SWR1 Begegnungen

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25FEB2024
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Isabel Schayani Copyright: Katharina Köll

Christopher Hoffmann trifft: Isabel Schayani, Journalistin und Moderatorin.

Wenn irgendwo eine humanitäre Krise ausbricht, ist sie für die ARD vor Ort: als das Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos abgebrannt ist. Oder direkt in den ersten Tagen des russischen Angriffskrieges vor zwei Jahren. Live hat sie von der ukrainisch-polnischen Grenze in den Tagesthemen über den Exodus von Frauen und Kindern berichtet. Aber sie vergisst in der Masse nie den einzelnen Menschen. Das fasziniert mich so an ihr. In ihrem aktuellen Buch „Nach Deutschland“* hat sie fünf Menschen auf der Flucht über eine lange Zeit intensiv begleitet. Auch Ruhi aus dem Iran, der wie die Autorin selbst der Religion der Bahai angehört. Die Bahai repräsentieren die jüngste Weltreligion und werden im Iran, dem Land, aus dem Schayanis Vater in den 1950er Jahren nach Deutschland kam, systematisch verfolgt. Isabel Schayani ist dankbar, dass sie in Deutschland geboren und groß geworden ist:

Es gibt so viele Sachen, die so normal sind für uns wie die Luft zum Atmen, die aber so ungewöhnlich sind für Menschen, die in Autokratien leben mussten. Ich war zwölf, als die Revolution im Iran stattfand und ich konnte aktiv sein, ich konnte als Frau die Klappe aufmachen oder es lassen, ich habe eine unglaubliche Freiheit hier. Gleichzeitig jemand, der genauso alt ist wie ich und im Iran aufgewachsen ist und Bahai ist, der ist total an den Rand gedrückt worden. Was ich damit sagen will, ist: Ich genieße hier wirklich durch die Verfassung geschützt die Selbstverständlichkeit meine Religion ausüben zu dürfen und dort ist es so, dass die Leute einen derart hohen Preis mit ihrer eigenen Biografie zahlen müssen - das treibt mich unheimlich an.

Was sie auch antreibt: Ihr Glaube an Gott. In ihrer Kölner Bahai-Gemeinde ist sie sehr aktiv – was bedeutet ihr Religion?

Dadurch, dass wir jeden Tag in den Schriften lesen, müssen wir sozusagen den Kanal nach oben lebendig halten, also das mystische Verhältnis zu Gott- das ist das eine, ich glaube, das braucht man. Das muss sozusagen immer hin- und herfunken. Das ist das, was am Ende dem Herzen und der Seele das Leben gibt. Und dann ist es aber das andere sozusagen, dass man ins praktische Tun kommt und mit der Gemeinde zusammen was macht.

Und dabei alle Menschen im Blick hat, weil alle Geschöpfe Gottes sind. Dieser Glaube verbindet mich als Christ mit der Bahai Isabel Schayani:

Ja, ich denk immer: Wenn alle Menschen vor Gott gleich sind, was ja überhaupt nicht nur ein Glaube ist, den die Bahai haben, sondern den gibt es ja in allen Religionen- wenn das sozusagen die Überschrift ist, dann muss man ja versuchen, das irgendwie in den Alltag zu übersetzen. Und das ist das, was ich sowohl mit meiner Arbeit, als, auch wenn ich in der Gemeinde aktiv bin, versuche.

Und wir beide finden noch mehr Gemeinsamkeiten:

Diese Demut oder dieses sich Niederbeugen vor einer großen Kraft, das verbindet einen, weil man diese Ehrfurcht hat. Nämlich dass der Mensch sich tugendhaft entwickeln soll, um jetzt mal dieses etwas altmodische Wort zu benutzen, damit er sich entwickelt fürs Leben nach dem Tod.

Und wer ist für Isabel Schayani Gott?

Also Gott ist eine Macht, die Quelle aller Liebe, die aber absolut ist, und ich bin sozusagen das relative Wesen, die Isabel Schayani, die diesen Gott nur bedingt erfassen kann und dafür wahrscheinlich Religion und Offenbarer braucht. Gott ist die Kraft, das ist mein Glaube, die mich wahrscheinlich nie verlässt und auf die wir uns immer verlassen können.

Ich treffe Isabel Schayani in Köln. Die vielfach preisgekrönte Journalistin moderiert den Weltspiegel und ist Programmchefin von „wdrforyou“, einem Online-Angebot auf Arabisch, persisch, englisch und deutsch für Menschen, die hierhin geflüchtet sind. Integration liegt ihr am Herzen – und da sieht Schayani die Kirchen als wichtige Partner: 

Der Papst hat das Thema absolut auf dem Schirm, sonst wäre er nicht auf Lampedusa gewesen, würde das Thema immer wieder ansprechen und bringt dann da auch finde ich einen Ton von Gerechtigkeit und Menschlichkeit mit großer Deutlichkeit rein. Und in der evangelischen Kirche ist es natürlich auch wichtig – die haben ihr eigenes Boot gechartert, um Seenotrettung voranzutreiben.

Aber auch hier in Deutschland erlebt sie immer wieder Ehrenamtliche, die sich für geflüchtete Menschen einsetzen. Sie glaubt, die Kirchen sind …

… ein so wichtiger Baustein von Zivilgesellschaft. Die lebendige Zivilgesellschaft ist zum Teil – nicht ausschließlich, aber – ist zum Teil ja ganz stark getragen von Kirchenarbeit und diese Gemeindearbeit vor Ort, ja hallo, die ist es doch, die am Ende Integration möglich macht, oder nicht?

Sie hat sogar eine, wie ich finde, super spannende These: Flucht und Migration seien in der Bibel von Abraham über Mose bis zu Jesus, Maria und Josef so sehr Thema, dass sie zum Wesen des Christentums gehören:

Ich glaube, dass die Geschichten eigentlich alle im Christentum vorhanden sind und deshalb auch bei Christen wirken. Also ich sag Ihnen mal: in meinem Vorort, in Köln, wo ich wohne, da ist eine Dame aus der katholischen Kirche, die hat da jetzt dreimal die Woche ein junges afghanisches Mädchen unterrichtet, damit sie nicht auf die Förderschule muss. Da habt ihr so ein Potenzial und ihr habt es wirklich in eurer DNA, diesen Stoff, diese Thematik!

Gestrandete Menschen, die in Athen, Paris oder Calais auf der Straße leben oder in Deutschland in einer Asylunterkunft vereinsamen - Isabel Schayani interviewt sie immer wieder. Gibt ihnen eine Stimme. Und weiß deshalb, welchen Unterschied Helfer machen, egal ob in der Kirche oder einer anderen Organisation, die sich für geflüchtete Menschen engagieren:

Das sind am Ende die, die den Leuten hier in Deutschland regelrecht das Leben retten. Das wissen die auch alle. Also jemand, der das jetzt hört, und der sich da engagiert, der weiß, warum er das macht. Die werden aber so wenig gelobt. Aber das sind die Leute, die den Unterschied machen. Echt. Und das ist so wertvoll. Und Kirche ist gesegnet mit solchen Leuten. Ihr müsst die pampern und fördern! Das ist so toll.

Wenn die deutsch-iranische Reporterin von Teheran spricht, dann allerdings legen sich Sorgenfalten auf die Stirn der Wahl-Rheinländerin. Sie wird deutlich:

Wir haben auf den Iran geblickt vor ungefähr anderthalb Jahren, als die jungen Frauen und Männer so mutig auf die Straße gegangen sind und wahnsinnig viel riskiert haben. Aber wenn wir uns angucken, was jetzt tatsächlich passiert: Dann gibt es jetzt Hinrichtungen, dann gibt es weitere Inhaftierungen, und was im Gefängnis passiert und ich bin da auch im Kontakt, das ist jetzt viel härter geworden. Und das ist etwas, was sehr besorgniserregend ist. 

Deshalb brauch es ihrer Meinung nach auch dringend mehr humanitäre Visa für Menschen aus dem Iran, also legale Einreisen.  Denn auch hier verliert Isabel Schayani trotz der Komplexität des Themas, nie den Blick für den einzelnen Menschen.

 

*Isabel Schayani: Nach Deutschland. Fünf Menschen. Fünf Wege. Ein Ziel. Verlag C.H. Beck. München 2023.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39407
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