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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

21MAI2021
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Meine Schulzeit liegt echt lange zurück. Aber wenn ich heute mit dem achtjährigen  Nachbarsjungen Hausaufgaben mache, dann fällt mir wieder ein, wie schlecht ich in Rechnen und später in Mathe war. Beta war die beste in Mathe. Wer bei ihr abschrieb, konnte sich drauf verlassen, keine Fehler zu haben.

Das war auch bei Klassenarbeiten so. Wenn wir die abgegeben hatten, fragten die „5er- Kandidaten“ Beta nach den Lösungen und es war klar: wenn ich zu anderen Ergebnissen gekommen bin, hab ich wieder eine 4 oder 5. Ich hab aber auch immer nur die Hälfte verstanden von dem, was unsere Lehrerin uns erklärte. Und manchmal nur Bahnhof. Und im Lauf der Zeit bekam ich richtig Angst vor dem Unterricht und vor der Lehrerin. Eine Serie von Misserfolgen.

Glücklicherweise nahmen meine Eltern es mir nicht übel; von denen war auch keiner ein Mathe-Ass gewesen.

Dann bekamen wir Herrn Jacoby. Der unterrichtete Mathe und Musik. Musik fand ich prima, auch wenn es manchmal peinlich war, sich zu ihm an den Flügel zu stellen und mit seiner Klavier-Begleitung der Klasse ein Lied vorzusingen.

Wenn er dann zum Matheunterricht kam, war ich positiv eingestellt. Und er erklärte die Themen so, dass ich alles verstanden habe. Dann kam die erste Arbeit, er gab sie korrigiert zurück und war entsetzt, wie schlecht wir alle in Mathe seien. Es gebe viele Fünfen und sogar ein paar Sechsen. Nur eine einzige Eins. Klar, Beta, das wussten wir sofort.  „Die 1 hat Mechthild Peters“ – ich bin fast umgefallen und habe den Satz heute noch in den Ohren. Und Beta war genauso fassungslos über ihre 2 Minus.

Ich habe damals gelernt: nichts ist für immer. Ich habe kein Abo auf die 5 in Mathe und auch sonst kann sich alles mal ändern. Aus einer mangelhaften Schülerin kann eine ausreichende werden und aus einer sehr guten eine gute. Aus einem Pechvogel kann ein Glückspilz werden und aus einer Glückssträhne eine Pechsträhne. Ich kenne auch Leute, die Angst haben vor zu viel Glück, weil sie sich nicht vorstellen können, dass das so bleibt. Sie warten dann quasi schon auf das Unglück. Aber auch wenn das kommt, ist es ja nicht für immer. Und ein guter Trick ist es, im Schlechten noch die kleinen Spuren des Guten zu entdecken. Ein Regentag, der mich nervt, ist gut für meinen Garten. Und dann bin ich solidarisch mit meinem Garten und freu mich einfach auch.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

20MAI2021
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Wenn meine Mutter früher ein frisches Brot anschnitt, machte sie immer mit dem Messer ein kleines Kreuz auf die Unterseite des Brotes. Möglicherweise dachte sie dabei an ihre Familie und dass das Brot allen gut bekommen sollte. Oder sie dankte, dass genug Brot für alle da war. Jedenfalls segnete sie das Brot und ich hatte nie einen Zweifel daran, dass Gottes Segen auf dem Brot ruhte.

Während des Theologie-Studiums habe ich mich natürlich auch mit dem Segnen befasst. Wir haben eine besondere Art des Segnens „erfunden“, den sogenannten „Münsteraner Taschensegen“. Wenn ich in Münster über den Markt schlenderte, segnete ich fröhlich und freigebig so vor mich hin: ich machte in der Jackentasche ganz unauffällig ein kleines Kreuz mit dem Daumen in der hohlen Hand und schwupps: waren Menschen gesegnet, die es vielleicht nicht merkten. Vielleicht haben sie aber doch etwas gespürt, so hoffte ich, weil ja letzten Endes Gott es ist, der segnet. Diese Gewohnheit habe ich später mitgenommen in mein Heimatbistum Trier. Ganz sicher haben in meinen ersten Berufsjahren in der Kinder- und Jugendarbeit viele junge Leute den Münsteraner Taschensegen empfangen und viele haben ihn weitergegeben. Das Spielerische dabei machte ihnen Freude. Wo jetzt so ernsthaft und kritisch darüber diskutiert wird, wer wen segnen darf und wen nicht, kommt mir das Leichte, Fröhliche dieses Münsteraner Taschensegens wieder in den Sinn.

Eine ganz alltägliche Art des Segnens ist der Gruß Tschüss – oder im schwäbischen Ade. Geht beides zurück auf das französische Adieu, was mit „ Gott befohlen“ übersetzt werden kann: Gott möge seine Hand über dir halten.

Und in der Woche vor Palmsonntag kam der Krankenhausgärtner zu mir und sagte: „Ich bringe Ihnen wieder einen Korb mit Palmzweigen, die stelle ich in die Kapelle. Dann können sich die Leute Palmzweige mitnehmen und sie zuhause ans Kreuz stecken. Das machen ja viele, auch wenn sie nicht dauernd in die Kirche rennen.“

Ich fand das prima, bat ihn aber, ob er die Zweige am Anfang der Woche bringen könnte, damit ich sie vom Pfarrer segnen lassen kann. Nee, sagte der Gärtner, ich segne sie selbst. Ich fand das in Ordnung. Dieser Mann bewegt sich hochachtungsvoll und kenntnisreich in der Natur, er erfreut sich an der Schöpfung Gottes. Das qualifiziert ihn ganz besonders, die Palmzweige zu segnen. Und ich bin zuversichtlich, dass es Gottes Segen ist, der auf diesen Zweigen liegt.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

24FEB2021
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Ich bin zu einer Corona-Patientin im Krankenhaus gerufen worden. Vor dem Zimmer steht ein Wagen, da liegt die komplette Montur drauf, mit der man sich vor einer Ansteckung schützen kann. Plastikkittel, Handschuhe in verschiedenen Größen, frische FFP 2-Masken, die Hauben für die Haare und das Schild, das man noch über die Brille zieht. Desinfektionstücher, um hinterher die eigene Brille zu säubern.

Ein paar Zimmer weiter ist grade eine Reinigungskraft dabei, sich umzuziehen. Sie hat mehr Routine darin als ich und gibt mir Tipps.

Als ich fertig ausstaffiert bin, gehe ich zur Patientin und unterhalte mich mit ihr. Die Patientin ist froh, jemanden zum Reden zu haben. Und ich bin später froh, als ich diese ganzen Sicherheitsklamotten wieder ausziehen kann. Die Kollegin vom Reinigungsdienst allerdings, das wird mir jetzt klar, hat die ganze Corona-Station zu putzen. Vor jedem Zimmer muss sie sich die komplette Schutzkleidung anziehen, dann ein Zimmer putzen und sich dann wieder ausziehen. Vor dem nächsten Zimmer das gleiche Spiel. Es ist auch wirklich heiß in so einem Plastikkittel, besonders, wenn man körperlich arbeiten muss.

Ich werde öfter mal gefragt, wie es mir geht, wenn ich Corona-Patienten besuche, ob ich Angst vor Ansteckung habe und wie es sich durch die Maske atmet.

Ob die Reinigungskräfte das auch gefragt werden?

Der Pflege wurde immerhin applaudiert für ihren wichtigen, (wie man heute sagt) systemrelevanten  Dienst. Ärzte genießen in der Regel  großen Respekt. Das ist auch richtig so. Aber die anderen Dienste: vor allem der Reinigungsdienst, die werden nicht so wahrgenommen. Dabei: was wäre ein Krankenhaus ohne Hygiene? Völlig aufgeschmissen.

Wie so oft im Leben gilt: „Denn die einen sind im Dunkeln und die andern sind im Licht, und man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.“ (so formulierte es Bertolt Brecht)*

Das ist einfach ungerecht. Alle sind wichtig, damit das Krankenhaus funktioniert.

Ich bin der Kollegin dankbar, dass sie hier für die Hygiene sorgt.  Und ich habe großen Respekt vor ihrer Arbeitsleistung – trotz Kittel, Haube, Handschuhen und FFP 2-Maske in jedem Zimmer freundlich nach dem Rechten zu sehen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

23FEB2021
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Ich habe einen kleinen Schmuckschrank mit drei Schubladen für meine Ohrringe. Was da nicht mehr reinpasst, kommt in die Nachttischschublade. Und dann gibt es noch das Reiseschmuckkästchen. Aber bevor jetzt jemand überlegt, wie man da klauen könnte: alles Modeschmuck. Für Ostern habe ich kleine Glaskugeln mit einem Häschen und bunten Eiern drin. Für Halloween einen Kürbis fürs eine Ohr und ein Gespenst für das andere. Weihnachten natürlich Weihnachtsmänner, aber ich habe auch Vögel (die meisten haben nur einen, ich habe zwei…)  und sogar eine Kuh, die vorn und hinten am Ohr befestigt wird.

Es macht mir Spaß, wenn Leute mich auf die Ohrringe ansprechen. Deshalb ziehe ich sie ja an: damit ich gesehen werde, wahrgenommen als eine einzigartige Person mit witzigen Ohrringen. So wie alle anderen ja auch einzigartig sind auf ihre Weise.

Schade: seit wir Masken tragen zum eigenen Schutz und dem der anderen, fallen die schönen Klunker nicht mehr so auf. Keiner sagt mehr: Sie haben ja einen Mann im Ohr, wenn ich die Berliner Ampelmännchen trage. Mist.

Ich erinnere mich an einen alten Spruch meiner Oma:

sei wie das Veilchen im Moose, bescheiden, sittsam und rein.

Nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert will sein.

Bin ich vielleicht zu eitel und Corona mit den Masken in der Öffentlichkeit lehrt mich, nicht so auf das Äußere zu schauen? Nein, es ist nicht nur mein Äußeres. Es macht mir einfach Freude, wenn Menschen mich auf meine Ohrringe ansprechen.

Ich möchte gesehen werden. Wir wollen alle gesehen werden. Wir wollen Ansehen haben. Dadurch kommen wir mit unseren Mitmenschen in Kontakt und spüren Verbindung – trotz Masken.  Das geht dem Autoschrauber so mit seinem alten Wagenvor der Garage. Das geht den jungen Leuten so, die auch an kalten Tagen nur kurze Söckchen tragen und ihre Fußknöchel frei lassen: so gewinnen sie Ansehen bei ihren Freunden.

Klar werde ich auch jetzt an-gesehen. Nur fallen die Ohrringe andern nicht so auf. Mir fallen sie auf: morgens, wenn ich genau prüfe, welche heute am besten passen und immer, wenn ich am Spiegel vorbei komme und merke: ich bin immer noch die einzigartige Person mit den witzigen Ohrringen. Das stimmt mich fröhlich.Und wenn wir irgendwann wieder keine Masken mehr tragen müssen, freuen sich auch wieder die anderen über die Ohrringe und ich lache, wenn dann jemand sagt: die Quietscheentchen gehören ins Wasser!

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

22FEB2021
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Die Lilien duften so stark, das erfüllt die ganze Kapelle. Sie gehören zu einem wunderschönen Blumenstrauß mit Rosen und Efeu und Blaubeerästchen, der jetzt auf dem Altar der Krankenhauskirche steht.

Ursprünglich hatte eine Patientin ihn bekommen. Die brauchte ihn auch. Als Zeichen der Anteilnahme und als Mutmacher. Eine junge Frau, braungebrannt, hübsch anzusehen, eine lebhafte, fröhliche Person. Bis sie die Diagnose bekommen hat.Dann wusste sie, dass sie das Ende dieses Jahres nicht mehr erleben wird. Im ersten Schock wollte sie mit niemandem darüber reden.  Erst recht nicht mit der Seelsorgerin.

Dabei war klar, dass sie außer ihrer Krankheit noch einige andere Baustellen hatte: ein pflegebedürftiger Vater und drei schulpflichtige Kinder brauchten ihre Unterstützung. Es war unendlich viel zu regeln, bevor sie sich voll ihren eigenen Schwierigkeiten widmen konnte.

Aber sprechen wollte sie nicht und auch sonst schien sie keinerlei Unterstützung für diese desolate Situation zu suchen.  Auch bei meinem zweiten Besuch wehrte sie ab: sie brauche keinen außer ihrer Familie und ihren Freunden.  Am Tag ihrer Entlassung ging ich nochmal kurz bei ihr vorbei. Ich wollte ihr viel Glück wünschen für den Weg, den sie zu gehen hatte.                  

Da stand dann der tolle Blumenstrauß. Er erfüllte das Krankenzimmer mit seinem Duft  und ich regte an, dass sie den doch mit nach Hause nehmen solle. Auch wenn der Aberglaube sagt, dass man Blumen aus dem Krankenhaus nicht mit nach Hause nimmt. Jetzt verblüffte sie mich. Die Patientin, die niemanden zum Reden braucht, die nicht das Gebet sucht und nie in die Kapelle gegangen ist, weil sie der Kirche so kritisch gegenüber steht. Die sagt jetzt  „meine Blumen bleiben auf jeden Fall hier. Und Sie sind doch die Seelsorgerin. Nehmen Sie sie mit in die Kapelle.“

Wir hatten kein Wort über Gott gesprochen. Aber sicher war er in diesem Moment nicht weit weg.

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21NOV2020
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Ich bin 74 – ach nein, ich bin 73, werde erst nächste Woche 74. Eigentlich noch zu jung. Sagt der Patient – ich finde das auch. Leider ist er schwer krank, bekommt viel zu wenig Luft und „man weiß ja, wo das hingeht“. Ja. Hoffentlich dauert es noch eine Weile. Er hat zwar schon alles geregelt, was Finanzen angeht und Erbe und dass er keine lebensverlängernden Maßnahmen mehr will.

Aber da ist noch der Sohn aus seiner ersten Ehe. In Kiel. War 16, als die Eltern sich scheiden ließen, kein Kind mehr, auch nicht erwachsen. Stellte sich ohne jeden Zweifel auf die Seite der Mutter, wollte mit seinem Vater nichts zu tun haben. Vater böse, Mutter gut, so schwarz-weiß war seine Welt. Sehr seltene, unerfreuliche Kontakte. Jetzt seit zwei Jahren Funkstille.

„Das ist mir zu dramatisch, dem jetzt zu schreiben: Vater ist todkrank, lass uns reden“.

Stimmt, das ist auch zu dramatisch. Trotzdem sollte die Kontaktaufnahme bald sein. Dann könnte er dem Sohn schreiben: ich bin ernsthaft erkrankt. Ich möchte gern nochmal mit dir reden. Kannst du in die Eifel kommen? Der Sohn wird das schon richtig verstehen und kann überlegen, was er tun will.

Die zweite Frau ist dagegen. Der bekommt ja dann vom Gericht die Mitteilung, wenn sein Vater tot ist, das reicht, findet sie. Sie ist nicht neutral, weil sie weiß, wie es ihren Mann gequält hat, den Sohn nicht zu sehen.

Herr Meyer fühlt noch Liebe zu dem Sohn. Er will nicht, dass dieser dann, wenn alles zu spät ist, denkt: „hätte ich doch, wäre ich doch, wenn doch bloß alles anders gelaufen wäre“.

Ich glaube, der Vater wird noch die Kraft aufbringen, diese alte Geschichte, soweit es möglich ist, zu klären. Er wird sich die Vorwürfe des Sohnes anhören. Vielleicht kann er ihm auch seine Sicht auf die Trennung vermitteln. Vielleicht gibt es noch gute Worte zwischen Vater und Sohn.

Ich drücke beiden die Daumen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

20NOV2020
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Diese kleinen Abenteurer regen mich echt auf. Drei kleine Jungs zwischen 4 und vielleicht 7 fahren bei uns im Dorf mit ihren Kinderfahrrädern rum, waghalsig schnell schießen sie die Seitenstraßen runter und machen dann an der Ecke zur Hauptstraße eine Vollbremsung. Die Hauptstraße ist unter anderem die Verbindung zum Nürburgring. Da fahren lauter Menschen mit dem zweiten Vornamen Michael (wie Michael Schumacher) oder Lewis (wie Lewis Hamilton). 

50 ist erlaubt, ich möchte nicht wissen, wie viel zu schnell die meisten da vorbei zischen. Aber natürlich fahren auch viele von uns im Dorf recht fix, wenn es dann auf der Hauptstraße freie Sicht gibt. Ehrlich gesagt ich auch manchmal. Dass am Bushäuschen Kinder spielen könnten, daran denkt niemand. Und dass von rechts ein Kinderrad kommt und nicht rechtzeitig bremsen kann...

Letzten Sonntag legten die kleinen Verrückten noch eins drauf: sie stellten sich auf den Bürgersteig am Ortseingang und winkten den Autos und den Motorrädern zu. Der Älteste sprang zwischendurch heldenhaft auf die Straße, machte den Hampelmann und wollte offenbar den Jüngeren imponieren. Er war auch fix genug, um von der Straße wegzuspringen, wenn ein Auto nahte. Aber der 4jährige? Wenn der es dem Großen nachmacht? Und fällt?

Das will ich mir gar nicht ausmalen. Ich gehe also zu den Dreien hin und frage sie, ob sie das nicht etwas gefährlich finden. Sie dachten, ich wollte sie beschimpfen, da waren sie erst mal auf Krawall gebürstet. Aber als ich sie ernsthaft darauf aufmerksam machte, wie schnell die Autos sind und wie klein man als Kind gegenüber diesen großen Geschossen, da kam der Jüngste mit einer fast philosophischen Bemerkung raus:

Autos kann man neu kaufen. Kinder nicht.

Natürlich werden die Jungs weiter Quatsch machen. Und die Eltern können ja nicht überall hin mitgehen, obwohl ich mir von denen auch etwas mehr Kontrolle wünsche.

Aber wir Autofahrer, wir können uns die Erkenntnis des 4jährigen zu Herzen nehmen: Autos kann man neu kaufen. Kinder nicht.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

19NOV2020
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Vor ein paar Jahren bin ich mal tief in ein Fettnäpfchen getreten. Ich hatte im Radio gesprochen…so wie jetzt grade auch, und ein Mann hat sich furchtbar darüber aufgeregt. Er fühlte sich persönlich angegriffen von etwas, was ich gesagt hatte – obwohl ich ihn ja nicht mal kannte.  Wie das heute so möglich ist, hat er mir 20 Minuten, nachdem er mich im Radio gehört hatte, eine böse Antwort geschickt. Ich fand das schrecklich. Ich kann nicht gut damit leben, wenn mich jemand nicht leiden kann wegen etwas, wofür ich eigentlich nichts kann. Ich lebe gern im Frieden mit meinen Mitmenschen. Ich habe ihm freundlich zurückgeschrieben und gesagt, dass es mir leidtue, ihn so verärgert zu haben. Nützte nichts. Er blockte mich ab und blieb unwirsch.

Es gab in den letzten Jahren dann immer mal wieder Gelegenheiten, in einen etwas freundlicheren Kontakt zu kommen. Er hat einen Auftritt in den sozialen Netzwerken und ich habe immer mal „gefällt mir“ gedrückt, wenn er etwas gepostet hatte. Aber so sozial sind die Netzwerke dann auch wieder nicht, man kann da nicht Frieden schließen.

Dann hatte ich eine Idee.

Ich brauchte für ein bestimmtes Projekt Hilfe und da war er der richtige Mann. Was würde passieren, wenn ich ihn um Hilfe bitten würde? Würde er mich hochkant rauswerfen? Mich höhnisch abblitzen lassen? Egal, ein bisschen Risiko ist immer.

Ich schrieb ihn also vorsichtig an und er gab mir einen Termin, wo wir uns treffen konnten.

Als wäre nie was gewesen: wir unterhielten uns über mein Projekt, er war bereit, mir zu helfen, dann erzählte er mir allerlei aus seiner Lebensgeschichte. Jetzt konnte ich auch seinen Ärger von damals besser verstehen. Es war eben der letzte Tropfen gewesen, der sein Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Da hatte ich den gesammelten Ärger überbekommen. Als ich das so ausgesprochen hatte, nickte er.

Er entschuldigte sich nicht, das liegt ja auch Jahre zurück, aber wir spürten beide: es ist wieder gut, es gibt keine unbehagliche Stimmung, wir mussten uns auch nicht feierlich die Hand drauf geben (was ja wegen Corona sowieso nicht geht). Es ist einfach vorbei.

Offenbar war die Idee gut, ihn um Hilfe zu bitten und so wieder Frieden zu schließen.Für uns war das eine zweite Chance.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

12SEP2020
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Mein rechter, rechter Platz ist leer – ein Spiel aus Kindertagen. In einem Restaurant in meiner Nähe wird dieses Spiel ernst. Meine Nichte Nathalie geht da gerne essen und lässt sich natürlich von ihrer Tante einladen.

Bevor wir uns in die Köstlichkeiten der Vorspeisen und Hauptgerichte vertiefen konnten, lesen wir auf der ersten Seite der Speisekarte: „Wir servieren Zivilcourage. Zum Wohl unserer Gäste sagen wir NEIN zu Faschismus, Rassismus, Sexismus, Homophobie und Nationalismus“.

Klare Ansage gegen Rechts, nach dem Motto: mein rechter, rechter Platz bleibt leer.

Ich fragte die Inhaber, wie sie auf die Idee gekommen sind, hier in der Eifel Zivilcourage zu servieren und so klar politisch Stellung zu beziehen. Sie hatten es in Berlin gesehen und sich darüber ausgetauscht. Zudem hatten sie auch selbst Erfahrungen mit Rassismus gemacht. Einer ihrer Mitarbeiter ist kein Deutscher – nichts besonderes in der Gastronomie. Als einmal ein paar Leute im Restaurant feiern wollten und die Reservierung vornahmen, war dieser Mitarbeiter am Telefon. Später wurde noch mal bei Chef und Chefin nachgefragt, ob das auch richtig notiert worden sei. Alltagsrassismus.

Bei einer anderen Tisch-Gruppe ging es im Gespräch darum, dass eine Flüchtlingsfamilie nach 6 Kindern jetzt schon wieder ein neues Kind erwartete und wie unverschämt man das finde: hier in Deutschland aufgenommen zu werden und dann dauernd Kinder zu bekommen. Ich nehme an, dass diese Leute die erste Seite der Speisekarte überblättert hatten.

Eine Gruppe Neonazis könnte wahrscheinlich in diesem Restaurant keine Forelle blau bekommen. Hingegen könnte ein schwules Paar seine Hochzeit feiern. Und dass Chef und Chefin ihre weiblichen Angestellten schützen, wenn Gäste sich schlecht benehmen, finde ich gut.

Ich glaube, dass es richtig ist, Farbe zu bekennen. Grade im Alltag und da, wo ich die Möglichkeit dazu habe. Menschenverachtende Einstellungen zurückweisen.

Dann bleibt der Platz rechts besser leer.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

10SEP2020
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Ich hatte mal ein blaues Schaf im Garten - aus Kunstharz. Diese sogenannten „Blauschafe“ wollen Denkanstöße geben. Sie weisen darauf hin, dass die Menschen alle gleich sind. Daher auch nicht irgendein blau, sondern die blaue Farbe der EU als Zeichen für die Gleichheit aller Menschen. Die Blau-Schafe werben für Toleranz und ein friedliches Miteinander. Wenn sie als Herde aufgebaut sind vor Regierungsgebäuden oder auf großen Plätzen, dann merkt man das nicht sofort, aber sie sind tatsächlich alle gleich. Sehr symbolisch.

Aber die Schafe sehen auch einfach so toll aus und in meinem Garten hatte blue, so hieß sie, einen schönen Platz. Dann war sie auf einmal weg. Unser richtiger Schäfer hatte mich noch angerufen, weil irgendein Scherzkeks blue in seinen Stall zu den echten Schafen gestellt hatte. Danach verlor sich ihre Spur. Mist!

Nach einiger Zeit kaufte ich mir ein neues Schaf; ich wollte nicht auf den fröhlichen Anblick verzichten. Das ging ziemlich genau zwei Jahre gut….auch die zweite blue wurde gestohlen. Ich war traurig und wütend und fassungslos.

Wer macht so was?

Und was mache ich jetzt?

Jeder kennt den Garten mit dem blauen Schaf. Viele kleine Kinder haben schon drauf gesessen und sind von ihren Eltern fotografiert worden. Es leuchtet im Schnee und es blitzt im Spätsommer zwischen den Blumen und Gräsern durch.

Und jetzt: Der Garten ist kein sicherer Ort mehr. Soll ich mir ein neues Schaf kaufen und es ins Haus stellen? Soll ich es im Garten einbetonieren? Alle Leichtigkeit und Freiheit geht verloren, wenn ich mir so was ausmale. Das Schaf gehört in den Garten. Es soll beweglich sein. Aber dann kann es gestohlen werden und das ist ja auch schon zweimal passiert.

Ich bin eigentlich ein sorgloser Mensch, ich vertraue dem Leben und den Mitmenschen. Ich will nicht immer alles verstecken und abschließen. Muss ich jetzt durch Schaden klug werden? Muss ich mich ändern, weil es Fieslinge gibt, die stehlen? Muss ich meinen offenen Lebensstil aufgeben und mich einbunkern?

Zu meiner großen Freude ging die Geschichte gut aus: die Polizei fand blue und brachte sie mir zurück. Um 22.00 Uhr am Abend meines Geburtstages. Und blue steht wieder da, wo sie hingehört: in meinem Garten.

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