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16JUL2024
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Eine Papstaudienz für Kabarettisten – dazu hat Franziskus hundert international bekannte Comedians in die ehrwürdigen Räume des Vatikans eingeladen. Die deutsch-türkische Kabarettistin Meltem Kaptan hat die Einladung des Papstes im ersten Moment für einen Scherz gehalten. Aber als klar war: der Papst meint es wirklich ernst, da hat sie sofort zugesagt. Und alle andern auch. Der Kabarettist Torsten Sträter etwa, der sich so ein „once-in-a-lifetime-Erlebnis“ natürlich nicht entgehen lassen wollte.

Man könnte sich ja fragen: Hat der Papst keine anderen Sorgen? Was wollte er ausgerechnet von diesen schrägen Vögeln, die ja gerne mal die Kirche aufs Korn nehmen?

Franziskus hat den Comedians dafür gedankt, dass sie mit Humor und Ironie die Menschen zum Lachen bringen und dadurch Grenzen und Vorurteile überwinden. Der Papst betont auch, dass sie auf positive Weise Probleme ansprechen und damit Hoffnung geben. Das sei gerade in diesen Zeiten besonders wichtig und sogar ein Beitrag für eine friedlichere Welt.

Bei den hundert Comedians kam er damit gut an. Torsten Sträter war danach so beeindruckt, dass er gewitzelt hat: „ Also, ich setze mich gleich mal auf einen Espresso in die Ecke und überlege, ob ich wieder in die Kirche eintrete.» Wahrscheinlich hat er bei Franziskus gespürt, dass Glauben und Humor gut zusammen passen. Schließlich hat der Papst erzählt, dass er jeden Tag um Sinn für Humor betet, um die Dinge im rechten Geist anzugehen.

 

Humor als Frömmigkeitsübung. Für mich ergibt das Sinn. Denn Humor ist die Fähigkeit, dem Leben mit einer gewissen Distanz zu begegnen und nicht alles zu wichtig zu nehmen. Wer Humor hat, rechnet damit, dass nicht alles perfekt ist, weder die anderen und schon gar nicht, man selbst. Deswegen kann man sagen, dass Humor sogar eine ganz spezielle Form der Demut ist. Das lateinische Wort für Demut  lautet „humilitas“. Das klingt nicht zufällig so ähnlich wie Humor. In beiden Worten steckt das Wort „humus“, das heißt übersetzt „Erdboden“. Wer Humor hat, weiß, dass die Menschen nicht höhere geistige sonst sehr irdische Wesen sind. Nicht perfekt. Wer Humor hat, kann trotzdem lachen – und das hat eine ungeheuer befreiende Wirkung. Beim Lachen atmen wir besonders intensiv. Das Zwerchfell wird gelockert, und wie von selbst strömt frischer Atem in unseren Körper. Wer lacht, verbindet sich mit den Lebenskräften. Und das kann Hoffnung geben.

Der Papst hat am Ende seines Treffens mit den Comedians daher noch einmal betont, wie wichtig Humor und das Lachen für die Menschen sind. Und er hat seine Gäste gebeten:

„Helfen Sie uns, mit einem Lächeln die Realität mit ihren Widersprüchen zu erkennen und von einer besseren Welt zu träumen!" 

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15JUL2024
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Den einen Menschen finden, der perfekt zu mir passt – davon träumen viele. Und wenn zwei sich gefunden haben, dann scheint das Glück garantiert. Wie im Märchen, in dem der Königssohn die Königstochter heiratet – und wenn sie nicht gestorben sind, dann …sind sie für immer glücklich zusammen.

Oft wird dieser Märchen-Traum auf öffentliche Paare projiziert – wenigstens bei ihnen scheint er ja in Erfüllung gegangen zu sein. Steffi Graf und Andre Agassi sind so ein typisches Traumpaar. Seit fast 25 Jahren sind sie miteinander verheiratet. Und noch immer schwärmt Agassi von seiner Steffi: „Sie ist für mich die Erfüllung des Schicksals. Die Frau, die perfekt zu mir passt.“ 

Ich weiß nicht, wie es bei Steffi Graf und Andre Agassi war. Ob sie in ihrer Ehe immer nur glücklich miteinander waren. Ob sie nicht auch Missverständnisse und Enttäuschungen erlebt haben und auf Distanz gegangen sind und trotz ihrer Partnerschaft auch manchmal einsam waren. Nach meiner Erfahrung ist das in einer intensiven Beziehung unvermeidlich. Und das ist herausfordernd. Auf einmal passt nichts mehr zusammen. Sogar die Eigenschaften, die mich anfangs besonders angezogen haben, stören mich jetzt. Dass mein Partner ruhig und überlegt ist, empfinde ich dann womöglich als verschlossen und reserviert. Und wenn mich an meiner Partnerin ihre fantasievolle und kreative Art angezogen hat, dann erlebe ich sie auf einmal als chaotisch.

In der ersten Verliebtheit meinen wir, den einen Menschen gefunden zu haben, der gerade das, was mir fehlt, ergänzt. Und umgekehrt. Gemeinsam sind wir perfekt. Eben ein Traumpaar. Aber auf lange Sicht gesehen kann ich das, was mir innerlich fehlt, nicht an meinen Partner delegieren. Und so sind schwierige Zeiten in einer Beziehung immer auch eine Chance, sich selber weiter zu entwickeln.

In einem Interview hat Andre Agassi einmal gesagt: "Das erste ist, sich selbst zu kennen. Man kann keine Beziehung eingehen, in der man den anderen braucht, um sich vollständig zu fühlen, sonst kämpft man mehrere Schlachten."  Da werden ihm viele Psychologen zustimmen. Jeder Mensch muss erst mal mit sich selber klarkommen. Mit seinen positiven und mit seinen schwierigen Seiten und mit seiner Herkunftsgeschichte. Manchmal ist das so belastend, dass man dabei Hilfe braucht. Und wenn die eigenen Altlasten oder die des Partners zu groß sind, dann kann das für eine Beziehung auch eine Überforderung sein. Es bedarf meist eines langen und geduldigen Weges, dass wir innerlich reifen und uns mit uns selbst versöhnen können. Auch in einer guten Beziehung werden wir nicht einfach erlöst. Aber eine gesunde  Beziehung kann ein guter Rahmen sein, als Einzelne und als Paar zu wachsen.

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13JUL2024
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Der reformierte Pfarrer Joachim Neander hat sich zu Lebzeiten wohl nicht träumen lassen, dass das schluchtartige Tal des Flüsschens Düssel einmal seinen Namen tragen würde. Er hat dort in den 70er Jahren des 17. Jahrhunderts sonntags Gottesdienste im Grünen gefeiert und unter der Woche ausgedehnte Spaziergänge gemacht. Das Neandertal liegt heute in Nordrhein-Westfalen, etwa zehn Kilometer östlich von Düsseldorf. Berühmt geworden ist es aber nicht für den Dichter des Liedes „Lobet den Herren, den mächtigen König der Ehren“, sondern für einen urzeitlichen Bewohner, dessen fossile Überreste man dort im Jahr 1856 gefunden hat: den Neandertaler. Diesem urmenschlichen Verwandten haftet kein besonders gutes Image an. Er gilt als primitiv und grobschlächtig. Wenig Hirn, viele Muckis.

Dieses Urteil muss jetzt jedoch gründlich revidiert werden. In einer spanischen Höhle haben Forscher nämlich Knöchelchen aus dem Innenohr eines etwa sechsjährigen Kindes gefunden. Und die weisen Merkmale der Genmutation Trisomie 21 auf. Ein Neandertaler mit Down-Syndrom. Die eigentliche Sensation besteht aber darin: Dieses behinderte Kind konnte nur überleben, wenn es liebevoll versorgt wurde. Denn vor 55 000 Jahren herrschten an der spanischen Mittelmeerküste eisige Temperaturen und widrige Bedingungen für den Schutz behinderter Artgenossen.

Dass der kleine Junge trotzdem sechs Jahre alt wurde, weist darauf hin, dass er in einer fürsorglichen Gemeinschaft lebte. In dem betreffenden Artikel steht dazu der Satz: „Nächstenliebe gab es also schon einige Zehntausend Jahre vor Erfindung des Christentums.“ Ja, natürlich, denke ich. Denn Nächstenliebe ist eine im wahrsten Sinne des Wortes urmenschliche Eigenschaft. Nicht Jesus hat sie erfunden. Auch der jüdische Glaube weiß, dass die vorbehaltlose Zuwendung zu den Mitmenschen zum Fundament einer starken Gemeinschaft gehört. Nicht das alleinige Recht des Stärkeren hilft zum Überleben, sondern die Frage, wie mit den Schwächsten umgegangen wird. Um dieses Fundament zu stärken, hat Jesus der Nächstenliebe zwei Partnerinnen an die Seite gestellt, die Gottesliebe und die Selbstliebe. Jede einzelne ist schon stark für sich, aber wenn sie zusammen an einem Strang ziehen, sind sie unschlagbar.    

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12JUL2024
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Eine Konferenz in Berlin. Neben dem Tagungsprogramm hab ich mir viel vorgenommen, will jede freie Minute optimal ausnutzen. Wenn man schon mal in der Bundeshauptstadt ist! Aber die Schlange vor dem Museum ist ewig lang, und ehrlich gesagt, bin ich doch auch ziemlich müde. Also gebe ich mein ehrgeiziges Kulturprogramm auf und lasse mich einfach so durch die Straßen treiben. Und finde mich plötzlich im Grünen wieder.

Ich bin überrascht: Da wächst ein Roggenfeld mitten in der Stadt. Ein Straßenschild hilft mir: „Bernauer Straße.“ Ja, hier stand früher die Mauer, hier verlief der Todesstreifen, der mit Gewalt den Lebenszyklus einer Millionenstadt abwürgen sollte. Die aufsteigenden Bilder schnüren mir die Kehle zu. Mitten im sommerlichen Roggenfeld steht die Kapelle der Versöhnung. Ein schlichter Stampflehmbau aus Holz und Lehm, zu zwei Dritteln aus Bruchstücken der Vorgängerkirche gebaut, die 1985 gesprengt worden ist.

Spontan folge ich dem Impuls, die raue Wand zu berühren. Die Verletzungen zu spüren, die diesem Material eingeschrieben sind. Und ihnen gleichzeitig die Hand aufzulegen wie eine alte Heilerin. Später erzählt mir der Pfarrer, der hier arbeitet, dass viele Besucherinnen das tun. Berühren, um berührt zu werden. Anfassen, was sonst nur schwer zu begreifen ist. Jeden Mittag wird hier in vielen Sprachen das Vaterunser gebetet. Seit zwei Jahren auch auf Russisch und Ukrainisch. Jeden Tag.

Ich setze mich auf einen Stuhl und lasse den kargen Raum auf mich wirken. Die Kantorin erzählt stolz von der kleinen Orgel auf der Empore: Vier Register rufen mit je landestypischen Klangfarben die ehemaligen Besatzungsmächte in Erinnerung: Frankreich, Großbritannien, die USA und Russland. Was für ein kraftvoller Ort! Aus dem Roggen draußen wird tatsächlich Brot gebacken. Und Saatgut in 13 Länder verschickt, die einmal hinter dem Eisernen Vorhang lagen. Hinter der Kapelle liegt immer noch ein Stück NiemandsLand. Aber es ist kein Todesstreifen mehr, sondern ein Garten mitten in der Stadt. Er gehört niemandem, ist für alle da. Wer will, kann hier Gemüse anbauen. Oder Rosen züchten. Die verletzte Seele baumeln lassen. Und spüren, wie ein großes Wort vorsichtig Wirklichkeit wird: So ist Versöhnung. 

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11JUL2024
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Sie trägt einen roten Mantel und roten Lippenstift. Das Bundesverdienstkreuz erster Klasse und der Verdienstorden des Landes Berlin sitzen ihr wie kleine Schmetterlinge auf dem umgelegten Mantelkragen. Sie ist eine zierliche Frau mit silbergrauem Haar. Ihr Alter versteckt sie nicht. Sie ist 102 Jahre alt. Das stärkste Leuchten geht von ihrem Gesicht aus.

Margot Friedländer ist gerade auf dem Titelbild der deutschen Vogue abgebildet. Mit diesem fantastischen Foto ist für sie ein 90 Jahre alter Traum in Erfüllung gegangen. Denn schon mit 15 wollte sie Schneiderin und Modedesignerin werden. Mode- und Reklamezeichnen hat sie dafür gelernt. Und an den Wochenenden im Café Wien am Berliner Kurfürstendamm gesessen und die elegant gekleideten Frauen bewundert. Das war 1936. Sie sagt: „Ich hatte große Pläne. Ich wollte selbst Kleider entwerfen.“

Doch dann kam alles ganz anders. Die Nationalsozialisten setzen immer mehr Repressalien gegen ihre jüdischen Mitbürgerinnen durch. Margot ist Jüdin. Zerstört werden nicht nur ihre Träume, sondern die ganze Existenz. Mutter und Bruder ermordet. Sie selbst im KZ Theresienstadt inhaftiert. In diesem Lager, das auf Vernichtung ausgerichtet ist, lernt sie einen Mithäftling kennen und lieben. Gleich nach der geglückten Befreiung wandern die beiden in die USA aus. Als ihr Mann dort nach 64 Jahren Zweisamkeit stirbt, will sie, damals 88 Jahre alt, unbedingt nach Deutschland zurück. Und lebt jetzt schon seit 14 Jahren wieder in ihrer Heimatstadt Berlin. In dieser Zeit hat sie über tausend Besuche in Schulen gemacht. Erzählt von ihren Erfahrungen in Nazideutschland und von den Gefahren des gegenwärtigen Antisemitismus. Ihre Botschaft ist so schlicht wie ergreifend: „Schaut nicht auf das, was euch trennt. Schaut auf das, was euch verbindet. Seid Menschen. Seid vernünftig.“

So spricht eine Frau, der alles genommen wurde, ohne jede Verbitterung. Ihr Blick auf die Welt ist versöhnlich, voller Weisheit und Wärme. In jedem Wort, das sie sagt, steckt positive Energie.  „Sagt Eure Meinung! Seid wachsam! Seid Menschen!"  Ich wünsche ihr, dass sie noch lange leuchten darf. Rot. Wie die Liebe.

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10JUL2024
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Gaia – so heißt eine spektakuläre Kunstinstallation des britischen Künstlers Luke Jerram. Es ist eine sieben Meter große, detailgetreue Abbildung unseres Planeten. Eine Kugel, die über den Betrachtern schwebt. Gefertigt nach Weltraumfotos der NASA. Benannt nach der griechischen Göttin Gaia.

Gaia verkörpert in der antiken Mythologie die Erde als Ganze. Sie steht für die Grundlage, den Mutterboden von allem, was lebt.

Wer die Kunstinstallation anschaut, so der Künstler, erlebt einen ähnlichen Effekt wie die Raumfahrer, als sie zum ersten Mal die Erde aus dem Weltall gesehen haben. Das, was man später als den „Overview-Effekt“ bezeichnet hat: ein Gefühl der Ehrfurcht und Ergriffenheit vor der unendlichen Weite des Alls, in dem die Erde nur ein kleiner blauer Punkt ist.

Und plötzlich wird klar, wie fein alles Leben aufeinander abgestimmt und miteinander verbunden ist. Wie schön, aber auch wie verletzlich der Planet Erde ist.

„Von da oben“, so hat es einer der Astronauten gesagt, „siehst du nur die natürlichen Grenzen, nicht die von den Menschen geschaffenen. Dies war eine der tiefsten, emotionalsten Erfahrungen, die ich jemals hatte.“

Ich denke, dieser Blick aus der Ferne, den die Kunstinstallation vermittelt, hilft auch zu sehen, wie destruktiv oft menschliches Verhalten in der Nähe ist. Ich denke an die Friedlosigkeit auf unserem Planeten. Die zahllosen Konflikte, Rivalitäten und Machtkämpfe.

Dabei könnte die Erkenntnis doch die sein: Wir sind Teil eines großen Ganzen. Von Mutter Erde, oder, wie Christen sagen würden, Teil der Schöpfung Gottes. Der Blick in die Tiefen des Universums zeigt, wie kostbar und zerbrechlich unsere Insel des Lebens im unendlichen Kosmos ist.

So dass ein neues Verantwortungsgefühl befördert wird: den zerbrechlichen und kostbaren Planeten zu hüten für künftige Generationen. Und bewohnbar zu erhalten.

Übrigens: die Ausstellung „Gaia“, die bereits durch viele Städte in Amerika, China und Europa getourt ist, wird vom 13. September bis 6. Oktober in der Karlsruher Stadtkirche zu sehen sein. Vielleicht haben Sie ja die Möglichkeit, sie dort anzuschauen.

 

Ausstellungshinweis unter: www.gaia-in-karlsruhe.de

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09JUL2024
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Ich war vielleicht zehn Jahre alt, als mir mein Vater einen Leuchtglobus geschenkt hat. Groß wie ein Fußball. Mittels der eingebauten Glühbirne konnte man Erdteile und Ozeane zum Leuchten bringen. Was für ein wunderbares Geschenk!

Plötzlich war die Erde nicht mehr flach wie auf den Seiten meines Diercke Schulatlas. Jetzt konnte ich sehen, dass der Planet ein großes rundes Ganzes ist.

Und das war ja nur ein winziger Vorgeschmack auf das, was Jahre später kommen sollte. Als die ersten Astronauten die Erde auf einer Umlaufbahn umkreisten. Und fantastische Fotos vom blauen Planeten zurück zur Erde schickten.  

Einer der ersten Astronauten, Ron Garan, berichtet damals davon. „Wenn wir auf die Erde aus dem Weltraum herabschauen“, sagt er, „sehen wir diesen erstaunlichen, unbeschreibbar schönen Planeten – der wie ein lebender, atmender Organismus aussieht. Aber gleichzeitig sieht er sehr verletzlich aus.“      

Menschen haben plötzlich eine Anschauung davon gewonnen, wie unendlich weit und schön der Kosmos ist. Und wie verbunden das eigene Leben mit dem Leben im Universum.

Aber man muss sich nicht auf eine Umlaufbahn schießen lassen, um die Schönheit der Schöpfung zu erkennen. Wache Augen genügen. Wie sie der lateinamerikanische Dichter Ernesto Cardenal hat, wenn er schreibt: „Die ganze Schöpfung ist die Schönschrift Gottes und in seiner Schrift gibt es nicht ein sinnloses Zeichen. Der Schriftzug der Meteore am Himmel, der Flug der Zugvögel in den Herbstnächten, die Jahresringe im Stamm einer Zeder, alles sind Zeichen, die uns Botschaften übermitteln. Wir müssen nur verstehen, sie zu lesen.“

Mir geht es so, dass ich dazu morgens nur das Fenster aufmachen muss. Die Schwärze der Nacht ist verflogen. Ich lasse die kühle Morgenluft ins Zimmer, freue mich am Zwitschern der Vögel und genieße das Glück eines jungen Morgens.

Und begreife: Ich lebe auf dem blauen Planeten, auf dem alles miteinander verbunden ist. Zerbrechlich und verletzlich ist er. Wie ich selber auch. Darum will ich ihm begegnen, wie man Verletzlichem und Zerbrechlichem begegnet. Behutsam und mit Empathie.

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08JUL2024
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Eins meiner Lieblingsbücher, die ich als Kind gelesen habe, waren die „Schönsten Sagen des Klassischen Altertums“ von Gustav Schwab. Besonders begeistert hat mich die Geschichte des Titanen Prometheus. Er war einer, der den Menschen besonders zugetan war.

Prometheus schenkt nämlich den Menschen das Feuer. Damit – so der Mythos – hat er die menschliche Zivilisation begründet.

Inzwischen müsste er diese Tat allerdings bitter bereuen. Meint der Philosoph Peter Sloterdijk in seinem jüngsten Buch „Die Reue des Prometheus“. Denn das Geschenk des Feuers habe sich als höchst ambivalent erwiesen.

Was zur Kultivierung der Welt hätte dienen sollen, habe der moderne Mensch zum exzessiven Abfackeln der unterirdischen Wälder eingesetzt. So seien die Menschen der Neuzeit zu Brandstiftern geworden: „Über ihren Feuerstellen“, so Sloterdijk, „ihren Motoren, ihren Hochöfen, ihren Kraftwerken, ihren Schlachtfeldern sammeln sich Rauchwolken, die alles andere als Gutes bedeuten“.

Mir wird bewusst, wie anders das biblische Konzept in der ökologischen Krise der Gegenwart lautet. Es steht gleich am Anfang der Bibel in der Schöpfungsgeschichte. Da übergibt Gott den Menschen den Garten der Schöpfung mit einem doppelten Auftrag. Nämlich: die gute Schöpfung – wie es wörtlich heißt – „zu bebauen und zu bewahren.“

Darin steckt beides: weiterzuentwickeln, was uns gegeben ist. Und die nicht erneuerbaren Schätze der Natur, wo immer möglich, zu schonen. Wenn ich versuche, das in konkretes Verhalten zu übersetzen, dann vielleicht so:

Ich lasse das Auto öfter mal stehen und gehe zu Fuß. Ich entdecke die Faszination der Nähe, statt das Reisen in die Ferne. Zum Einkaufen nehme ich ein Netz oder eine Tasche mit, statt Plastiktüten zu benutzen. Und wie wäre es beispielsweise, im Sommer, statt Wäschetrockner den Charme der Wäscheleine wiederzuentdecken?

Schließlich können nicht nur Menschen ihr Burn-out erleben. Auch die Schöpfung im Ganzen kann irgendwann ausgebrannt sein.

Die Figur des Prometheus erinnert mich daran. Und mehr noch der biblische Auftrag, die Schöpfung nicht nur zu bebauen. Sondern auch zu bewahren!

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06JUL2024
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Vor ein paar Tagen war bei uns der Strom weg. Im ganzen Ort. In machen Straßen gab es erst nach 24 Stunden wieder Licht und warmes Wasser. Supermarkt zu, Tankstelle außer Betrieb, Kühlschränke stehen still und das Licht bleibt aus. Ich muss zugeben, da musste ich mich erst mal orientieren. Gerade als am Abend immer noch kein Strom da war. Wo sind die Kerzen und Streichhölzer? Wie gehen wir mit den Sachen aus der Kühltruhe um? Wo kann ich das Fußballspiel doch noch sehen? Auf einen so langen Stromausfall war ich überhaupt nicht vorbereitet.

Für mich war das Ganze aber eher ein Abenteuer. Alles halb so wild. Zumal dann auch der Strom wieder kam. Für manche war das anders. Für Kranke, die auf Sauerstoff angewiesen sind und dafür eine Maschine brauchen. Im Supermarkt: Da haben sie die komplette Ware aus Gefriertruhen und Kühltheken entsorgt. Ein riesiger Schaden.

Mir ist wieder klar geworden, wie selbstverständlich ich viele Dinge in meinem Leben und um mich herum nehme. So selbstverständlich, dass ich gar nicht darüber nachdenke. Sie sind einfach da – wie der Strom oder das Wasser, das aus dem Hahn fließt. Und dann denke ich, dass ich zu oft vieles für zu selbstverständlich nehme. Beziehungen, Sonnenaufgänge, Freundschaften, Musik, ein frischer Windzug im Sommer. Ich muss nur die Augen aufmachen.

Vielleicht ist es sogar dieses scheinbar Selbstverständliche, das das Leben erst reich und rund macht. Vieles davon fällt mir einfach zu. Der laue Sommerabend. Die singenden Vögel am Morgen. Um anderes aber kann ich mich kümmern, kann Freunde anrufen, ein Treffen ausmachen, mal genau hinhören auf das tolle Lied im Radio. Kann sehen, wie viele Menschen das Land am Laufen halten und dadurch mein Leben möglich machen. Mich macht das dankbar. So dankbar, wie ich war, als der Strom dann wieder kam.

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05JUL2024
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Einen Augenblick nicht aufgepasst und schon ist es passiert. Der Lenker schlägt um und ich stürze vom Fahrrad. Zum Glück geht alles glimpflich aus. Ein paar Abschürfungen und blaue Flecken. Geht wieder vorbei. Aber ich hab mal wieder eine Lektion in Sachen Schwerkraft gelernt. Die in vielen Situationen mein Leben beeinflusst. Wenn ich in den Bergen wandern gehe. Auf einem schmalen Grat in den Abgrund sehe. Oder wenn mir das Glas Wasser aus den Händen fällt und klirrend zerbricht. Schwerkraft ist überall.

Der britische Physiker Issac Newton hat die Schwerkraft, die Gravitationskraft, umfassend naturwissenschaftlich beschrieben und berechnet. Schwerkraft ist nach Newton die Anziehungskraft zwischen zwei Massen. Newton formuliert das ausführlich in seinem grundlegenden Werk Principia. Das erschien genau heute vor über 300 Jahren, am 5. Juli 1687. Hier gelingt es Newton, die Schwerkraft auf der Erde zu erklären. Und er kann auch erklären, wie die Bahn der Planeten um die Sonne zu Stande kommt. Oder wieso es Ebbe und Flut gibt. Durch die Kräfte, die zwischen Erde und Mond wirken.

Schwerkraft ist noch mehr. Sie ist auch der Grund, warum Menschen auf der Erde überhaupt leben können.

Schwerkraft ist allerdings wegen ihrer universalen Bedeutung auch ein grandioses Bild für menschliches Leben. Schon morgens zeigt sich das. Aufstehen fällt manchmal schwer. In die Gänge kommen. Die Müdigkeit abschütteln. Aber auch das Gewicht von Verantwortung kann einen richtig belasten. Sorgen tragen für Kinder oder Enkel, im Beruf bestimmte Pflichten erfüllen, all das kann einen bedrücken. So kann die Schwerkraft auch als Metapher für Hindernisse und Herausforderungen verstanden werden. Die muss ich überwinden, wenn ich meine Ziele erreichen will.

Schwerkraft ist damit beides: Sie schafft Lebensgrundlagen und hält die Welt und das Universum zusammen. Und sie fordert Tag für Tag heraus. Widerstände zu überwinden, sich zu entwickeln, das Gewicht des Lebens zu stemmen.

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