SWR2 Wort zum Tag

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04APR2024
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Vor einhundert Jahren ist der Schriftsteller Franz Kafka im Alter von vierzig Jahren gestorben. Eine seiner Geschichten ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Da erzählt einer von einer langen Reise, zu der er aufbricht:

Ich befahl, mein Pferd aus dem Stall zu holen. In der Ferne hörte ich eine Trompete blasen, ich fragte den Diener, was das bedeutete. Er wusste nichts und hatte nichts gehört.
Beim Tor hielt er mich auf und fragte: „Wohin reitet der Herr?“ „Ich weiß es nicht“, sagte ich, „nur weg von hier. Immerfort weg von hier, nur so kann ich mein Ziel erreichen.“
„Du hast keinen Essvorrat mit“, sagte er. „Ich brauche keinen“, sagte ich, „die Reise ist so lang, dass ich verhungern muss, wenn ich auf dem Weg nichts bekomme.“

Der Erzähler, das wird sofort klar, bricht nicht zu einer Urlaubsreise auf. Es geht um die ungeheure Reise eines ganzen Lebens. Als Jude sind Kafka die Geschichten der hebräischen Bibel vertraut. Da gibt es auch diesen ungeheuren Aufbruch des Volkes Israel aus der Sklaverei in Ägypten. Endlose Wege durch die Wüste. Da hilft kein Proviant, den man mitgebracht hat. Also muss ich unterwegs etwas Nahrhaftes finden.

Weil der Weg endlos erschienen ist, begann das Volk an Gott zu zweifeln. Da ließ Gott, so erzählt die Bibel, Manna vom Himmel fallen. Manna war eine besondere Speise. Man konnte sie nicht aufheben. Sie reichte immer nur für einen einzigen Tag.

Auch in Kafkas Geschichte sagt der Erzähler: Ich muss verhungern, wenn ich auf dem Weg nichts bekomme. Ich kenne das auch. Dass ich täglich neu finden muss, was ich brauche - an Motivation, an Kraft und an Energie.

Jeden Tag bin ich angewiesen darauf, dass jemand mit mir teilt, was er hat. An Wissen, an Erfahrung, auch an Wasser und Brot. Und umgekehrt: dass andere schätzen, was ich beisteuern kann.

Dann kann ich los gehen. Ins Ungewisse, aber voller Vertrauen, dass Gott mich finden lässt, was ich für diesen Tag brauche.

Vielleicht mit so einem Gebet: „Ich bitte dich, Herr, um die große Kraft, diesen kleinen Tag zu bestehen. Um auf dem großen Wege zu dir, einen kleinen Schritt weiterzugehen.“

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