SWR2 Wort zum Tag

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29DEZ2023
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Unter den Büchern, die ich in diesem Jahr gelesen habe, hat mich dieses besonders fasziniert. Es heißt: „Gentleman über Bord“. Ein wohlsituierter Geschäftsmann sucht Abstand von Frau, Familie und Beruf. Und macht zusammen mit ein paar weiteren Touristen eine Schiffsreise mit einem Frachter über den Pazifik.

Bei einem Spaziergang an Deck am frühen Morgen rutscht er auf einem Ölfleck aus. Und fällt von Bord des Schiffes. Aber die See ist ruhig und glatt wie ein Spiegel. Malerisch geht die Sonne am Horizont auf. Nichts ist für ihn bis dahin beunruhigend. Denn die Chancen, entdeckt und gerettet zu werden, stehen gut. Denkt er.

Doch das erweist sich als Irrtum. Es stellt sich nämlich heraus, dass die Leute an Bord alle mit sich selbst beschäftigt sind. Mit dem morgendlichen Frühstück. Mit Morgengymnastik. Mit der Navigation des Schiffs. Mit sich selbst beschäftigt ist aber auch der Gentleman, der ins Meer gefallen ist. Viel zu spät kommt er darauf, dass es gut wäre, irgendwelche Anstrengungen zu unternehmen, um sich bemerkbar zu machen.

Lieber malt er sich aus, wie es sein wird, wenn er - nach seiner Rettung, von der er überzeugt ist -  einem von ihm faszinierten Publikum seine spannende Geschichte erzählen wird. Erst ganz allmählich und viel zu spät wird er sich seiner Einsamkeit und seiner Ohnmacht inmitten des riesigen Meeres bewusst.

Ich lese das Buch „Gentleman über Bord“  auch als Parabel über menschliche Einsamkeit und enttäuschte Hoffnungen. Und den Irrglauben, man habe alles schon irgendwie unter Kontrolle.

Und ich denke daran, dass das Bild des Schiffes ja auch in der christlichen Tradition eine geradezu archetypische Rolle spielt. Beim Betreten einer Kirche kann ich die beruhigende Atmosphäre des Kirchenschiffs spüren. Den weiten Raum, der mich empfängt. Und der eine Ruhe verströmt, in der ich mich aufgehoben fühle.

In den zurückliegenden Weihnachtstagen habe ich wieder erlebt, welche Geborgenheit so ein Kirchenschiff vermittelt, wenn Menschen dort miteinander singen und feiern.

Und damit ausdrücken: wir wollen eine Gemeinschaft sein, die aufeinander Acht gibt und einander im Blick hat. Damit keiner, wie im Roman erzählt wird, unbemerkt und unbeachtet von Bord fällt. 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39032
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