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SWR2 Wort zum Tag

Karl Rahner würde heute 107 Jahre alt. Eigentlich eine etwas zu krumme Zahl, um an ihn zu denken. Aber mir ist dieser Geburtstag Anlass genug, mich mit dem wichtigsten Theologen des 20. Jahrhunderts zu beschäftigen. Sein Bruder Hugo hat ihm einmal angeboten, seine Werke ins „Deutsche" zu übersetzen. So schwer sind seine Schriften manchmal zu verstehen. Doch hinter diesen Schriften steht ein klarer Denker. Einer, der vieles in der Theologie neu durchdacht und die Veränderungen in der Kirche durch das Zweite Vatikanische Konzil mitgestaltet hat. Gleichzeitig wird dieser klare Denker als sehr bescheiden beschrieben. Und immer wieder kann man erkennen, dass Rahner mit beiden Beinen auf der Erde stand und ein Gespür für die Fragen der Zeit hatte. Einer derjenigen, die Rahner mit dem Auto gefahren haben, weil der selbst keinen Führerschein besaß, erzählt: Rahner hatte manchmal Lust, von München aus ins Kloster Andechs zu fahren. Dort angekommen, sagte er dann: „Wir müssen jetzt zuerst beten". Nach dem Beten meinte Rahner: „Und jetzt müssen wir Bier trinken." Das ist katholisch, in dieser Reihenfolge, Leib und Seele, beides muss berücksichtigt werden."
Für Rahner ist das Gebet selbstverständlich. Im Alltag, immer wieder und möglichst oft. Doch auch Rahner weiß, wie sehr Geist und Herz von anderen Dingen eingenommen sind. Und früher übliche Formen wie das Kreuzzeichen vor dem Brotanschneiden oder ein Gruß beim Vorbeigehen an einer Kirche wurden schon zu seiner Zeit allmählich vergessen.
Deswegen predigt Rahner, dass Beten eine Sache ist, „die geübt und erprobt sein will." Man kann lernen, zu beten und sich zu sammeln. Man kann lernen, frei mit Gott zu reden über das Leben und über die Nöte. Man kann selbst über den Widerwillen zu beten mit Gott sprechen. Rahner schlägt vor, Zeiten, in denen man nichts tun kann - beim Anstehen oder Warten - für das Gebet zu nutzen. Er schlägt auch vor, „sich durch die Ärgerlichkeiten und durch die kleinen Freuden des Tages an Gott erinnern zu lassen."
Für Rahner kommt es letztlich nicht darauf an, über Gott oder über das Gebet zu reden. Es kommt darauf an, selber zu Gott zu reden, egal wie leise, arm oder schüchtern. Die Worte müssen nur von Herzen kommen. Er sagt: „Dann wird Gott keines dieser Worte vergessen. (...) Und dann wird Er uns geduldig, ja selig weiter zuhören, ein ganzes Leben lang, bis wir ausgeredet haben, bis wir unser ganzes Leben ausgeredet haben. Und dann - wird er ein einziges Wort der Liebe sagen, aber er ist dieses Wort selbst. Und dann wird der Schlag unseres Herzens stehen bleiben über diesem Wort. In Ewigkeit. - Sollen wir nicht beten?"

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SWR2 Wort zum Tag

Heute feiern die christlichen Kirchen den Weltgebetstag. Auf der ganzen Welt versammeln sich Frauen aus allen Konfessionen und beten und singen nach derselben Gottesdienstordnung. In diesem Jahr wurde der Tag von Frauen aus Chile vorbereitet unter dem Motto: „Wie viele Brote habt ihr?" Der Titel klingt etwas ungewöhnlich, weil er so mitten aus dem Zusammenhang einer Bibelstelle herausgerissen ist. Sie steht im Markusevangelium: Jesus spricht an einem abgelegenen Ort zu Tausenden von Zuhörern. Am Abend meinen seine Jünger, er solle die Menschen wegschicken, damit sie sich in der Umgebung etwas zu essen kaufen können. Doch Jesus ist anderer Auffassung: Die Jünger sollen den Menschen zu essen geben. Man glaubt, die Entrüstung in ihrer Antwort zu hören: „Sollen wir weggehen, (...) Brot kaufen und es ihnen geben, damit sie zu essen haben?" Und jetzt fragt Jesus: „Wie viele Brote habt ihr?" Die Jünger kommen dann mit fünf Broten und zwei Fischen. Jesus lässt die Menschen in Gruppen zusammensitzen, bricht das Brot und lässt die Jünger verteilen. Alle Menschen werden satt und es bleiben noch 12 Körbe mit Brot übrig.
Ich frage mich bei dieser Geschichte immer, ob das Wunder tatsächlich darin besteht, dass Jesus auf geheimnisvolle Weise Brot herbeizaubert. Die meisten Zuhörer Jesu dürften eher arm gewesen sein. An dem Tag, an dem sie bei Jesus waren, konnten sie zudem nicht arbeiten. Und jetzt bringt Jesus seine Jünger dazu, die paar Brote, die sie haben, für eine solche Menschenmenge bereit zu stellen. Ich stelle mir vor, dass dann alle noch mal in ihre Taschen gegriffen und etwas beigesteuert haben. Jesus bewirkt das Wunder, dass die Menschen miteinander teilen und darauf vertrauen, dass es schon für alle reichen wird, dass Gott ausreichend gibt.
Wenn Frauen aus Chile mit einer solchen Bibelstelle den Weltgebetstag gestalten, dann drängt sich mir die Situation unserer Welt auf, in der über 900 Millionen Menschen hungern, obwohl eigentlich auch genug für alle da sein müsste. Da könnte man das Motto des Weltgebetstages gut gegen uns richten: „Und wie viele Brote habt Ihr?" Doch den chilenischen Frauen geht es um die ganze Geschichte. Und um Erfahrungen, die sie nach dem Erdbeben im Februar 2010 gemacht haben. Eine Theologin schreibt: „Die Frage, die die (...) Frauen angesichts dieser Situation stellen, lautet: Wie viele Brote hast DU? Was kannst du teilen? Zeit, Geld, Talente, Arbeitskraft, die Gabe zuzuhören und Tränen zu trocknen (...)? Niemand kann sagen, er habe nichts zum Teilen. Niemand ist so arm, dass er nichts mehr geben kann, und niemand ist so reich, dass er nichts mehr annehmen kann." Und dann zitiert sie einen Gedanken, der mir in dem Zusammenhang einleuchtet: „Teilen, bis es wehtut". Die über 5000 Menschen bei Jesus werden nur satt, weil keiner etwas für sich behält und auch das Risiko eingeht, selber nicht ganz satt zu werden. Vielleicht ist es an der Zeit, mal nachzuschauen: Wie viel habe ich, das ich teilen kann?

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SWR2 Wort zum Tag

Heute ist Welternährungstag. Die Vereinten Nationen wollen mit diesem Tag darauf aufmerksam machen, dass weltweit 1 Milliarde Menschen hungern. In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts hat man verstärkt angefangen, sich über den Hunger in der Welt und die ungleiche Verteilung der Lebensmittel Gedanken zu machen. In der Mennonitischen Kirche in den USA wurde in diesem Zusammenhang ein Kochbuch veröffentlicht. Die Autorin hatte vorher in kirchlichen Kreisen dazu aufgerufen, Vorschläge für einen sparsameren Lebensstil einzusenden. Wider Erwarten sprechen die Antworten jedoch gar nicht zuallererst davon, dass man sich einschränken und seine Ansprüche zurückschrauben müsse. Im Experiment, die Mahlzeiten zu vereinfachen, scheinen die Einsender vielmehr den Wert der Nahrung neu entdeckt zu haben.
Unter dem deutschen Titel „Weniger ist mehr" lädt die Autorin dazu ein, wieder ein wenig wie die Großmütter zu kochen, nur eben kleinere Portionen, da die Arbeit nicht mehr so viel Kraft fordert. Sie lädt aber auch dazu ein, sich für das Kochen und vor allem das Essen mehr Zeit zu nehmen. In den neunziger Jahren ist von der gleichen Organisation ein zweites Kochbuch erschienen. Es wirft einen Blick auf die Esskulturen und Rezepte in aller Welt. Im Original hieß es deshalb: „Macht den Tisch weit". Da wird beispielsweise aus Uganda berichtet, wo man im Gehen oder Stehen nicht essen, nicht mal trinken darf.  Zum Essen muss man sich hinsetzen und sich Zeit nehmen, man darf nicht schlingen und muss das Essen immer mit anderen teilen.
Eine andere Geschichte in dem Kochbuch schildert die Erinnerung einer Frau, die mit ihren Kindern in einer Familie in Botswana zu Gast war. Sie hatte geglaubt, dass sie und ihre Kinder keine Lebensmittel verschwenden. Am letzten Abend wurde ihnen Huhn serviert, die Gastgeberin hatte eine ihrer kostbaren Legehennen geopfert. Die amerikanische Familie hat die Knochen gut abgenagt und damit nach eigenem Verständnis bewiesen, dass sie das Essen genossen hatten. Beim Spülen jedoch entdeckte die Frau auf dem Küchenboden die Knochen wieder, nun waren sie ganz weiß und es war keine einzige Fleischfaser, weder Haut noch Knorpel noch Saft daran. Und zwei der Kinder der Gastgeberin saßen noch vor der Tür und saugten glücklich an einem der Knochen. Für sie waren selbst diese Knochen noch ein Festschmaus.
Ehrlich gesagt, ich habe schon Schwierigkeiten mit dem normalen Abnagen von Knochen, und Innereien mag ich auch nicht besonders gerne. Aber das Kochbuch lässt mich noch mal darüber nachdenken, wie ich eigentlich mit Essen umgehe. Wie viel Wert messe ich den Lebensmitteln zu? Wie viel Kaffee schütte ich weg? Bestehen meine Schlachttiere nur aus Filetstücken? Esse ich jeden Tag Fleisch? Ich glaube, es würde uns gut tun, unseren Tisch weit zu machen. Einerseits könnten wir dann unseren Reichtum teilen, andererseits würden wir für unsere Ernährung einen anderen, vielleicht auch gesünderen Blick bekommen.

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SWR2 Wort zum Tag

Etwas merkwürdig ist die Geschichte des heutigen Heiligengedenktages schon. Die heilige Teresa von Avila ist am 4. Oktober 1582 gestorben, so dass dieser Tag normalerweise auch ihr Gedenktag wäre. Aber der Tag ist durch den heiligen Franziskus schon prominent besetzt, weshalb man auf den Tag nach ihrem Todestag auswich, den 15. Oktober. Sie haben richtig gehört, vom 4. auf den 15.: Im Jahr 1582 fehlten wegen der Gregorianischen Kalenderreform die Tage dazwischen.
Aber dieser ver-rückte Gedenktag passt ganz gut zu der heiligen Teresa. Denn sie hat auch nicht so recht in ihre Zeit gepasst. Sie flieht vor der Ehe ins Kloster, weil sie nicht als Ehefrau unterdrückt werden will. Im Kloster kämpft sie lange um den richtigen Weg für sich und auch mit Gott ringt sie. Eines ihrer Bücher muss sie zweimal schreiben, weil sie in der ersten Fassung gegen die Unterdrückung der Frau protestiert und die Kirche kritisiert. Trotzdem ist Teresa zu einer wichtigen Heiligen geworden, sie gründet viele Klöster - zunächst für Frauen, später auch für Männer, und sie schreibt Bücher, weil sie möglichst viele Leute an ihrem Weg teilhaben lassen will. Papst Paul VI. hat ihr 1970 den Ehrentitel „Kirchenlehrerin" verliehen.
Für Teresa ist Gott vor allem der Mensch Jesus, zu ihm pflegt sie eine innige Freundschaft. Beten ist für sie „Verweilen bei einem Freund, mit dem wir oft allein zusammen sind, weil wir wissen, dass er uns liebt." In einem ihrer Lieder zeigt sie sich sogar etwas draufgängerisch: „ Deine ganze Liebe will ich, mein Gott; meiner Seele sollst Du gehören, ein weiches Nest will ich bauen, dort, wo es am schönsten ist." Diese Worte an Gott kommen innig daher, und dulden andererseits kaum Widerspruch. Teresa will Gott aber nicht klein machen. Sie sieht ihn als einen Freund an und mit dem kann man Klartext reden, wenn man Wünsche äußert oder seine Liebe bekunden möchte. Und wenn Gott einen festen Platz in meiner Seele hat - wie Teresa es mit dem weichen Nest beschreibt -, wenn ich nicht ohne Gott leben will, dann schützt mich das vielleicht davor, alles selber machen zu wollen. Teresa wusste, wie befreiend es sein kann, nicht für alles verantwortlich zu sein, manches einfach Gott zu überlassen. In ihrem Beten ist aber auch noch eine tiefere Erfahrung zu erkennen. Teresa hat in ihrer eigenen Gebetsgeschichte gelernt, dass man keine Vorbedingungen erfüllen muss, wenn man zu Gott kommen will. Ich muss nicht schon einen gewissen Standard erfüllen, auf eine bestimmte Weise und so und so oft beten, um von Gott geliebt zu werden. Wenn ich Jesus als meinen Freund betrachte und mit ihm als meinem Freund das Gespräch suche, dann ist schon eine Grundlage da. In diesem Wissen kann Teresa voll Vertrauen sagen: „Nichts soll dich ängstigen, nichts dich erschrecken. Alles geht vorüber. Gott allein bleibt derselbe. Alles erreicht der Geduldige, und wer Gott hat, der hat alles. Gott allein genügt."
Johannes Varelmann aus Wertheim von der katholischen Kirche.

 

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SWR2 Wort zum Tag

Manchmal schildert uns die Bibel schon interessante Gestalten. Gott schickt seinen Propheten Samuel zu einem Mann namens Isai nach Betlehem, sein Sohn soll der neue König Israels werden. Sieben Söhne befinden sich im Haus des Isai. Der Reihe nach werden sie dem Samuel vorgestellt, einer stattlicher als der andere. Schon beim ersten glaubt Samuel, den neuen König vor sich zu haben, so beeindruckt ist er von dessen Gestalt. Aber Gott lässt ihn wissen: „Sieh nicht auf sein Aussehen. (...) Gott sieht nicht auf das, worauf der Mensch sieht. Der Mensch sieht, was vor den Augen ist, Gott aber sieht das Herz." Und: „ Du sollst mir (...) den salben, den ich dir nennen werde." Doch bei keinem der Söhne meldet sich Gott. Und so fragt Samuel den Isai, ob das all seine Söhne sind. Es stellt sich heraus, dass David, der jüngste, noch fehlt, weil er die Schafe hütet. Dass der berühmte Samuel ausgerechnet ihn sehen will, das hätte keiner gedacht. Zwar ist David schön, aber eigentlich zu jung, noch grün hinter den Ohren und gerade mal aus dem Gröbsten raus. Doch Gott fordert Samuel auf: „Salbe ihn, denn er ist es!"
David ist später ein guter König, auf jeden Fall erfolgreich. Nur er verhält sich anders als ich es von einem guten König erwarte. Als er die schöne Batseba beim Baden entdeckt, lässt er sie zu sich kommen, schläft mit ihr, obwohl sie verheiratet ist. Und es passiert: Batseba wird schwanger. Jetzt muss David sich etwas einfallen lassen. Doch leider nutzt Batsebas Mann, ein Soldat  in Davids Heer, seinen Heimaturlaub nicht so, wie David sich das vorgestellt hat. Nicht mal betrunken legt er sich zu seiner Frau. Da sieht David nur den Ausweg, diesen Soldaten in die vorderste Schlachtreihe zu stellen, wo er dann tatsächlich fällt. David nimmt Batseba zur Frau und sie bekommt einen Sohn. Doch Gott konfrontiert David mit seiner Tat. Der sieht zwar seine Fehler ein und zeigt Reue. Dennoch muss das neugeborene Kind sterben.
Obwohl David sich als unzulänglich erweist und sogar Verbrechen begeht, bleibt er der von Gott auserwählte König. Das stört mich zwar ein wenig, weil ich mir einen König gerne etwas perfekter vorstelle. Doch gleichzeitig gefällt mir an seiner Lebensgeschichte, dass Gott einen auswählt, der nicht perfekt ist. Die wichtigste Voraussetzung, Gottes Welt mitzugestalten, ist nicht, reich oder berühmt, schön, stark oder mächtig zu sein. Es kommt auf das Herz an. Und doch schützt ein gutes Herz nicht vor Fehlern. Wir Menschen sind nicht perfekt. Mein Kopf weiß das auch, doch der Rest von mir braucht manchmal so jemanden wie David. Seine Taten sind überhaupt nicht gutzuheißen, aber Gott nimmt seine Reue an und hält weiter an ihm fest. Wir Menschen können uns vielleicht in David wieder erkennen. Ein Beispiel sollten wir uns aber lieber an Gott nehmen und barmherziger mit Fehlern umgehen, mit unseren eigenen wie mit denen der anderen.

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SWR2 Wort zum Tag

Emma ist acht. Wenn ihr Zimmer so richtig unordentlich oder der Bär ihrer kleinen Schwester mal wieder verschwunden ist, dann sagt sie meistens: „Das war der Heilige Geist!" Ich weiß nicht, woher sie diese Ausrede hat, aber ich vermute mal, der Heilige Geist ist für sie so etwas wie ein unberechenbares, aber sehr nützliches Gespenst.
Und was ist dieser ominöse Heilige Geist für mich? Schwer zu greifen jedenfalls. Meistens lasse ich ihn deshalb gerne beiseite und rede stattdessen von Gott als Vater oder von Jesus. Doch theologisch gesehen, werde ich den beiden kaum begegnen können, ohne es mit dem Heiligen Geist zu tun zu bekommen. Der Geist ist es, der mir im Gebet eine Begegnung mit Gott ermöglicht, der Gott aus der Bibel und aus Predigten zu mir sprechen lässt, der eine Begegnung mit Jesus bewirkt in Eucharistie und Abendmahl, in einer Gemeinschaft von Glaubenden. Das klingt vielleicht etwas nach theologischen Feststellungen, aber wenn ich mir das biblische Wort für den Heiligen Geist vornehme, dann ist das plötzlich ganz nahe liegend. Das hebräische Wort ruach ist im Original nicht nur weiblich, es bedeutet auch zuallererst Atem, Hauch, Wind. Der Atem Gottes versorgt uns mit dem, was wir für unser geistliches Leben, für die Spiritualität brauchen: Kontakt zu Gott, Wegweisung für mein Leben, eine Gemeinschaft, die mir Halt gibt und mich stärkt, Trost und Zuversicht in schweren Zeiten.
Dieser Atem Gottes ist nicht festzuhalten, er kommt und geht. Und meistens wird es wie bei unserem eigenen Atem sein: wir merken nicht mal, dass er kommt und geht. Das tröstet mich, wenn ich mal wieder denke, ich müsste eigentlich viel begeisterter von meinem Glauben sein oder viel frommer. Die Begeisterung muss mir nicht unbedingt auf der Stirn stehen, es reicht, wenn der Geist mein Leben durchzieht. Oder wenn ich das Gefühl habe, dass ich mal wieder ganz weit von Gott weg bin, dann kann ich mir sagen, vielleicht spüre ich ihn nur gerade nicht, weil er so selbstverständlich da ist. Vielleicht wird er später wieder greifbarer für mich da sein.
Der Geist als Atem Gottes - diesen Blick habe ich neu entdeckt, und er lässt mich hoffen, für mich selber, und auch für die Gemeinden, die ich erlebe und für die Kirchen. Wenn wir uns mal geistlos fühlen, dann muss das in Wirklichkeit gar nicht so sein, auf jeden Fall muss es nicht so bleiben. Ich jedenfalls will darauf achten, dass die Wege für die geistliche Frischluftzufuhr offen sind und durch nichts verstellt werden. Und dann wünsche ich mir, dass wir mal so richtig durchgepustet werden vom Atem Gottes.

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SWR2 Wort zum Tag

Wenn ich mir vorstelle, wir Christen hätten das Alte Testament nicht, dann würde mir sehr viel fehlen: Neben abenteuerlichen Geschichten und manchen ärgerlichen Bibelstellen vor allem die Psalmen. Solche Gebete wie Psalm 31, da heißt es: „Wende dein Ohr mir zu, erlöse mich bald! Sei mir ein schützender Fels, eine feste Burg, die mich rettet.“ Und weiter: „Du wirst mich befreien aus dem Netz, das sie mir heimlich legten; denn du bist meine Zuflucht. In deine Hände lege ich voll Vertrauen meinen Geist; du hast mich erlöst, Herr, du treuer Gott.“
In Psalmen wird gebetet, gesungen, gelobt und gepriesen, gedankt und geklagt. In Psalmen wird gerungen – mit Menschen, aber auch mit Gott. Sie beinhalten Erfahrungen von Menschen, die schon lange tot sind – in deren Sorgen und Ängsten, Hoffnungen und Sehnsüchten ich mich aber heute noch wieder finden kann.
Manchmal stört mich die Sprache der Psalmen: Da soll Gott die Feinde zermalmen, in den Krieg gegen andere Völker ziehen und sie vernichten – das stößt mir ganz schön auf. Aber andererseits: Was weiß ich schon von den Gefühlen unterdrückter Menschen, die sich nicht anders zu helfen wissen, als ihre Ohnmacht im Gebet vor Gott zu bringen – mit zugegeben recht drastischen Worten. Und „kämpfe“ ich nicht auch gegen „Feinde“ – gegen Ängste, die mich quälen; gegen Ohnmachtsgefühle, weil ich manche Dinge einfach nicht ändern kann? Ich wünsche mir manchmal, Gott möge diese „Feinde“ zermalmen und vernichten.
Da gibt es Psalmen, die klagen Gott an, die erinnern ihn daran, dass er ein Gott ist, der den Menschen nahe sein will. Und Menschen wenden sich mit ihrer Klage an Gott und erwarten Hilfe und Rettung. Dabei gehen sie nicht gerade zimperlich mit Gott um. Sie fordern ihn heraus, sich gefälligst wieder an seine Verheißungen zu erinnern.
Und doch: Viele der sogenannten Klagepsalmen enden mit dem Lob Gottes. Klage und Not wenden sich, der Mensch findet durch die Not hindurch wieder zu Gott, seinem Felsen.
Die Theologin Dorothee Sölle hat mal über die Psalmen gesagt: Die Psalmen sind „eins der wichtigsten Lebensmittel. Ich esse sie, ich trinke sie, ich kaue auf ihnen herum, manchmal spucke ich sie aus, und manchmal wiederhole ich mir einen mitten in der Nacht. ... Haltet euch nicht lange bei dem auf, was ihr komisch oder unverständlich oder bösartig findet, wiederholt euch die Verse, aus denen Kraft kommt. ... Findet euren eigenen Psalm. Das ist eine Lebensaufgabe. ... Psalmen sind Gebetsformulare, du sollst sie ausfüllen. ... Du sollst deinen Namen eintragen und deinen Schmerz, deine Ängste ... und alles, was du liebst.“

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SWR2 Wort zum Tag

Die Kirchen denken heute an den heiligen Josef, den Vater oder Pflegevater Jesu. Wie bei anderen frühen Heiligen in der Kirchengeschichte, wissen wir auch von Josef aus Nazaret herzlich wenig, nur dass er Zimmermann war. Und bei der Verehrung, die seine Frau Maria in der Kirche erfährt, gerät er schnell in den Hintergrund.
In der Bibel gibt es beides: Da spricht Jesus von Gott als Vater. Andererseits wird für Jesus ein Stammbaum angeführt, der von König David bis hin zu Josef, seinem Vater geht. Und die Leute nennen Jesus auch oft den Sohn des Zimmermanns. Für mich ist Josef neben Maria ein Garant für die Menschlichkeit Jesu.
Da Jesus erst mit ungefähr dreißig Jahren öffentlich aufgetreten ist und seine Botschaft verkündet hat, nehme ich mal an, dass er nicht immer schon wusste, welchen Weg er zu gehen hat. Ich stelle mir vor, dass er als ganz gewöhnliches Kind in Galiläa aufgewachsen ist und als junger Mann einen Beruf, vielleicht den seines Vaters, gelernt und auch eine Weile darin gearbeitet hat. Dann hat er offensichtlich erkannt, dass er einen anderen Weg gehen muss und hat den Menschen von Gottes Liebe erzählt. Wie genau das alles passiert ist, das fände ich sehr spannend, aber das weiß ich leider nicht. Die späteren Texte der Bibel wie das Johannesevangelium schildern Jesus als jemanden, der immer schon alles weiß. Die Autoren haben sich das bei der göttlichen Abstammung Jesu wohl nicht anders vorstellen können. In anderen Texten allerdings erlebt man Jesus als Menschen, der seinen Weg finden muss. Da ist immer wieder die Rede davon, dass er in die Stille oder in die Wüste geht. Am Ende betet er sogar darum, dass der Kelch an ihm vorübergeht, dass er nicht leiden muss. Der Jesus, der mir da geschildert wird, das ist für mich ein wirklich Mensch gewordener Gott. In ihm kann ich mich wieder erkennen.
Und an dieser Stelle kommt für mich wieder Josef ins Spiel. Gemeinsam mit Maria und der ganzen Familie war er für Jesus ein Rückhalt, hier hat Jesus gelernt zu lieben. An Josef wird er erfahren haben, wie ein guter Vater ist. Und alles andere, was Menschen so lernen, bekommt Jesus auch aus seiner Familie mit.
Und für noch etwas möchte ich Josef gerne verantwortlich machen: dafür dass Jesus in seine jüdische Religion hineingewachsen ist, dass er die heiligen Schriften seines Volkes kennengelernt hat, auf ihnen aufbauen konnte. Jesus hat seinen Glauben als befreiend und stärkend erlebt, nur so konnte er Gott später als liebenden Vater verkünden Josef hat daran sicher seinen Anteil gehabt, und dafür bin ich ihm dankbar.

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SWR2 Wort zum Tag

Manchmal findet man schon merkwürdige Stellen in der Bibel, eine zum Beispiel im Markus-Evangelium. Da wird erzählt, dass Jesus viele Menschen geheilt hat, und dann ist folgendes zu lesen: Jesus geht in ein Haus und es kommen so viele Menschen zusammen, dass seine Jünger nicht mal zum Essen kommen. Die Angehörigen Jesu hören davon und wollen ihn mit Gewalt zurückholen. Sie sind der Meinung: „Er ist von Sinnen!“ Was Jesus da macht, kann sich seine Familie anscheinend nicht anders erklären. Der spinnt doch! Der ist verrückt geworden!
Das kann ich mir heute auch vorstellen. Dass einer einen Weg geht, den sich seine Umgebung nicht erklären kann; der so anders ist als gewohnt. Und wenn dann noch der eigene Ruf gefährdet ist, dann ist es vielleicht verständlich, dass der Verrückte um jeden Preis zurückgeholt werden soll. Fast alle Jugendlichen und junge Erwachsene machen Erfahrungen, die so ähnlich sind. Sie müssen ihre eigenen Wege finden, die Familie verlassen und „in ein anderes Haus gehen“, ihr eigenes Lebenshaus aufbauen. Und nicht alles, was sie machen, wird von der Familie verstanden werden.
Ich freue mich immer, wenn ich entdecke, dass Jesus ganz normale menschliche Probleme hatte! Er hat nicht von Gottes Liebe gepredigt und Menschen geheilt und alles war dann in bester Ordnung. Nein, im Gegenteil. Nicht mal seine Jünger haben immer verstanden, was Jesus ihnen erzählt hat. Seine Angehörigen sind ernsthaft besorgt. Viele sind sicher zuallererst zu Jesus gekommen, weil sie von ihm geheilt werden wollten, nicht weil seine Botschaft sie interessierte. Und doch hat er offensichtlich nicht aufgegeben: Er hat zwar viele Menschen geheilt, aber manchmal anders als erwartet. Er hat sich von seiner Familie abgenabelt und später diejenigen als seine Familie bezeichnet, die den Willen Gottes erfüllen. Und seinen Jüngern hat er immer wieder erklärt, worum es ihm geht.
Dass Jesus so menschlich daher kommt und seinen Weg geht, gibt mir das Gefühl, dass er in seinem Leben gar nicht so weit weg ist von mir. Der verrückte Jesus macht mir Mut, tatsächlich meinen Weg als Christ zu gehen, dabei auch hier und da anzuecken oder für verrückt gehalten zu werden.
Wenn ich von meinen Idealen überzeugt bin und mich als Christ für eine bessere Welt einsetze, dann möchte ich nicht, dass man mich mit Gewalt auf andere Wege zurückbringt, aber vielleicht wäre es gar nicht so schlimm, wenn es öfter mal heißen würde: „Die spinnen, die Christen.“
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SWR2 Wort zum Tag

„Die Liebe Christi drängt uns.“ Das steht im Zweiten Korintherbrief in der Bibel. Diesen Satz hat der heilige Vinzenz Pallotti zum Motto seines Lebens und Arbeitens gemacht. Heute vor 160 Jahren ist er gestorben. Pallotti wächst in einer Zeit voller Umbrüche in Rom auf und entscheidet sich, Priester zu werden. Er fühlt sich von Gottes Liebe ergriffen und vorangetrieben. Und er liest in der Bibel den passenden Satz: „Die Liebe Christi drängt uns“. Allen Menschen will er diese Liebe zeigen. Und alle Menschen sind für ihn Zeichen, Fingerzeige der Liebe Gottes. Er sorgt sich um Waisen, Häftlinge und Kranke. Dabei ist Pallotti davon überzeugt, dass man nicht Priester sein muss, um Glauben und Liebe weiterzutragen. Jedes Ebenbild Gottes, jeder Fingerzeig seiner Liebe, eben: jeder Mensch ist dazu fähig und beauftragt. Das zu denken und zu sagen war damals nicht selbstverständlich. So gründete Vinzenz Pallotti neben zwei Ordensgemeinschaften auch eine Vereinigung, in der Menschen mitarbeiten, die nicht im Kloster leben.
Die von Pallotti gegründeten Gemeinschaften bewahren heute noch seine Schuhe auf, ein Bild davon kann man auf ihrer Internetseite sehen. Ausgelatscht und abgelaufen sehen diese Schuhe aus. Wenn man sie anschaut, kann man sich ganz gut vorstellen, wie ein kleiner Mann durch die Straßen Roms von Mensch zu Mensch eilt.
Ein beeindruckender Mann, aber ob ich das so wollte oder könnte? Muss ich natürlich nicht, schließlich bin ich in meinen eigenen Schuhen unterwegs. Aber dass Gott jeden Menschen liebt, davon bin ich doch überzeugt. Und wie Pallotti meine ich auch, dass jeder dazu beauftragt ist, die Menschen Gottes Liebe spüren zu lassen. Aber das fällt doch sehr viel leichter, wenn ich diese Liebe vorher tatsächlich auch erlebt und selber gespürt habe, durch andere Menschen oder im Gebet. Und wenn ich es zulasse, dass Gott mich liebt. Das ist für mich das Schwierigste an der Sache, wo ich mit mir doch so unzufrieden bin. Ich traue Gott nicht so ganz zu, dass er meine Fehler und Schwächen in seine Liebe einschließt. Dann drängt mich die Liebe Gottes nicht, dann erlebe ich sie eher als bedrängend.
Mein Verstand weiß: Die Liebe, mit der Gott auf die Menschen zugeht, will von uns weiter getragen werden. Damit ich das leichter kann, damit die Liebe Christi mich bewegt, muss ich mir ab und zu Sätze auf der Zunge zergehen und ins Herz dringen lassen, wie Gott sie dem Volk Israel durch den Propheten Zefanja sagen lässt: „Der Herr freut sich und jubelt über dich, er erneuert seine Liebe zu dir. Er jubelt über dich und frohlockt.“
Johannes Varelmann aus Wertheim von der katholischen Kirche.

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