Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

01JUN2024
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Dem Apfelbaum hinter meinem Haus geht’s nicht gut. Seit einiger Zeit schon merke ich das. Hat er früher im Herbst viele dicke Äpfel getragen, sind sie inzwischen nur noch klein und schrumpelig. Es sind auch viel weniger als damals. Und die frischen Blätter jetzt im Frühjahr fallen auch kleiner und mickriger aus: Längst nicht mehr so groß und kräftig wie noch vor ein paar Jahren. Es kommt mir so vor, als ob meinem Baum nach und nach die Kraft ausgeht.

Zugegeben, ich bin kein großer Gartenkenner. Aber ich hab gelernt, dass auch so ein Obstbaum im Alter schwächer wird und anfälliger für Krankheiten. Und mein Baum stand schon da, als wir ins Haus eingezogen sind. Zwanzig Jahre ist das nun her. Auch so ein Baumleben geht irgendwann leider mal zu Ende. Ganz so, wie bei uns Menschen. Nun könnte ich sagen: Na ja, ist ja nur ein Baum. Aber ich wundere mich doch, wie sehr mich das umtreibt. Gerade jetzt, wo alles drum herum wie verrückt grünt und blüht.

Vielleicht liegt das daran, dass mir Abschiede immer schon schwergefallen sind. Abschiede von Menschen, aber auch von Dingen, die mir lieb und teuer geworden sind. Weil sie mich ein Stück meines Lebens begleitet haben. Und das hat mein Baum schließlich auch. In wie vielen Sommern hab ich es genossen, abends unter dem grünen Blätterdach zu sitzen. Den Vögeln und Insekten zuzugucken. Der Gedanke, dass das bald vielleicht nicht mehr so sein wird, tut irgendwie weh.

Dabei besteht ja mein ganzes Leben aus einer endlosen Reihe von Abschieden. Von geliebten Menschen. Von zerplatzten Lebensträumen und eben auch von zahlreichen Dingen, an denen mein Herz gehangen hat. Und jeder einzelne Abschied ist eine Übung im Loslassen. Das muss ich lernen im Leben.

Und mein Apfelbaum? Der wird vielleicht noch ein paar Jahre blühen und neue Blätter austreiben. Etwas Zeit hab ich vielleicht noch zum Abschiednehmen und Loslassen.

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