SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

19MRZ2024
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Vor einiger Zeit bin ich beschwingt aus der Praxis meines Hautarztes auf die Straße getreten. Und habe mich in diesem Moment verwundert gefragt: Warum habe ich denn plötzlich so gute Laune? Es gibt ja wirklich angenehmere Beschäftigungen, als zum Arzt zu gehen! Aber trotzdem: Ich fühlte mich leicht, durchaus beschwingt. Normalerweise nicht die Stimmung, die ein Arztbesuch bei mir verbreitet.

Im Bus nach Hause habe ich darüber nachgedacht. Und bin auf eine Idee gekommen: Mein Hautarzt ist total gut darin, zuzuhören. Wenn er ins Behandlungszimmer kommt, setzt er sich mir gegenüber, meist ohne Tisch dazwischen, begrüßt mich freundlich und, Achtung, beugt sich leicht vor und legt gefaltet und mit viel Ruhe die Hände in den Schoß. Und mit all dem strahlt er aus: Ich nehme mir jetzt für Sie Zeit. Reden Sie.

Und das tut gut. All das, was er macht, signalisiert: Da ist jemand, der sich tatsächlich für mich und mein Problem interessiert. Klar, er ist ja auch Arzt. Das ist sein Beruf. Aber trotzdem: Da ist keine Hetze, diesen einen, vielleicht auch nur kurzen Moment des Zuhörens, den bekomme ich geschenkt. Auch, wenn das Wartezimmer voll ist.

Zuhören kann befreiend und heilsam sein, wenn einer den anderen wirklich wahrnimmt und sieht. Das hat auch der südafrikanische Bischof Desmond Tutu erkannt. Nach den vielen, vielen Grausamkeiten, die die Rassentrennung und Unterdrückung der farbigen Bevölkerung dort verursacht haben, ist er mit einer Kommission durch das Land gezogen. Dort durften die Opfer der Gewalt erzählen. Und Tutu und seine Leute haben zugehört. Und das ganze Land mit: Die Sitzungen wurden im Radio und Fernsehen übertragen. Es ging nicht vor allem darum, die Täter zu verurteilen. Es ging darum, den Opfern eine Stimme zu geben und die Wahrheit ans Licht kommen zu lassen. In der Hoffnung, dass so Versöhnung möglich wird. Dass die Wunden aus der so schmerzhaften Zeit der Apartheid heilen können. Dass neues Leben, neues Miteinander möglich wird. Und der erste Schritt dahin war das Zuhören.

Wenn einer dem anderen zuhört, dann tut das gut. Wenn Menschen sich gesehen und beachtet fühlen. Im Bus, auf der Heimfahrt vom Hautarzt, wird mir klar, dass auch ich im besten Fall so zuhören kann: Meinen Kindern. Meinen Schülerinnen und Schülern. Freunden. Und vielleicht auch gerade denen, die nicht meine Meinung teilen. Denn ich habe wieder mal gelernt: Allein schon Zuhören kann heilsam sein!

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