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Anstöße sonn- und feiertags

10JAN2021
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Immer wenn Martin Luther von Glaubenszweifeln geplagt wurde, soll er auf seinen Tisch geschrieben haben: „Ich bin getauft“. Es scheint ihm geholfen zu haben, sich daran zu erinnern und es schwarz auf weiß vor sich zu haben.

Heute wird in den christlichen Kirchen an die Taufe Jesu im Jordan erinnert. Die Bibel berichtet: Wie mit einem Paukenschlag kommtdie Stimme Gottes aus den Wolken: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen“.

Das ist die Zusage, die über dem Leben Jesu steht. Und ich meine, nicht nur über seinem.

Ich glaube, dass diese Zusage Gottes über jedem Menschenleben steht.

„Du bist mein geliebter Sohn – Du bist meine geliebte Tochter.“

Wozu braucht es dann überhaupt noch die Taufe?

In ihr wird Gottes Ja zum Menschen sichtbar gemacht. Sie ist ein Sakrament, ein heiliges Zeichen. Der Theologe Emil Brunner hat dafür ein schönes Bild. Er sagt: Zu Taufen ist, wie wenn man ein Blatt Papier mit einem Wasserzeichen ins Licht hält. In dem Moment, in dem das Licht durch das Papier scheint, wird das Wasserzeichen sichtbar.

Gottes Ja zu uns Menschen entsteht nicht erst bei der Taufe. Es ist jedem Menschen eingeprägt, wie das Wasserzeichen dem Papier.

Die Frage bleibt allerdings: Kann ich das glauben. Kann ich das Geschenk annehmen, dass Gott ja zu mir sagt? Und bin ich bereit, dieses Wasserzeichen durch mein Leben sichtbar zu machen. Also: Von innen zu leuchten, so dass andere es sehen und spüren und glauben? Denn mich mit Wasser taufen zu lassen reicht nicht.  

Es braucht neben dem Wasser und der Zusage Gottes auch mein „Ja“.

Ja, ich glaube und ich vertraue fest darauf, dass ich Gottes geliebte Tochter bin.

Und ich bleibe das für immer. Bei allem, was gerade ungewiss ist, daran will ich mich festmachen.

Auch wenn mich Zweifel plagen – nicht zuletzt die an mir selbst.

Ich bin getauft. Das kann mir keiner nehmen. Was für ein Geschenk.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

29AUG2020
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“ Löwenmut vor Königsthronen“ das war die Devise einer Freundin, der Theologin Gabriele Miller. Sie ist vor 10 Jahren gestorben und heute hätte sie Geburtstag. Ihre unerschrockene Haltung Autoritäten gegenüber, hab‘ ich bewundert.

Darin war sie den biblischen Prophetinnen und Propheten ähnlich, die auch unverblümt gesagt haben, was Sache ist und Unrecht benannt haben – auch an oberster Stelle.

Dazu gehört Mut und Rückgrat. Beides hatte Gabriele Miller. Sie war eine der ersten Frauen, die in Tübingen katholische Theologie studiert haben. Nicht ganz selbstverständlich in den 50er Jahren. Besonders die biblischen Geschichten hatten es ihr angetan. Sie gegen den Strich zu bürsten und zu schauen, was sie heute zu sagen haben. Und mit ihrem Gott zu ringen, war eine ihrer großen Leidenschaften. Damit hat sie später ihre Studentinnen und Studenten angesteckt -  so auch mich. Dafür bin ich ihr dankbar und für so manche gelebte Unterrichtseinheit in „Löwenmut vor Königsthronen“.

Aber was meint denn dieser „Löwenmut vor Königsthronen“ – zumal in einer Zeit in der es zumindest bei uns keinen König mehr gibt… und es auch nicht um das laute Gebrüll eines Raubtiers geht.

Mich ermutigt dieser Satz dazu, beherzt zu sein, und nicht duckmäuserisch. Den Mund aufzumachen, wo jemand unfair behandelt oder gemobbt wird.  Und das nicht nur hinter vorgehaltener Hand mit Kollegen zu besprechen, sondern auch dem Chef gegenüber klar zu äußern.

Löwenmut vor Königsthronen bedeutet für mich auch, aufrecht um Hilfe bitten zu können. Zu sagen, wo es was braucht, und sei es Geld für ein Projekt, damit sich etwas zum Guten wendet. Zu spüren, dass ich mich dadurch nicht klein mache, sondern einer größeren Sache diene.

Löwenmut heißt für mich auch, mutig den aufrechten Gang zu gehen und dabei jedem Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, respektvoll und ehrlich.

Für mich als Frau in der katholischen Kirche heißt das, gleichzeitig widerständig und loyal zu sein. Und das auch zu bleiben. Loyal dem gegenüber, was ich meine von der Botschaft Jesu verstanden zu haben und widerständig, überall da wo ich meine, dass sein Auftrag verletzt wird.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

27AUG2020
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„Hülle und Fülle“ das ist der Titel einer Ausstellung. Ich hab sie in Schwäbisch Gmünd besucht, in einem Hospiz, das dort gerade eingerichtet wird.  Die Künstlerin Astrid Eichin hat aus unterschiedlichsten Materialien lauter Mäntel gestaltet. Mäntel in Anlehnung an den Gedanken der Hospizidee und der Palliativ- Medizin, die beide lindern wollen, schützen, umhüllen wie ein Mantel - und gleichzeitig so viel Leben wie möglich vor dem Sterben ermöglichen.

Einen dieser Mäntel sehe ich immer wieder vor mir: Er ist aus hellem, groben Bauernleinen gewoben. In der Mitte dieses Mantels ist ein Herz aus Blattgold aufgedruckt. Herz wie Mantel sind in der Mitte längs geteilt. Goldene Schnüre verbinden die beiden Hälften und gehen über sie hinaus.

Die zwei Hälften sind getrennt und doch bleiben sie verbunden.

So wie Menschen, die gestorben sind gehen, und doch immer etwas von Ihnen bleibt. Sie hinterlassen unauslöschliche Spuren. Nicht nur eine Hülle sondern auch die Fülle eines ganzen Lebens.  Dafür stehen auch die Fingerabdrücke, die die Künstlerin auf beiden Hälften aufgebracht hat.

„Herzensgut“ hat sie diesen Mantel genannt. Das hat mich zunächst irritiert. Denn mit dem Eigenschaftswort „herzensgut“ verbinde ich erstmal Charakterzüge eines Menschen wie fürsorglich, gütig, großzügig. …

Irritiert hat mich dann, dass Astrid Eichin dieses Wort „Herzensgut“ großgeschrieben hat. Und das bestimmt nicht zufällig. Denn so hat es noch eine weitere, sogar doppelte Bedeutung: und zwar als das Gut des Herzens, das was darin geborgen ist wie ein Schatz für immer. Und das Gute, das aus dem Herzen kommt. Das, was auch nicht genommen werden kann. Weder dem, der stirbt, noch dem der zurückbleibt. Eben die Fülle eines gemeinsamen Lebens.

So wie die goldenen Schnüre auf dem Mantel die Verbindung auf der Herzensebene abbilden, so bleiben Menschen über den Tod hinaus miteinander verbunden.

Für mich hat dieser Mantel etwas sehr Tröstliches. Besonders wenn ich an eine kürzlich verstorbene Tante denke, die heute Geburtstag hätte, mit der ich eng verbunden war und bin. Sie war das, was ich mit herzensgut verbinde. Eine, die buchstäblich ihr letztes Hemd verschenkt hätte. Ein Mensch, bei dem es mir warm ums Herz wird, der fehlt und bleibt. Als Herzensgut…

*www.astrid-j-eichin.de

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

26AUG2020
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Ende Juli bin ich mit einer Freundin an Kocher und Jagst entlang geradelt. Es war herrlich. Gut warm. Sommer satt. Etwas früh für diese Zeit im Jahr sind wir an vielen bereits abgemähten Getreidefeldern vorbeigekommen. Das drückt bei mir immer etwas auf die Stimmung. Diese kahlen Stoppelfelder zeigen eindeutig, dass die längste Zeit Sommer war. Das macht mich wehmütig. Zum einen, weil ich den Sommer liebe und ihn ungern gehen sehe. Zum anderen weil ich mich frage, wie viele Sommer ich wohl noch erleben darf?

Bei allem was mich dabei wehmütig stimmt, bin ich dankbar für einen Gedanken von Viktor Frankl, dem Wiener Arzt und Psychotherapeut. Bei ihm habe ich gelesen: „Manche Menschen sehen nur das Stoppelfeld der Vergänglichkeit und nicht die vollen Scheunen der Vergangenheit.“  

Da hat er wohl recht!  Höchste Zeit für einen Blickwechsel. Wo abgeerntete Stoppelfelder sind, da gibt es auch eine Ernte. Die vollen Scheunen der Vergangenheit sehen, das heißt, mir bewusstwerden, dass ich eine Art Schatzkammer habe, in dem mein ganzes Leben geborgen ist. In der die Schätze lagern, all das, was von mir gelebt wurde. Wenn ich darauf schaue, erkenne ich, was mein Leben bislang ausgemacht hat. Womit es gefüllt ist. Wieviel wunderbaren Menschen ich begegnet bin, was ich Schönes erlebt habe, wieviel Schweres ich auch durchgestanden habe. Nichts, von dem was ich erlebt habe geht verloren. Ich kann es bergen, schützen und immer wieder herholen. Das macht mich sehr dankbar.

Und es lässt mich zuversichtlicher auf die abgemähten Stoppelfelder schauen. Was konkret für mein Leben heißt: Ich schaue dieses Jahr auf 30 Berufsjahre zurück. In diesen drei Jahrzehnten habe ich manches beackert, einiges geerntet, so manche Brache ausgehalten und auch Unkraut gejätet. Jetzt liegen - so ich gesund bleibe noch 10 Berufsjahre vor mir. Auch eine Art Acker, der jedes Jahr neu bestellt werden will. Darauf freue ich mich. Und ich will gern weiter pflügen, ackern und vor allem aussäen, was in mir steckt und mir geschenkt ist.

Was daraus wird, liegt nicht nur in meiner Hand – Gott sei Dank.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

25AUG2020
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„Ich bin, wo Du bist“ – so schlicht hat der Religionsphilosoph Martin Buber den Namen Gottes aus dem Hebräischen übersetzt. Ich bin, wo Du bist…dieser Satz beschäftigt mich. Kann ich das glauben, dass Gott immer bei mir, mit mir, in mir ist? Ob es ihn überhaupt gibt, ob da wirklich einer ist, der uns in seinen Händen hält?

Diese Fragen treiben mich um, seit ich denken kann. Und eine endgültige Antwort habe ich nicht. Eine Ahnung, dass da etwas, dass da Einer ist, der mein Denken übersteigt – das schon.

Darin bestärkt mich unter anderem, eine Tagebuchnotiz von Friedolin Stier. Dieser Fridolin Stier war ein waschechter Allgäuer und gleichzeitig ein bodenständig kluger Theologe. In seinem Tagebuch gibt es eine Notiz über den Bauer Diem. Der auf dem Sterbebett liegt und sagt:

„Woisch Du, wenn ich dran denk, Sommerfrühe, Sense auf dem Buckel, Moschtkrug in der Hand, hinaus, Sonne, glitzernder Tau im Gras, singende Vögel, Himmel und Wald… do hätt i denn oft grad juchzga kenna…und do han i gmerkt, dass do no ebbes ischt.“ *

… meint übersetzt ins Hochdeutsche so viel wie: da hätte ich gerade jauchzen können vor Freude und da habe ich gespürt, dass da noch etwas ist.

Dieser Ambros Diem drückt in wenigen und schlichten Sätzen aus, was mir sehr vertraut ist…. Sein Glaubensbekenntnis könnte auch das meine sein.

Genau das fühle ich, wenn hier bei uns im Allgäu Fön ist, klare Sicht herrscht und die Berge majestätisch aus der Ferne in die Nähe rücken und zum Greifen nah erscheinen. Da spüre ich deutlich, dass es da etwas Größeres geben muss, etwas, das mein Denken übersteigt. Zum Greifen nah in dem Moment und doch nicht zu fassen. Schon immer da, zuverlässig, scheinbar durch nichts zu erschüttern.

Das gibt mir Halt und macht mich innerlich ruhig. Manchmal sind diese Berge mir so was wie Spuren Gottes in der Welt, die mir sagen. Schau, ich bin doch da und ich bleib da, ganz gleich was passiert, ich bin dir mal näher mal ferner…aber fest steht: Ich bin da… ich bin, wo Du bist.

*Fridolin Stier, Vielleicht ist irgendwo Tag

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

24AUG2020
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„Das Leben festhalten – mit offenen Armen“ – das klingt total widersprüchlich. Und geht doch gar nicht, hab ich gedacht als ich diesen Satz gelesen habe. Was kann damit gemeint sein:

„Das Leben festhalten – mit offenen Armen“? Ich kann doch nichts festhalten und gleichzeitig die Arme ausbreiten. Eine verrückte Aufforderung – aber je mehr ich darüber nachdenke, desto besser gefällt sie mir. Durch den Widerspruch wird das Ganze sehr lebendig und provozierend. Es steckt Bewegung drin.

Zum einen soll ich das Leben festhalten. Das bedeutet nicht, mich ängstlich dran klammern, aber eben auch nicht es fahrenlassen- oder loslassen ... In dem Satz steht: das Leben festhalten.  Und wenn ich das „Fest-halten“ auseinandernehme, dann steht da es fest halten…es gut halten.

Das bedeutet für mich, ich nehme es zu mir heran, mach es zu meinem, weiß was mir wichtig ist. Mein Leben zerrinnt mir nicht zwischen den Fingern. Ist nicht beliebig, sondern kostbar.

Gleichzeitig kommt „mit den offenen Armen“ eine Haltung zum Ausdruck.

Eine Haltung die bereit ist, dieses Leben in Empfang zu nehmen. Es mir immer wieder neu schenken zu lassen. Mich auf das einzulassen, was Gott mit mir vorhat. Neugierig zu bleiben. Das, was auf mich zukommt, willkommen heißen. Vielleicht nicht immer freudig, aber offen für Neues.

Wenn ich mein Leben gut zu mir herannehme, dann spür ich vielleicht auch, wann es Zeit ist etwas loszulassen. Weil es nicht mehr so wichtig ist oder nicht mehr zu mir passt. Einfach nicht mehr das Meine ist.

Ein gutes Beispiel ist für mich dabei, die Erfahrung älter zu werden. Nicht mehr zwanzig zu sein auch nicht mehr dreißig, sondern Mitte fünfzig. Ich spüre seit einiger Zeit sehr deutlich, dass ich nicht mehr ganz so flink bin und weitaus weniger mutig wenn es um sportliche Aktionen geht. Auch meine Spannkraft lässt nach.  Das hat mich anfangs schon nachdenklich gemacht, mich auch verunsichert. Mittlerweile kann ich dieser ruhigeren Gangart durchaus etwas abgewinnen. Und ich brauche diese Momente immer mehr, in denen ich bewusst innehalte und einfach nichts tue. Zeiten in denen ich mein Leben – das, was für mich wesentlich ist, oder Leben überhaupt ausmacht - gut zu mir herannehme, es festhalte. Um dann auch wieder die Arme weit ausbreiten zu können, für das, was da noch kommen mag.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

25APR2020
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Von Albert Camus stammt der Satz: „Mitten im Winter habe ich erfahren, dass es in mir einen unbesiegbaren Sommer gibt“.

Camus nehme ich diesen Satz ab. Denn er hat am eigenen Leib erfahren, was „Winter“ heißt. Im übertragenen Sinn. Als er noch ein Baby ist, stirbt sein Vater im ersten Weltkrieg. Die Mutter verstummt, er wächst in ärmlichen Verhältnissen unter Analphabeten in Algier auf...später erkrankt er zweimal schwer an TB, kämpft gegen die Krankheit und wird geheilt. Er hat viel Elend gesehen und erlebt - auch im Zweiten Weltkrieg und während der Algerienkriege. Und doch lässt er sich nicht unterkriegen. Er engagiert sich im Widerstand. Und er bleibt auch widerständig in seinem Denken. Obwohl er so viel Schweres und Trauriges erlebt hat, ist er nicht bitter. Wird er nicht müde an das Gute im Menschen und das Schöne im Leben zu glauben. Und darüber zu schreiben. Sein fast trotziges „Quand-meme“ / „Trotzdem“ hat mir schon während meiner Schulzeit imponiert. Albert Camus besteht darauf: Allen Unkenrufen zum Trotz kann der Mensch gut sein, kann er sich entscheiden, ob er menschlich bleibt oder zum Raubtier wird.  

Der Mensch kann immer wieder neu anfangen, er muss nicht aufgeben, selbst wenn es absurd erscheint, wie die buchstäbliche Sisyphusarbeit.

„Mitten im Winter habe ich erfahren, dass es in mir einen unbesiegbaren Sommer gibt.“  Der Sommer steht für das, was bunt und schön, warm und lebendig ist. Und der unbesiegbare Sommer? Ja, da ist etwas in uns Menschen, -   auch in mir von dieser Widerstandskraft-  ein unbändiger Wille zu überleben, zu leben. Die Psychologen nennen das Resilienz, eine Fähigkeit die mir hilft, Krisen durchzustehen und daran zu glauben, dass es immer weiter geht und manches was ich mir heute noch gar nicht vorstellen kann, sich zum Guten wendet.

Dabei hilft mir oft ohne Worte die Natur. Und ermutigt mich heute ein Gedicht, das ein lieber Freund mir geschickt hat.

Es heißt passenderweise Zeitansage:

wir gehen in den Frühling

mag kommen was da will

schon der kleinste ginster

in seinem blütengold

              und würde er

              nur von dir gesehen

leuchtet über die dunkelzeit

einsamer tage voll sorge

wie es weiter gehen kann

 

hinter dem zaun auf der wiese

fängt mit bunten flecken

der sommer an ohne rücksicht

auf das versammlungsverbot

denn trotz kalter morgenluft

tobt die frühe revolution

das vielstimmige konzert

erwachter vögel

 

(wilhelm bruners 3/20)

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

23APR2020
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Archimedes, ein bedeutender Mathematiker der griechischen Antike wollte beweisen, dass es möglich ist, die Welt von einem einzigen Punkt aus, aus ihren Angeln zu heben.

Keine gute Idee, finde ich. Zumal nicht in Zeiten, wo vieles aus den Fugen zu geraten scheint.

Da braucht es eher was, was Stabilität verleiht, Ruhe und Besonnenheit hereinbringt.

Erich Kästner hat dazu kurz nach dem Krieg eine Schrift verfasst, in der er in Anlehnung an Archimedes vier archimedische Punkte beschreibt, die in uns Menschen grundgelegt sind. Angelpunkte - eigentlich sind es so was wie Fähigkeiten/Ressourcen, mit deren Hilfe es gelingen könnte, die Welt wieder etwas in ihre Angeln zurück zu heben. Ein hohes Ziel, nicht einfach, aber bedenkenswert, was er da schreibt. Deshalb möchte ich seine Gedanken heute Morgen mit Ihnen teilen:

Punkt eins: „Jeder Mensch höre auf sein Gewissen.“ Das ist im Moment besonders wichtig. Wir sind sehr mit der Krise beschäftigt. Und vergessen dabei leicht, dass es ständig darauf ankommt, dass wir das Richtige tun. Wo kaufe ich ein? Wie viel an Vorrat lege ich an? Besuche ich meine betagte Mutter oder lasse ich es lieber bleiben?

Punkt zwei: „Jeder Mensch suche sich Vorbilder. Das ist möglich, denn es existieren welche.“ Mir gefällt wie Kästner dazu klarstellt, dass so ein Vorbild auch „Onkel Fritz aus Braunschweig“ sein kann und kein berühmter Mensch oder Heiliger sein muss. Vielmehr einer oder eine, die im Augenblick das rechte sagt oder tut. So wie es gerade viele prächtige Menschen gibt, die kreativ und solidarisch sind. Ich denke an all die Einkaufsinitiativen, Mundschutznäherinnen Leute, die Mut machen, sich Ihnen anzuschließen oder selbst kreativ zu werden.

Punkt drei: „Jeder Mensch gedenke immer seiner Kindheit.“ Kinder wissen ganz genau und instinktiv, was echt oder falsch - gut oder böse ist.

Und zu guter Letzt – Punkt vier:

„Jeder Mensch erwerbe sich Humor.  Der Humor rückt den Augenblick an die richtige Stelle.“ Und das braucht es gerade besonders. Dass ich Dinge ernst, aber nicht nur bierernst nehme. Vielleicht hilft der Humor mir auch ein wenig demütig zu werden, mich nicht für den Nabel der Welt zu halten. Darüber zu schmunzeln, wie  lustig wir mit kreativ gebastelten Masken in allen Farben und Formen aussehen. Wie wichtig das gerade jetzt ist: auch einmal lauthals zu lachen, wo etwas einfach lustig ist.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

22APR2020
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„Seid jederzeit bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach dem Grund der Hoffnung fragt, die euch erfüllt.“ (1 Petr 3,15)

Dieser Apell aus dem ersten Petrusbrief der Bibel begleitet mich seit meiner Studienzeit in Tübingen.

Einer unserer Professoren hat uns diesen Satz wie ein Mantra ans Herz gelegt. Darum ginge es in der Theologie und in der Verkündigung: Rede und Antwort zu stehen, jedem der danach fragt, was denn der Grund für die Hoffnung sei.

In den letzten Wochen frage ich mich selber immer wieder, was der Grund meiner Hoffnung ist, die mich erfüllt. Bei allem, was mich zweifeln lässt und unsicher macht oder ängstlich sein lässt?

Ich bin zeitweise wie gelähmt. Schlafe schlecht und wache mitten in der Nacht auf, weil ich mich sorge, wie das alles weitergehen soll mit diesem unsichtbaren Gespenst Coronavirus.

Was mich tröstet und mir Grund zur Hoffnung gibt ist, dass so viele Menschen unermüdlich in den Kliniken Kranke pflegen, Virologen redlich forschen und die Politiker in unserem Land um verantwortungsvolle Entscheidungen ringen. Und, dass ich glauben kann, dass Gott mit uns durch diesen Tunnel geht. Ich vertraue darauf, dass dieser Gott ein Gott mit uns ist, einer, dem ich seine Zusage abnehme: „Ich bin bei Euch alle Tage bis ans Ende dieser Welt“.

 (Mt 28). Woher dieses tiefe Vertrauen kommt, kann ich nicht so genau sagen. Es ist einfach tief in mir drin. Mich bestärken Personen wie Mose, Hagar oder Jesus. Die Bibel ist voll von solchen Personen, die diese Nähe Gottes erfahren haben. Ganz oft dann, wenn sie nicht mehr weiterwussten und ihr Leben bedroht war.

So wie im Moment unser Leben durch Corona. Das Virus bedroht die Gesundheit und hat weltweit bereits tausenden von Menschen das Leben gekostet.

Es macht mich traurig und wütend, wenn diese Pandemie als Strafe Gottes gedeutet wird. An einen Gott, der das nötig hat, kann ich nicht glauben. Da mag ich lieber aushalten, dass ich die Frage nach dem Leid, und warum das alles passieren muss, nicht beantworten kann. Und Gott dort suchen: im Leid der vielen Unschuldigen.

Das ist nicht leicht. Aber für mich die einzige Möglichkeit mit all den Fragen nach dem Leid fertigzuwerden und gleichzeitig darauf zu vertrauen, dass Gott da ist und mir auch in schweren Zeiten zusagt: Fürchte dich nicht … ich bin bei Dir.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

21APR2020
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Eine Freundin hat mir ein Foto geschickt. Darauf liegen ihre drei erwachsenen Kinder samt Vater einträchtig auf dem Boden, und versuchen ein Puzzle zusammenzusetzen.

Nett, habe ich gedacht. Doch interessant war, dass das Puzzlefieber nicht nur dort ausgebrochen ist, sondern auch bei anderen (befreundeten) Familien.

Was ist das für ein Phänomen, dass viele in Zeiten der Coronakrise ausgerechnet zu diesem Spiel greifen?

 Sonst liegt das doch eher im Schrank oder auf dem Speicher?

Für mich hat es etwas mit dem Wunsch zu tun, aus vielen Einzelteilen etwas zusammenzubringen, ein Bild entstehen zu lassen, eine Ordnung herzustellen. Gerade jetzt, wo wir täglich mit vielen Informationen geflutet werden, und nicht absehbar ist, wie genau es wann wo weitergeht.

Mir hilft es, die kleinen Teile zu sortieren und zusammenzufügen. Mir ein Bild zu machen. Das gilt fürs ganze Leben genauso wie für ein Puzzle. Aber wo anfangen?

Manchmal ist es hilfreich zunächst die Randstücke zu suchen, um einen äußeren Rahmen zu stecken. Und dabei das, was gerade nicht dran ist, auf die Seite zu legen. Je nach Bild hilft es auch, Farben und Formen zu sortieren. Ein Stück Himmel oder ein Stück Erde zu basteln und zu schauen, wo sich eines ins andere fügt. Das braucht Geduld und einen langen Atem, ähnlich dem, was wir gerade erleben. Es geht darum Stück für Stück, Tag für Tag zu schauen, was möglich ist. Abzuwägen was stimmt, was sind Fakten, was sind Fakes. Was ist realistisch, was entspricht einfach nicht der Wahrheit.

Ich erinnere mich noch gut daran, wie gern ich früher gepuzzelt habe. Was für ein gutes Gefühl es war, wenn ich Teile gefunden habe, die zueinander gepasst haben. Wieviel Geduld es oft gebraucht hat, bis sich alles ineinandergefügt hat. Und ich erinnere mich auch daran, wie frustrierend es war, wenn ein Teil gefehlt hat oder gar mehrere wie vom Erdboden verschluckt waren und ich sie nicht mehr gefunden habe. Dann gab es Lücken – es blieben leere Stellen. Das Bild ist nicht fertig geworden. Trotzdem habe ich gewusst, wie es aussehen muss. Das beruhigt mich auch in diesen Tagen. Es muss jetzt nicht alles so sein wie immer. Mein Leben muss überhaupt nicht vollkommen sein. Wenn ich nur im Blick behalte, wie die Teile zusammengehören.

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