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03MAI2025
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Italien im Mai. Die Sonne lacht vom Himmel, es ist wunderbar warm. Wir machen Urlaub am Strand in Ligurien. Kinder laufen lachend ins Wasser, die Eltern plaudern unter ihren Sonnenschirmen. Zwei italienische Teenager schreiten im vollen Bewusstsein ihrer Schönheit in die leichten Wellen hinein. Nichts trübt die heitere Stimmung. Nur dieser Taucher in seinem Neoprenanzug, mit Taucherflasche und Schwimmflossen passt nicht so ganz ins Bild. Neugierig schaue ich ihm zu, wie er mit einem großen Spritzer unter der Wasseroberfläche verschwindet.

Als er wieder auftaucht, gehe ich zu ihm hin und wir kommen ins Gespräch. „Sie müssen das auch mal ausprobieren mit dem Tauchen“, sagt er. „Denn da unten auf dem Meeresboden wartet jemand ganz Besonderes auf Sie: Da wartet der ‚Christus der Abgründe.‘“

Ich bin verblüfft. „Christus auf dem Meeresboden?“, frage ich. „Was meinen Sie denn damit?“ Der Taucher erzählt: „Vor 70 Jahren ist hier bei einem Tauchunfall ein Mann ums Leben gekommen. Alle standen unter Schock. Da kam Guido Galetti, ein Künstler aus der Gegend, mit einer faszinierenden Idee: ‚Ich stelle dem Verunglückten Christus zur Seite. Und mache dazu eine Statue – eine Christus-Statue.‘ Dafür hat Galetti Bronze gesammelt: aus Schiffsschrauben und aus Kirchenglocken. Als er genug Material zusammenhatte, hat er das alles eingeschmolzen und daraus seine Christus-Figur geschaffen. Zweieinhalb Meter groß, größer als ein Mensch. Um zu zeigen, dass Christus größer ist als wir mit all unseren Sorgen und Nöten.“

Der Taucher fährt fort: „Ich mag diese Figur. Immer wieder gehe ich hier runter, Meter um Meter. Langsam wird es immer dunkler. Ich tauche herab in die Abgründe dieser Bucht, und auf einmal sehe ich ihn da stehen: Christus, zweieinhalb Meter hoch, in Bronze gegossen. Mit erhobenen Armen, um alle zu segnen. - Ja“, sagt der Taucher, „das müssen Sie unbedingt mit eigenen Augen sehen! Machen Sie auch mal einen Tauchkurs!“

Mitten im Frühling hat sich zwischen Sonne, Strand und Wellen ein Abgrund aufgetan. Ich merke wieder: Die Abgründe des Lebens sind oft ganz nah. Die äußeren und auch die inneren. Sie beginnen direkt unter den schönsten Oberflächen und an den wunderbarsten Orten. Doch gerade da, in diesen Dunkelheiten, wartet der Christus der Abgründe auf mich. Überlebensgroß und mit ausgebreiteten Armen. Wie um mir zu sagen: „Auch in der tiefsten Tiefe bist Du nicht allein. In jeder Tiefe bin ich bei Dir und segne Dich.“ 

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02MAI2025
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Es ist kurz nach halb acht. In fünf Minuten beginnt die erste Stunde. Lisa muss in ihre achte Klasse. Aber zuerst geht sie noch auf die Schultoilette. Einmal noch einen Moment Ruhe, bevor der Unterricht anfängt. Sie schließt sich in einer Kabine ein und setzt sich auf den heruntergeklappten Deckel der Toilette. Holt ihr kleines Schminkset. Klappt den Minispiegel hoch und schüttelt den Kopf: „Oh Mann – ich seh ja total fertig aus. So kann ich doch nicht ins Klassenzimmer. Was da die anderen sagen?“ Sie seufzt und holt den Concealer raus. Erst mal alles abdecken. So geht‘s vielleicht. 

Am Abend desselben Tages, kurz vor neun: Lisas Mutter geht den Flur entlang, hinein ins Wohnzimmer. Sie ist erschöpft und setzt sich in den Sessel. Früher war sie um diese Zeit noch nicht so müde. „Was für ein verrückter Tag. War der Job früher auch so anstrengend? Ja, es hat sich viel verändert in meinem Beruf. Ich habe so viel Verantwortung! Wie lange kann ich den Anforderungen noch genügen?“

Lisa und ihre Mutter sind zwei von vielen. Manchmal sitzen wir alle irgendwo und denken über uns selber nach. Auf heruntergeklappten Toilettendeckeln und auf Sesseln. Auf einem Autositz oder einem Kneipenstuhl. Und fragen uns, ob wir genügen. Bin ich schön genug? Kann ich mithalten? Genüge ich den beruflichen Anforderungen?

Auch ich setze mich manchmal am späten Abend auf den Stuhl in meinem Arbeitszimmer. Denke über den Tag nach und darüber, was ich gut gemacht habe und was nicht. Und wenn zu viele schwarze Gedanken angekrochen kommen, schaue ich auf ein kleines Bild, das auf meinem Schreibtisch steht. Es zeigt einen Mann mit langem Bart, der auch auf einem Stuhl sitzt. Die rechte Hand hat er erhoben und macht eine segnende Geste. Er schaut mich direkt an und lächelt ein wenig. Es ist Jesus Christus, der dort sitzt. Christus auf dem Richterstuhl. Ein uraltes Motiv der Christenheit. Auf diesem Bild lächelt mir der Weltenrichter zu und sagt: „Ich sitze hier auf dem Richterstuhl. Nicht Du. Ich bin es, der Dein Leben beurteilt. Nicht Du selbst. Und mein Urteil fällt milde aus. 

Wenn Du Dich auf einen Stuhl setzt und entscheiden willst, ob Du genug bist – dann schmeißt Du mich vom Richterstuhl runter. Denn in Wahrheit sitze ich auf dem Richterstuhl und urteile über Dein Leben. Und ich sage Dir: In meinen Augen bist Du wunderschön. Lass Dich segnen. “

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01MAI2025
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Heute habe ich frei. Der 1. Mai ist einer der wenigen Feiertage, die auch ich als Pfarrer in vollen Zügen genießen kann. Was kann ich heute Schönes machen?  Ich könnte mich mit Leiterwagen und Bier einer der zahlreichen Maiwanderungen anschließen. Oder in Stuttgart demonstrieren gehen. Für bessere Arbeitsbedingungen und für höhere Mindestlöhne.

Aber zuerst frage ich mich: Haben die Kirchen zu diesem Tag auch etwas zu sagen? Etwas Grundlegendes, vom Glauben her? Auf der Suche nach einer Antwort bin ich auf einen Gedanken gestoßen, der mich fasziniert:  

Wir alle stehen in unseren Berufen in einer unaufhebbaren Spannung. Einerseits sollen wir den Beruf so gut ausüben, wie wir können. Als Busfahrer oder als Biolehrerin. Mit allen Herausforderungen und Pflichten. Denn jeder Beruf ist eine Berufung. Nicht nur Pfarrer und andere kirchliche Menschen sind berufen. Auch jeder Busfahrer ist dazu berufen, seinen Beruf möglichst gut zu machen.

Andererseits hat jeder auch eine umfassende Verantwortung in seinem Beruf. Die Verantwortung zielt nicht nur darauf, dass ich fachlich gut bin. Sie ist umfassender. Sie ist meine Antwort auf Gottes Gegenwart. Eine mir von Gott gegebene Aufgabe, für eine bessere Welt zu arbeiten. Da kann es durchaus sein, dass ich mehr machen muss als das, was im engeren Sinne zu meinen Berufspflichten gehört. Oder sogar etwas, das im Widerspruch dazu steht.

Diese Überlegungen stammen von Dietrich Bonhoeffer, dem berühmten Widerstandskämpfer und Theologen aus dem sogenannten 3. Reich. Bonhoeffer bringt ein Beispiel aus seiner eigenen Zeit. Von vielen Ärzten haben die Nazis erwartet, an Menschen mit Behinderung qualvolle Experimente durchzuführen. Von einem Christen erwartet Bonhoeffer, dass er diesem Auftrag nicht nachkommt. Und vielleicht sogar den Mut hat, gegen diesen menschenverachtenden Auftrag zu protestieren.

Heute leben wir nicht mehr in einer Diktatur. Trotzdem stellt sich auch uns die Frage: Wie können wir in unseren Berufen die richtige Antwort auf Gottes Auftrag geben? Wenn ich Busfahrer bin – wie viel Zeit nehme ich mir, um eine alte Frau in Ruhe in den Bus zu geleiten? Oder als Biolehrerin: Sehe ich Schüler vor allem als Objekte, denen Wissen vermittelt werden soll?  Oder auch als sich entwickelnde Persönlichkeiten, denen ich gerecht werden möchte?  

Wie übernehme ich in meinem Beruf so Verantwortung, dass ich angemessen auf Gottes Gegenwart antworte? Ich glaube, diese Frage nehme ich heute mit auf meine Maiwanderung. 

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30APR2025
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Ich hab’s nicht so mit Geistern und Hexen. Und auch in der kommenden Nacht werde ich hoffentlich gut schlafen. Trotz der Walpurgisnacht und all ihrem Spuk. Aber natürlich erinnere ich mich an die ländliche Welt meiner Kindheit. Dort wurden in dieser Nacht immer ein paar Gartentore ausgehängt und irgendwo versteckt. Manchmal konnte man auch eine Sitzbank oben auf einer Garage wiederfinden. Eigentlich nur Streiche von ein paar Jugendlichen. Der letzte Rest einer Vorstellung von dunklen Mächten, denen es darum geht, alles Vertraute und Gewohnte durcheinander zu wirbeln. Und vermutlich werden wir morgen früh wieder von unschönen Szenen hören. In manchen Städten verwandelt sich in dieser Nacht die Lust auf Streiche leider in Exzesse und Zerstörungswut. 

Sind sie also doch noch irgendwie wirksam – diese Mächte, die alles verhexen und durcheinander wirbeln wollen? Die gegenwärtige Weltlage will es einen ja fast glauben machen. Und die Hexenmeister der Gegenwart zündeln allemal mehr und gefährlicher als die harmlosen Geisterwesen, deren Geschichten sich um die Walpurgisnacht ranken. Walpurga - eine Äbtissin aus dem 8. Jahrhundert -, nach der diese Nacht benannt ist, hatte mit Spukgeschichten übrigens auch nichts am Hut.

Ich beschwöre heute die Gegenkräfte zu dieser aktuellen Hexenmeisterei. Ganz praktische, politische. Dazu zähle ich: Sich zeigen und Position beziehen. In Gesprächen, in Demonstrationen, manchmal vielleicht auch in Leserbriefen. Meine stärkste Gegenkraft erwächst mir aus meinem Glauben. Gerade weil ich‘s nicht mit Hexen habe, wird mir immer wieder klar, dass die vermeintlich so mächtigen Hexenmeister des Bösen in der Gegenwart, die Putins, die Trumps und wie sie alle heißen, auch nur mit Wasser kochen. Dass sie zwar über Macht, aber über keine besonderen Kräfte verfügen. Nein, ich möchte sie nicht ernster nehmen, als es ihnen zusteht. Weil sie eben nicht die Herren der Welt sind. Ihre Macht ist begrenzt. Und ihre Zeit ist endlich. Ich vertraue da lieber dem, den die Kirche als ihren Herrn bekennt. Daraus gewinne ich eine bleibende Zuversicht, die nicht nur gebannt auf die nächste Nacht starrt, sondern auf alle Tage und Nächte, die noch folgen. Auf die Zeit, die in Gottes Händen liegt. Im Moment wird sie ganz schön strapaziert, meine Zuversicht. Aber sie hält fürs erste. In der Walpurgisnacht. Und danach auch.

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29APR2025
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Eigentlich haben wir den Vater mit zwei Kindern auf unserer Radtour nach dem rechten Weg fragen wollen, aber er kannte sich in der Gegend auch nicht besser aus als wir. Als wir gerade weiterfahren wollten, sagte er zu seinen beiden Kindern: „Schaut mal, die haben noch richtige Fahrräder wie früher. Ohne Elektromotor!“ Da hab‘ ich mich gefühlt, als wäre ich gerade auf dem Weg, ausgestopft ins Museum befördert zu werden.  Ertappt als Fortbewegungs-Dinosaurier! Lebendiger Nachkomme des Freiherrn von Drais und seinem Laufrad.

Die Erfahrung, womöglich bald ins Museum abgeschoben zu werden, beschleicht mich manchmal auch auf einem ganz anderen Feld: Dem meines Gottesglaubens. Zwar habe ich noch keinen Vater getroffen, der zu seinen Kindern sagt: „Schaut mal, der glaubt noch an Gott, wie meine Oma früher!“ Aber in einer plural gewordenen Welt fahren die Menschen auf ganz verschiedenen Fahrrädern durch die Gegend. Das „Gottesfahrrad“ ist dabei nur eines von vielen.

In seinem Buch „Gott fährt Fahrrad“ bringt der niederländische Schriftsteller Maarten´t Hart Gottes Anwesenheit in der Welt mit dem Bild des Fahrradfahrens in Verbindung. * In seinem kindlichen Gemüt deutet er die leichte Unbeschwertheit, mit der ihm ein Radfahrer entgegenkommt, als Bild für Gott. Als Kind weigert er sich, sich von einem Fremden auf dem Lenker des Fahrrades mitnehmen zu lassen. Später deutet er das als Entscheidung gegen Gott.

Wahr daran ist für mich: Auch mein Glaube an Gott ist keine Erfindung der Moderne. Nicht abhängig von High Tec und Hochgeschwindigkeit. Wie das schlichte Rad, das Maarten `t Hart mit Gott in Verbindung bringt. Mein Glaube ist etwas, das aus alten Zeiten an mich gekommen ist. Durch meine Eltern. Durch andere Menschen, die mich geprägt haben. Durch eine Kirche, in der jeder und jede auf den Schultern von denen steht, die vorher gelebt und geglaubt haben. In der Bibel wird von einer „Wolke der Zeuginnen und Zeugen“ gesprochen. „Sie haben schon früher empfangen, womit wir uns heute in der Welt zurechtfinden können.“ Ob das auf Dauer mit einfachen alten Fahrrädern geht, oder ob wir andere Hilfsmittel des Glaubens brauchen, wird jede Generation, jeder glaubende Mensch für sich selbst entscheiden müssen. Das Museum, in dem Glaubende vor sich hin verstauben, kann derweil aber ruhig erst einmal geschlossen bleiben.  

* Maarten ´t Hart, Gott fährt Fahrrad, Piper München 2008

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28APR2025
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„Wenn ich ganz ehrlich bin: Die Kirche vermisse ich nicht!“ Im ersten Moment hat mir dieser Satz meiner Physiotherapeutin fast die Schuhe ausgezogen. Dabei hätte mich so eine Bemerkung eigentlich nicht überraschen dürfen. Untersuchungen zur Kirche gibt es schließlich zuhauf. Sie kommen alle zu ähnlichen Ergebnissen. Aber dieses Mal war es eben ein Originalton. Von einer sympathischen Frau, mit der ich schon mehrmals über meinen Beruf gesprochen hatte. Und natürlich auch über die Kirche. Dieses Mal hatte sie mich gefragt, wo es in ihrem Wohngebiet eigentlich eine Kirche gibt. Ich konnte ihr gleich mehrere nennen. Aber die sind ihr bisher noch gar nicht aufgefallen. Sie sagt: „Ich weiß gar nicht, wann ich zuletzt in einer Kirche gewesen bin!“ Und dann, quasi als Krönung: „Wenn ich ehrlich bin: Ich vermisse sie auch nicht!“

Nach meinem ersten Schock hat uns ihre ehrliche Bemerkung ein offenes Gespräch beschert. Ich habe verstanden: Es haben sich bei ihr in den letzten Jahren einfach keine Berührungspunkte zur Kirche mehr ergeben. Keine Beerdigung. Keine kirchliche Trauung im Freundeskreis.  Ein Trauritual aber schon. Das habe ihr gefallen. „Warum?“, frage ich? „Ja, das ist doch ein großer Schritt!“, sagt sie. „Mehr als nur zusammenzuziehen. Da muss doch ein Segen her!“ Jetzt waren wir aber mittendrin. Sie vermisst nichts. Aber es muss doch ein Segen her! Jetzt stand ich wieder mit beiden Füßen fest in meinen Schuhen drin.

Wie kritisch oder distanziert Menschen auch zu Kirche und Religion stehen: Beim Thema Segen gibt’s meistens uneingeschränkte Zustimmung und große Neugier. Segen braucht der Mensch! Sonst würde er wohl doch etwas vermissen. Kirche nein. Oder nicht unbedingt. Aber Segen ja! Dieser Satz stimmt mich zuversichtlich. Denn ich drehe ihn am liebsten um. Wo’s um Segen geht – wo Segen nachgefragt wird, da ist für mich Gott im Spiel. Da ist für mich Kirche. Verborgen vielleicht. Etwas windschief womöglich. Manchmal eher als Ruine.  Aber im Grundriss immer noch erkennbar. Denn der Segen ist für mich das Grundgerüst der Kirche. Ob in der vertrauten geprägten Form wie in fast jedem Gottesdienst. Oder ganz frei und auf eine konkrete Situation hin formuliert. Also nicht: „Kirche nein. Segen ja!“ Sondern „Segen ja! – und du bist mittendrin. Mitten in der Kirche und mitten in der Welt!“ Einen gesegneten Tag wünsche ich Ihnen heute!

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26APR2025
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Die Nacht, die in den Tag mündet. Die gehört für mich unbedingt zu Ostern. Und dieser Übergang vom Dunkel ins Licht ist auch eine Woche danach sehr präsent. Weil er mir für mein ganzes Leben eine Perspektive gibt und deshalb heilig ist. Die Nacht und alles, was zu ihr gehört, verwandelt sich, wenn der neue Tag anbricht. Für mich gibt es kein stärkeres Zeichen für Ostern.
Ich feiere die Nacht auf Ostern so gut wie immer in einem Gottesdienst. Aber das bräuchte es gar nicht unbedingt. Als während Corona keine Gottesdienste an Ostern erlaubt waren, habe ich mich mit Freunden und Nachbarn in meinem Garten versammelt. Auch am späten Abend und mit Kerzen, um der Nacht etwas entgegenzusetzen. Und eben nicht allein, sondern mit anderen: die Nacht teilen, den Übergang gemeinsam erwarten. Wir haben ein Feuer angezündet und dort miteinander ausgeharrt, wo es dunkel und kalt war. Ich habe eine Bibelstelle gelesen und wir haben uns dazu ausgetauscht. Und am Ende, bevor es etwas Brot und Tee gab, haben wir ein altes Osterlied gesungen. Ein Lied von der Nacht, die vorüber ist und vom Licht, mit dem Gott unsere Welt hell macht. Ein Lied vom Licht, das sogar die größte Dunkelheit nicht aufhalten kann.
Dieses Lied ist für mich aber nicht nur Musik. Es ist in mir da, auch wenn ich gar nicht wirklich singe. Im übertragenen Sinn, als Bild drückt es meine Sehnsucht aus, dass alles gut werden kann. Es ist so etwas wie eine „Lebensmelodie“, die in mir singt und klingt. Auf einen genauen Text und die Noten kommt es also gar nicht mehr an. Wichtig ist mir nur, dass dieses Lied nicht verstummt. Ich habe es auch jetzt an Ostern gesungen. Mit meinen Worten, die jedes Jahr anders sind, weil die Welt nicht stehen bleibt und die Dunkelheiten sich verändern. Mal sind es weniger, mal sind es mehr wie im Augenblick. Umso wichtiger ist es, dieses „Lied“ zu singen.
Es handelt davon, dass die Wahrheit immer ans Licht kommt und die Lügen entlarvt werden. Es erzählt, wie wichtig es ist, frei zu sein, sagen zu dürfen, was man denkt, der sein zu dürfen, der man eben ist. Mein Osterlied singt in diesem Jahr von der Sehnsucht, dass die Kriege ein Ende haben, kein Kind mehr misshandelt wird. Dass wir den Wert jedes einzelnen Lebens für unendlich wertvoll halten. Und in der letzten Strophe steht meine größte Hoffnung: dass ich die Menschen, die ich geliebt habe und liebe, einmal wiedersehe nach meinem Tod. Und dass es dort keine Nacht mehr geben wird. Nur Licht, immerwährende Klarheit.


1 Genesis 1,27

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25APR2025
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Ich war enttäuscht. Kein einziges Mädchen hatte sich bei mir gemeldet, um den Beruf des Pfarrers kennenzulernen. Am Girl’s Day Anfang des Monats. Der ist unter anderem dazu da, dass Mädchen in einen Beruf hinein schnuppern, der nicht zum Standardrepertoire des eigenen Geschlechts gehört. Also Fliesenlegerin, Schornsteinfegerin, Metzgerin oder eben auch Pfarrerin. Nun gibt’s da allerdings in der Katholischen Kirche ein Problem. Die meisten Verantwortlichen wollen gar nicht, dass sich Girls für diesen Beruf interessieren. Von Rom aus ist das Amt des Priesters für Männer reserviert. Und ich werde daran nichts ändern, auch wenn ich persönlich anderer Meinung bin. Ich glaube, dass Frauen dazu genau so berufen sind wie Männer. Weil für die Frage, wer Jesus nachfolgen kann, das Geschlecht keine Rolle spielt. Und ich meine: Auch Jesus hätte es so gesehen, wenn damals diese Frage eine Rolle gespielt hätte. Frauen haben selbstverständlich zum Kreis derer gehört, die mit ihm in Galiläa auf Wanderschaft waren. Aber das nützt ja nichts. Auch wenn inzwischen sogar einzelne Bischöfe sich für diesen Gedanken öffnen, es sogar öffentlich sagen. Im Moment sieht es nicht danach aus, als würde sich daran etwas ändern.
Trotzdem war ich enttäuscht. Sogar ein bisschen niedergeschlagen, wenn ich mir vorstelle, wie das in ein paar Jahren sein wird, wenn ich mal in Pension gehe und kaum jemand nachkommt. Jungs ja auch so gut wie nicht. Und gleichzeitig ist mir klar, dass ich das niemand zum Vorwurf machen kann. Schon gar nicht einer 16-Jährigen, die natürlich klug genug ist zu wissen: „Das wird nichts, wenn ich darauf meine Zukunft aufbaue. Die wollen mich ja gar nicht.“
In meinem Kopf prallen da zwei Welten aufeinander. Und das tut weh! Ich wünsche mir, dass sich mehr für diesen Beruf interessieren. Auch junge Frauen. Weil es ein wunderbarer Beruf ist. Gerne würde ich meiner Schülerin Miriam erzählen, wie ergreifend es ist, ein altes Ehepaar zu besuchen. Sie haben Goldene Hochzeit, wollen ihr Eheversprechen von einst nochmals erneuern nach so vielen Jahren, und ich darf ihnen zusprechen, dass Gott weiterhin mit ihnen auf dem Weg bleibt. Ich würde darüber sprechen, wie tief es mich bewegt, am Bett einer kranken Frau zu sitzen, deren Kräfte zunehmend schwinden. Ich halte manchmal ihre Hand, wir lächeln und sprechen wenig. Und ich würde wohl ein wenig davon schwärmen, wie faszinierend es auch nach dreißig Jahren noch ist, die vielen verschiedenen Hände der Menschen zu sehen, auf die ich die Heilige Kommunion lege.
Ich weiß nicht, ob ich Miriam noch als katholische Priesterin erlebe. Girl’s Days wird es auch in Zukunft geben. Und die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.

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24APR2025
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Jungs haben es schwer. Zumindest, wenn sie noch mitten in der Pubertät stecken, und nicht wissen, was sie wollen und wer sie eigentlich sind. Weniger jedenfalls als die gleichaltrigen Mädchen. Ich sehe das an meinen Schülern in der 9. und 10. Klasse. Früher war ziemlich klar definiert, was von ihnen erwartet wird. Jungs sollten wissen, was sie wollen, stark sein, beschützen können. Ein kräftiger Händedruck war gut. Männlich eben. Wie es sich im Laufe der Jahrhunderte eingespielt hatte, um erfolgreich zu sein.
Inzwischen ist das anders. Und dass es so ist, finde ich richtig und gut. Aber es macht es für die Jungs eben schwieriger. Oft sind die Mädchen in der Schule erfolgreicher. Sie können sich besser im Unterricht konzentrieren und erfüllen mehr, was ihre Eltern erwarten. Auch wenn’s um die Liebe geht, ist beileibe nicht mehr so klar, was von einem Jungen erwartet wird: cool sein oder zärtlich oder durchtrainiert. Einer, der die Führung übernimmt oder lieber in der zweiten Reihe unterstützt. Oder am besten alles zusammen?
Ich widme diese Sendung einem fast Fünfzehnjährigen, mit dem ich hin und wieder zu tun habe. Er kämpft sich durch die Pubertät und erlebt sein Leben auch als einen Kampf. Mit den Eltern und Lehrern, mit seinen jüngeren Geschwistern, mit den Gleichaltrigen in der Schule. Ich spüre, dass es unübersehbar vor allem auch ein Kampf mit sich selbst ist. Die Fragen, die dabei auftauchen, stehen ihm ins Gesicht geschrieben: „Was wollen die nur alle von mir? Bin ich ok, wie ich bin? Wie komme ich einigermaßen durch die Schule und finde einen Beruf, der zu mir passt?“ Meistens will er am liebsten nur seine Ruhe haben.
Wenn ich mit ihm zu tun habe, höre ich oft nur zu, was er erzählt. Was gar nicht viel ist. Nur kleine Schlaglichter aufs Familienleben, die Schule, und was er sonst so tut. Ich gebe kaum Ratschläge. Mir ist im Grunde nur eines wichtig: Er soll spüren, dass er in Ordnung ist. Als Junge, als Fünfzehnjähriger, mit seinen Ecken und Kanten, auch wenn er übers Ziel hinausschießt und frech und faul ist. Mal männlich, mal weniger männlich, mal eher weiblich. Wie es seit kurzem in der katholischen Einheitsübersetzung der Bibel auch heißt: Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie1. Beides gehört zu jedem von uns, und es braucht Zeit, um es zu verstehen, richtig damit zu leben. Vieles weiß der fünfzehnjährige Junge noch nicht. Muss er auch nicht. Aber ihn und seine Altersgenossen zu unterstützen, ihnen Mut zu machen, das liegt mir am Herzen.਍

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23APR2025
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Jesus aus Nazaret war ein Mensch mit Gefühlen. Ganz klar. Jesus weint, als er die Nachricht vom Tod eines guten Freundes bekommt. Jesus ist traurig und wütend, weil Gegner ihn daran hindern wollen, eine Kranke zu heilen - nur weil Shabbat ist, Arbeitsverbot also.

Aber seltsam: nirgends ist auch nur ein Wort darüber zu finden, wie Jesus gelacht oder gescherzt hat, dass er Witze macht oder sonst einmal fröhlich gewesen wäre...

Na gut - als Gast bei einem Hochzeitsfest sorgt er mal dafür, dass genug Wein da ist. Und gelegentlich fordert Jesus seine Leute ausdrücklich auf, jetzt aber mal keine Trauer zu schieben, solange sie ihn noch bei sich haben. Das sind doch indirekte Hinweise darauf, dass der Mann kein Trauerkloß gewesen sein dürfte. Man hat ihn sogar als Fresser und Weinsäufer kritisiert; der hat doch sicher wenigstens gelegentlich auch mal gefeiert und gelacht.

Allerdings: Lachen ist in der Bibel sowieso ein eher seltenes und irgendwie auch seltsam negatives Wort. Lachen und Gelächter haben immer einen schlechten Unterton. Böse Menschen, Feinde, Unterdrücker: die lachen brutal und sarkastisch. Gelächter richtet sich anscheinend immer gegen andere – und das ist ja nun wirklich sehr hässlich...

Vielleicht lassen die JesusGeschichten der Bibel auch deswegen aus, dass und wie Jesus gelacht hat? Er war aber jedenfalls so menschlich und so nah bei den Menschen und geradezu vernarrt und verliebt in sie, dass er sicher auch mit den Fröhlichen gelacht hat. Schade, dass die Evangelisten das vergessen haben. So können und dürfen wir es nur stark und fröhlich vermuten.

In manchen Kirchen gehört ein fröhliches Gelächter als fester Brauch zum Oster-Gottesdienst. Hat sogar einen lateinisch-theologischen Namen: risus paschalis – österliches Gelächter heißt es. Die Leute im frühen Mittelalter hatten ja wenig zu lachen und so ein Ostergottesdienst konnte schon lange dauern; und damit die Christenleute ausgerechnet am Osterfest ein bisschen fröhlich in die Welt gucken sollten: Erzählte der Pfarrer am Ende einen guten Witz – den OsterWitz eben. War gelegentlich sehr derb oder direkt. Aber das lässt sich ja leicht vermeiden.

Das Ostergelächter, das ich mal selbst erlebt habe, war allerdings unfreiwillig und eher einem Versprecher geschuldet – zudem in der Fastenzeit drei Wochen vor Ostern. „Gib deinem Volk einen hochherzigen Glauben“, betete da ein alter Pfarrer, „damit es mit froher Hingabe dem Oktoberfest entgegeneilt.“

Ist noch ein bisschen bis dahin – aber „Frohe Ostern“ jetzt und weiterhin wünsche ich!

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