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SWR4 Abendgedanken

11APR2022
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Eine Stadt in heller Aufregung: Menschenmengen stehen am Straßenrand und jubeln. Palmzweige und Kleidungsstücke werden in der Luft geschwenkt und landen auf dem Boden. Und überall hört man laute Freudenrufe. Der Grund für die ganze Aufregung? Ein junger Mann, der auf einem Esel gemächlich in die Stadt hineinreitet. Das ist alles.

Die Bibel beschreibt so den Einzug von Jesus in Jerusalem. Gestern, am Palmsonntag, haben Christen auf der ganzen Welt, dieses Ereignis gefeiert. Und natürlich steckt mehr hinter dieser Szene von gestern. Der Esel, auf dem Jesus geritten kommt, ist kein harmloses Transportmittel, sondern für die Menschen damals ein Zeichen voller Hoffnung! Denn damals wusste jeder: Wenn einer so auf einem Esel dahergeritten kommt, dann ist das DER Retter. Seit Urzeiten war er so angekündigt worden – und jetzt endlich war er da! Kein Wunder, dass die Aufregung entsprechend groß gewesen ist.

Was damals war, ist heute auch für mich wichtig. Denn die Bibel erzählt mir nicht nur, was vor zweitausend Jahren passiert ist, sondern auch, was heute in meinem Leben passieren kann. Dabei orientiere ich mich vor allem an den Bildern, die in der Bibel eine Rolle spielen. Viele von ihnen sind so vielschichtig. So steht die Stadt Jerusalem nicht nur für das historische Jerusalem, sondern kann auch ein Bild für mein Herz oder meine Seele sein.

Wenn ich die Geschichte vom Palmsonntag so lese, dann ist das, was damals in Jerusalem passiert ist, nicht einfach nur einmal gewesen und jetzt vorbei. Sondern es findet tiefer betrachtet auch heute statt. Dann zieht Jesus heute noch in mein Herz ein.

In meiner Herzensstadt wohnen meine Hoffnungen und Träume, aber auch alles, was mich umtreibt und mir Sorgen macht. Wo ich verletzt wurde oder andere verletzt habe. So wie Jerusalem, so wartet deshalb auch mein Herz auf Rettung. Und die Rettung naht. Der Palmsonntag erinnert mich daran:  Jesus ist schon einmal gekommen und er kann immer wieder kommen. Ich muss ihm dafür nur mein Herz öffnen und bereit sein, ihn aufzunehmen. Zum Beispiel wenn ich zu ihm bete. Dann spreche ich Jesus an und erzähle ihm, was mich bewegt. So lade ich ihn quasi ganz persönlich zu mir ein.

Auch ich habe also einen Grund zum Feiern, und zwar nicht nur gestern am Palmsonntag, sondern immer. Denn mein Gott kommt zu mir. Und mit ihm zieht die Hoffnung in die Stadt meines Herzens ein. Hoffnung, dass Ostern wird, Hoffnung, dass so viele Wunden wieder heilen, Hoffnung, dass es wieder Frieden gibt.

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SWR4 Abendgedanken

04FEB2022
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Ich habe die Zügel gerne selbst in der Hand. Ob es um den nächsten Einkauf im Supermarkt geht oder um größere Zukunftsprojekte – solange ich Schritt für Schritt alles takten und steuern kann, bleibe ich ganz gelassen. Und warum auch nicht? Schließlich gibt es nichts, was sich nicht mit einer gut strukturierten To-Do-Liste bewältigen ließe. Das dachte ich zumindest.

Bis sich vor einigen Wochen alles geändert hat. Es war der Moment, in dem ich erfahren habe: ich bin schwanger.

Den ersten Ultraschalltermin werde ich nie vergessen. Mein Mann und ich sehen unser Kind zum ersten Mal. Ein kleiner schwarz-weiß flimmernder Fleck auf dem Bildschirm. Unser Kind. Groß wie eine Dattel. Aber mit einem Herz, das schlägt.

Und jetzt?

Sofort informiere ich mich in allen Einzelheiten, was ich tun kann. Was ich essen und was ich meiden soll, damit dieser winzige Mensch in mir, der in wenigen Monaten die unglaublichsten Entwicklungen meistert, keinen Schaden erleidet.

Mein Tatendrang ist geweckt. Klar, denn wenn es um mein Kind geht, dann muss ich doch irgendwie helfen und mitanpacken können, es eben selbst in die Hand nehmen!

Doch leider ist die Ernährungsumstellung schnell erledigt und schon bald bleibt mir nicht mehr übrig, als die Wochen der Schwangerschaft zu zählen. Die Erkenntnis kommt langsam und sie überwältigt mich: Dass da in meinem Körper neues Leben entsteht, ist so unglaublich schön. Aber es liegt überhaupt nicht in meiner Hand. Ich erlebe ein echtes Wunder. Und was ich vorher nicht wusste: Wunder machen mich ganz schön nervös.

So sehr mein Mann und ich uns dieses Kind gewünscht haben – darüber verfügen oder es kontrollieren, das können wir nicht.

Eine Sache aber kann ich trotzdem machen: Ich kann guter Hoffnung sein.

Ich hoffe, dass eben dort, wo das Leben nicht mehr in meiner Hand liegt, Gottes Hand bereits wartet. Dass es Gott ist, der unser Kind sicher hält. Jetzt und sein ganzes Leben lang. Gerade dort, wo ich es nicht kann.

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SWR4 Abendgedanken

03FEB2022
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Heute vor vier Jahren: Ich stehe in einer kleinen Kirche im tiefsten Hochschwarzwald. Nach dem Theologiestudium mache ich hier meine Ausbildung in einer Kirchengemeinde. Vieles ist noch neu für mich. Zum Beispiel, dass der Pfarrer mir jetzt gerade eine komische goldene Halterung überreicht. In der stecken zwei lange weiße Kerzen schräg über Kreuz. Dabei sagt er beiläufig: „Heute ist ja Blasiustag. Wäre gut, wenn du mithelfen könntest, den Blasiussegen zu spenden.“

Ich gucke verdattert auf die überkreuzten Kerzen in meiner Hand und frage: „Den was spenden?“ Da kann sich mein Chef ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen. Und er erklärt mir, um was es bei dieser Sache mit dem Blasiussegen geht: Blasius war im dritten Jahrhundert Bischof in der Stadt Sebaste in der heutigen Türkei. Er ist der Christenverfolgung im römischen Reich zum Opfer gefallen. Von ihm wird gesagt, dass er einem Jungen das Leben gerettet hat, der fast an einer Fischgräte erstickt wäre. Weil Blasius eingegriffen und ein Gebet gesprochen hat, hat der Junge überlebt. Der sogenannte Blasiussegen soll deshalb heute noch bei Halskrankheiten helfen.

Zurück in die kleine Schwarzwaldkirche vor vier Jahren. Da erklärt mir mein Pfarrer weiter: „Für diesen Segen hältst Du die beiden brennenden Kerzen so etwa auf der Höhe des Halses und betest dabei: Auf die Fürsprache des heiligen Blasius bewahre dich der Herr vor Halskrankheiten und allem Bösen. Es segne dich Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist.“

„Amen“, antworte ich automatisch und jetzt kann ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Ein Märtyrer aus dem 3. Jahrhundert soll mich vor einem kratzigen Hals retten? Ganz schön skurril, finde ich. Doch wenn es in den Bräuchen meines Glaubens besonders sonderlich wird, lohnt es sich, der Sache auf den Grund zu gehen.

Mir fällt ein Satz von Jesus ein, der gut zum Blasiussegen passt. Jesus sagt einmal: „Nicht das, was durch den Mund in den Menschen hineinkommt, macht ihn unrein, sondern was aus dem Mund des Menschen herauskommt, das macht ihn unrein.“ 

Diese Worte machen mich auf eine andere Seite des Blasiussegens aufmerksam. Wie oft habe ich im Zorn schon Dinge gesagt, die mir danach leidgetan haben? Worte können verletzen, aber sie können auch versöhnen und heilen. So verstehe ich den Segen des Heiligen Blasius: Nicht nur als Schutz vor Halsschmerzen, sondern vor allen Dingen als Balsam gegen böse Worte. Ich freue mich, diesen alten Brauch kennen gelernt zu haben, der auch heute Abend in vielen Kirchen gepflegt wird. Denn nun kann ich den Heiligen Blasius bitten: „Hilf mir die richtigen Worte zu finden. Bewahre mich vor Streit und Hass. Segne mich und lass meine Worte segensreich für andere sein.“

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SWR4 Abendgedanken

02FEB2022
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Das schönste Fest meines Lebens – das war unsere Hochzeit im letzten Jahr. Die Trauung in der Kapelle, der Sektempfang, die vielen lachenden Gesichter und das ausgelassene Tanzen – so könnte ich ewig weiterschwärmen.

Und während ich so in Erinnerungen schwelge, vergesse ich gerne, wie lange mein Mann und ich diesen Tag geplant haben. Unser schönes Hochzeitsfest hat uns ganz schön viel Zeit und Nerven gekostet. Über Location, Musik, Hochzeitskleid und Blumenschmuck – die To-Do-Liste war lang und nicht immer waren wir uns einig.

So viel Aufwand, nur für einen einzigen Tag. Eigentlich eine ganz schöne Verschwendung. Hätte es da weniger nicht auch getan?  

Ich finde: Nein. Denn so wie das Sparen zur rechten Zeit, gibt es eben auch eine Zeit der Hoch-zeit, in der es heißt, mit vollen Händen auszugeben, großzügig einzuladen und gemeinsam zu genießen. Denn dadurch wird für mich deutlich, um was es bei einer Hochzeit eigentlich geht: Um die Liebe zwischen zwei Menschen, die völlig uneingeschränkt aus ganzem Herzen Ja zueinander sagen. Wenn ich so liebe, will ich nichts zurückhalten oder aufsparen. Dann will ich alles geben.

Während sich oft genug in meinem Leben alles darum dreht, sparsam, genau und möglichst effizient zu sein – in der Liebe ist es genau anders.

Das scheint Jesus auch so gesehen zu haben. Denn die erste große Tat, die von ihm in der Bibel steht, ist nicht etwa eine Krankenheilung, sondern eine Geschichte, die sich auf einer Hochzeitfeier abgespielt hat. Als dort der Wein für die Gäste ausging, wurde auf wundersame Weise Wasser zu Wein. Und zwar gleich vier Badewannen voll! Was für eine Verschwendung könnte man jetzt wieder sagen.

Doch dieser Überfluss an Wein steht für etwas Besonderes. Ich soll verstehen: Gott hält nichts zurück, er gibt mit vollen Händen. Das ist Liebe. Eine Liebe, die nicht weniger wird, je mehr man davon gibt, sondern mehr. Und an dieser Liebe dürfen mein Mann und ich teilhaben. In guten wie in schlechten Zeiten.

Am Morgen nach der Hochzeit ging es dann übrigens ans Aufräumen: Müde haben mein Mann und ich die letzten Reste der Nacht zusammengekehrt.

Beim Blick auf die unzähligen leeren Sektflaschen und Eimer von Blumen mussten wir lächeln: Was für eine herrliche Verschwendung. Ein Fest, das uns für immer daran erinnert: In der Liebe müssen wir niemals sparsam sein.  

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SWR4 Abendgedanken

01FEB2022
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Ein gemütliches Abendessen mit Freunden. Die Teller sind leer, die Gläser voll. Wir reden, lachen und genießen den gemeinsamen Abend. Alles ist perfekt.

Bis er plötzlich wieder auftaucht. Zack! Ein kurzer Griff in die Tasche und da ist er: Der unvermeidliche Störenfried – mein Smarthphone. Nur mal kurz rausgeholt ist es jetzt in meinen Händen und ich starre auf den kleinen Bildschirm. Wie unhöflich gegenüber meinen Freunden!

Leider passiert mir das immer öfter, sogar dann, wenn ich es gerade richtig schön mit anderen zusammen habe.

Und ganz ehrlich, das meiste, was ich in solchen Momenten auf meinem Handy nachschaue, ist unwichtig: Da lese ich Nachrichten, die ich gleich wieder vergesse. Oder ich schaue mir übermäßig bearbeitete Fotos an und Infos, von denen ich gar nicht weiß, ob sie stimmen. 

Woher ich das weiß? Weil ich alles, was auf meinem Handy ankommt, mal kräftig durchgesiebt habe. Und zwar mit den sogenannten „drei Sieben des Sokrates“.

Die Geschichte aus der Antike geht so: Der Philosoph Sokrates wird von einem seiner Schüler angesprochen, der ihm unbedingt etwas erzählen möchte. Der Schüler beginnt: „Kannst du dir vorstellen, was der wieder gemacht hat?“ Sokrates unterbricht ihn und fragt: „Ist es gut, was du mir über deinen Freund zu sagen hast?“ Der Schüler antwortet: „Nein“. Dann fragt Sokrates: „Ist es sicher wahr, was du zu sagen hast?“ Der Schüler antwortet wieder: „Nein“. Also will Sokrates wissen: „Ist es notwendig, dass ich davon weiß?“ Ganz zerknirscht sagt der Schüler wieder: „Nein, auch das nicht.“ „Na dann“, fragt Sokrates, „warum soll ich überhaupt davon erfahren?“ 

Die Grundidee ist also: Wenn etwas weder gut ist, noch notwendig für mich zu wissen und auch nicht wahr, dann sollte ich am besten auch keine Energie darauf verschwenden.

Wenn ich die drei Siebe von Sokrates aber nun auf die Infos aus meinem Smartphone anwende, dann bleibt ehrlich gesagt nicht viel übrig.

Da lohnt es sich viel mehr, dass ich mich nicht von meinen Freunden ablenken lasse und eine entspannte Zeit mit ihnen verbringe. Und mein Handy bleibt in der Tasche.

Einmal hole es aber dann doch heraus. Und zwar um ein Foto von uns allen zu machen. Eine Momentaufnahme von unserer Freundschaft, die ich auf meinem Handy speichern kann. Denn das ist das Tolle an den drei Sieben des Sokrates: Wenn ich alles kräftig durchgesiebt habe, dann bleibt am Ende etwas richtig Schönes übrig: Das, was wahr und für mich gut und notwendig ist.

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SWR4 Abendgedanken

31JAN2022
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Manchmal bin ich richtig frustriert. Denn was hatte ich im letzten Jahr Hoffnung! Als es geheißen hat: noch ein Wellenbrecher-Lockdown, dann sind wir über den Berg. Oder: Sobald die Impfung kommt, kehrt die Normalität zurück. So oft hatte ich gehofft und immer wieder war das alles doch nicht die Lösung.

Auch in diesem Jahr kommt es mir so vor, als ob es mit Corona kein Ende nimmt. Wie ein endloser Hürdenlauf, bei dem nach jeder geschafften Runde eine neue Runde kommt, die man noch schneller laufen muss.

Und ist das ohne Corona überhaupt anders? Klimakrise, Spaltung, Hass und der Hunger weltweit – wie soll ich bei all diesen Unheilsmeldungen bloß meine Hoffnung bewahren?

Ich suche ein Mittel gegen meine Hoffnungslosigkeit und stoße dabei auf Paulus, einen Christen der ersten Stunde. Für mich ist dieser Apostel ein echter Hoffnungsexperte.  Denn etwa 20 Jahre nachdem Jesus gestorben ist verbreitet Paulus die christliche Botschaft in einer Welt, in der die meisten von diesem Jesus noch nie gehört haben. Eigentlich ein unmögliches Unterfangen. Berücksichtig man dann aber noch die Umstände, erscheint das Ganze völlig hoffnungslos: Denn die ersten Christen mussten mit Verfolgung und Strafe, ja sogar dem Tod rechnen.

Und so ist Paulus dann auch gleich mehrmals im Gefängnis gelandet. Aber von dort hat er Briefe verschickt, in denen er seine Freunde ermutigt und ihnen Hoffnung macht. Weil Paulus fest an Jesus geglaubt hat, hat er die Hoffnung nie aufgegeben. Er hat gehofft, dass Jesus wiederkommt. Aber auch das passierte nicht.

In dieser hoffnungslosen Situation schreibt Paulus folgenden Satz: „Wir sind gerettet, doch in der Hoffnung. Hoffnung aber, die man schon erfüllt sieht, ist keine Hoffnung.“[1]

Was beim ersten Hinhören vielleicht kryptisch kling, ergibt näher betrachtet sehr viel Sinn. Wenn ich darauf hoffe, dass die Krise, die ich gerade erlebe, endlich vorbei geht, ist sie noch nicht vorbei. Wenn sie aber überstanden ist, brauche ich auch nicht mehr darauf zu hoffen. Gerade wenn es also gar nicht gut aussieht, ist das kein Grund, die Hoffnung aufzugeben, sondern ganz im Gegenteil: dann ist es umso wichtiger, dass ich noch hoffen kann. Bei Paulus lerne ich: „Jetzt erst recht!“

Eine so verstandene Hoffnung kommt mir fast wie eine Immunisierung gegen viele Krisen der Welt vor. Denn auch wenn es schlimm steht, kann meine Hoffnung stark sein.

Das hoffe es zumindest.

 

[1] Röm 8,24

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SWR4 Abendgedanken

03SEP2021
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„Am Abend dieses Tages…“ So beginnt in der Bibel eine Erzählung über eine besondere Bootsfahrt, die Jesus mit seinen Jüngern unternimmt.

Die Geschichte passt zur Lage der Kirche im Moment. Denn ich habe das Gefühl, dass es auch dort „Abend“ geworden ist. Die gute Nachricht von Gottes  Liebe und Nähe ist irgendwie verdunkelt – durch Skandale, scharfe Debatten, aber auch weil so viele frustriert sind. Und wenn es um die Zukunft der Kirche geht, höre ich meist düstere Prognosen. Es scheint Abend geworden zu sein in meiner Kirche.

In der Bibel heißt es, dass Jesus mit seinen Jüngern abends in ein Boot steigt und kaum sind sie unterwegs, kommt ein heftiger Wirbelsturm auf. Schnell macht sich Panik breit.

Und ich? Ehrlich gesagt: als Christin, die mit im Boot namens Kirche sitzt, kenne ich diesen Sturm nur gut.

Die Verbrechen des Missbrauchs, die tiefen Gräben und Kämpfe innerhalb der Kirche, berechtigte Vorwürfe von außen, aber auch Hass und Häme – all das drängt auf mich ein. Der Untergang der Kirche scheint unausweichlich zu sein. Und wie die Jünger, befürchte auch ich, dass wir untergehen.

In der biblischen Geschichte bringt Jesus den Sturm mit nur drei Worten zum Schweigen. Jesus sagt: „Schweig, sei still.“ Und augenblicklich kehrt völlige Ruhe ein.

Doch wenn es um die Stürme heute geht, z.B. den Missbrauch, dann ist Schweigen ja gerade nicht die Lösung. Im Gegenteil: Das Schweigen muss gebrochen werden. Die Opfer müssen zu Gehör kommen. So laut es nur geht. Also tobt der Sturm weiter.

Und mitten im Sturm überlege ich: Soll ich das sinkende Schiff vielleicht lieber verlassen? Wenn ich das Schiff Kirche nicht retten kann, dann doch wenigstens mich selbst.

Aber dann hätten Verbrechen, wie die des Missbrauchs, mich dazu gebracht, dass ich von Bord gehe. Und stattdessen diejenigen das Steuer übernehmen, die mit an dem schuld sind, was alles passiert ist. Ich finde: Genau umgekehrt muss es sein! Jetzt erst recht! Damit die Missbrauchstäter nicht das letzte Wort haben.

Jetzt erst recht bleibe ich in der Kirche und werfe mich mit ganzer Kraft in den Sturm, liebe und tue Gutes, so gut ich kann. Und ich sitze nicht allein im Boot. An jeder Seite wird entschlossen gerudert. Da sind so viele engagierte Christinnen und Christen, die dem Sturm trotzen. Mit ihnen kann aus dem Wirbelsturm ein Wind werden, der die Segel der Kirche neu mit Liebe füllt. Sodass das ganze Schiff eine neue und gute Richtung einschlägt.

Ich bleibe dabei, mitten im Sturm.

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SWR4 Abendgedanken

02SEP2021
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„Die Simpsons“ – das ist eine meiner absoluten Lieblingsserien. Die Familie Simpson, das sind Vater Homer, Mutter Marge und die Kinder Bart, Lisa und Maggie. Die Geschichten über die gelbe Familie laufen schon seit über 30 Jahren im Fernsehen und zwar weltweit.

Eine der 700 Folgen erzählt diese Geschichte: Vater Homer verdient den Lebensunterhalt für seine Frau und seine beiden Kinder in einem Kraftwerk. Auch wenn diese Arbeit gutes Geld bringt – Homer hasst seinen langweiligen Job. Sein Traum ist es, irgendwann auf einer Bowling-Bahn zu arbeiten.

Endlich ist es soweit: Homer kann seinen Arbeitsplatz wechseln und arbeitet auf der Bowlingbahn. 

Doch das Glück währt nicht lange. Nach nur wenigen Wochen im Traumjob wird seine Frau Marge nochmal schwanger, mit der kleinen Maggie. Jetzt bleibt Homer nichts anderes übrig, er muss seinen Traumjob wieder kündigen und zurück ins Kraftwerk. Nur dort verdient er genug, um die wachsende Familie zu ernähren.

Sein fieser Chef macht ihm die Rückkehr schwer. Er lässt Homer erst um seinen Job betteln und dann auch noch ein großes Schild an seinem Arbeitsplatz anbringen. Auf dem steht auf Englisch: „Don´t forget, you´re here forever“ – „Vergiss nicht, du bist für immer hier“. Homer ist deprimierter als jemals zuvor.

Nach einigen Monaten kommt Maggie zur Welt. Und (es geschieht etwas Wunderbares:) Homer verliebt sich auf den ersten Blick in seine kleine Tochter.

Dann ist Szenenwechsel. Man sieht Homer, wie er einige Jahre später an seinem Arbeitsplatz sitzt. Das Schild mit dem fiesen Spruch ist noch da, aber etwas hat sich verändert: Es ist fast völlig zugeklebt mit Kinderfotos der kleinen Maggie. Homer hat sie so angeordnet, dass nur noch ein paar Buchstaben zu lesen sind. Jetzt steht dort: „Do it for her“ –  „Tu es für sie“.

Aus seiner schwierigen Lage kann Homer nur schwer heraus. Aber er schafft etwas Besonderes. Er nimmt seine Lage an und verwandelt sie in etwas Positives. Das gelingt ihm, weil er seine Tochter liebt.

Ich glaube, wenn ich weiß, warum und vor allem für wen ich etwas tue, dann kann ich nicht nur vieles ertragen, sondern die Dinge vielleicht auch in einem neuen Licht sehen. Genau wie Homer Simpson.

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SWR4 Abendgedanken

01SEP2021
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„Für dich ist ja alles einfach, du glaubst an Gott.“

Das sagt Thomas und zwinkert mir dabei schelmisch zu. Thomas hat normalerweise wenig mit Kirche und Glauben zu tun. Seit einer halben Stunde sind wir heiß am Diskutieren. Als er mich fragt, warum ich für die Kirche arbeite, antworte ich ihm: „Ich arbeite für dir Kirche, weil ich darauf vertraue, dass Gott mich dorthin stellt, wo er mich braucht.“

„Ach…“, seufzt Thomas und dann kommt eben sein Satz: „für dich ist ja alles so einfach, du glaubst an Gott.“

Klar, Thomas will mich aufziehen, aber er meint es auch ernst.

Wir reden weiter und ich erzähle ihm, dass für mich nicht alles einfach ist, nur weil ich glaube. Im Gegenteil: Ich kämpfe so oft mit Gott.

In der Bibel, im Alten Testament, wird die Geschichte von Jakob erzählt. Wie er mit Gott in einen Kampf gerät. Jakob will in der Nacht einen Fluss überqueren und trifft dabei auf Gott, erkennt ihn aber nicht. Die beiden fangen an miteinander zu ringen und kämpfen die ganze Nacht. Erst als es wieder hell wird und die Morgenröte schon am Himmel steht will sich Gott schließlich losreißen. Aber Jakob merkt: dieser Kampf ist entscheidend. Er sagt zu Gott: „Nein, ich lasse dich nicht los, bevor du mich nicht segnest.“ Dann segnet Gott Jakob. Und jetzt erkennt Jakob, dass es Gott ist, mit dem er da in der Dunkelheit gerungen hat.

Auch ich ringe und kämpfe mit Gott, wenn es um mich herum dunkel wird: Wenn das Vertrauen, dass ich in eine Person gesetzt habe, enttäuscht wird. Wenn ein geliebter Mensch stirbt. Oder wenn eine gute Freundin mit ihren Depressionen kämpft und ich ihr nicht helfen kann.

Dann bete ich zu Gott und schlage mit meinen Vorwürfen wütend um mich. Aber ich lasse Gott nicht los. Gerade dann ist er besonders nahe. Weil ich ihn brauche, gerade jetzt. Und nach dem Kämpfen, am Ende der Nacht, kann ich ihn klarer sehen als zuvor.

Ob es mir gelingt, Gott mein Leben lang festzuhalten? Das weiß ich nicht. Aber ich hoffe es. Und ich hoffe, dass am Ende Gottes Segen steht. Ein Segen, der wie eine Hoffnung ist, die immer heller wird. Wenn Trauer zu Trost wird oder wenn ich wieder vertrauen kann und sei es nur ein bisschen. Das kann der Anfang von einem strahlenden Morgen sein. Und dafür lohnt es sich zu kämpfen.

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SWR4 Abendgedanken

31AUG2021
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Ich bin keine Superheldin.

Unter meinen Alltagskleidern ist kein Superwomankostüm mit rotem Cape versteckt. Ich kann nicht akrobatisch von Hochhaus zu Hochhaus springen und ich bekämpfe keine Bösewichte. Und vor allen Dingen bin ich verletzlich.

Superhelden aber sind unverwundbar.

Das dachte ich jedenfalls. Bis ich vor kurzem ein paar klassische Superhelden-Filme angeschaut habe.

Und da habe ich etwas gelernt: Superhelden haben Schwächen.

Der Superheld Batman zum Beispiel fürchtet die Fledermäuse und Superman hat Angst vor dem sogenannten Kryptonit - einem gefährlich strahlenden Mineral von seinem Heimatplaneten. Alle Superhelden haben etwas, was sie verletzbar macht. Und weil das so ist, haben sie Angst.

Wenn Superhelden also echte Schwächen und sogar Ängste haben – was macht sie denn dann überhaupt zu Superhelden?

Vielleicht bin ich dann ja irgendwie doch eine Superheldin. Denn Schwächen und Ängste habe ich jede Menge. Zum Beispiel streite ich nicht gerne. Konflikte sind sozusagen mein „Kryptonit“.

Gleichzeitig will ich für das, woran ich glaube und was ich für richtig halte, einstehen. Wenn um mich herum etwas passiert oder gesagt wird, das meinen Überzeugungen widerspricht, kann ich das nicht einfach so hinnehmen.  Zum Beispiel wenn etwas ungerecht ist. Dann muss ich etwas dagegen tun. Das Problem dabei ist, dass es dann leicht zu Streit kommen kann. Und grade vor offenen Konflikten habe ich ja eigentlich Angst. Es wäre aber nicht ok, deswegen meinen Mund zu halten, mich einfach weg zu ducken. Also muss ich tapfer sein.

Beim Wort „tapfer“ habe ich bisher immer an unverwundbare und furchtlose Superhelden gedacht. Aber ich glaube, tapfer zu sein, bedeutet mehr: nämlich etwas anzugehen, obwohl man Angst hat, z.B. vorm Streiten.

Auch wenn ich weiß, dass ich mir dabei eine Verletzung zuziehen kann. Gemeine Bemerkungen, die mich treffen; das Gefühl, abgelehnt zu werden oder die Enttäuschung, wenn ich einfach nicht gehört werde. Davor kann ich schon mal Angst haben. Aber meine Ängste müssen auch gar nicht weg, sie gehören zu mir. Und sie gehören sogar ganz wesentlich zum Tapfer-Sein dazu. Ich achte behutsam auf meine Grenzen, aber wenn ich merke, jetzt muss ich für eine Herzenssache kämpfen, dann gehe ich mutig voran. Dann bin ich tapfer, weil ich Angst habe. Ich glaube, das macht eine Superheldin wirklich aus.

Der Apostel Paulus sagt im Neuen Testament: „Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark“.

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