SWR4 Abendgedanken RP

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Herzlich willkommen! Das Thema „Armut“ ist derzeit in aller Munde. Und es braucht Mut, sich diesem Thema zu stellen. Nicht umsonst steckt im Wort „Armut“ auch das Wort „Mut“.
Deshalb hat die Evangelische Kirche ihre Kampagne „Ar- Mut- szeugnis“ genannt.

Teil 1

Armut und Mut hängen nicht nur im Wort zusammen. Es braucht Mut und es macht Mut, sich mit der Armut zu beschäftigen.
„Tausend Gemeinden trinken fair“, lautet eine der vielen Aktionen im Rahmen der Kampagne „ArMUTszeugnis“ der evangelischen Kirche.
Die Verantwortlichen in über tausend evangelischen Kirchengemeinden sollen dafür gewonnen werden, fair gehandelten Kaffee, Tee, oder Kakao in ihren Gemeindeveranstaltungen auszuschenken. Fair gehandelt, das sind Getränke bei uns, deren Rohstoffe angemessen bezahlt werden: zu einem fairen Preis für die erzeugenden Bäuerinnen und Bauern.

Magdalena Schaeffer ist als Fachkraft für Oekumene mit diesem Projekt unterwegs.

Also wenn ich jetzt in den Seniorenkreis gehe oder in irgendeine andere Gruppe mit Erwachsenen, dann sehe ich zu, dass wir mindestens zwei oder drei Sorten Kaffee haben, die dann auch mal probiert werden. Meistens sage ich aber vorher nicht, dass es ein anderer Kaffee ist, und ich frage dann immer erst: Wie hat Ihnen heute der Kaffee geschmeckt? Ich habe den mitgebracht. Und die meisten Leute oder eigentlich alle sagen immer: Der Kaffee war wunderbar. Und dann sage ich: Ja, Sie haben jetzt hier fair gehandelten Kaffee getrunken.

Wenn sie die Kirchengemeinden über fair gehandelte Produkte informiert, konzentriert sie sich besonders auf Kaffee.

Weil man beim Kaffee ganz gut nachverfolgen kann, wo er herkommt und wie er dann in unsere Kaffeetassen kommt. Es sind nicht so viele Schritte dazwischengeschaltet wie zum Beispiel bei einem T-shirt: In dem einen Land wachsen da die Fasern, irgendwo anders wird’s dann gefärbt. In einem dritten Land wird’s dann zusammengenäht. Bei Kaffee ist dieser Weg relativ gradlinig, und wir können sehr gut zurückverfolgen: Wo kommt er her?

Immer wieder erlebt Frau Schaeffer, dass die Leute hier ihr Verhalten ändern, wenn sie durch sie zum Beispiel etwas über die Zusammenhänge des Kaffeeanbaus erfahren.

Und grad neulich hat mir da eine Mitarbeiterin gesagt: Seitdem Sie in dem Seniorenkreis waren und was über Kaffee erzählt haben und die Leute dann natürlich auch den Kaffee mal probiert haben, kommen ein paar Frauen regelmäßig zu uns in den Weltladen und kaufen bei uns ihren Kaffee ein. Und ich denke, das ist ein ganz toller Erfolg. Jeder Einzelne, der diesen Entschluss fasst „Ich möchte mich solidarisch zeigen. Ichmöchte mich fair zeigen den Menschen gegenüber, die ja schließlich was tun, damit ich dieses Lebensmittel habe“ Ich denke das ist schon ein großer Erfolg.

Um Grenzen zu überwinden - auch Grenzen von Vorurteilen und Unwissen, müssen wir Mut aufbringen. Und nicht nur das: Man muss sich für andere Menschen interessieren und mutig einen Standpunkt vertreten, der auch einmal neu ist oder Widerstand hervorruft. Wenn man sich mit Armut befasst, braucht man manchmal Mut. Deswegen sind die drei Buchstaben M U T in dem Wort ArMUTszeugnis großgeschrieben. Deshalb haben wir Evangelischen im Dekanat Oppenheim uns das Thema ArMUTszeugnis – als Jahresthema vorgenommen.

Teil 2

Drei Buchstaben groß geschrieben: M U T; sie fallen auf, wenn man das ganze Wort liest, in dem diese Buchstaben vorkommen: Ar- Muts- zeugnis- das ist das Jahresthema des evangelischen Dekanates Oppenheim. Mut ist darin groß geschrieben. Denn für den Umgang mit dem Thema Armut braucht es Mut, sagen die Verantwortlichen.
Axel Guse gehört zu den Organisatoren der Alzeyer und der neu entstehenden Oppenheimer Tafel. Was in Alzey und an vielen anderen Orten schon seit einigen Jahren gut funktioniert, soll nun in Oppenheim auch aufgebaut werden: In einer Tafel werden Lebensmittel, die in den Super-Märkten übrig sind, an bedürftige Menschen ausgegeben.
So eine Tafel aufzubauen und zu unterhalten braucht Mut. Warum?
Zunächst ist es mutig, sich dieser enormen organisatorischen Aufgabe zu stellen: Die Märkte müssen angesprochen werden, die Lebensmittel müssen sachgerecht abgeholt, gelagert und in Ausgabetaschen verpackt werden. Kühlwagen und geeignete Räume müssen gefunden und eingerichtet werden. Berechtigungsscheine müssen ausgestellt und kontrolliert werden. Das alles erfordert viel Sachkenntnis, aber auch eine umfassende Organisation.

Die Nachfrage nach Lebensmitteln aus der Tafel ist sprunghaft in die Höhe gegangen, weiß Axel Guse.

Als wir die Vorüberlegungen zur Gründung einer Alzeyer Tafel gestartet haben, da sind wir ausgegangen von ungefähr 150 vielleicht auch 200 Menschen, die einen Bedarf haben, sich bei dieser Tafel bedienen werden. Tatsächlich sind wir dann überrascht worden von den Zahlen. Mittlerweile sind über 600 Leute mit einer Tafelcard- das berechtigt sie dann zum Abholen von Lebensmitteln -, versorgt, und das heißt, es hängen da so etwa eintausendfünfhundert Menschen dran, die eben nicht mit dem auskommen, was man zum Leben braucht und sich bei der Tafel versorgen.

Es braucht auch Mut, armen Menschen auf Augenhöhe und mit Respekt zu begegnen. 1500 Menschen allein in der Region um Alzey. Viele Helfer sind nötig, um all das zu organisieren. Und genau diese schult Axel Guse.

Ja in der Tat, eine Tafel funktioniert nur mit ehrenamtlichem Engagement, und wir freuen uns, dass wir etwa 90 Mitarbeitende haben, die ehrenamtlich sehr viele Stunden sich einsetzen, um diesen Betrieb aufrechtzuerhalten. Was am Anfang einmal in der Woche eine Öffnung war als Ausgabetag ist mittlerweile angeschwollen auf vier Tage, an denen wir die Tafel öffnen müssen, um Lebensmittel auszugeben und das geht eben nur mit dem entsprechenden Engagement der Ehrenamtlichen.

Teil 3

Eigentlich ist es ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft, dass es überhaut Armut gibt.
Das Projekt „ArMUTszeugnis“ im evangelischen Dekanat Oppenheim will bis Ende des Jahres noch in Diskussionen, Ausstellungen, Vorträgen und konkreten Aktionen Mut machen, sich mit den Ursachen und den Folgen von Armut zu beschäftigen.
Ein Zeugnis gegen Armut geben wir, wenn wir uns nicht damit abfinden, dass es Armut gibt.
So engagieren sich zum Beispiel bei der Alzeyer Tafel etwa 90 Ehrenamtliche
und geben Nahrungsmittel, die übrig sind, an Bedürftige weiter.

Axel Guse ist für die Schulung dieser Helferinnen und Helfer zuständig. Er weiß, was sie dazu bewegt:

Bei den Schulungen habe ich erlebt, als wir einmal über Motivation gesprochen haben: „Warum mache ich eigentlich da mit?“ – dass da Menschen sind, die sagen:
„Ich möchte etwas wiedergeben von dem, was mir Gutes widerfahren ist. Mir ging es noch nie schlecht. Ich bin bis heute noch nicht arm gewesen, und ich möchte mich da engagieren.“
Es gibt aber auch den Hartz-IV-Empfänger - auch das finde ich toll, der sagt:
Ich möchte hier nicht nur hinkommen und was nehmen, ich möchte auch mithelfen; ich möchte selbst meinen Teil dazu beitragen.
Viele Menschen sind aus ihrer christlichen Motivation heraus zur Tafel gekommen und haben gesagt: „Das ist ein Akt der Nächstenliebe. Das ist ein Punkt, wo man gut helfen kann und wo ich mich einbringen möchte, wo ich für den Anderen da sein kann.
Das ist schon erfreulich, dass so viele Menschen bereit sind, hier Zeit einzusetzen.


Immer mehr Menschen sind darauf angewiesen, durch die Einrichtung einer Tafel günstig Lebensmittel zu bekommen, denn immer mehr Menschen können auch in unserem Land nicht von ihrer Hände Arbeit leben: weil sie zu wenig verdienen oder weil sie gar keine bezahlte Arbeit finden. Sollte es deswegen in unserem Land noch mehr Tafeln geben?

Ja, das ist sehr ambivalent. Natürlich, wenn man sagt, es sind in den letzten Jahren 800 Tafeln etwa entstanden, dann müsste kann von einer Erfolgsgeschichte sprechen. Für meine Begriffe ist ein Erfolg dann, wenn wir diese 800 Tafeln nicht mehr brauchen, wenn es möglich ist, dass wir die Armut besiegen. Das wäre eigentlich das Ziel, und die Tafel darf sich auch nicht darauf zurückziehen nur Lebensmittel auszugeben. Sie muss, denke ich, auch immer wieder darauf hinweisen in öffentlichen Veranstaltungen: Dass Armut etwas ist, was es in einem so reichen Land wie dem unseren eigentlich gar nicht geben dürfte.

Wenn es um das Thema Armut geht, sind wir alle eng miteinander verwoben.
Es kann mir nur gutgehen, wenn ich selbst gerecht mit anderen umgehe. Wenn die Hilfe, die Unterstützung allen gilt. Wenn jeder bekommt, was er nötig hat.
Darauf liegt ein Segen. Schon Jesaja, der Prophet aus dem Alten Testament, sagt zu dem, der sich mutig gegen die Armut stellt:

Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen.
(Jes 58,8)
https://www.kirche-im-swr.de/?m=6814
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