZ2021
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Jetzt ist schon wieder ein Jahr rum! Ich kann es kaum glauben. Klar, es ist viel passiert in diesem Jahr. Wenn ich an mein Jahr zurückdenke, dann war es vollgepackt mit Erlebnissen und Herausforderungen: Umzug, Einschulung meiner Tochter, einen Kaninchenstall bauen, meinen Corona-Schüler-Jahrgang ins Abitur begleiten… Es ist so viel passiert! Und trotzdem: Das Jahr ging so schnell rum. Ich habe das Gefühl, je älter ich werde, desto schneller vergeht die Zeit. Sie verfliegt geradezu. Manchmal habe ich Angst, die Zeit rennt mir davon. Ich habe doch noch so viel vor, will so viel machen, erreichen, verändern. Ich will doch noch so viel leben!

Bei einer Bekannten von mir war das anders. Vor ein paar Wochen ist sie gestorben. Vor ihrem Tod hat sie gesagt, dass es ihr jetzt reicht. Wie es schon von Abraham in der Bibel erzählt wird: Sie war alt und lebenssatt (1.Mose 25,8). Sie hatte genug vom Leben. Darum entschied sie, dass sie jetzt gehen will. Sie verweigerte weitere Termine bei der Dialyse. In den Wochen darauf wurde wie schwächer und schwächer. Und dann starb sie, ruhig und gefasst. Ganz tief im Herzen vertraute sie darauf, dass sie bald ihre Lieben, die vor ihr verstorben waren, wiedersehen würde. Sie freute sich auf ein Weiterleben bei Gott im Himmel. Was genau sie erwartete, wusste sie natürlich nicht. Aber dass es dort gut sein würde, das stand für sie außer Frage und machte ihr das Sterben zwar nicht leicht, aber doch ganz sicher ein gutes Stück leichter.

Kaum zu fassen, oder? So ein Gottvertrauen. Und so eine Zufriedenheit mit dem eigenen Leben. Ich weiß nicht, ob ich das je so spüren werde. Es gibt doch so viel, was ich in meinem Leben tun will. Es ist, bei allen Problemen und Herausforderungen, doch so wunderschön hier auf der Welt. Im Moment kann ich mir nicht vorstellen, dass ich dieses Leben je freiwillig hergeben will, dass ich je genug davon haben werde.

Im Internet - auf Youtube - findet sich ein kurzer Film dazu. Manchmal scheue ich den mit meinen Schülerinnen und Schülern an: „One minute fly“ heißt er: Die „Minutenfliege“. Die Hauptfigur der Geschichte ist eine Eintagsfliege, und die fängt an, völlig gestresst eine lange Liste abzuarbeiten, auf der aufgezählt ist, was man alles im Leben gemacht haben muss. Am Ende hat sie zwar viel erledigt, ist aber auch völlig k.o. Und genossen hat sie nichts von dem, was sie gemacht hat. Lebenssatt, das sieht anders aus. Immer wieder nehme ich mir dann vor, nicht so durchs Leben zu hetzen, sondern es mehr zu genießen. Ich weiß nicht, ob ich dann je sagen kann: Gut, jetzt kann ich gehen. So wie meine Bekannte. Aber eines kann ich dann hoffentlich sagen: „Schön war’s!“

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SWR4 Abendgedanken

28DEZ2021
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Ich unterrichte an der Berufsschule eine Schülerin, die ich sehr schätze. Sie ist ruhig, zurückhaltend, hat tiefbraune Augen und eine dunkle, angenehme Stimme. Und wenn sie lächelt, was eher selten passiert, dann strahlt ihr ganzes Gesicht eine tiefe Wärme aus.

Diese junge Frau ist durch die Hölle gegangen. Sie ist Jesidin und hat ihre Kindheit und Jugend im Irak verbracht. Als ihr Heimatdorf von dem sogenannten „Islamischen Staat“ erobert wurde, hat man sie versklavt. Sie war in den Augen Ihrer Peiniger kein Mensch mehr, sondern „Kriegsbeute“, mit der sie tun und lassen konnten, was sie wollten. Monatelang wurde sie aufs Grausamste gepeinigt, man wollte ihr ihre Religion und Kultur nehmen und ihr eine neue aufzwingen, sie wurde körperlich und seelisch misshandelt, bis ihr dank ihrem riesigen Mut und einer großen Portion Glück die Flucht gelang. Nun ist sie in Deutschland, macht eine Ausbildung und kann hier ein hoffentlich von Frieden und Achtung geprägtes Leben leben.

Vor einiger Zeit hat diese junge Frau sich – aufgeregt, aber doch selbstbewusst und mit viel innerer Ruhe – vor ihre Klasse gestellt und uns von ihrer Religion erzählt. Was für ein Geschenk, ein Wunder fast! Die jesidische Religion und Kultur ist uralt, tief verwurzelt in faszinierenden Riten und Bräuchen, die sich um ihre heilige Stätte im Nordirak ranken. Und: Jesiden missionieren nicht. Man wird als Jeside geboren, oder eben nicht. Niemand kann zum Jesiden gemacht werden.

Mich hat gerade dies ins Grübeln gebracht: Warum eigentlich wollen so viele Religionen die anderen davon überzeugen, dass sie und nur sie recht haben? Auch wir Christen? In der Bibel heißt es: „Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker…“ (Mt 28, 19). Die Jesiden kennen das nicht.

Andere mit Gewalt missionieren zu wollen, ist absolut inakzeptabel - auch im Christentum. Schließlich ist es in unserer Religion wichtig, den Fremden zu achten und zu beschützen und dafür bin ich ihr zutiefst verbunden. Die Bibel erzählt, dass Abraham einmal drei Fremde beherbergt hat. Er war gastfreundlich, ohne sie zu kennen. Später hat sich herausgestellt, dass es Engel waren, Gesandte Gottes (1.Mose 18). Weil die Israeliten selbst ihre Heimat verloren hatten und wussten, wie verletzlich und schutzbedürftig man in der Fremde ist, befolgten sie das Gebot, den Fremden zu schützen (5.Mose 10,19). Auch der Islam kennt diese Tradition. In der 49. Sure im Koran steht: „Lernt, dass jeder Mensch der Bruder eines jeden Menschen ist.“ Egal ob schwarz oder weiß, Fremder oder nicht. Die Peiniger meiner Schülerin haben dieses Gebot des Propheten wohl übersehen, weil ihnen ihr fundamentalistischer Hass und ihre grausame Machtgier den Blick verschleiert haben.

Den Fremden aufnehmen, schützen und wertschätzen. Das lehrt mich meine Religion. Die Begegnung mit der fremden Tradition stellt mich und meine Überzeugungen aber auch zugleich in Frage. Das verunsichert. Und öffnet doch auch die Augen für neue Gedanken. Das will ich achten als zutiefst wertvoll.

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SWR4 Abendgedanken

27DEZ2021
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Meine Kinder streiten viel. Es gibt Rangeleien: Wer darf auf dem Sofa rumturnen und wer nicht? Oder: Wer darf mit dem besten Zug bei der Holzeisenbahn fahren? Mich nervt das furchtbar. Wobei… Manchmal horche ich auf und bin überrascht, denn dann geht es auch ganz anders. Dann höre ich, wie sich die Kinder absprechen: „Und dann ist mein Bild genauso das Allerschönste wie Deins, ja?“ Und dann wird gemalt. Zwei allerschönste Bilder. Ich frage mich dann still und heimlich, ob das überhaupt geht. Aber, in der Logik meiner Kinder geht das. Problemlos. Und abgemacht ist abgemacht, da halten sich alle dran, ein Streit kommt erst gar nicht auf. Irgendwie genial, oder?

Wenn das doch im Großen genauso gehen würde: Mein Land ist genauso das allerschönste wie Deins. Meine Religion ist genauso die allerbeste wie Deine. Meine Lösung für ein Problem funktioniert genauso gut wie Deine. – Aber leider geht das in der Welt der Erwachsenen nicht Es hilft nichts, wir brauchen Entscheidungen, und die eine Lösung funktioniert manchmal einfach besser als die andere. Das eine Land bietet vielleicht einfach mehr Chancen und Entfaltungsmöglichkeiten als das andere. Und Glaubensüberzeugungen einer anderen Religion kann ich vielleicht nicht einfach als wahr hinnehmen. Hilft ja alles nix. Bei allem Sehnen nach Frieden und gelingendem Zusammenleben…

Aber wie können wir denn Streit, Hass und Gewalt vermeiden, bevor sie losgehen? Mir ist dazu in einer Geschichte aus der Bibel (1.Mose 13, 1-12) etwas aufgefallen: Zwischen Abraham und seinem Neffen Lot bahnt sich ein Streit an. Ihre Herden weiden auf dem gleichen Land, aber es sind zu viele Tiere. Die Hirten zanken sich um gute Weideflächen. Da hält Abraham inne. Er bemerkt, dass hier etwas schief zu gehen droht. Und bietet Lot eine Lösung an, bevor das Problem so richtig hochkocht: Sie wollen – so schade das ist – getrennter Wege gehen. Lot darf sich zuerst aussuchen, wo seine Tiere in Zukunft weiden dürfen. Er sucht sich die saftigsten Weiden nahe am Jordanfluss aus. Und Abraham lässt ihn gewähren.

Abraham hält inne. Er ist wachsam und löst so den Konflikt, bevor er überhaupt so richtig los geht. Und: Er steckt um des lieben Friedens willen zurück. Er kämpft nicht um die besten Weideplätze. Er überlässt sie Lot.

Das ist kein Patentrezept gegen Streit: Nicht immer können wir wissen, welcher Konflikt sich anbahnt. Und nicht immer dürfen wir kampflos zurückstecken: Wenn die Menschenwürde auf dem Spiel steht zum Beispiel. Oder wenn Ungerechtigkeit geschieht, dann heißt es standhaft bleiben und nicht nachgeben. Aber dennoch: Innehalten und nach Alternativen suchen, bevor ein Streit eskaliert. Und Kompromisse eingehen, auch wenn ich damit nicht das Beste für mich rausgeholt habe. Um des Friedens willen. Manchmal kann das ein Weg sein. Und: Vielleicht können dann ja doch auch mal zwei Bilder die allerschönsten sein…

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SWR4 Abendgedanken

08OKT2021
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Wir haben dieses Jahr in den Sommerferien Weihnachten gefeiert. Vielleicht denken Sie jetzt, das das ja eine reichlich schräge Idee ist. Aber die Corona-Beschränkungen waren letztes Weihnachten noch so streng, da konnte nicht die ganze Familie beisammen sein. Also haben wir Weihnachten nachgeholt. Im Wald. An einem See. Bei strahlendem Sonnenschein.

Ich hatte Gutsle gebacken. Zumindest ein paar. Jemand hatte Kerzen mitgebracht. Die haben wir angezündet. Und die Geschenke, die wir Weihnachten nicht schenken konnten, lagen unter einer großen Tanne. Das war der größte Weihnachtsbaum, den wir je hatten, haben wir schmunzelnd festgestellt.

Aber so richtig wollte keine Weihnachtsstimmung aufkommen. Und mitten im Sonnenschein „Oh, du fröhliche“ anzustimmen, kam uns dann doch etwas albern vor. Es war ein wunderschöner Tag im Wald, aber so richtig Weihnachten war es nicht.

Erst abends, nach dem Familientreffen, habe ich darüber nachgedacht, ob man Weihnachten überhaupt im Sommer feiern kann. Und, mal ehrlich, eigentlich ist mir kein Grund eingefallen, warum das nicht gehen könnte. An Weihnachten feiern wir, dass Gottes Licht in die Welt scheint. Jesus wird geboren. Anders als in vielen anderen Religionen bleibt der Gott des Christentums nicht im Himmel, er bleibt nicht fern von uns in einer anderen Wirklichkeit. Er sendet Jesus Christus zu uns in die Welt. Und der sagt von sich selbst: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird (…) das Licht des Lebens haben.“ (Joh 8,12). Jesus Christus zeigt uns, wie Gott wirklich ist: Ein Menschenfreund, der tröstet, der den Zurückgebliebenen unter die Arme greift, der die, die am Rand stehen, wieder in die Mitte holen will und der uns vergibt und uns behütet wie ein Hirte seine Herde.

Das alles kann man doch eigentlich problemlos das ganze Jahr über feiern. Oder nicht? Gott will bei uns sein, will uns nahe sein, uns stützen, trösten und leiten. Eine wunderbare Nachricht. Auch mitten im Sommer.

Und gleichzeitig: Nein. Weihnachten in den Sommerferien? Das ist seltsam. Da helfen auch alle schlauen Gedanken nichts: Ich kann Corona nicht mehr brauchen, ich kann Weihnachten im Sommer nicht brauchen. Und ich wünsche mir dieses Jahr einfach ein Weihnachtsfest, an dem ich so viel Menschen um mich haben darf, wie ich will. Das wird dann wirklich ein wunderbares Fest! Und Gott ist mit Sicherheit mittendrin dabei…

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SWR4 Abendgedanken

07OKT2021
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Fünf Menschen stehen im Kreis, sie nehmen sich an den Händen, beugen die Köpfe und schließen die Augen. Sie stehen eng beieinander im Wohnzimmer. Der Vater ergreift das Wort. Er betet. Er dankt, für das Essen, für die Wohnung, für den neuen Job der Mutter, für die Erfolge der Kinder an der Schule. Und er bittet um Frieden in dem Viertel, in dem sie leben.

Mich hat diese Szene angerührt. Ich habe sie in einem Jugendbuch gelesen: „The hate you give“ von Angie Thomas. Das Buch erzählt die Geschichte eines afro-amerikanischen Mädchens in den USA: Sie hat es nicht leicht und erlebt in ihrem Wohnviertel viel Gewalt und Unterdrückung. Sie ist aber auch jung und sucht ihren Weg hinein ins Leben. Und in einem Moment der Unsicherheit betet die Familie miteinander. Das gibt ihnen Kraft. Sie finden Halt beieinander und bei Gott. Ich kann mir gut vorstellen, dass das gut tut.

Ich selbst kenne diese Art zu beten nicht. Wenn ich mir vorstelle, dass ich plötzlich in so einem Kreis stehe und laut und frei beten soll, dann weiß ich, dass mir das unangenehm wäre. Laut beten, ganz frei, mit anderen gemeinsam. Uh, das ist nicht meins. Ich schicke eher mal ein Stoßgebet oder einen kurzen Dank gen Himmel, mitten im Leben, so wie es eben passt. Ganz für mich. Mit anderen gemeinsam bete ich nur das Vaterunser und die Fürbitte in der Kirche.

Eine Bekannte hat mir mal erzählt, sie bete gar nicht. Nur manchmal, wenn ihr alles zu viel werde, dann schließe sie kurz die Augen und atme tief durch. Und dann gehe es ihr besser. Ist das ein Gebet?

Auf jeden Fall ist das spannend: Jede und jeder hat seine eigene Form zu Beten. Einer nimmt sich viel Zeit dafür, einer anderen reicht ein kurzer Gedankenblitz. Manche fühlen sich besonders durch die Gemeinschaft beim Gebet gestärkt, andere können das gar nicht haben und beten lieber für sich. Viele Worte, wenige Worte, gar keine Worte. Gebet kann so vieles sein.

Als ich von der betenden Familie gelesen habe, da habe ich kurz ein bisschen Neid gespürt. Es muss schön sein, so ein Ritual zu haben, das stärkt und Kraft gibt. Ich habe das nicht und es herbei zu zwingen, das funktioniert natürlich nicht. Das wäre nur Krampf, keine Kraftquelle.

Und trotzdem: Ich habe mir vorgenommen, ein wenig bewusster mit meinen Gebeten umzugehen. Und vielleicht mal etwas Neues auszuprobieren: Eine Taizé-Andacht zum Beispiel. Ich singe doch so gern. Mal sehen. Denn eins gehört sicher zum Beten dazu: Sich von Gott überraschen zu lassen. Zum Beten gehören ja irgendwie immer mindestens zwei…

Angie Thomas, The hate you give, cbj Kinder- und Jugendbuchverlag 2017

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SWR4 Abendgedanken

06OKT2021
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In unserer Kinderbibel ist ein Bild von Noah und seinem Schiff, der Arche. Gott die große Sintflut, und Noah ist kurz vorm Aufbruch, um sich und die Tiere vor dem Wasser zu retten. Die Tiere stehen in einer langen Schlage, warten auf Einlass durch das große Tor ins Schiff, um in der Arche Sicherheit zu finden. Dicke Regenwolken hängen am Horizont, erste Regentropfen fallen. Es ist nicht mehr viel Zeit. Das Tor muss bald geschlossen werden.

Und hinten, am Horizont, da steht ein Tyrannosaurus Rex. Irgendwie unschlüssig steht er da rum und starrt auf die Regenwolken. Tja, dumm gelaufen. Der kommt zu spät. Keine Rettung vor der Sintflut. Ausgestorben. Pech gehabt.

Mit meinen Kindern lache ich immer wieder über den dummen Tyrannosaurus aus der Kinderbibel. Aber natürlich ist die Darstellung Unsinn: Die Bibel erzählt nicht, dass manche Tiere nicht auf die Arche durften. Ganz im Gegenteil: In der Geschichte von Noah werden alle gerettet. Die Leute zur Zeit der Bibel wussten einfach nichts von Dinosauriern. Wie auch? Die waren längst ausgestorben, lange , bevor es überhaupt Menschen gab. Das haben viele Ausgrabungen bewiesen.

Trotzdem gibt es heute Menschen, die tatsächlich meinen, der Tyranosaurus und alle anderen Dinos hätten es nicht auf die Arche geschafft und seien deshalb ausgestorben. Sie nehmen die Erzählung der Bibel wörtlich und versuchen, dies mit irgendwelchen seltsamen wissenschaftlichen Hypothesen zu beweisen.

Ich finde, das ist Quatsch. Die Bibel ernst zu nehmen, bedeutet für mich nicht, sie Wort für Wort, Buchstabe für Buchstabe glauben zu müssen. Die Bibel ernst zu nehmen bedeutet für mich, den Erfahrungen nachzuspüren, die die Menschen damals mit Gott gemacht haben und von denen sie in den biblischen Geschichten berichten. Und es bedeutet für mich, dass ich dann überlege, was mir diese Gotteserfahrungen heute für mein Leben sagen können.

In der Geschichte von Noah und seiner Arche lande ich dann bei der Überzeugung, dass Gott diese Welt bewahren will. Gegen alle Widerstände. Menschen und Tiere sollen leben dürfen. Daran erinnert uns der Regenbogen.

Das ist tröstlich. Gerade heute. Und ich bin mir sicher, das ist es, was die Menschen damals weitergeben wollten. Irgendwelche kleinlichen Rechnereien über das Aussterbungsdatum der Dinosaurier, die lagen ihnen gewiss nicht am Herzen.

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SWR4 Abendgedanken

05OKT2021
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Jeder Anfang ist auch ein Abschied. Ist ihnen das auch schonmal aufgefallen?

Ich habe das dieses Jahr bei den vielen Einschulungen besonders bemerkt. Der erste Schultag ist aufregend: Schultüten mit bunten Einhörnern, Schulleiterinnen mit lustigen Handpuppen, Kinder an der Hand ihrer Eltern und natürlich auch Abschiedstränen an der Klassenzimmertür. Eine Freundin von mir ist Mutter eines stolzen Erstklässlers. Eine Bemerkung von ihr ist mir besonders aufgefallen: „Ich fand das emotional ganzschön anstrengend!“, hat sie, sichtlich erschöpft, erzählt. Ja, klar, da beginnt für das Kind etwas ganz Neues: Neue Freunde, neue Herausforderungen, neue Türen, die aufgehen, neue Perspektiven auf das Leben. Ein Neuanfang. Und der ist toll. Aber gleichzeitig gehen auch Türen zu: Freunde aus dem Kindergarten bleiben zurück. Die Zeit, in der das Kind rundum behütet ist, ist irgendwie vorbei. Der Neuanfang ist zugleich Abschied von vielem, das man liebgewonnen hat. Das schmerzt. Das macht Sorgen. Das ist anstrengend.

Und das ist ja nicht nur beim Schulanfang so. Der neue Job. Ein neuer Partner. Vielleicht sogar der neue Pullover, der einen alten ersetzt, an dem doch noch so viele Erinnerungen hängen. Anfangen heißt Abschied nehmen. Beides braucht Kraft.

Als Jesus gestorben war, trauerten seine Freundinnen und Freunde um ihn. Auch sie mussten Abschied nehmen: Von Jesus, der bei ihnen gelebt hat, ihr Freund war und ihnen eine neue Art zu leben gezeigt hat. Aber dann, nach einiger Zeit, verstanden die Jünger, was Jesus ihnen versprochen hatte, als er noch lebte: Es würde ein Abschied sein, aber auch ein Neuanfang. Jesus würde zwar nicht mehr leibhaftig mit ihnen zusammen sein, aber er würde ihnen einen Tröster schicken, den heiligen Geist, Gottes gute Kraft, die tröstet, die Mut macht, die uns begleitet und stärkt.

Und da wurde der Abschied zum Anfang. Wo Gottes guter Geist ist, bekommen wir neuen Mut, Kraft zum Weitermachen, kreative Ideen. Neue Anfänge werden möglich, voller Mut und Begeisterung. Das wünsche ich allen Schulanfängern und Schulanfängerinnen. Und natürlich ihnen auch: Bei jedem Abschied soll Gottes gute Kraft mit Ihnen sein. Gottes gute Kraft, die neue Anfänge ermöglicht.

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