SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

08DEZ2023
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Tom und sein Klassenkamerad, die beiden sind  bei mir in der Schule. Zwei quirlige lebendige Jungs. Und sie haben Mist gebaut. Als Schulleiter hole ich die beiden in mein Büro und will hören, was sie selbst zu ihrem Verhalten sagen. Die beiden geben ihre Fehler sofort zu und sagen, dass das blöd war, was sie getan haben. Das finde ich gut. Ich habe Respekt vor Menschen, die zu ihren Fehlern stehen und die Konsequenzen dafür tragen wollen. Auf dieser Basis überlegen Tom, sein Klassenkamerad und ich gemeinsam, wie sie ihren Fehler wieder gut machen können. Ich bespreche auch mit ihnen, wie wir das ihren Eltern erklären. Das mache ich immer so, weil ich abschätzen will, was ihnen zuhause droht. Ich will auf keinen Fall, dass ein Kind zuhause körperliche Gewalt erlebt. Als ich ihnen sage, dass wir die Eltern ins Boot holen, wird Tom immer ruhiger. Ich habe ihn gefragt, was ihn beschäftigt. Tom ist sofort in Tränen ausgebrochen und hat gesagt: „Ich habe mir doch vorgenommen, dass ich es in diesem Schuljahr besser mache als in dem Jahr vorher. Ich will auch ein weißes Blatt sein.“ Jetzt bin ich berührt, ein „weißes Blatt“ ist ja noch reiner als ein „unbeschriebenes Blatt“. Tom will also ein Mensch sein, der als unschuldig und gut angesehen wird. Erwachsene wollen das vermutlich auch oft, aber sie wissen aus Erfahrung, dass niemand ohne Fehler durchs Leben kommt. Wir sind nicht ausschließlich böse oder ausschließlich gut. Aber es gibt einfach rote Linien, über die ich nicht drüber darf.

Und jetzt nochmals zurück zu Tom und seinem Freund. Ich habe den beiden erklärt wie ich das sehe. Und ich habe Tom gesagt: „Du kommst besser durchs Leben, wenn Du Dich selbst nicht entweder als rein gut oder rein böse einstufen musst. Wir Menschen sind immer beides  – böse und gut.“

Von meinem Glauben her kommt aber noch etwas anders dazu: Ich bin überzeugt, dass Gott mich noch anders sieht. Ich hoffe darauf, dass er in jedem Menschen einen Kern angelegt hat, der einfach nur gut ist. Und auch wenn niemand ein ganz weißes Blatt sein kann, diesen guten Kern gilt es zu sehen und zu pflegen.

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