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SWR2 / SWR Kultur

 

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SWR2 Wort zum Tag

16FEB2024
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Immer öfter kommen mir Todesanzeigen ins Haus - auch von Menschen, die jünger sind als ich.  Selbst schon über 85 Jahre alt, rückt mir natürlich auch der eigene Tod immer mehr auf das Fell. Keine Sorge, ich möchte Ihnen mit diesem Thema den Morgen nicht verderben, ganz im Gegenteil.  Ich weiß, ich berühre ein Tabu. Aber irgendwie ist die Sache mit Vergehen und Sterben doch so präsent, dass es guttut, genauer hinzuschauen und darüber nachzudenken. Seit vorgestern, seit dem Aschermittwoch, steht das Thema illusionslos im Raum: „Staub bist du, und zum Staube kehrst du zurück“. Also, blinde Kuh spielen gilt nicht mehr, auch und gerade im Zuspruch am Morgen darf von Schutt und Asche die Rede sein. Wir wollen uns ja gerade nicht aus dem Staub machen, sondern den Tag heute begrüßen - und zwar mit dem Staub auf den Straßen und in den Zimmerecken, mit dem Haarausfall und dem Lebensalter, mit allem Drum und Dran des heutigen Tages.

Diese Zeit zwischen Aschermittwoch und Ostern ist besonders geeignet, auch Tabus zu berühren. Geht es doch um den Grund der christlichen Hoffnung – und das gerade nicht vorbei an Vergänglichkeit und Sterben, sondern mitten darin und hindurch. Der Tod sei unser letzter Feind, wirklich das letzte, schrieb Paulus vor bald zweitausend Jahren, und der wird nun endgültig besiegt.  Mit dem Bekenntnis zur Auferweckung Jesu ist die Gewissheit verbunden, selbst vollendet zu werden und das Lebensziel wirklich zu erreichen. Versprochen ist versprochen, Jesus steht dafür grade. Das Thema Tod gehört jedenfalls für uns Christenmenschen mitten ins Frühjahr hinein, und keineswegs nur in den herbstlichen Nebel. Frühlings Erwachen und österliche Hoffnung gehören zusammen; sie machen jeden Tag kostbar, auch den Tag heute. Es ist schließlich der erste von den letzten, die wir noch haben.

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SWR2 Wort zum Tag

15FEB2024
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Ein bisschen Asche ist noch auf meiner Stirn, ich habe nichts abgewaschen vom Aschenkreuz gestern Abend. Dieses Zeichen hat für mich etwas Besonderes. In meiner Kindheit hat mir die Mutter immer ein Kreuzzeichen auf die Stirn gemacht, wenn ich zur Schule ging. Auch den Leib Brot hat sie so gesegnet, bevor sie ihn anschnitt. Segnen und Signieren ist ja derselbe Wortstamm: da wird etwas gegengezeichnet und unterschrieben. Das Kreuz auf meiner Stirn, das Jesuszeichen als Signatur: nun gehören wir zusammen. Aber das Kreuz gestern ist gerade nicht aus Gold oder Silber, nicht mit Edelstein verziert - nein, aus Asche. „Staub bist du, und zum Staube kehrst du zurück“.  Illusionslos wird ausgesprochen und unterschrieben, was Fakt ist:  auch ich bin vergänglich, irgendwann habe ich abzudanken, bald werde ich gewesen sein, und dieser Tag heute ist schon der erste vom Resrt meines Lebens den letzten, die mir noch bleiben. Und dann: Asche zu Asche, Staub zu Staub.

Das wäre nichts als eine Zumutung und auch Kränkung, wenn es eben nicht das Kreuz wäre, das Lebens- und Siegeszeichen Jesu. Mit ihm ist die begründete Hoffnung gegeben auf Vollendung und Auferstehung. Mit ihm wird alle Vergänglichkeit schöpferisch durchkreuzt.  „Du wirst auferstehen am jüngsten Tage“. Was mit Jesus schon österlich geglückt ist, blüht auch uns – so jedenfalls hoffe ich fest. Deshalb habe ich mir das Aschenkreuz nicht abgewaschen, deshalb ist mir diese Signatur wichtig auf Ostern hin, auf das Ende zu und die Vollendung. Diese Zeit zwischen Aschermittwoch und Ostern ist eine besondere Zeit. In diesen vierzig Tagen kann bewusster werden, was das befristete Leben so kostbar macht – die gestundete Zeit. Es ist eine Art Trainingsphase, in der wir konzentrierter einüben, was eigentlich das ganze Jahr gilt, sogar das ganze Leben.  Wir sind auf Durchreise, und jeder Tag ist unendlich kostbar - eine einmalige Chance, die Gegend zu erkunden und zu gestalten. Staub bist du, ja, aber mit der mit der Zusage auf Vollendung und Auferstehung. Es ist also Sternen- und Blütenstaub, Gottesstaub. Es ist jener Stoff, aus dem – unter hohem Druck verdichtet – Diamanten werden, wirkliche Schmuckstücke wie Sie und hoffentlich auch Ich.

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SWR2 Wort zum Tag

14FEB2024
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Heute Abend werde ich zur Kirche gehen und mir das Aschenkreuz auf die Stirn machen lassen. „Staub bist du, und zum Staube kehrst du zurück“ – so wird mir dazu gesagt. Jedes Jahr geht mir das unter die Haut - ganz ähnlich wie bei jeder Beerdigung, wenn für den aus unserer Mitte gebetet wird, der als nächster dem Verstorbenen folgen wird. „Werde ich‘s denn?“ Irgendwie tut mir diese Konfrontation mit der eigenen Vergänglichkeit gut, und ich bin sogar dankbar dafür. Und zugleich habe ich einen Riesenrespekt und kriege Gänsehaut. Immerhin bleibt es beim Aschenkreuz ja nicht bei dem Wort vom Staub, denn es heißt weiter: „Gott aber wird dich auferwecken am Jüngsten Tage“, also zuletzt, wenn es endgültig so weit ist. Da kommt dieses großartige Gottesversprechen dazu und darauf gründend die Osterhoffnung: die Konfrontation mit dem Tod ist also nicht der Blick in das schwarze Loch, wo alles im Nichts versinkt. Christlich ist es vielmehr jenes Dunkel, das die Kehrseite ist von blendendem Licht. Wie gut doch, dass mir der Staub in Gestalt des Kreuzes auf die Haut tätowiert wird: es ist ja das österliche Gütezeichen, wie sehr auf Gottes Zusage Verlass ist. Jesus steht dafür grade als Pate und Zeuge. Ich brauche mich nicht aus dem Staub zu machen, ganz im Gegenteil: Ich darf hoffen, schon jetzt.

Aschermittwoch heute ist für Christen also ein besonderer Tag im Jahr, ein bisschen wie Karfreitag schon. Da wird der übliche Zeitablauf unterbrochen, da gilt es innezuhalten. Nein, es geht nicht immer so weiter - lautet die Ansage dieses Tages. Alles hört irgendwann auf, und wie rasant geht mein Leben vorbei. Und Achtung: wie schnell kann es zu spät zu sein. Heute am Aschermittwoch ist „alles vorbei“, das ist unerbittlich wahr. Aber eben auch: “Gott wird dich auferwecken am jüngsten Tage“. Am Aschermittwoch fängt die Osterzeit an, das Fest christlicher Hoffnung wirft seine Schatten voraus, 40 Tage lang. Umso mehr gilt es, die befristete Lebenszeit zu nutzen.

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SWR2 Wort zum Tag

17JAN2024
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Tag für Tag kommt im kirchlichen Morgengebet ein uralter biblischer Hymnus vor, und der hat es sich, fremd und stark: „Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels. Denn er hat sein Volk besucht und ihm Erlösung geschaffen“. Wie ein Paukenschlag zum Aufwachen. Da haben Leute Bilanz gezogen und alles auf einen Punkt gebracht, und der lautet: Gott ist da, und das bedeutet Glück und Rettung, vom Erbarmen ist dann des Öfteren die Rede. Nirgends steht, dass es immer leicht ist. Aber dass Gott in diese Welt gekommen ist, gilt unumstösslich, eine belastbare Tatsache. Jeden Tag soll sie prägen.

Das entscheidende Gütezeichen dafür ist der Sonnenaufgang, wie könnte es anders sein.  Deshalb heißt es bildstark: „Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes wird uns besuchen das aufstrahlende Licht aus der Höhe“ - welch eine Freude, dass die Sonne aufgegangen ist. Licht ist da, Leben, absolut nicht selbstverständlich. Und dann heißt es: „um die zu erleuchten, die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes und ihre Schritte zu lenken auf den Weg des Friedens“. Wunderbar: der Sinn des ganzen Lebens wird in einem einzigen Bild zusammengefasst: Schritte gehen auf dem Weg des Friedens. Der Weg ist schon da, er will und muss nur begangen werden.

Ja, das ist eine Art Sonnenhymnus am frühen Morgen und zugleich eine realistische Diagnose der Welt und auch des Alltags. Erst wo wir Finsternis und Todesschatten nicht ausblenden, wird das Leben jeden Tag zum Geschenk; erst wo wir den Friedendsauftrag hier und heute entdecken, bekommt dieser Tag wirklich Sinn und Gewicht. Heraus aus Nacht und Dunkel - heute neu das Licht der Welt erblicken dürfen, das ist Anlass zum Dank und nicht minder zur Bitte.  Vor allem aber zum richtigen Leben und Handeln: „und unsere Schritte zu lenken auf den Weg des Friedens“. Ja, was könnte uns Besseres einfallen und gelingen? Einen guten Tag also!

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SWR2 Wort zum Tag

16JAN2024
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„Jeden Morgen soll die Schale unseres Lebens hingehalten werden, um aufzunehmen“ - so notierte sich Dag Hammarskjöld in sein Tagebuch, diese Schatzkiste mutiger Einsichten (57). Der großartige UNO-Generalsekretär wollte jeden Tag möglichst hellwach beginnen, bereit nicht nur für den Terminkalender und die riesigen Aufgaben der Weltpolitik; also nicht nur irgendwie wach, sondern überraschungsbereit und empfänglich für alles, was kommt und ansteht. Gern spricht er auch von reiner Hingabe, von absichtsloser Präsenz. „So wird die Welt jeden Morgen neu geschaffen, verziehen – in dir, von dir“, so lautet eine andere Notiz, nein ein Gebet. (179). Jeder Tagesanfang ein Schöpfungsmorgen, jeder Tag voller Chancen zum Verzeihen und Vergeben.  Der Weltfrieden fing für den großen UNO- Diplomaten immer mit dem Seelenfrieden an. Jeder Tagesbeginn – ein Schöpfungsmorgen, und er selbst ständig der Vergebung bedürftig und bereit dafür.

Die Morgenstunde hat ja in der Tat etwas Reines noch.  Als wäre da noch alles im Lot, der Tag noch wie ein weißes Blatt Papier, noch nicht vollgeschrieben oder verknüllt wie am Abend. Leer noch wie eine Schale, die man hinhält in der Hoffnung auf Füllung und Erfüllung.  In der Bibel ist deshalb die Morgenstunde die richtige Zeit zur Rechtsprechung, da tagt das Gericht im Dorf oder der Kleinstadt, da wird alles klargestellt. Es ist kein Zufall, dass Hammarskjöld von Verzeihen und Vergebung gerade zum Morgen spricht. Mit dem Aufgang der Sonne rückt alles ins Licht. „Haltet des Morgens gerechtes Gericht“, rät z.B. der Prophet Jeremia (21,12). Früh morgens, bevor der neue Tag richtig losgeht, soll alles klar werden und bereinigt sein. Dann wird der neue Tag gut, sehr gut.

So mit frommen Menschen von heute und damals den neuen Tag zu beginnen und die Sonne der Gerechtigkeit zu begrüssen, ist ein schöner Brauch.  Andere um Vergebung zu bitten und selbst zu vergeben, ganz offen zu sein für das, was kommt ist eine gute Perspektive. Immer ist dabei die Überzeugung im Spiel, dass mit dem Sonnenaufgang das größte Wunder schon geschafft ist.  Einen guten Morgen also und einen erfüllten Tag.

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SWR2 Wort zum Tag

15JAN2024
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Noch ist das Jahr jung, und schon werden die Tage länger. Ein Anlass, der mich staunen lässt. Selbstverständlich ist es ja nicht, dass es wieder mehr Tageslicht gibt und bergauf geht. Irgendwie hat jeder Morgen etwas Geburtliches, in dunklen Jahreszeiten erst recht.

Aber „wann beginnt der neue Tag?“, fragt ein Schüler den frommen Rabbi. Und sofort denkt man, das sollte doch klar sein. Der weise Lehrer aber antwortet. „Es ist dann, wenn du in das Gesicht irgendeines Menschen blickst und deine Schwester oder deinen Bruder erkennst. Doch bis dahin ist die Nacht noch bei uns.“ Erst dann also geht die Sonne wirklich auf, wenn wir den Mitmenschen sehen und uns ihm gegenüber. Sonnenaufgang und Menschengesicht gehören zusammen. Das Licht der Welt erblicken ist nicht nur ein kosmisches Geschehen am Himmel und ein astronomischer Vorgang; es geschieht im Anblick des und der anderen. Nicht zufällig sprechen wir von leuchtenden Augen und vom strahlenden Gesicht.  Genau das meint der weise Rabbi.  Wo wir einander ansehen und Ansehen schenken, da beginnt der Tag wirklich, und die Nacht ist vorbei. Die Sonne geht auf, das Licht der Welt auf dem Gesicht des Mitmenschen. Welch ein Geschenk, wo es geschieht!

Das bringt ein wunderbarer Segenspruch auf den Punkt, uralt seit biblischen Zeiten und bis heute in den Kirchen lebendig: „Gott segne dich und behüte dich. Er lasse sein Angesicht über dich leuchten und sei dir zugeneigt.  Gott wende dir sein Angesicht zu und schenke dir Frieden.“ (Num 6,22ff) Drei kleine Sätze, die das Leuchten der Sonne mit dem Angesicht Gottes verbinden, beides dir zugesagt, beides dir zugeneigt. Segnen heißt begrüßen, gutheißen. Genau das hatte der Rabbi im Sinn: Gottes Licht auf dem Gesicht des und der anderen, von ihm zu mir und zurück, einvernehmlich. Unmittelbar in die Sonne schauen, ist nichts für unsereinen; zu viel Energie auf einmal.  So ist es auch bei dem Geheimnis, das wir Gott nennen. Einige Schuhnummern zu groß für uns. Aber Gottes Güte auf dem Angesicht des Mitmenschen entdecken, ihn als Bruder und Schwester wahrnehmen, überhaupt alles als Mitgeschöpf – das geht, das wäre der Beginn des neuen Tages. Heute.

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SWR2 Wort zum Tag

20DEZ2023
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Wie unterschiedlich wir auch sind, eines verbinden die meisten Menschen mit Weihnachten: Frieden und damit auch Freundschaft. Dass es überall in der Welt endlich versöhnt zugehe, wird zum größten Wunsch. Aber schon unterm Christbaum kann es zum Krachen kommen. Die Welt ist durchzogen von Hass und Gewalt - bitterstes Beispiel jüngst das Massaker in Israel und das Elend in Gaza. Wie viel Feindbilder in den Köpfen und Herzen, wie viel Hass und Aggression, sogar gegen die Natur. Welch ein Kontrast zur Weihnachtsbotschaft!

„Jauchzet ihr Himmel, frohlocket ihr Enden der Erden. Gott und der Sünder, die sollen zu Freunden nun werden.“ Überschäumend wird in diesem Kirchenlied der Durchbruch gefeiert: endlich der ersehnte Friedensschluss, endlich unverbrüchliche Freundschaft.  Es ist der Geist christlicher Mystik der hier spricht, der Geist der Feindesliebe und Versöhnung. Gottesfreundschaft ist nicht nur ein Wort, es ist verbunden mit der Lebensleistung Jesu. Deshalb feiern wir seinen Geburtstag. „Nicht mit zu hassen, mit zu lieben bin ich da“. So hatte der Dichter Sophokles seine Antigone schon lange vor Jesu Zeiten im Theater sagen lassen. Bei Jesus selbst wird das im realen Leben durchbuchstabiert: Gewalt nicht mit Gewalt beantworten, Bosheit vergeben, Eigensucht und Lebensangst verwandeln, und das sogar angesichts des Todes. Mit dem Auftreten Jesu kommt ein erlösendes Kontrastprogramm in die Welt. Liebe ist wirklich möglich, Frieden lässt sich wagen. Kontrolle ist gut, doch Vertrauen ist besser. Jedenfalls Schluss mit dem Morden, stattdessen Gottesfreundschaft untereinander.

Weihnachten also als Kontrastprogramm und Selbstverpflichtung. Wie könnte man den Geburtstag Jesu feiern ohne selbst  mitzumachen bei dieser göttlichen Friedensinitiative. Ganz konkret: Hass nicht mit Hass beantworten, stattdessen die Feindbilder auch im eigenen Herzen anschauen, Vergebung wagen und aufhören, immer alles von „den“ anderen zu erwarten. Letztlich heißt das: aus dem unglaublichen Liebesvorrat schöpfen, den wir Gott nennen. Jesus lebte so und er starb so, und schon sein Lebensanfang ist davon geprägt. Also, frohe Weihnachten bald

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SWR2 Wort zum Tag

19DEZ2023
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„Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.“ Zwar stammt dieser Spruch aus längst vergangenen Zeiten, von damals, als Pferde noch bei der Landarbeit halfen, aber treffsicher bleibt der Spruch trotzdem. Geschenkt ist geschenkt, und nicht der Materialwert entscheidet dabei, sondern ehrliche Absicht und freundschaftliche Beziehung. Beim Einkaufen wird anprobiert und getestet, da wird sogar hingelangt und abgetastet, mit dem Bezahlen ist das Geschäft abgeschlossen, meist sogar mit Rücktauschrecht. Schenken folgt einer anderen Logik. Da sollte es großzügig zugehen und absichtslos. Sehr treffend sagt die Frau, der man(n) Blumen schenkt: „ach, das war aber nicht nötig“. Exakt: Geschenke sind nicht nötig, es geht auch ohne, und doch sind sie mehr als nötig. Sie sind eine Zugabe, die man weder einfordern noch verdienen kann. Im Grunde weiß das jeder Mensch: das, worauf es wirklich ankommt, kannst du nicht selbst leisten oder verdienen; es muss dir geschenkt werden.  Liebe kann ich mir nur schenken lassen, und Vergebung auch. Ist es nicht bei allem so, was wichtig ist?  Gilt es nicht genau das zu lernen und jeden Tag als Geschenk zu betrachten? 

In jedem ehrlichen Geschenk, ob gekauft oder selbst gestaltet, steckt immer etwas vom Schenkenden selbst drin. Fromme Juden sagten früher sogar, eigentlich müsse man jedes Geschenk zweimal machen; denn beim ersten Mal ist immer noch etwas Berechnung dabei, mindestens Dank erwartet man oder fordert es insgeheim gar. Erst beim zweiten Mal ist es ganz absichtslos. Vielleicht muss es sogar ein bisschen weh tun, man gibt ja etwas von sich selbst her und verschenkt es. Wirklich freigebig sein, ist eine Kunst; nicht nur das Schenken will gelernt sein, auch das Beschenktwerden.

Jetzt zu Weihnachten lässt sich das wieder beobachten. Wenn da bei der Bescherung an Heiligabend nur Wunschlisten abgehakt würden, die man vorher eingereicht hatte, sollte man ehrlicherweise gar nicht von Geschenken reden. Da würde ja nur angenommen und einverleibt, was man vorher gefordert hatte. Doch welch ein Strahlen im Gesicht, wenn wir wirklich noch überrascht werden. „Das war überhaupt nicht nötig, einfach geschenkt“, wunderbar.

Deshalb feiern wir Christen den Geburtstag Jesu, er ist wirklich ein Gottesgeschenk, und ohne ihn wäre die Welt ärmer.

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SWR2 Wort zum Tag

18DEZ2023
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„Was ich Gott wünsche“ – ein ungewöhnliches Buch, das mir da vor kurzem geschenkt wurde. Die Idee überrascht mich, und sie gefällt mir. Am spannendsten ist der Titel. Üblicherweise macht man ja Gott zum großen Wunscherfüller, und wehe, er liefert nicht. Dann wird sofort gefragt, ob das Bittgebet überhaupt einen Sinn hat. Aber dass Gott selbst etwas brauchen könnte, ist selten zu hören.  „Alles Gute“, das wünschen wir uns ganz selbstverständlich untereinander. Aber Gott? Sollte er bzw. sie auch empfänglich und bedürftig sein, ein wirkliches Gegen-Über auf Augenhöhe?  Warum eigentlich nicht.  Es sind ja immer unsere eigenen Erfahrungen und Bilder, mit denen wir das Geheimnis umkreisen, das wir Gott nennen.  Richard Körner, Mönch in Berlin und Autor des Buches, wünscht Gott z.B. Erfolg. Möge er oder sie doch endlich vorankommen mit dem Weltfriedensprojekt und uns Menschen.  Ein anderer Wunsch für Gott heißt da, „dass du mehr bemerkt und beachtet wirst“ - so als wäre er doch ziemlich einsam und würde meist übersehen. Und dann der Wunsch, dass wir ihm nicht immer alles Leid und Unglück in die Schuhe schieben – als wäre er verantwortlich für die Misere, und nicht zuerst wir.

Die Vorweihnachtszeit jetzt wimmelt förmlich von Wunschlisten. Besonders bei Kindern. Was wünschst du dir zu Weihnachten? Das allerdings ist eine gute Frage auch zur Selbstbesinnung. Aber noch spannender ist der Richtungswechsel: was wünsche ich dir, der Partnerin, dem Freund, den Nächsten und Fernsten. Und eben Gott.  Weihnachtlich glauben ist keine Einbahnstraße. Da taucht die Überzeugung auf, dass Gott seinerseits bedürftig ist und Mitliebende sucht. „Sehet dies Wunder, wie tief sich der Höchste hier beuget;/sehet die Liebe, die endlich als Liebe sich zeiget“. So heißt es treffend im Weihnachtslied von Gerhard Tersteegen. Gott ist Liebe. Er braucht uns nicht, sonst wäre er oder sie nicht Gott. Aber Gott will uns brauchen, er will unserer Zuwendung bedürfen. Ist es nicht das, was ihn oder sie so sympathisch macht, so einmalig auch?

Jesus von Nazareth hat diese Gottverbundenheit gelebt, entsprechend konnte er den Mitmenschen ihre Wünsche von den Augen ablesen, und auch Gott. Deshalb feiern wir seinen Geburtstag. Mit ihm kommt diese Liebe in die Welt, die neu als Liebe sich zeiget, z.B. im Wünschen und Schenken. Ja, auch Gott ist für Zuwendung und gute Wünsche empfänglich.

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SWR2 Wort zum Tag

11OKT2023
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Hätten wir ihr Tagebuch nicht, wüssten wir kaum etwas von dieser hinreißenden Frau. Vor 80 Jahren ist sie als Jüdin in Auschwitz ermordet worden, kaum 30 Jahre alt. Aber die über 600 Seiten Tagebuch, die nun endlich ungekürzt auch auf Deutsch zu lesen sind, geben erstaunliche Einblicke in das Abenteuer eines originellen und intensiven Lebens – und das in den nazibesetzten Niederlanden und mitten schon im fürchterlichen Massenmord an den Juden. Etty Hillesum hatte in Amsterdam gerade ihr Jura-Studium beendet und will noch slawische Sprachen studieren. Aufgrund ihrer vielen Interessen und Beziehungen in eine Lebenskrise geraten, findet sie dank hilfreicher Therapie ihren Weg. Das Tagebuch liest sich wie ein Schnellkurs in Sachen Selbstfindung und Kreativwerdung, und das mit allen Höhen und Tiefen. Bald wird sie auch zur gesuchten Gesprächspartnerin und Ratgeberin. Besonders inspirierend dabei, wie Etty Hillesum beim Hineinhorchen in sich selbst und in ihren Alltag jenes Geheimnis entdeckt, das wir Gott nennen. „Und wenn ich sage, dass ich ‚hineinhorche‘, dann ist es eigentlich Gott, der in mich ‚hineinhorcht‘.“

Ein anderes Mal schreibt sie: „Die Menschen sind für mich manchmal wie Häuser mit offenstehenden Türen. Ich gehe hinein und streife durch die Gänge und Räume, und jedes Haus ist ein wenig anders eingerichtet, und doch sind alle gleich, und aus jedem Haus sollte man eine Bleibe für dich machen, mein Gott. Und ich verspreche dir, ich werde in so vielen Häusern wie möglich eine Unterkunft und eine Bleibe für dich machen, mein Gott.“ (659) Etty Hillesum versteht sich als Quartiermacherin Gottes – eine lustige Vorstellung, schreibt sie selbst. Aber welch ein Hintersinn! Christlich würden wir sagen: in jedem Menschen will Gott zur Welt kommen so wie einst in Jesus, dem Christus. Und jeder Mensch könnte eine Art Hebamme für diese Geburt Gottes im anderen sein.  Jedes Lächeln schon, jedes gute Wort wäre ein Beitrag dazu: eine rundum ermutigende Ausstrahlung erst recht. Etty Hillesum hat sie versprüht.  Davon sprechen alle, die sie kannten und nun kennen lernen können.

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