Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

23MAI2024
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Petra steht am Spülbecken in ihrer Küche und heult. Ihre Hände im lauwarmen Wasser schrubben mechanisch das Fett von der Pfanne. Und die Tränen laufen. Sie hat sich lange im Griff gehabt. Aber es ist einfach alles zu viel. Auf der Arbeit immer neue Aufträge und immer neuer Knatsch mit den Kolleginnen. Zuhause die Bedürfnisse ihrer Kinder und die Hausarbeit, die nie aufhört. Gleich wartet noch ein Telefonat mit ihrer Mutter. Petra macht sich Sorgen, wie lange ihre Eltern noch alleine zurecht kommen. Und eigentlich wollten Petra und ihr Mann endlich mal den Sommerurlaub planen. Aber dazu kommen sie irgendwie nie.

Es ist einfach alles zu viel. Manchmal kommt Petra sich vor wie eine Löwenbändigerin im Zirkus. Die alle Löwen immer im Blick behalten muss.

„Was für ein Quatsch“, denkt Petra, „Reiß dich zusammen.“

Sie trocknet sich die Hände ab und will wenigstens noch ein bisschen aufräumen, bevor sie ihre Mutter anruft.

Seufzend sammelt Petra die Filzstifte ihres Jüngsten vom Küchentisch. Das aufgeschlagene Freundebuch eines Klassenkameraden erinnert sie daran, dass ihr Sohn noch ein Foto braucht, um es dort einzukleben. Petra liest, was er in den Steckbrief eingetragen hat. Lieblingsessen: Spaghetti. Lieblingstier: Löwe. Traumberuf: Tierforscher oder Arzt. Und dann steht da:

Mein größtes Vorbild: Mama, Papa, Oma, Opa, und Jesus.

Petra muss lachen. Und es kullert noch eine Träne.

Die Löwen, ja, die sind noch da.

Aber sie sind nicht das Einzige. Sie sind nicht das, was Petras Wirklichkeit allein bestimmt. Da ist noch etwas anderes.

Etwas, das ihr Kraft gibt.

Es ist schwer zu greifen und schwer in Worte zu fassen.

Es ist eine Ahnung davon, wofür es sich zu leben lohnt.

Es ist die Gewissheit, dass sie nicht allein ist mit ihren Löwen.

Es ist das Festhalten daran, dass es eine Zukunft geben soll, die anders ist als das, was sie heute bedrückt.

Es ist Vertrauen. Und Liebe. Und es ist Hoffnung.

Petra hebt den Hörer ab und wählt die Nummer ihrer Mutter.

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