Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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12MRZ2024
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In unserer Kirche hängt ein altes Gebet. Genauer: es hängt im Nebenraum der Kirche, in der Sakristei – da, wo ich mich als Pfarrerin für den Gottesdienst vorbereite. Und wenn ich es sehe, bin ich jedes Mal froh darüber. Das Gebet findet man übrigens in fast allen evangelischen Kirchen. Martin Luther hat es geschrieben. Es beginnt so:
Herr Gott, lieber Vater im Himmel, ich bin wohl unwürdig des Amtes und Dienstes, darin ich deine Ehre verkündigen und der Gemeinde pflegen und warten soll.

Sie merken sicher: Die Sprache ist alt, klingt für unsere Ohren ein bisschen fremd – aber eigentlich geht es um einen einfachen Gedanken. Einen Gedanken, den ich nicht nur als Pfarrerin vor dem Gottesdienst kenne: O Gott, sagt das Gebet, was mache ich bloß hier? Ich bin für diese Aufgabe doch gar nicht geeignet, gar nicht gut genug.

Ich finde ja, dieses Gebet könnte – etwas umformuliert – nicht nur in der Sakristei hängen, sondern auch anderswo.

Zum Beispiel in der Küche über der Kaffeemaschine: Gott, ich weiß nicht, ob ich das heute wieder kann: Verantwortung für die Familie übernehmen, gut für alle da sein... Oder an der Pinnwand im Lehrerzimmer: Gott, eigentlich ist diese Aufgabe zu schwer, allen Schülerinnen und Schülern gerecht zu werden… Einen ähnlichen Stoßseufzer können wohl viele morgens in den Himmel schicken – egal ob sie als Busfahrerin arbeiten oder einen Angehörigen pflegen.

Ich jedenfalls bin froh, dass dieses Gebet seit vielen hundert Jahren Pfarrerinnen und Pfarrer in den Gottesdienst begleitet. Weil es mir zeigt, dass ich nicht die Einzige bin, die sich manchmal ungeeignet oder überfordert fühlt. Vor allem aber, weil das Gebet mit diesem Stoßseufzer nicht endet, sondern weitergeht:

Ich bin dieser Aufgabe nicht würdig, sagt Luther. Aber, fährt er fort, du, Gott, hast sie mir ja anvertraut, und die Menschen brauchen mich. Und so bittet er Gott: Sei du mein Helfer und lasse deine heiligen Engel bei mir sein.

Martin Luther war tatsächlich davon überzeugt, dass Gott uns unsere besonderen Aufgaben anvertraut hat – und dass sie alle gleich wichtig sind! Ob wir einen Bus lenken, Kinder unterrichten, im Haushalt oder in der Kirche arbeiten...

Ich finde: Im Kern ist sein Sakristeigebet deshalb ein gutes Morgengebet für alle, die täglich Verantwortung übernehmen. Vielleicht so: Das ist viel für mich, heute, Gott. Ich weiß nicht, ob ich es kann. Aber es muss ja getan werden – und du traust es mir zu. Deshalb hilf mir dabei. Amen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39501
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