SWR4 Abendgedanken
Am Nikolaustag als Nikolaus bei Familien sein. Ich habe das jahrelang gemacht, und ich erinnere mich daran, wie mich das als Kind berührt hat. Das war einfach faszinierend, dass dieser heilige Mann zu uns in die Wohnung kommt und mich besucht.
Als ich später selbst als Nikolaus unterwegs war, war das sehr spannend. Ich habe mich gefreut, wenn ich den Kindern auch dieses Gefühl schenken konnte: Sie sind voller Stolz Gastgeber dieses heiligen Mannes. Ich habe aber auch erlebt, wie der Nikolaus als Lückenbüßer einer schwarzen Pädagogik herhalten musste. Viele Kinder hatten Angst vor mir, weil man ihnen gesagt hat, dass der Nikolaus sie in seinen Sack steckt und sie mitnimmt, wenn sie nicht brav waren. Und als letzte Chance sollten sie dann beim Nikolausbesuch versprechen, dass sie es besser machen wollen. Ich habe da meistens erst mal Schlucken müssen und dann einen Mittelweg versucht. Also einen Nikolaus gegeben, der milde und gütig ist und die Kinder fördert. Im Endeffekt haben mich diese Momente geärgert. Denn da sind die Eltern ratlos, wie sie ihr Kind erziehen sollen und dem Kind tut das gar nicht gut. Ich finde das schrecklich. Für die Kinder, die von Angst geleitet werden und letztlich doch das Gefühl haben, dass sie nicht in Ordnung sind. Genauso fragwürdig fand ich aber auch die ganz gegenteiligen Erfahrungen, die ich auch gemacht habe. Wenn die Kinder so mit Geschenken überhäuft wurden, dass sie gar nichts mehr damit anfangen konnten. Beides hat mit dem heiligen Nikolaus wenig zu tun.
Was man von ihm weiß, sind vor allem Legenden. Aber diese Legenden haben eine Botschaft gemeinsam: Der heilige Nikolaus wird dort immer als einer Mensch geschildert, der sieht, wo andere in Not sind, und der ihnen Hilfe gibt. Nikolaus sorgt so für das Volk von Myra als eine Hungersnot herrscht und er unterstützt einen alleinerziehenden Vater, dessen Töchter in die Prostitution abzurutschen drohen. Er legt ihnen nachts drei goldene Kugeln vor die Türe und wendet so ihre Not ab. Er überhäuft aber niemanden mit Geschenken, bis der Beschenkte (völlig) überfordert ist und seinen Besitz nicht mehr sortieren kann. Und er macht seine Hilfe nicht davon abhängig, ob ein Mensch sich gut oder schlecht verhalten hat. Er hilft in der Not einfach.
Das ist echte Güte: unabhängig von Moral und nach einem Maß, das den andern einfach nur guttut. Ich vermute, dass der Heilige Nikolaus deshalb so stark verehrt wird, weil er diese Güte verkörpert. Er ist ein passender Vorbote für die Weihnachtszeit.
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