SWR Kultur Wort zum Tag

16MAI2024
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Das Herz der kleinsten Schwalbe ist stärker als der Nebel“ – Dieser poetische Satz mit seinem starken Hoffnungsbild hat sich mir eingeprägt: „Das Herz der kleinsten Schwalbe ist stärker als der Nebel.“ Er stammt von  Serij Zhadan, einem der berühmtesten gegenwärtigen Schriftsteller der Ukraine. Der Satz ist umso eindrücklicher, wenn man weiß, aus welcher Situation heraus es entstanden ist. Zhadan wurde 1974 in der Ostukraine geboren, als Kind hat er noch die Sowjetunion erlebt. Später engagiert er sich mit wilder Entschlossenheit für den Demokratisierungsprozess und kämpft bei der „Orangenen Revolution“ auf dem Maidan in Kiew 2014 mit. Und nun erlebt er den Krieg mit Russland im Osten seines Landes.

Das Herz der kleinsten Schwalbe ist stärker als der Nebel“: Zhadan hat diesen Satz 2020 geschrieben, als der große Krieg von Russland aus noch nicht losgegangen war. Aber der kleine Krieg war schon da, die Krim war bereits besetzt, von 2014 an. Und an der Grenze zu den russisch besetzten Gebieten wurde täglich geschossen. Zhadan setzt sich hin und schreibt Gedichte. Sie sind oftmals von Vögeln bevölkert. Er schreibt: Singende Vögel, leidenschaftliche Tenöre unserer Stimmlosigkeit/ihr habt gesungen, während die Kiefern an der Grenze leuchteten/Ihr müsst Klagelieder singen für die, die man in den Schützengräben beerdigt.

Inzwischen stochert die ganze Welt im Nebel. Nicht nur in dem, den die Raketen hinterlassen, sondern auch in einem Nebel der politischen Ratlosigkeiten: Waffenlieferungen ja oder nein? Wann welche?  „Ja, das Herz der kleinsten Schwalbe IST stärker als der Nebel“. Kein Mensch soll sich im Nebel verlieren. An den Herausforderungen des Lebens scheitern. Den Mut verlieren.

Zhadan verbindet seine Hoffnungsbotschaft mit der Aufforderung, sich für die Menschen einzusetzen, denen es schlecht geht. Für die einzustehen, die vom Schlimmsten bedroht sind. Die Zeile nach unserem Vers lautet: „Die Seele des hoffnungslosesten Vogels verdient unsere Sorge.“  - Vor vier Wochen hat Serij Zhadan aus seiner eigenen Aufforderung eine radikale Konsequenz gezogen. Er, der Poet und Friedenspreisträger, hat sich freiwillig beim Militär gemeldet. Um als ukrainischer Soldat zu kämpfen. Und auf diese Weise die Schwächsten in seinem Heimatland zu schützen. Damit gibt er an mich die Frage weiter: Wie kann ich heute Sorge tragen um die Seele des hoffnungslosesten Vogels?  

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39941
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