Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

03JUN2024
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Am 3. Juni 1924, also heute vor einhundert Jahren, ist der Schriftsteller Franz Kafka gestorben. Seine Bücher zählen zur Weltliteratur. Sie sind Schullektüre. Ich musste damals in der Schule Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“ lesen. Sie beginnt mit dem Satz: „Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.“[1] Und weiter erzählt Kafka, wie die Familie von Gregor Samsa mit ihrem zu einem riesigen Käfer verwandelten Sohn umgeht oder genauer: Ihn umbringt. – Sie merken schon: Kafka ist keine leichte Kost.

Er hat noch mehr Erzählungen und Romane geschrieben. Immer bewegen sich seine Geschichten zwischen Traum, Albtraum und Realität. Kafka erzählt von Menschen in unsicheren Situationen. Alles wirkt ausweglos.

Warum sollte man so etwas lesen? Weil Kafkas Geschichten einen Sog entwickeln können. Ein paar Erzählungen von Kafka haben mich in ihren Bann gezogen. Manchmal habe ich gedacht, „Ja, so ist das.“ Und eine Seite später wurde mir klar: „Nein, so nicht. Mein Leben ist überhaupt nicht so hoffnungslos. Es gibt einen Weg.“ Das habe ich aber gerade deswegen gemerkt, weil mich Kafkas Geschichten herausgefordert haben.

Darum finde ich, Kafka lehrt Hoffen. Er bringt mich zu einem Trotzdem. Trotz aller Widrigkeiten. Trotz der Tatsache, dass ich in einem Moment keinen Ausweg sehe.

„In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“[2] Das hat Jesus mal gesagt. Auch so ein Trotzdem-Satz. Jesus spricht in ausweglose Situationen hinein, wenn mir bange ist und ich keine Lösung sehe.

Eine Geschichte von Kafka ist nur eine Geschichte. Ich kann das Buch zuschlagen und beiseitelegen. Im Gegensatz dazu merke ich: Mein Leben ist meine Geschichte. Manchmal sieht es zwar aus wie bei Kafka, aber in meinem Leben gibt es Hoffnung. Darum: Gib nicht auf!

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[1] Kafka, Franz: Die Verwandlung. In: Franz Kafka: Sämtliche Erzählungen, hg. v. Paul Raabe. Frankfurt a. M. 1993. 56-99. 56

[2] Johannes 16,33

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40007
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