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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

01JUL2023
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In den Kirchen macht sich Religionslosigkeit breit, und das liegt daran, dass sie keine Vorstellung vom Jenseits mehr haben. So lese ich bei der Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff. Wenn sie recht hat, haben die Kirchen ein echtes Problem. Denn ohne den Blick über das irdische Leben hinaus – mit all seinen Nöten, Grenzen und Ungerechtigkeiten – werden die Kirchen zu Dienstleistern neben anderen. Man schätzt ihr Angebot, erwartet aber nicht mehr von ihnen als einen funktionierenden Service hier und jetzt. Dabei ist es nicht leicht, vom Jenseits zu sprechen. Ein Foto vom Jenseits hat niemand. Wir können es nur in symbolischen Bildern beschreiben. Und vielleicht funktionieren einigedieser Bilder einfach nicht mehr.

In der Bibel wird das Jenseits wiederholt als ein großes Festmahl beschrieben, mit Gott als großzügigem Gastgeber. Viele Menschen kämpften früher mit Armut und Knappheit. Da konnte ihnen ein solches buntes Bild mit der Fülle von Essen und Trinken etwa folgendes sagen: Eure Not wird ein Ende haben. Wie bei einem rauschenden Fest wird es mehr als genug für alle geben, denn Gott selbst wird für euer Wohl sorgen.

Heute feiern wir ausgiebig jedes Fest, Geburtstage und viele andere Anlässe, und von Knappheit kann bei vielen keine Rede sein. Da ist das Bild vom Festmahl nicht mehr außergewöhnlich. Und wir spüren die Hoffnung nicht mehr, die von diesem Bild ausging.

Vielleicht müssen wir andere Bilder finden. Einen Hinweis finde ich beim Abschied Jesu von seinen Jüngern. Er tröstet die traurige Schar mit den Worten: Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen. Und ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten. Jesus malt das gute Jenseits als ein Haus mit vielen Wohnungen, mit Platz für alle. Keine gierige Wohnungsbaugesellschaft dreht mir eine Bruchbude an, sondern Jesus selbst richtet mir die Wohnung her. Dieses Bild verstehen vermutlich alle, die verzweifelt auf Wohnungssuche sind. Befreit sein von der Wohnungsnot kann ein Mosaikstein sein im Bild vom guten Jenseits. Vielleicht brauchen wir mehr solche Mosaiksteine, die zu unseren aktuellen Nöten passen. Um auf das fantastische Jenseits hoffen zu können, das Gott für uns bereit hält.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

30JUN2023
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Jedes Jahr werden die Deutschen nach ihrem Spendenverhalten gefragt. Die Ergebnisse überraschen zum Teil. So sind während der Pandemie die Spenden für gemeinnützige Zwecke noch einmal deutlich gewachsen. Isolation und Abstand haben den Menschen nicht den Blick für das Gemeinwohl verstellt. Dass die Spendenbereitschaft mit der Bildung und dem Alter steigt, scheint einleuchtend: Höhere Bildung bedeutet höheres Einkommen, und älter sein heißt: Die Karriere ist fortgeschritten, die Anschaffungen sind erledigt, die Kinder aus dem Haus – da bleibt etwas übrig zum Spenden.

Doch so einfach ist es nicht: Höhere Einkommen bedeuten gerade nicht zwangsläufig, dass entsprechend mehr gespendet wird. Denn das zeigen die Untersuchungen auch: Spenderinnen und Spender aus dem untersten Zehntel der Bevölkerung mit dem geringsten Einkommen spenden prozentual doppelt so viel von ihren Mitteln wie das Zehntel mit dem höchsten Einkommen.

Das hat mich überrascht. Ich hätte gedacht, dass bei den Ärmeren nichts zum Spenden übrigbleibt, dass alles in den notwendigen Lebensunterhalt fließen muss. Und doch haben diese Menschen etwas für andere oder für gesellschaftliche Aufgaben übrig, prozentual sogar mehr als mancher Wohlhabende. Diese Haltung imponiert schon Jesus: Er beobachtet, wie die Reichen ihre Gabe in den Opferkasten des Tempels werfen. Dann kommt eine arme Witwe, die nur zwei kleine Münzen einwirft. Und Jesus stellt fest: Diese arme Witwe hat mehr gegeben als alle anderen. Die Wohlhabenden haben von ihrem Überfluss gespendet; diese Frau aber hat ihren ganzen Lebensunterhalt gegeben. Jesus erkennt, dass die arme Frau trotz ihrer misslichen Lage mehr auf Gott vertraut als auf ihre geringen Mittel.
Ich sehe da eine Parallele zur Freigiebigkeit mancher ärmerer Menschen. Sie halten ihre geringen Mittel nicht ängstlich zurück. Sie sehen vielmehr soziale, kulturelle oder gesellschaftliche Aufgaben, für die sie spenden. Wie die arme Witwe aus der Bibel glauben sie an etwas Größeres – an Gott, an das Gemeinwohl oder einen anderen übergeordneten Wert. Der ist ihnen wichtig. Und damit geben sie mir ein Beispiel.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

29JUN2023
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„Spülen Sie Ihre Träume und Hoffnungen nicht die Toilette hinunter!“ Davor warnt mich ein Aufkleber im Bad meines Hotels. Es ist eine lange Liste, was alles nicht in die Toilette gehört: Abfälle, entsorgte Gegenstände, keine Spielsachen – und eben auch keine Träume und Hoffnungen.

Die Warnung amüsiert mich, und gleich fällt mir eine Menge ein, was ich doch gerne hinunterspülen würde. Zum Beispiel die ganze aktuelle Kirchenkrise: Den unsäglichen Umgang mit den Missbrauchsfällen, das Gezerre um die kleinsten Reformen, die Sprachlosigkeit gegenüber den Problemen, die die Menschen belasten – und noch einiges mehr. Einfach weg damit, wegspülen. Aber ich befürchte, all diese Schwierigkeiten können schwimmen und kommen wieder an die Oberfläche. Dann doch lieber die Probleme nüchtern zur Kenntnis nehmen, aufarbeiten, lösen und – wo möglich – wieder gut machen. Das ist besser als wegspülen

Vor allem aber befürchte ich beim Wegspülen, dass meine Träume und Hoffnungen mit den Bach hinuntergehen könnten. Damit meine ich nicht nur, dass es in der Kirche auch viel Gutes gibt, etwa die vielen Frauen und Männer, die sich in Seelsorge und Caritas um die Nöte anderer kümmern. Nein, ich meine: richtige Hoffnungen. Ich meine etwa die Hoffnung, dass in der Kirche wieder Frauen und Männer aufstehen, die geleitet vom Heiligen Geist einen Weg aus dem Dilemma, eine Perspektive der Erneuerung aufzeigen. Es muss ja nicht gleich eine heilige Katharina von Siena sein, die den Papst nachdrücklich an seine Aufgaben erinnerte und damit Erfolg hatte. Es muss auch kein heiliger Franziskus sein, dem Gott in einer Vision sagte: Baue meine Kirche wieder auf. Oder vielleicht doch: Vielleicht brauchen wir gerade solche Menschen, die nicht zum üblichen kirchlichen Personal gehören, persönlich glaubwürdig sind und keinen Vorteil für sich suchen. Dafür aber erkennbar vom Heiligen Geist geleitet werden und zeigen, worauf es ankommt. So wie das schon in früheren Kirchenkrisen geschehen ist. Durch Katharina, Franziskus und andere. Auf solche Frauen und Männer hoffe ich. Und diese Hoffnung werde ich nicht wegspülen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

25MRZ2023
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In genau neun Monaten, so lange wie eine Schwangerschaft dauert, ist wieder Weihnachten, das Geburtsfest Jesu. Deshalb begeht heute die katholische Kirche das Fest „Verkündigung des Herrn“. Der Evangelist Lukas erzählt dazu die Geschichte, wie der Engel Gabriel zu Maria kommt und ihr die Geburt Jesu ankündigt. Maria ist skeptisch: Wie soll das geschehen, ich lebe doch mit keinem Mann zusammen. Gabriel beruhigt sie: Gottes Heiliger Geist wird dem Kind das Leben schenken. Und Maria ist beruhigt und sagt: Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe wie du gesagt hast.

Diese Szene habe ich letztes Jahr in einem Krippenspiel gesehen. Zwei sechsjährige Mädchen spielen Gabriel und Maria. Doch Maria hat ihren Text vergessen und antwortet mit eigenen Worten. Auf Gabriels Hinweis, Gottes Geist werde für die Schwangerschaft sorgen, antwortet die Sechsjährige: Wenn du das sagst, will ich das glauben.

Für mich ist das eine starke Antwort. Da bahnt sich völlig Unglaubliches an: Die Jungfrau soll ein Kind bekommen. Und die nüchterne und realistische Maria sagt: Wenn du das sagst, will ich es glauben. Nicht weil sie an Märchen und Mythen glaubt. Sondern weil sie an Gott glaubt, dessen Botschaft Gabriel ausrichtet und bei dem nichts unmöglich ist.

Solche Situationen kommen in der Bibel öfter vor. So fischen Petrus und seine Fischer-Kollegen eine ganze Nacht lang vergeblich. Ihre Netze bleiben leer. Und da sagt Jesus zu ihnen: Fahrt noch einmal hinaus und werft die Netze aus. Der nüchterne Petrus antwortet: Die ganze Nacht haben wir gefischt und nichts gefangen. Und als erfahrener Fischer weiß er, dass das bei Tag erst recht nichts wird. Doch er sagt zu Jesus: Aber wenn Du es sagst, fahren wir noch einmal los. Und sie kehren mit vollen Netzen zurück. Auf Jesu Wort hin wagt Petrus es noch einmal – entgegen all seiner Erfahrung. Und er hat Erfolg.

Bei Gott ist nichts unmöglich, meint Gabriel. Eine Jungfrau kann ein Kind bekommen, und mitten am Tag kehren Fischer mit vollen Netzen heim. Das ist für mich der Kern des Glaubens: Dieses unbändige Vertrauen in Gott, das ihm auch das Unmögliche zutraut: Wenn du es sagst, will ich es glauben.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

24MRZ2023
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Eine Kirche im Odenwald hat einen echten Dachschaden. Von der Holzdecke können kleine Teile in den Kirchenraum fallen. Die Gemeinde weiß sich zu helfen: Sie spannt unter dem Dach eine große Stoffbahn wie ein Zelt über die Sitzbänke. So sind die Besucherinnen und Besucher geschützt und der Gottesdienst kann weiterhin im gewohnten Kirchenraum stattfinden.

Doch der Charakter der Kirche hat sich verändert. Gefühlt betrete ich nicht ein Haus aus Stein, festgefügt für die Ewigkeit, sondern ein luftiges Zelt, leicht aufzuschlagen und leicht abzubauen. Das erinnert mich an Stellen in der Bibel, in denen Gott in einem Zelt bei den Menschen wohnt. In einem Zelt begleitet Gott die Israeliten nach der Flucht aus Ägypten durch die Wüste. Und in einem Zelt will Gott mitten unter den Menschen wohnen, wenn er am Ende der Zeit alles zum Guten wendet, jede Träne abwischt und es keine Trauer und keinen Schmerz mehr gibt. Die Bibel sagt mit diesem Bild: Unser Gott ist ein beweglicher Gott, immer nahe bei den Menschen. Er residiert nicht in einem Palast und wartet, dass wir zu ihm kommen, sondern er zieht mit uns, teilt unsere Lebensumstände.

Wenn ich die riesigen Flüchtlingslager aus Zelten, Hütten und Baracken sehe, wird dieses Bild für mich aktuell. Auf die Frage „Wo ist Gott in all diesem Elend?“ kann ich antworten: Er ist mitten unter diesen Menschen. Er hat sein Zelt mitten unter ihnen aufgeschlagen. Vielleicht bei dem alten Mann, dem seine Herde verdurstet ist und der vor dem Hunger fliehen musste. Oder bei der Mutter mit den drei kleinen Kindern, deren Mann im Bürgerkrieg getötet wurde und die nur das Nötigste retten konnte. Gott ist beweglich, denn er will unter den Menschen sein, gerade unter denen, die arm sind, die leiden oder kein festes Dach über dem Kopf haben. Deshalb ist das Zelt sein Symbol, nicht der Palast.

Wenn ich wieder im Odenwald bin, will ich nachsehen, ob das Zelt noch steht. Das Dach ist sicher längst repariert, aber es würde mich freuen, wenn das Zelt noch da wäre. Als Zeichen der Gegenwart Gottes. Und wenn es weg ist – auch nicht schlimm. Dann hat Gott gewiss sein Zelt wo anders aufgeschlagen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

23MRZ2023
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Von der bemerkenswerten Gesprächsbereitschaft Gottes erzählt die Bibel heute im katholischen Gottesdienst: Das Volk Israel ist aus Ägypten geflohen, aber jetzt hängt es in der Wüste fest. Sein Vertrauen in den unsichtbaren Gott ist geschwunden. Sie wollen lieber einen sichtbaren Gott wie die anderen Völker auch. Deshalb gießen sie sich ein Kalb aus Gold und verehren es als ihren neuen Gott.

Gott sieht das und hat - gelinde gesagt – dieses störrische und jetzt auch abtrünnige Volk endgüldtig satt. Er will es vernichten. Doch Moses, der Führer der Israeliten, ist gerade auf dem Berg Sinai, um mit Gott zu sprechen. Er fängt eine Debatte mit Gott an: Willst du wirklich dieses Volk und damit dein eigenes Werk vernichten? Und Gott lässt mit sich reden und verzichtet auf die Vernichtung Israels.

Gott lässt mit sich reden. Das kommt in der Bibel öfter vor. Abraham diskutiert mit Gott, ob er wirklich die ganze Stadt Sodom auslöschen will, wenn da vielleicht noch zehn gerechte Menschen leben. Und Gott gibt nach, okay, wenn sich zehn Gerechte finden, bleibt Sodom verschont.

Auch Jesus lässt mit sich reden. Eine heidnische Frau will, dass er ihre Tochter heilt. Er aber sieht sich nur zu den Kindern Israels gesandt. Doch die Frau lässt nicht locker und argumentiert: So wie selbst die Hunde im Haus von den Brotkrumen was abbekommen, die vom Tisch fallen, so muss doch auch für mich was abfallen. Und Jesus lässt sich überzeugen und heilt die Tochter.

Offenbar machen Menschen die Erfahrung, dass Gott mit sich reden lässt. Gott ist so groß und souverän, dass er Entscheidungen überdenkt und zurücknimmt. Der allmächtige Gott der Bibel ist nicht willkürlich oder stur. Er hält nicht kleinlich fest an einmal gefassten Entscheidungen. Sondern er zeigt sich zugänglich für Fragen und Argumente. Ich finde dieses Gottesbild sehr hilfreich, geradezu anrührend. Natürlich ist das eine sehr menschliche Vorstellung von Gott. Doch offenbar beruht sie auf so starken und echten religiösen Erlebnissen, dass die Bibel es wert findet sie zu berichten. Deshalb vertraue ich darauf, dass ich Gott nicht nur alles erzählen kann - das ist eine Binsenweisheit. Sondern dass ich sogar mit ihm diskutieren kann. Denn Gott lässt mit sich reden.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

31DEZ2022
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„Unser Leben sei ein Fest.“ Dieser Refrain eines Kirchenliedes bleibt mir am Jahresende doch im Hals stecken. Dieses Jahr mit Krieg, Katastrophen und Krankheiten war alles andere als eine Party. Viele erlebten Not, in den Kriegsgebieten auch pures Elend. Als unser Finanzminister in großem Stil heiratete, fühlten viele: So eine pompöse Feier passt nicht in unsere Zeit. Vielleicht können wir eine Zeit lang gar nicht mehr unbefangen feiern. Auch nicht an Silvester.

Dagegen dieses Kirchenlied: Unser Leben sei ein Fest. Beim zweiten Lesen fällt mir auf: Hier steht nicht „Unser Leben ist ein Fest“, sondern „sei ein Fest“. Die Realität wird nicht geleugnet, das Lied drückt vielmehr eine Hoffnung aus: Unser Leben soll ein Fest werden. Diese Aufforderung stößt mich auf das, was es im vergangenen Jahr auch Gutes gab, im Großen wie im Kleinen. Es gab mehr als Katastrophen und Unglück. So war 2022 nicht nur ein Kriegsjahr, sondern in diesem Jahr haben die Deutschen so viel gespendet wie nie zuvor. Viele Menschen waren in der Not äußerst hilfsbereit und engagiert. Hoffnung können auch private Erfahrungen machen. Meiner Frau und mir wurden zum Beispiel weitere Enkelkinder geschenkt. Für all das bin ich dankbar, und das sind Gründe zum Feiern. Doch die Botschaft „Euer Leben sei ein Fest“, dieser Satz stünde nicht in einem Kirchenlied, wenn es nur um positive Erfahrungen oder privates Glück ginge. Das wäre nicht genug für Menschen in Not, die einen Angehörigen betrauern oder nicht mehr weiterwissen. Deshalb fährt das Lied fort: Unser Leben sei ein Fest, denn Jesu Kraft ist der Grund unserer Hoffnung. Klingt wie ein billiges Schlagwort, ist aber für mich ein Schlüsselwort: Jesu Kraft, die ist für mich spürbar, gerade wenn es schwierig wird. Seine Kraft lässt mich nicht an den Kriegsnachrichten verzweifeln, sondern spornt mich an, für Frieden einzutreten. Sie hilft mir auszuhalten, wenn ich niedergeschlagen bin, und richtet meinen Blick wieder auf, wenn ich meinen Kopf hängen lassen will. Auch dafür bin ich dankbar, und es macht mir Hoffnung. Und Dankbarkeit und Hoffnung sind für mich Gründe zum Feiern. Deshalb wird auch dieses Jahr Silvester aus meinem Leben ein Fest machen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

30DEZ2022
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Zuerst denke ich: Da braucht jemand Hilfe. Zwischen zwei parkenden Autos steht ein Paar Schuhe, und ich kann die Füße eines offenbar am Boden liegenden Mannes sehen. Beim Näherkommen vervollständigt sich das Bild: Der Man liegt nicht am Boden, sondern kniet auf einem kleinen Teppich, der schräg zwischen den Autos nach Osten ausgerichtet ist. Der Mann betet.

Mitten in der Großstadt zwischen parkenden Autos, unberührt vom Verkehr und den Fußgängern erfüllt ein muslimischer Gläubiger seine Gebetspflicht. Es geht ihm offensichtlich nicht um eine Demonstration. Sonst hätte er sich einen belebten Platz gesucht, nicht eine Parklücke. Er will einfach nur beten.

Mich hat diese Begegnung sehr berührt. Die Selbstverständlichkeit hat mich beeindruckt, mit der der Mann seine Religion ausübt. Und ebenso die Courage, dies unaufdringlich, aber doch öffentlich zu tun.

Früher haben Menschen auch im Restaurant häufiger vor dem Essen still gebetet, erkennbar an dem kurzen stillen Verweilen vor den servierten Speisen und vielleicht an einem Kreuzzeichen.

An bestimmten Plätzen, zum Beispiel vor dem Mainzer Kaufhof, trafen sich in meiner Kindheit Menschen zum gemeinsamen Rosenkranzgebet. Religion und Glaube waren so unaufdringlich, aber erkennbar in der Öffentlichkeit präsent. Heute erlebe ich so etwas selten. Religion scheint nicht nur privat, sondern regelrecht intim, fast peinlich zu sein. Man behelligt damit nicht andere, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Schließlich will man niemand missionieren – und auch nicht missioniert werden.

Doch das Beispiel des muslimischen Beters zeigt mir: Es geht gar nicht um aggressive Mission. Es geht um die Selbstverständlichkeit des religiösen Lebens. Wenn ich einen Anlass habe zu beten, dann bete ich – ob zu Hause oder im Restaurant, ob im Familienkreis oder wenn ich mit Freunden unterwegs bin. Das ist keine Glaubensdemonstration, sondern einfach mein religiöser Alltag. Das ist Religionsfreiheit, vielleicht auch Ermunterung für andere. Das muss mir nicht peinlich sein, und andere müssen daran keinen Anstoß nehmen. Ich vertraue da auf ihre religiöse Toleranz. So wie der muslimische Beter darauf vertraut hat, dass die Passanten sein Beten respektieren.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

29DEZ2022
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Manchen Kindern gefällt eine bestimmte Art des Betens: Das Gummibärchengebet. Dabei zieht ein Kind verdeckt aus einer Tüte ein Gummibärchen. Und je nach Farbe betet die Familie dann für ein bestimmtes Anliegen: Bei einem roten Bärchen dankt sie Gott für seine Gaben, bei „gelb“ bittet sie um Gesundheit für einen Angehörigen, bei „orange“ betet sie für Menschen in anderen Ländern – und so weiter. Am Ende – das ist vielleicht das Wichtigste – darf das Kind das Gummibärchen essen. Oder vielleicht auch ein paar mehr.

Aber ist das wirklich gut: Kinder aufs Beten konditionieren mit Süßigkeiten?! Das macht doch aus dem Beten ein Spiel, dieses Gummibärchen-Orakel.

Ich habe damit keine Schwierigkeiten. Als unsere Kinder jung waren, nahm ich sie regelmäßig mit in den Gottesdienst. Das war für sie nicht immer unterhaltsam oder gar spaßig. Aber im Sommer, wenn es passte, gab es nach dem Gottesdienst ein Eis am Eisstand. An diese Verbindung zwischen Gottesdienst und Eisessen erinnern sich unsere erwachsenen Kinder noch heute schmunzelnd: Jaja, unser Vater hat uns mit Eis in die Kirche gelockt.

Das ist doch eigentlich etwas Gutes, wenn Kinder religiöses Leben mit etwas Köstlichem verbinden, ob es nun ein Gummibärchen, Eis oder das Festessen an Weihnachten ist. So können sie erfahren: Religion ist mit etwas Gutem verbunden, auch wenn die Kinder nicht jede Einzelheit verstehen.

Das passt für mich ganz zu den großen Zeichen des christlichen Glaubens. Was beim Abendmahl geschieht, bleibt vielleicht immer ein Geheimnis, aber dass Brot und Wein etwas Gutes sind, versteht jeder. Wie die Krankensalbung wirkt, wird der Kranke vielleicht nicht theologisch genau wissen, aber dass die sanfte Salbung mit Öl kräftigen und heilen will, kann er verstehen. Warum und wie die Taufe von Schuld befreit, braucht längere Erklärung, aber dass das Wasser den Täufling reinigt, ist sofort nachvollziehbar.

Das Christentum ist eine sinnliche Religion, die nicht nur Herz und Verstand anspricht, sondern uns auch schmecken und fühlen lässt. Gewiss, Gummibärchen und Eis sind nicht Brot und Wein, sie sind kein Sakrament. Aber sie machen den guten Geschmack von Religion erfahrbar.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

05OKT2022
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Der christliche Glaube kann die Vorstellungskraft ganz schön herausfordern. Etwa wenn im Gottesdienst Brot und Wein in Leib und Blut Christi gewandelt werden. Das klingt wie ein Zaubertrick und ist nur schwer verständlich. Zum Verstehen hilft mir folgende Geschichte:

Ein Maler ist besessen von seiner Kunst, er kann nicht anders als Tag für Tag herrliche Bilder malen. Doch ihm fehlt das Geld für Leinwände und Farben. Also stiehlt er eines nachts bei einem Händler Farben und Leinwand und malt eines seiner besten Bilder. Er wird erwischt und vor Gericht gestellt. Der bestohlene Händler will als Wiedergutmachung natürlich das neue Bild. Schließlich sind es seine Farben, seine Leinwand, aus denen das Bild besteht. Also gehört das Bild ihm. Doch der Richter gewährt dem Händler nur Geldersatz für die gestohlenen Farben und die Leinwand. Das Bild aber gehört dem Maler. Zwar ist das Bild physikalisch und chemisch nicht mehr als Farbe und Leinwand des Händlers. Aber durch den Esprit, durch den Geist und das Können des Malers ist etwas entstanden, das mehr ist als Farbe und Leinwand. Das Bild kann etwas, was Farbe und Leinwand alleine nie könnten: Es kann einen neuen Blick eröffnen, die Wirklichkeit besser erschließen, verborgene Schönheit zeigen und vieles mehr.

So ähnlich sehe ich das auch mit Brot und Wein im Gottesdienst. Sie bleiben Brot und Wein, jede Analyse würde das bestätigen. Hier finden keine Magie und kein Zaubertrick statt. Und zugleich werden Brot und Wein - wie das Bild des Künstlers – im Gottesdienst durch Gottes Esprit, durch seinen Geist zu etwas Neuem. Wie das Bild des Künstlers aus Farbe und Leinwand eine neue Sicht ermöglicht, so ermöglichen Brot und Wein eine neue Gemeinschaft. Gott macht möglich, dass der gemeinsame Verzehr von Brot und Wein die Christinnen und Christen zu einer Einheit zusammenführt, dass sie untereinander und mit Christus zu einem Leib werden. Nicht durch Magie oder Zauberei, sondern weil Brot und Wein durch Gottes Geist mehr sind als alltägliche Nahrungsmittel. So wie ein Bild immer mehr ist als nur Farbe und Leinwand.

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