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27JUL2024
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„Probiers noch mal“ hat der Stuttgarter Großvater meines Mannes immer gesagt, wenn bei seinen Kindern oder Enkeln wieder einmal etwas schiefgelaufen war. Leider kann ich zwar alles Mögliche, aber kein Schwäbisch, denn der Satz „Probiers noch mal“ klingt, in freundlichem Schwäbisch geäußert, noch mal so mutmachend. Finde ich.

Im Unterschied zu seinem Sportlehrer, der den zweiten Versuch beim Felgaufschwung am Reck stets mit abfälligen Bewertungen garniert hat, war der Stuttgarter Opa für meinen Mann ein wohlwollender Mutmacher. Er hat sich damit in gut biblische Tradition gestellt. Mich erinnert sein „Probiers noch mal“ nämlich an die Szene im Lukasevangelium, als Jesus Simon ermutigt, nach einem großen Misserfolg beim Fischefangen die Netze doch noch einmal auszuwerfen. „Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen, aber auf dein Wort hin will ich die Netze auswerfen,“ antwortet Simon. Und hat Erfolg.

Oder ich denke an den erschöpften Propheten Elia, der einfach nicht mehr für Gott streiten kann und von einem ziemlich geduldigen Engel ermutigt wird, es doch noch einmal zu versuchen. Menschen wie der Stuttgarter Opa sind wie Engel, die helfen, sich wieder aufzurappeln und es eben, trotz aller Misserfolge, noch einmal zu versuchen. Sie machen Mut zum Leben und zum nächsten Versuch. Klar, manchmal stellt sich auch nach wiederholten Versuchen heraus, dass man für den Felgaufschwung einfach nicht geboren ist. Oder dass man nach einem vergeigten Examen möglicherweise besser einen alternativen Berufsweg einschlagen sollte, als es noch mal und noch mal zu versuchen. Vielleicht gibt es ja einen anderen Beruf, der einem selbst und anderen mehr zum Segen gereicht. Doch in vielen Fällen gelingt es tatsächlich, die Welt beim zweiten Versuch aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Ob nun oben vom Reck aus, oder auf dem Podium, wenn einem das Zeugnis überreicht wird. Dann wirft man die Netze aus und hat reiche Beute und spürt, dass sich die Anstrengung gelohnt hat.

Das mutmachende „Probiers noch mal“ ist wie eine Atempause, die einem hilft, die ganze Angelegenheit noch einmal in Ruhe zu betrachten, statt in der allerersten Verzweiflung die Netze in den Mülleimer zu werfen oder alle sportlichen Aktivitäten einzustellen. Mag sein, es klappt nicht alles, aber setz erst mal auf die schwäbisch-engelhafte Unterstützung.

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26JUL2024
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„Die Tiere bekommen als erste ihr Futter“ hat mir meine Großmutter erklärt. Dabei hat sie ihren Kanarienvögeln einen Schnitz Apfel in den Käfig geschoben und Körner und Wasser in Schälchen gefüllt. Ich war etwa fünf Jahre alt und fand diesen Satz im besten Sinne des Wortes merk-würdig. Ich habe ihn mir bis heute gemerkt, obwohl ich selbst nie ein Tier besessen habe. Für mich steht der Satz meiner Großmutter stellvertretend für eine Haltung, die die eigene Person zurücktreten lässt gegenüber anderen, die bedürftig sind. Eben nicht „Me first“, sondern zuerst die Schwächeren, die, die sich nicht selbst helfen können. Sogar ich, das von ihr über alles geliebte Enkelkind, musste mit dem Frühstück warten, bis die Kanarienvögel versorgt waren. Dann erst bekam ich mein Müsli. Meine Großmutter hat ihren Satz übrigens ganz entschieden vorgebracht. Da gab es keine Diskussionen. Die Tiere kommen zuerst dran. So ist es eben. Ich habe damals nicht nur gelernt, dass – jedenfalls für meine Großmutter – die Kanarienvögel am Morgen Vorrang vor den Menschen haben, sondern auch, dass man nicht verhungert, wenn man mal auf das Essen wartet. Im Gegenteil schmeckt das Frühstück sogar viel besser, wenn man vorher einem kleinen Geschöpf das Lebensnotwendige gegeben hat.

Was das Verhungern betrifft: Meine Großmutter hat im Krieg noch selbst gehungert. Noch schlimmer war für sie, dass sie ihr Kind – meinen Vater - nicht jeden Tag satt bekommen hat. Diese Erfahrung hätte ja auch dazu führen können, sich in späteren, guten Zeiten, den Teller randvoll zu häufen, ohne an andere zu denken. Und zwar als erste Tat am Morgen. Doch meine Großmutter hat Haltung bewiesen. Im Krieg und danach. Krieg und Hunger können dazu führen, dass Menschen sich ent-menschlichen. Dass sie ihre Werte verlieren, und ihre Einstellung zum Leben. Meine Großmutter hat das nicht zugelassen. Für sich nicht – und nicht für ihre Familie. Die christlichen Werte, die sie einmal gelernt hatte – Nächstenliebe, Barmherzigkeit, das Eintreten für Gottes Geschöpfe – die hat sie auch in der Not nicht vergessen und dies an ihren Sohn weitergegeben, auch zu Zeiten, als sie ihm zu ihrem Schmerz nicht ausreichend Brot geben konnte. Und später, in besseren Zeiten, an mich, ihr Enkelkind. Und mir den Teller mit einem jedenfalls immer ganz randvoll gefüllt: mit sehr, sehr viel Liebe.

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25JUL2024
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„Man muss den Kindern zeigen, dass sie etwas können“ hatte er mir erklärt. Ich kann mich nach all den Jahren noch genau erinnern. Wir hatten mit der Gymnasialklasse eine Exkursion zu einer Klosterruine unternommen. Er war am selben Tag mit seiner Hauptschulklasse dabei, im Kloster eine archäologische Ausgrabung durchzuführen. Er stand in der Grube mit der Schaufel in der Hand und hat mir erklärt, warum diese Aktion für seine Klasse so wichtig sei. Seine Schülerinnen und Schüler waren währenddessen mit Feuereifer dabei, kleine Scherben auszubuddeln und sorgfältig mit Pinseln vom Staub zu befreien. Warum er ausgerechnet mir sein pädagogisches Konzept erläutert hat, weiß ich heute nicht mehr. Wahrscheinlich habe ich neugierig gefragt, ob ich nicht auch mitmachen dürfte. Doch diese archäologische Ausgrabung war nicht für mich Gymnasiastin gedacht, sondern exklusiv für seine Klasse. „Die Kinder haben nicht viele Erfolgserlebnisse, das ist für dich viel einfacher“ hat er mir erklärt. „Hier erleben sie, dass sie etwas können. Das ist wichtig. Denn sie sind wertvolle Menschen, in ihnen steckt viel. Man muss ihnen nur helfen, das zu entdecken.“ Ich weiß noch: Ich hätte gerne auch mitgemacht, vor allem hätte ich aber gerne ihn als Lehrer gehabt. Ich habe gespürt: Dieser Mann ist etwas ganz Besonderes. Von ihm könnte ich viel lernen. Über das Leben. Über mich. Über Güte. Seine Worte, seine Haltung haben sich mir tief eingeprägt.

Später habe ich in meinem Beruf mit Kindern aus vielen gesellschaftlichen Milieus zu tun gehabt. „Man muss den Kindern zeigen, dass sie etwas können.“ Was ich als Schülerin gehört habe, wurde zum Anspruch an mich als Pfarrerin. Mein Augenmerk hat deshalb auch denen gegolten, die es im Leben nicht so einfach hatten. Denen, die ein bisschen länger gebraucht haben, bis sie etwas verstanden haben. Denen, die um alles kämpfen mussten, auch um Erfolg und Anerkennung. Ich habe überlegt, wie ich die Konfirmandenstunde so gestalten könnte, dass alle Freude daran haben. Wir haben dann mit einem Spiel begonnen, an dem sich alle beteiligen konnten. Und immer wieder habe ich an diesen Lehrer gedacht. An seine menschenfreundliche Güte. Schade, dachte ich, dass er nie erfahren wird, wie nachhaltig bedeutsam sein Impuls gewesen ist. Neulich, als ich meine Mutter im Altersheim besuchte, habe ich plötzlich seinen Namen gehört. Ein alter Herr hat seine pflegebedürftige Frau besucht. Ich habe ihn angesprochen. Tatsächlich, der Lehrer! Und so konnte ich ihm, Jahrzehnte später, erzählen, wie wichtig er für mich geworden ist. Er hat sich, ganz bescheiden, gefreut. Und ich konnte endlich „Danke“ sagen.

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24JUL2024
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Sommerzeit ist Urlaubszeit: Einige gehen wandern, andere klettern, fahren Fahrrad, schwimmen in Seen oder im Meer oder schauen einfach nur in die Luft. Reisen macht Freude, aber es kann auch etwas passieren. In jedes Sommerloch platzt früher oder später die Nachricht, dass jemand im Urlaub verunglückt ist oder einen Herzinfarkt erlitten hat. Deshalb geht in meinem Umfeld niemand ohne einen Segen in den Urlaub. Wenn die Menschen einverstanden sind, zeichne ich ein kleines Kreuz auf ihre Stirn oder in die Innenseite ihrer Hand und wünsche ihnen Gesundheit und Schutz auf ihren Wegen. Die meisten Menschen strahlen mich danach an und bedanken sich für die Energie, die sie im ganzen Körper spüren. Wenn ich so angestrahlt werde, fühle auch ich mich gesegnet. Dann verstehe ich den alten biblischen Spruch besser, dass wenn Gott jemanden segnet, diese Person gleichzeitig auch für andere zum Segen wird. Es ist ein wechselseitiges Geschenk. 

Segnen heißt auf Latein „benedicere“, das heißt: jemandem etwas Gutes sagen oder etwas Gutes wünschen, ganzheitlich mit Körper, Geist und Seele. Es geht also um gute Wünsche auf dem Weg. Die kann man immer gebrauchen, nicht nur im Urlaub.

Im Englischen heißt Segen „blessing“. Darin steckt noch das altenglische Wort „bletsian“. Übersetzt heißt es „sich verletzen“.  Daher kommt auch das deutsche Wort „Blessuren“.

Verletzungen, Leiderfahrungen und gute Wünsche gehören im Leben also schon seit ganz alten Zeiten nicht nur sprachlich zusammen. Alle guten Wünsche von lieben Menschen helfen dabei, Verluste, Leiderfahrungen und Krisen aushalten zu können. Da wir uns Segen nicht selbst zusagen können, sind Segenswünsche von anderen so bedeutsam.
Im christlichen Glauben kommt Segen von Gott allein. Wir Menschen können füreinander um diesen Segen bitten, aber wir können ihn nicht garantieren. Denn wir besitzen Gottes Segen nicht. Aber die liebevolle Energie, mit der wir Segenswünsche aussprechen und um Gottes Schutz bitten, kommt fast immer bei den Menschen an und zeigt Wirkung. Es berührt Menschen, wenn andere an sie denken und ihnen Gutes wünschen.

Das gibt Kraft und Lebensenergie, stimmt viele Menschen zuversichtlich und verändert ihre Grundhaltung zum Leben. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen Schutz und Segen bei allem, was Sie in diesem Sommer tun und lassen!

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23JUL2024
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Der Apostel Paulus hat von sich einige Male mit Worten eines Sportlers gesprochen, der einem himmlischen Siegespreis entgegensprintet. Den hat er als Lohn angesehen für seine Arbeit als Wanderprediger und christlicher Gemeindegründer (vgl. Philipper 3, 13-14). Paulus ist dabei konsequent und fokussiert durch sein Leben gesprintet. So hat er es selbst beschrieben.

Das Problem nur: Paulus ist in seinem Leben kein Sprinter gewesen, sondern eher ein Langstreckenläufer. Im übertragenen Sinn ist er Marathons gelaufen. Seine Missionsreisen kreuz und quer durch Kleinasien und Südeuropa haben ihn über viele Jahre an ganz verschiedene Orte rund um das Mittelmeer und jenseits davon geführt. Paulus erzählt von Jesus, schlichtet Konflikte in den Gemeinden und lädt Menschen ein, miteinander zu essen, zu beten, zu feiern und sich gegenseitig so zu akzeptieren, wie sie sind.

Paulus hat viele vom Christentum überzeugt, ist aber auch als angeblich „falscher Prophet“ gedemütigt und verfolgt worden. Mehrfach ist er im Gefängnis gelandet. Aber er ist seiner Mission treu geblieben. Dabei hat er wohl manchmal vergessen, dass ein Langstreckenlauf eine ganz andere Kondition und ein anderes Haushalten mit Energien braucht als ein Sprint.

Ich weiß, wovon ich rede: In meinem Leben bin ich schon mehrere Marathons gelaufen. Ich weiß aus eigener Erfahrung: Ich muss mir meine Kräfte einteilen, ich darf nicht los spurten, dann halte ich es nicht lange durch. Es ist beim Laufen außerdem wichtig, immer wieder nach links und rechts zu schauen und rücksichtsvoll zu sein, mit sich und anderen. Denn es sind viele unterwegs. Ich brauche einen ruhigen regelmäßigen Rhythmus bei meinen Schritten. Und dafür habe ich Kondition aufgebaut. Ich brauche Verpflegung auf dem Weg und liebe Menschen, die da sind, um mich zu unterstützen und anzufeuern.

Sprinten ist also nicht das Mittel der Wahl, wenn jemand wie Paulus als hauptberuflicher Wanderprediger, Gemeindegründer und Konfliktmoderator unterwegs ist. Sprinten ist auch nicht immer das Mittel der Wahl fürs Leben.

Die achtsame Haltung bei Langstreckenläufen ist zum Durchhalten eher geeignet: Der Weg ist das Ziel, besonnen und dankbar und mit Pausen durchs Leben gehen. Mit den Menschen, die mir begegnen und die mir wichtig sind, reden, zuhören, mit ihnen essen, trinken, lachen, weinen, lieben und feiern. Das zählt. Nicht die Siegestrophäe irgendwann am Ende des Lebens ist entscheidend, sondern jeder Moment, jede liebevolle Begegnung im Lauf des Lebens. Und sie gibt gleichzeitig neue Kraft und neuen Lebensmut auf dem Weg.

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22JUL2024
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Sommerzeit ist für mich auch eine Zeit zum Spielen. Gesellschaftsspiele wie „Weltreise“ oder „Risiko“, Minigolf oder Beachball am Strand. Ich spiele am liebsten Doppelkopf. Es ist ein Kartenspiel für vier Personen, meistens spielen zwei zusammen, wer mit wem – das ergibt sich immer erst während des Spiels. Spiele können stundenlang Spaß machen und alle schweren Gedanken und Sorgen für eine Weile wegschieben. Wie eine unbeschwerte Auszeit. Konzentriert und fokussiert ist man ganz bei der Sache und vergisst alles Drumherum. Wenn gute Gesellschaft und leckeres Essen dazu kommen, kann es beflügeln und erstaunliche Energie freisetzen.

Wenn da nicht die Sache mit dem Gewinnen und Verlieren wäre. Wie gehen Sie damit um? Bekommen Sie schlechte Laune, wenn Sie verlieren und haben dann schnell keine Lust mehr weiterzuspielen? Oder sind Sie eher der gelassene Typ, den das alles nicht anfechten kann? Wer da ruhig bleibt und Gottvertrauen hat, ist klar im Vorteil. Nicht zufällig bekreuzigen sich viele Fußballer vor einem wichtigen Spiel in der Bundesliga oder wie in den letzten Wochen bei der Europameisterschaft in Deutschland. Sie sind überzeugt: Wenn Gott an ihrer Seite ist, dann läuft es besser. Auch wenn göttliche Hilfe bekanntlich nicht erzwungen werden kann und Gott nicht wie ein Erfüllungsautomat funktioniert. Trotzdem, die Bitte um göttliche Unterstützung verändert etwas in der eigenen Haltung. Sie macht ruhiger, zuversichtlicher und stärkt damit die eigene Performance auf dem Fußballfeld, bei der bevorstehenden Olympiade in Paris oder eben am Tisch beim Kartenspielen.

Beim Spielen ist es wie im richtigen Leben. Gewinnen und Erfolge berauschen und stärken das Selbstbewusstsein. Verlieren tut weh und kann das Ego ganz schön quälen. Und dennoch gehen Menschen ganz unterschiedlich mit Misserfolgen, Verlusten und Enttäuschung um, wenn das Spiel des Lebens es nicht gut mit ihnen meint. Die einen haben Familienangehörige oder einen Freundeskreis, mit dem sie über alles reden können, andere beten und klagen zu Gott, wieder andere verbittern und igeln sich ein. Viele können anderen sehr wohl ihre Erfolge gönnen.

Manche ärgern sich maßlos, wenn eine Person aus dem eigenen Team einen Fehler macht, der für das ganze Team den Sieg kosten kann. Zwischen Missgunst und gelassener Fehlerfreundlichkeit liegen oft Welten.

So wünsche ich Ihnen und uns allen für diesen Sommer ein paar unbeschwerte Tage zum Spielen, Ausprobieren, Neues wagen, ohne Erfolgsdruck und Stress. Genießen Sie die Zeit!

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20JUL2024
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Heute vor 80 Jahren versuchte Graf Stauffenberg, Hitler zu töten. Dass das schuldig macht, wusste er genau. Aber angesichts von Nazi-Diktatur und mörderischem Weltkrieg nichts zu unternehmen, war ihm und seinen Gefährten unentschuldbar. Das Attentat auf den braunen Diktator misslang, brutal schlug das Nazi-System zurück: riesige Verhaftungswellen durchzogen das Land, viele aufrechte Zeitgenossen verloren ihr Leben, der Krieg ging weiter bis zum bitteren Ende.

Zeitgleich entstand im Berliner Gefängnis das große Werk des evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer. Fast auf den Tag genau vor 80 Jahren schrieb er seinem Freund aus dem Gefängnis: „Ich habe in den letzten Jahren die tiefe Diesseitigkeit des Christentums kennen und verstehen gelernt.“ Nicht in einer Wunsch- und Jenseitswelt leben, nicht um sich selbst und seine Spiritualität kreisen, nein, so heißt es wörtlich weiter, „in der Fülle der Aufgaben, der Fragen, Erfolge und Misserfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeiten leben“, darauf komme es an. Die Bibel spreche nicht viel von Glück, sondern von Segen, und an dem sei alles gelegen. Weil der Mensch sich glaubend gesegnet weiß – „von guten Mächten still und wunderbar geborgen“. Gerade deshalb kann und soll er sich voll einmischen in das, was hier und jetzt zu tun ist. Beten und Tun des Gerechten, und das mitten im Alltag, lautet die Einladung. Die Bibel spricht auch nicht vom Sinn des Lebens, sondern von Gottes Verheißung. Der Mensch, der glaubt, hat Gottes Zusage immer im Rücken, deshalb kann er dem Rad des Unrechts in die Speichen greifen und bessere Alternativen wagen. Sogar so, wie der Hitler-Attentäter Graf Stauffenberg und andere.

„Dem Leben trauen, weil Gott es mit uns lebt“, schrieb etwas später Alfred Delp, der katholische Bruder Bonhoeffers und ebenfalls im Gefängnis der Nazis. Sie alle hatten ein anderes, ein gerechtes Deutschland im Sinn. Sie widerstanden jeder Form, die eigene Nation zum Höchstwert zu machen und andere zu verteufeln. Wer an Gott glaubt, braucht eben nichts in der Welt zu vergöttlichen, schon gar nicht sich selbst und die eigene Meinung, oder das eigene Volk. Mitten in den aktuellen Problemen geht es um Widerstandskraft. Es gilt sich einzumischen, mit klarem Kompass und langem Atem. Diesen 20. Juli zu erinnern kann zur Kraftquelle werden.

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19JUL2024
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„Nichts Schöneres unter der Sonne, als unter der Sonne zu sein“ – wie treffend dieser Vers von Ingeborg Bachmann ist, und das ganze Gedicht auch. Ein einziger Sonnenhymnus. Klar, man kann sich auch einen Sonnenbrand holen. Und die fortschreitende Versteppung der Erde zeigt, dass mit diesem Feuerball am Himmel nicht zu spaßen ist. Aber was wären wir Menschen ohne die Sonne, was das Leben ohne ihre Strahlen und ihr Licht?  Jetzt im Sommer besonders. Zwar hat sie für dieses Jahr ihren Zenit schon hinter sich, die Sommersonnenwende war ja schon, aber dieses Grundgefühl von Jahresmitte und Sonnenfülle ist prägend, auch von Reifung und Ernte, von Ferien auch und von Urlaub. „Nichts Schöneres unter der Sonne, als unter der Sonne zu sein.“ Einfach super.

Seit es Menschen gibt, gibt es auch Sonnenkulte. Die Sonne ist der erste Gott, die erste Göttin im Leben der Menschheit. Alle Kulturen und Religionen umkreisen dieses Lichtzentrum als göttliche Instanz, von größter Bedeutung für Leben und Tod.  Noch heute sagt man von Leuten am Strand, sie seien Sonnenanbeter. Für biblisch Glaubende ist die Sonne sichtbarster Ausdruck von Gottes Schöpferkraft. Sie ist „die Morgenlektion Gottes“ – so meinte Johann Gottfried Herder, der gelehrte Stadtpfarrer von Weimar, damals zu Goethes Zeiten. Ja, auch der heutige Sonnenaufgang enthält diese wichtige Botschaft: mag die Nacht noch so schlimm gewesen sein, das Tageslicht ist stärker: Gott ist im Kommen, auf seine Ausstrahlung ist Verlass, in diesen Sommertagen erst recht.

Das kirchliche Morgengebet ist voll von anschaulichen Lobeshymnen auf das Sonnenlicht und die Schöpfung. „Du Abglanz von des Vaters Pracht, / du bringst aus Licht das Licht hervor, / du Licht vom Licht, du Lichtes Quell, / du Tag, der unsern Tag erhellt. // Du wahre Sonne, brich herein / die Sonne, die nicht untergeht, / und mit des Geistes lichtem Strahl / dring tief in unsrer Sinne Grund.“ Über 1500 Jahre alt ist dieser Hymnus vom Mailänder Bischof Ambrosius, damals wie heute brandaktuell:  göttliche Sonnenergie draußen in der Natur, auf den Hausdächern und hoffentlich auch im eigenen Fühlen und Leben: „Dring bis auf der Seele Grund“. In diesem Sinn Ihnen und uns einen guten Morgen, mit viel Sonne im Herzen!  

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18JUL2024
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„Das Jahr steht auf der Höhe, / die große Waage ruht. / Nun schenk uns deine Nähe / und mach die Mitte gut.“ So beginnt ein Kirchenlied mit Versen von Detlev Block. Zwar sind seit der Sommersonnenwende schon wieder einige Wochen vergangen, aber dieses Gefühl von Jahresmitte ist noch prägend. Die Sonne und das Jahr im Zenit, der volle Sommer, das Ausreifen. „Das Jahr steht auf der Höhe .../ Herr, zwischen Blühn und Reifen / und Ende und Beginn. / Lass uns dein Wort ergreifen / und wachsen auf dich hin.“ So endet die erste Strophe.

Ich liebe dieses Lied, eigentlich müsste ich es jetzt singen, allein wegen der Melodie.  Es hat so einen lebenssatten Klang, voller Zuversicht und Lebensfreude. Da hält sich alles die Waage: Frühling und Herbst sind von Ferne präsent, aber jetzt ist Reifung und Fülle, wie im kurzen Wendepunkt von Ein- und Ausatmen. Stille und Dank, auch Bilanz und Ernte ein bisschen, und schon das Wissen um den anklopfenden Herbst. Im Lied heißt das so: „Das Jahr lehrt Abschied nehmen / schon jetzt zur halben Zeit. / Wir sollen uns nicht grämen, / nur wach sein und bereit, / die Tage loszulassen / und was vergänglich ist, / das Ziel ins Auge fassen, / das du, Herr, selber bist.“  Mit der Anrede „Herr“ habe ich zwar Schwierigkeiten, denn das hat für mich den Beigeschmack von Unterwerfung, von Herr und Knecht, männlich zudem. Aber der Sound des ganzen Liedes ist so einladend und beschwingt, dass es mich mitnimmt und trägt. Diesen Morgen in der Jahreshöhe gilt es zu würdigen, ja zu feiern: Lust am Leben hier und jetzt, „wach sein und bereit“, immer auch abschiedlich. Das macht diesen Tag noch einmaliger.

Die vierte Strophe sammelt dieses Ja zur Erde in der Anbetung des Schöpfers und seiner Treue. „Du wächst und bleibst für immer, / doch unsere Zeit nimmt ab. / Dein Tun hat Morgenschimmer, / das unsere sinkt ins Grab. / Gib, eh die Sonne schwindet, / der äußere Mensch vergeht, / dass jeder zu dir findet / und durch dich aufersteht.“ Völlig paradox: noch im Abnehmen der Lebens- und Jahreszeit geht es um Wachstum und Lebensfülle, um nichts sonst. Da ist eine ungeheure Daseinslust spürbar, durch und durch österlich. Gott selbst wächst mit uns und wir mit ihm. „Dein Tun hat Morgenschimmer“ - ja, das Lied hat Recht - „nun schenk uns deine Nähe und mach die Mitte gut.“

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17JUL2024
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Der Fund ist eine Sensation: in einem Neandertalergrab hat man Knochen eines sechsjährigen Kindes mit Downsyndrom gefunden. Das bedeutet, dass die Neandertaler dieses Kind sechs Jahre lang versorgt haben. Menschen, die auf die Jagd gingen und in Höhlen lebten. Und dieser Fund steht nicht alleine da. So haben Archäologen das Skelett eines Neandertalers mit schweren Verletzungen gefunden, der mit diesen noch viele Jahre als Invalide überlebt haben muss. Auch ein Zeichen dafür, dass seine Gruppe ihn gepflegt und unterstützt hat.

Hat also Jesus von Nazareth gar nichts Neues gebracht mit seinem typischen: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst?“ Dieses Gebot steht ja schon im Alten Testament, das Jesus als Jude natürlich gekannt hat. Und auch in vielen anderen Religionen gibt es diese Gebote, sich um Arme zu kümmern oder mit ihnen Mitleid zu haben. Menschen brauchen einander und nur, wenn sie in ihrem Clan füreinander sorgen, können sie überleben. Das war schon bei den Neandertalern so und es gilt bis heute.

Aber Jesus ist in seinem Verständnis von Nächstenliebe viel weiter gegangen. Die Nächsten sind für ihn ausnahmslos alle um ihn herum, die in Not sind und Hilfe brauchen. Das hat er radikal gelebt. Er geht zu den Aussätzigen, die man aus Angst vor Ansteckung in Höhlen verbannt hatte und berührt sie. Und als eine Ausländerin ihn bittet, ihr Kind zu heilen, begreift er, dass er nicht nur für sein eigenes Volk da ist.

Jesus hat damit ein Zeichen gesetzt: Dass Gottes Liebe keine Grenzen kennt. Deswegen sollen die, die ihm nachfolgen, ihre Liebe auch nicht begrenzen.

Ein hoher Anspruch. Die Ressourcen – auch die der Nächstenliebe- sind schließlich endlich. Bei mir jedenfalls kommt früher oder später immer der Punkt, da sind meine Ressourcen erschöpft.

Ich glaube, dass Jesus so unbegrenzt lieben konnte, weil er ganz mit Gott verbunden war. Ich kann das nicht und doch spornt mich sein Anspruch an. Weil es mich fasziniert, wie Jesus seinen Nächsten begegnet ist. Es hat sie verändert. Sie wurden geheilt. Von ihren Krankheiten und den Verletzungen, die das Leben ihnen zugefügt hat, von ihrem Egoismus. Die Beziehung zu Jesus kann auch mich verändern. Die Enge in meinem Herzen. Die Angst, selber leer auszugehen, wenn ich mich für andere einsetze. Ich kann entdecken, wieviel reicher das Leben wird, wenn wir unser Herz füreinander öffnen. Eine Erfahrung, die sich wie ein roter Faden durch das Christentum zieht und dazu ermutigt, das zu leben, was tief in der Menschheit verankert ist: Nächstenliebe und Mitgefühl.

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