SWR1 Begegnungen

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31MRZ2024
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Kerstin Fleischer Copyright: Photo Feuerstein, Speyer

… und mit Kerstin Fleischer, die als Seelsorgerin in einem Bereich arbeitet, den die Meisten zwar schon erleben mussten, aber möglichst weit von sich fernhalten. Die 47-Jährige begleitet sterbende und trauernde Menschen. Trauer, so heißt es ja oft, mache einsam. Wer einem Trauernden begegnet fürchtet oft, sich an der Traurigkeit des anderen quasi anzustecken. Was viele vergessen: Eine Welt ohne Trauer wäre auch eine Welt ohne Liebe.

Trauer hat immer irgendwie auch was mit Verlust zu tun. In der Begleitung arbeite ich dann mit den Trauernden heraus, dass Trauer Liebe ist. Und wer trauert, liebt und wer liebt, trauert. Und je tiefer und inniger die Bindung und Beziehung war, desto größer ist der Schmerz. Und den Schmerz aushalten zu müssen, das ist so was, das macht man nicht gern, das schiebt man gern weg, weil man Angst hat vor dem, was kommt.

Denn am Ende geht es immer um eines: Ums Abschiednehmen. Und Abschiede tun meistens weh. Doch wenn es gelingt, sie bewusst zu gestalten, sagt Kerstin Fleischer, kann ich besser damit umgehen.

Junggesellinnenabschiede, die vollzieht man bewusst. Man trifft sich, man sitzt beisammen, man feiert, man erinnert sich, man nimmt mit, was man erlebt hat, man bedankt sich. Und ich würde mir wünschen, dass es viel mehr auch in diesem Übergang vom Leben zum Tod, diese bewusste Gestaltung möglich sein wird.

Und wie kann sowas konkret gelingen?

Zum Beispiel haben wir das Ritual des Sterbesegens, wo noch einmal bewusst mit den Angehörigen am Sterbebett Abschied genommen wird.

Da ist das ganze Leben noch mal gebündelt. Alles, was gut war, das Schöne, was bleibt. Aber auch - und das finde ich das Starke - was misslungen ist, was man vielleicht hier auf dieser Erde in diesen Zeiten gar nicht mehr regeln kann. Das vertraue ich jetzt Gott an und bitte ihn in dieser Situation um seinen Segen, seine Begleitung.

Und wenn ein Mensch nicht glauben und auch nicht beten kann oder will?

Manche entschuldigen sich und sagen Frau Fleischer, ich bin gar nicht katholisch. Und dann sage ich: Ich glaube, das spielt jetzt keine Rolle. Und dann kommt man miteinander ins Gespräch. Und das Gespräch ist, glaube ich, das Entscheidende. Einfach diese Präsenz, dieses Da sein.

Denn am Ende ist etwas anderes wichtig. Und das gilt für jeden Menschen, ob gläubig oder nicht.

Mein Ansatz ist es zu sagen: Die Trauer muss nie zu Ende sein, aber sie muss sich wandeln ... Ein Trauernder muss nicht loslassen. Er hat schon losgelassen. Ich muss den Verlust nicht verarbeiten, sondern ich muss lernen, mit diesem Verlust zu leben. Und wenn ich den Verlust spüre, aber er schmerzt nicht mehr so sehr, dann habe ich wieder Schritte ins Leben getan.

Um die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod und das, worauf Kerstin Fleischer selbst hofft, geht es gleich.

… ich spreche mit meiner Kollegin Kerstin Fleischer, die im Bistum Speyer als Seelsorgerin für trauernde und sterbende Menschen da ist. Auch an einem besonderen Ort, dem Hospiz. Eine Einrichtung, in der Menschen ihre letzten Lebenswochen oder -tage verbringen können. Ein Ort, mit dem Viele vor allem wohl Traurigkeit und Tod verbinden.

Das ist oft die Angst und die Scheu, an diesen Ort zu gehen, weil es dann ernst wird. Und im Nachhinein, im Rückblick sagen viele: Schade, dass ich nicht schon viel früher die Entscheidung getroffen habe, ins Hospiz zu gehen, weil sie erleben, dass nicht dieses Sterben-müssen im Mittelpunkt steht, sondern tatsächlich das Leben.

Die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod. Macht sie das Abschiednehmen leichter?

Wenn ich einen Glauben habe, wenn ich eine Idee habe, was passiert mit diesem Menschen, wenn er stirbt? Wo ist dieser Mensch? An was glaube ich? Das trägt und das macht mir den Abschied, glaube ich, tatsächlich ein bisschen leichter. Weil ich nicht das Gefühl habe, jetzt kommt ein Loch oder ein Nichts, sondern ich weiß oder ich glaube daran, er oder sie ist bei Gott oder an einem guten Ort. Und diese Hoffnung, das ist wirklich was ganz, ganz Entscheidendes.

Worauf sie persönlich hofft drängt Kerstin Fleischer aber keinem auf. Darüber spricht sie nur, wenn sie jemand ausdrücklich danach fragt, und ich habe sie gefragt.

Ich für mich, ich glaub, dass im Moment des Sterbens Gott mir seinen Engel schickt, der mich führt von Dunkelheit und Nacht ins Licht, und dass ich in diesem Licht leben darf, in diesem Osterlicht. Das ist mein Glauben, meine Hoffnung. Und das tröstet mich, wenn ich Abschied nehme von meinen Lieben.

Denn das musste sie selbst, als ihr Vater in der Coronapandemie starb.

Ich habe vielleicht in dem Moment in dieser Zeit noch so stark wie nie zuvor erlebt, wirklich von Menschen, von Gott getragen zu sein. Und das war für mich eine großartige Erfahrung, das auch spüren zu dürfen. Und ich für mich wünsche mir, dass ich auch in 20 Jahren bei irgendeinem Ereignis noch traurig sein darf, dass mein Papa das jetzt nicht mehr erleben darf. Dann bin ich keine Trauernde. Aber ich bin traurig über diesen Moment. Ich habe diesen Schmerz, aber nach und nach wandelt sich dieser Schmerz in eine kostbare Erinnerung. Und das bleibt. Und das darf ich mit hinein in mein Leben nehmen.

Heute, an Ostern, feiern Christen ja die große Hoffnung, dass der Tod nicht das letzte Wort ist.

Genau das, was wir an Ostern jetzt feiern, das darf ich auch erleben. Auch wenn mir jemand Liebes stirbt, geh ich aus diesem Weg durch die Trauer hindurch wieder zurück ins Leben. Und das ist Ostern!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39612
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