SWR2 Zum Feiertag

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01APR2024
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Helga Schubert und Christopher Hoffmann copyrigt: Christopher Hoffmann

Christopher Hoffmann spricht mit Schriftstellerin Helga Schubert

Christopher Hoffmann:

Ich bin Christopher Hoffmann von der katholischen Kirche. Meine Gesprächspartnerin heute am Osterfest ist die Schriftstellerin Helga Schubert. Sie wurde im Zweiten Weltkrieg 1940 in Berlin geboren. Sie arbeitete als Psychotherapeutin und freiberufliche Schriftstellerin in der DDR und 2020 erhielt sie den Ingeborg-Bachmann-Preis. Ihre Erzählung „Vom Aufstehen“* hat für mich auch ganz viel mit dem Osterfest zu tun. Und deswegen meine erste Frage, Frau Schubert, Sie sind evangelische Christin – was feiern Sie heute am Fest der Auferstehung, an Ostern?                                                          

Helga Schubert:

Ich feiere, dass der ganze Verrat vorbei ist – das ist für mich ein Lebensthema und das Ostern für mich das Symbol ist, dass es weitergeht. Und dass also jede im weitesten Sinne böse Absicht anderen Menschen gegenüber aufgelöst ist durch Ostern. Es ist ein Sieg im weitesten Sinne des Guten und der Hoffnung.

Christopher Hoffmann:

In dem Erzählband „Vom Aufstehen“, da haben Sie auch eine Erzählung mit dem Titel: „Meine Ostergeschichte“. Und da schreiben Sie: „Heute weiß ich. In dieser einen Woche vor Ostersonntag passiert alles, was ich inzwischen vom Leben verstanden habe. Wie schnell sich das Schicksal für einen Menschen ändert. Dass man verraten werden kann. Dass es immer unvermuteten Beistand gibt und einen Ausweg. An diese Hoffnung will ich erinnert werden. Einmal im Jahr.“** Was meinen Sie damit?  

Helga Schubert:

Die Ostergeschichte birgt alles - birgt alles an menschlicher Versuchung und an menschlicher Anständigkeit und an Schuld und wie man mit Schuld umgeht, alles. Da kann man auch wirklich das ganze Jahr darüber nachdenken. Ist für mich wirklich die allerwichtigste Geschichte der Bibel. Weil ich auch so viel darüber nachgedacht habe, finde ich auch so viele Beispiele im wirklichen Leben. Also das hat sich gegenseitig beeinflusst.

Christopher Hoffmann:

Sie haben auch eben gesagt: Verrat ist ein Lebensthema bei Ihnen – und Sie schreiben auch: „Dass man verraten werden kann.“ Wie würden Sie das biografisch verorten? Warum ist Ihnen das so ein wichtiges Thema?

Helga Schubert:

Also ich habe selbst erlebt, dass man also wirklich von dem allernächsten Menschen, das ist in diesem Fall meine Mutter gewesen, nicht richtig angenommen wurde. Ich wurde immer verglichen mit verhassten Personen, also zum Beispiel mit ihrer Schwiegermutter, wie ich ihr nun ähnele. Und sie hat mich immer bekämpft. Und ich hab auch das Gefühl gehabt sie hat mich verraten. Also zum Beispiel als ich mich aus der ersten Ehe scheiden wollte, da gab es wirklich Gründe – da hat sie tatsächlich an den Richter geschrieben, an den Familienrichter. Der hat mich hinbestellt in sein Arbeitszimmer, das hat er noch nie erlebt – sie hat gesagt sie sollen mir nicht glauben: In Wirklichkeit wäre ich glücklich verheiratet und sie soll die Ehe nicht scheiden. Und dieser Richter, der hat gesagt:  So was hat er noch nie in seinem Leben gehabt.

 Christopher Hoffmann:

Wie war das für Sie als Christin in der DDR?

Helga Schubert:

Ich bin ja Jahrgang 1940. Als ich eingeschult wurde, gab es noch richtigen Religionsunterricht in der Schule. Also ich hab noch Zeugnisse richtig vom Religionsunterricht in der Schule. Das war natürlich später überhaupt nicht mehr möglich. Als Christin war es so, dass man erst mal innerhalb der Klasse natürlich mit den Freundinnen befreundet war, mit denen man dann in den Kindergottesdienst ging, das war erst mal das Erste. Und das war für mich eine vollkommen andere Geisteshandlung als die, die in der Schule gepredigt wurde mit Diktatur der Arbeiterklasse und so. Hier ging es immer um Versöhnung und Frieden und so weiter. Vor allem dieser Segen am Ende des Gottesdienstes, das war für mich also das alles vergeben wird und dass einem nicht jemand immerzu was übel nimmt und dass man nicht immerzu mit einer schweigenden Mutter konfrontiert ist, die einem das oder das übel nimmt, die tagelang mit einem nicht gesprochen hat.

 Christopher Hoffmann:

Was bedeutet Ihnen ihr Glaube an Gott?

Helga Schubert:

Ich glaube an eine konstruktive Kraft, die hier waltet. Und die unermesslich ist und unerforschlich in ihrer Allmacht auch und in ihrer Dauer. Und das ist etwas, was ich spüre. Und ich weiß, dass ich dazugehöre und das gibt mir sehr viel Geborgenheit und alle anderen, die das nicht wahrhaben wollen, gehören ja auch dazu. Bloß bei mir, denk ich immer, kommt dann noch von da aus auch Wärme, weil ich daran glaube. Und ich will auch gar niemand jetzt missionieren. Das ist etwas, was wahrscheinlich ein Diktaturschaden bei mir ist, aus der DDR: Dass ich eben nichts Pathetisches, niemand überreden will. Dann kann man es wirklich bloß durch eigenes Beispiel machen.

Christopher Hoffmann:

Das tun Sie ja, Sie leben es ja. Frau Schubert, Sie haben das Buch „Der heutige Tag – ein Stundenbuch der Liebe“*** geschrieben. Sie pflegen Ihren Ehemann 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Ein Leben zwischen Büchern und Blasenkatheter-zwischen Prosa und Palliativmedizin…

Helga Schubert:

…ist ganz schön reich. Ist ein reiches Leben. Es kommt ja auch der Pflegedienst- also 24 Stunden minus zweimal zwanzig Minuten. Als ich das Buch schrieb, hab ich es noch allein gemacht , und morgens kam er nur aber jetzt kommt der Pflegedienst zweimal am Tag. Ich freu mich auf die Schwestern und den Pfleger, weil die so die Außensicht bringen und weil die relativieren können, weil sie mir auch Mut machen und weil das normale Leben plötzlich da sitzt und ich versuche  immer die irgendwie zu einem Kaffee noch zu überreden-die haben natürlich sehr wenig Zeit. Ich hab mich gestern bei einer Schwester bedankt-ich sagte: ich finde Sie sehr nett. „Ja, Sie sind ja auch nett“, sagte sie da. Das hat mich gefreut.

Christopher Hoffmann:

Ich finde Sie beschreiben eindrücklich wie schwierig es ist jemand für die Pflege auch zu finden. Und vielleicht können Sie uns da auch noch mal schildern, was unternehmen Sie da alles, oder was würden Sie sich wünschen vielmehr auch, dass Pflege einen anderen Stellenwert in unserer Gesellschaft hat-aufgrund Ihrer Erfahrung.

Helga Schubert:

Das ist wirklich ein eigenes Thema. Das ist ein riesengroßes Thema in Bezug auf die Überalterung der Gesellschaft in der wir leben und in Bezug auf den den Zerfall der Kleinfamilien-die Großfamilien sind sowieso zerfallen. Der Pflegeberuf muss mehr anerkannt werden, muss besser bezahlt werden.

 Christopher Hoffmann:

Sie haben ja den Untertitel gewählt: „Ein Stundenbuch der Liebe“ - möchten Sie damit auch ausdrücken auch Pflege, auch gelebte Nächstenliebe kann Gebet sein?

Helga Schubert:

Ja, Ja!

 

 Christopher Hoffmann:

Das Stundenbuch ist ja in der katholischen Kirche ein Gebetbuch mit den Tagzeitengebeten.

Helga Schubert:

Ja, ich hab das dann in dem Moment erst als Untertitel genommen, weil mich meine sehr intelligente katholische Lektorin im DTV beruhigte, sie hat gesagt: Stundenbuch  bedeutet nicht, dass die Mönche jede Stunde beteten, sondern dass es bloß zu bestimmten Zeiten war es dann vorgeschrieben zu beten, also muss ich auch nicht mir für jede Stunde etwas ausdenken für jede Stunde, was in dem Buch passiert. Denn dann-es sollte durchaus auch was Religiöses sein in diesem Buch, denn ich habe ja auch ein Motto genommen aus Matthäus: „Darum sorge nicht für den morgigen Tag. Denn der morgende Tag wird für das seine sorgen. Es ist genug, dass der heutige Tag seine eigene Plage habe.“ (Mt 6,34). Also das ist durchaus ein Hoffnungssatz und durchaus ganz diesem Stundenbuch geschuldet. Das ist formal angelehnt, bloß nicht so schön illustriert, wie die Mönche es im Mittelalter machten.

 Christopher Hoffmann:

Aber ich finde das ganze Buch atmet ja genau diese Zuversicht und diese in aller ohne Pathos geschilderten Sachlichkeit der Pflegesituation, atmet es Hoffnung und atmet es diese Grundzuversicht: Da ist noch jemand der diesen Weg mit mir geht.

Helga Schubert:

Ja, und es geht auch weiter. Auch wenn der Weg, also diese Wegstrecke zu Ende wäre, also so.                                    

Christopher Hoffmann:

Da fällt mir jetzt sofort eine Stelle ein: „Dies ist unsere nächste Lebensaufgabe. Annehmen, Kreatürlich Leben, Wärme auf der Haut. Verlass mich nicht.“*** Wunderbar. Ganz stark, finde ich. Mit ganz wenig Worten alles gesagt!

Helga Schubert:

Eine Passionsgeschichte, die in diesem Fall hoffentlich gut ausgeht, kann ich nur hoffen.

Christopher Hoffmann:

Sie unterhalten sich ja auch mit Ihrem Mann darüber was kommen könnte-auch was nach dem Tod kommen könnte und schreiben: „Er möchte dass ich in der Sonne neben ihm sitze. Beim lieben Gott will er ein gutes Wort für mich einlegen, gleich am Eingang sitzen bleiben, bis ich nachkomme und sagen: Da ist sie.“****

Helga Schubert:

Ja. Haben wir heute früh auch wieder drüber gesprochen. Es geht darum sein eigenes Leben zu relativieren, sein eigenes Leben einzubetten in einen Sinn, in eine Liebe und eine Geborgenheit.

 Christopher Hoffmann:

Ganz ganz herzlichen Dank, Frau Schubert, für das Gespräch. Das war die Sendung SWR2 Zum Feiertag. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Ostermontag. Christopher Hoffmann, Koblenz, von der katholischen Kirche.

Literatur:

*Helga Schubert: Vom Aufstehen, in Helga Schubert: Vom Aufstegen, Ungekürzte Ausgabe, dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München, S. 213-233.

** Helga Schubert: Meine Ostergeschichte in, Helga Schubert: Vom Aufstehen, Ungekürzte Ausgabe, dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München, S.54

***Helga Schubert: Der heutige Tag. Ein Stundenbuch der Liebe, dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München, S. 188.

****Helga Schubert: Der heutige Tag. Ein Stundenbuch der Liebe, dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München, S. 10.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39628
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