SWR Kultur Wort zum Tag
Seit 800 Jahren liegt es malerisch am Rhein, das Schloss Beuggen direkt an der Schweizer Grenze. Heute erstrahlt es in frischem Glanz und ist ein Erholungsort für die Bessergestellten unserer Gesellschaft. Aber vor 200 Jahren war das Schloss fast ganz zerfallen – und dennoch begann gerade damals das vielleicht eindrücklichste Kapitel seiner langen Geschichte. Denn 1820 hat Heinrich Christian Zeller dieses Schloss zum Rettungshaus für arme Kinder und Jugendliche umgewandelt und damit eine Bewegung begründet, die in ganz Deutschland Schule gemacht hat. Heute ist Zellers Gedenktag, und ich freue mich, von ihm für unsere Gegenwart zu lernen.
Zeller wird in eine gutbürgerliche Familie hineingeboren, die erst bei Tübingen und dann in Ludwigsburg wohnt. Der Vater ist ein angesehener Jurist. Doch die Schulzeit ist für den klugen, aber ruhigen Zeller eine Qual. Schläge sind an der Tagesordnung, und die Kinder werden vor der ganzen Klasse bloßgestellt, wenn sie ihre Aufgaben nicht gut lösen.
Zeller tritt in die Fußstapfen des Vaters, studiert Jura und beginnt, als Anwalt zu arbeiten. Seinem Naturell und seiner christlichen Prägung entsprechend hat er jedoch gar kein Interesse daran, für seine Mandanten einen Sieg zu erringen. Schließlich sieht auch der Vater ein, dass aus dem Sohn kein guter Jurist wird, und erlaubt ihm, Lehrer und Schulinspektor in der Schweiz zu werden. Doch dann gibt Zeller diese gesicherte Stellung auf und beginnt das große Abenteuer seines Lebens: den Aufbau einer Schule für „verwahrloste“ Schüler. 1820 bekommt er dafür Schloss Beuggen zur Verfügung gestellt und unterrichtet nach seinen eigenen Grundsätzen. Der Tag beginnt mit einer Andacht, und diese besteht nicht in einer abstrakten Belehrung, sondern in einem Gespräch mit den Schülern. Ebenso wie die angehenden Lehrer erhalten auch die Schüler eine handwerkliche Ausbildung. Und die Rute bleibt dort, wo sie hingehört – nämlich draußen.
Was Heinrich Christian Zeller geleistet hat und wie konsequent er seinen Weg gegangen ist, beeindruckt mich auch heute noch. Weil er dafür die Muster seiner eigenen Kindheitserfahrungen verändert hat. Indem er das nicht weitergegeben hat, was er an übergroßer Härte selbst erfahren hat. Sondern aufgrund von schlechten eigenen Erfahrungen eine neue Umgangsweise für kommende Generationen entwickelt hat. Offener, im echten Gespräch miteinander und ganzheitlich. – Aus Glaubenszuversicht eigene negative Kindheitserfahrungen in positive Muster umzuwenden: Darin will ich selbst zum Schüler des großen Lehrers und Schulgründers Zeller werden.
Pfarrer Martin Wendte aus Ludwigsburg von der Evangelischen Kirche
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