SWR4 Abendgedanken

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29DEZ2023
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Vor ein paar Wochen habe ich in der Schule im Reli-Unterricht ein neues Thema angefangen. Die Klasse hat darum ein großes Blatt mit vielen Gedankenblasen und Kästchen bekommen. Die Schülerinnen und Schüler sollten darauf die für sie wichtigsten Erkenntnisse der nächsten Stunden festhalten. Überschrieben war es mit „Geniale Gedanken von XY“. Da sollten sie ihren Namen hinschreiben. Doch ein Schüler hat protestiert: „Ich bin doch dumm. Was soll ich da schon reinschreiben?“

Mich hat diese Aussage im ersten Moment sprachlos gemacht. Und ich weiß noch, dass mir in diesem Moment durch den Kopf gegangen ist, dass ihm vermutlich immer wieder Menschen, Lehrer und Lehrerinnen, vielleicht die Eltern, manche Mitschüler, genau das vermittelt haben: „Du bist dumm.“ Was für ein vermurkster Start ins Leben.

Ich weiß gar nicht mehr genau, wie ich reagiert habe. Ich meine, ich habe irgendwas gesagt davon, dass ich sicher bin, dass jede und jeder sich schlaue Gedanken machen kann. Und dass mir alle Gedanken, die von meinen Schülern und Schülerinnen kommen, erst mal wichtig sind. Oder so was Ähnliches. Aber mitgenommen aus diesem Gespräch habe ich für mich vor allem den Impuls: Diesem Jungen musst Du vermitteln, dass er gut ist, so wie er ist. Damit er sich angenommen fühlt. Und sich selbst annehmen kann.

Von Mira Ungewitter, baptistische Pastorin in Wien, kommt folgender Gedanke: „Ich glaube, dass egal wann, wie (..) und auf welche Weise Menschen dazu ermutigt werden, sich selbst anzunehmen, andere anzunehmen und angenommen zu werden, etwas Göttliches passiert. Liebe, egal wie sie geschieht, ist ein heiliger Moment. ‚Heilig‘ im Sinne seiner ursprünglichen Bedeutung: etwas ist näher in die Sphäre des Vollkommenen gerückt. Heilig im Sinne von heil oder wieder ganz werden.“

Wieder ganz werden. Heil sein. Unsere Welt ist brüchig. An so vielen Stellen. Darum wünsche ich mir für das kommende Jahr viele solcher heiligen Momente, in denen Menschen ganz, in denen sie heil werden können. In denen, mit Mira Ungewitters Worten, etwas „Göttliches passiert“. Ich wünsche mir diese Momente im ganz Kleinen: Wenn der Vater seinem Kind sagt, wie großartig es ist. Oder wenn eben eine Lehrerin ihren Schüler ermutigt. Aber ich wünsche mir diese heiligen Momente auch im Großen: Zwischen verfeindeten Gruppen, in den vielen Konflikten um Wasser, Nahrung oder Land. Es wäre wunderbar, wenn auch dort Menschen wieder heil werden dürften.

Wir brauchen sie, diese heiligen Momente.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39072
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