SWR3 Gedanken

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15FEB2024
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Das ist das Highlight im Jahr: Wenn die tschechische Verwandtschaft meiner Frau anrückt. Da wird ein großes Fass mit Original Prager-Bier ins Wohnzimmer gerollt und dann sitzen wir zusammen und reden und lachen bis tief in die Nacht.

In den letzten Wochen ist mir allerdings das Lachen jedes Mal vergangen, wenn ich Nachrichten gehört habe. Geheim oder in aller Öffentlichkeit werden Menschen diskriminiert, die anders sind, anders aussehen oder woanders herkommen. Das ist menschenverachtend, wenn die, die nicht ins Bild passen aus unserem Land raus sollen. Wie kann so etwas wieder in unserem Land passieren, nach noch nicht einmal 80 Jahren?

Ein großer Philosoph sagt: „Wer die Vergangenheit nicht kennt, ist dazu verurteilt sie zu wiederholen.“ Gott sei Dank haben in den letzten Wochen hunderttausende Menschen auf den Straßen gezeigt, dass sie eine solche Vergangenheit nie mehr wollen.

Aber vor jeder Demo kommt, dass wir nicht vergessen; uns erinnern. Immer und immer wieder. Das ist typisch jüdisch und typisch christlich: dass man sich die alten Geschichten wieder und wieder erzählt. So wie in meiner tschechischen Familie, nächtelang und manchmal mit einem großen Fass Bier. Da erzählt der Schwiegervater von seinem berühmt berüchtigten Skiunfall und die Tante gibt ihr lustiges Erlebnis im letzten Campingurlaub zum Besten. Alle erinnern sich, alle lachen oder fühlen mit und zeigen dadurch: das ist alles wichtig!

Genau das bleibt unsere Aufgabe: Dass wir uns zusammen erinnern: an die unfassbaren Verbrechen der Nazi-Zeit und daran, wie sich fremde Menschen in den Armen lagen, weil endlich wieder Frieden war. Dass wir erzählen und es weitergeben und so Schlimmes und Schönes gleichermaßen im Bewusstsein halten.

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