SWR4 Abendgedanken

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07FEB2022
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“An enemy is a friend, waiting to be made.” Eine Postkarte mit diesem Satz stand lange auf meinem Schreibtisch. „Ein Feind ist jemand, der darauf wartet, als Freund gewonnen zu werden.“, so könnte man diesen Satz ungefähr übersetzen.

Er ist ein Zitat von Desmond Tutu, der letztes Jahr an Weihnachten verstorben ist. Desmond Tutu war für mich ein ganz Großer. Er war anglikanischer Erzbischof in Südafrika. Aber das war nur sein offizieller Titel. Für mich war er viel mehr:

Einmal habe ich ihn getroffen. Naja, sagen wir, wir haben uns im selben Raum aufgehalten. Gesprochen haben wir nicht miteinander. Aber allein durch seine Anwesenheit hat er mich umgehauen. Tutu war damals schon alt, gebeugt. Und dennoch: Er versprühte so eine Energie, so eine Kraft und Lebensfreude. Mit funkelnden, humorvollen Augen stand er da und strahlte in die Welt. Allein sein „Da-Sein“ hat mich überwältigt.

Tutu steht für mich dafür, dass Christen keine Ungerechtigkeit geschehen lassen dürfen, dass sie aufstehen und dagegen vorgehen müssen. Er hat es vorgemacht, immer tief verwurzelt in Jesu Spuren: Menschen dürfen nicht aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden. Wir sind alle gleich, alle Geschöpfe Gottes, alle gleich wertvoll, alle von Gott geliebt. Die Bibel war deshalb für Tutu ein zutiefst politisches Buch. Einmal soll er gesagt haben: „Wenn die Leute sagen, dass Bibel und Politik nicht zusammenpassen, dann frage ich sie, welche Bibel sie lesen.“ Recht hat er.

Dabei war Desmond Tutu aber immer ein Verfechter des Friedens. Er hat mit Worten gekämpft, nie mit Waffen. „Ein Feind ist jemand, der darauf wartet, als Freund gewonnen zu werden.“, hat er gesagt. Schwarze und Weiße waren in seinem Land lange Feinde gewesen. Er wollte Menschen zusammenbringen, Leid mindern, Trost stiften. Die Opfer der Rassentrennung zwischen Schwarz und Weiß durften vor seiner Wahrheits- und Versöhnungskommission ihre Leidesgeschichte erzählen. Die Täter mussten eingestehen, was sie Unmenschliches getan hatten. Das Ziel war nicht Vergeltung oder Strafe, sondern Versöhnung.

Desmond Tutu war für mich einer der ganz Großen: Menschenfreund, Mutmacher, Wortkämpfer, Witzereißer, Christ, Vorbild… Er wird mir fehlen.

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