SWR1 Begegnungen
Christopher Hoffmann trifft Schauspielerin Julia Jentsch und Komponist Helge Burggrabe
Julia Jentsch ist Schauspielerin und Helge Burggrabe ist Komponist. Ich treffe beide im Oktober in Speyer, wo sie im Dom das Oratorium „Lux in tenebris“, also „Licht in der Finsternis“ aufführen:
Bei „Lux in tenebris“ ist es diese biblische Geschichte von Kain und Abel und der Kain fühlt sich nicht gesehen mit seiner Opfergabe und aus lauter Missgunst und Neid erschlägt er dann seinen Bruder und das kommt mir vor wie so eine Urszene, die wir bis in die heutigen Tage immer wieder neu aufführen.
Auch Julia Jentsch glaubt: Das was in der Erzählung von Kain und Abel steht, das findet jeden Tag neu in uns Menschen statt:
Überall in der direkten Begegnung jeden Tag, wo ich selber mich manchmal zurücknehmen muss, wenn ich merke da fange ich an in irgendwelchen vorgefertigten Bildern zu denken oder Vorurteile zu haben, was ich nicht möchte. Bis zu den Kriegen, die überall aktuell leider auf der Welt stattfinden - die Notwendigkeit eben im andern den Bruder, die Schwester zu sehen.
Den Bruder und die Schwester sehen in jedem Menschen- das ist die Botschaft von Jesus Christus, die im zweiten Teil des Oratoriums vorgetragen wird: Den Nächsten, ja, sogar den Feind zu lieben. In den Armen und Not leidenden Gott selbst zu erkennen. Aber klar ist auch: Kein Mensch wird dem immer voll und ganz gerecht - deshalb ist bei „Licht in der Finsternis“ auch ganz zentral: Gott ist nicht nur da, wenn wir alles richtig machen, wenn alles in uns und um uns herum leuchtet, sondern er verlässt uns auch dann nicht, wenn wir scheitern:
Dass Gott eben auch in dem Dunklen da ist oder da wo ich eben orientierungslos bin oder in dem einen Text: „Und verliere ich mich, so findest du mich“. Das ist eigentlich finde ich ein sehr kraftvoller Gedanke, weil es sozusagen die Möglichkeit der ständigen Umkehr gibt.
Im Licht und in der Dunkelheit meines Lebens: Gott ist da. Diese Botschaft geht mir unter die Haut, als ich im Speyerer Dom sitze. Auch wegen der Hoffnungsverse, die Julia Jentsch zwischendurch in Gedichten von Rainer Maria Rilke oder Hilde Domin immer wieder aufscheinen lässt:
Das ist ja die Kunst von Gedichten! Das sind dann so wenige Worte und man hat das Gefühl eben das Unbeschreibliche, oder das für das man eigentlich keine Worte findet, kann darin aufsteigen. Das finde ich immer wieder faszinierend und große Kunst sowas zu schaffen.
Julia Jentsch und Helge Burggrabe - da haben sich zwei gefunden, die es wichtig finden in Kirchenräumen und Konzertsälen immer wieder die großen Sinnfragen zu stellen:
Meine Überzeugung ist, dass wir eigentlich alle Suchende sind. Also Suchende nach einem Halt, nach einer Orientierung, nach einem Sinn im Leben, der mehr ist als einfach aufzustehen und irgendwann arbeiten zu gehen, Geld zu verdienen und wieder schlafen zu gehen. Was ist so ein tieferer innerer Sinn in dem Ganzen? Was ist das, was mich trägt, auch in Krisen eben? Und ich glaube da kann es hilfreich sein so eine Anbindung, so eine Zusage zu empfinden, die jenseits ist von dem Alltäglichen, aber mittendrin sich zeigt sozusagen im Miteinander, im Alltag.
Ich treffe Helge Burggrabe und Julia Jentsch. Kirchen sind für sie nicht nur Baukunst, sondern Orte voller Demut, an denen Kreative auch heute die großen Fragen des Lebens stellen können. Ganz zentral für beide: die Frage nach Menschlichkeit. Die ist auch im Projekt „HUMAN“, das ich auf dem Evangelischen Kirchentag im Sommer erleben durfte, elementar:
Wir gehen ja jetzt auf dieses große Jubiläum zu: Am 10. Dezember jährt sich das dann zum 75. Mal, die Deklaration der Menschenrechte. Und man muss ganz ehrlich sagen: Weltweit ist das noch nicht mal in Ansätzen umgesetzt. Also insofern ist das was da nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden ist unter dem tiefen Wunsch „Nie wieder!“ - wie können wir uns Regeln schaffen, dass so etwas nie wieder passiert - ist eigentlich gescheitert, muss man sagen. Und jetzt könnte man natürlich die Hände in den Schoß legen, aber ich denke mit so einem Projekt wie HUMAN versuchen wir: Nein, wir könnten auch anders! Es steht und fällt mit dem einzelnen Menschen.
Menschen wie die Widerstandskämpferin Sophie Scholl. Sie hielt selbst unter Hitler an den Menschenrechten fest und Julia Jentsch spielt sie in dem preisgekrönten Film „Sophie Scholl-die letzten Tage“ mit einer Wärme und Kraft, die mich jedes Mal umwirft, wenn ich den Film sehe. Bis heute ist auch Julia Jentsch von der Botschaft von Sophie Scholl tief bewegt. Ein Schlüsselsatz ist für sie Sophies Frage an den Nazirichter Roland Freisler, der sie zum Tode verurteilt:
„Warum sollen die Juden andere Menschen sein als wir?“ Und das lässt sich auf alles…warum soll irgendein Mensch, warum soll jemand nicht Mensch sein oder warum soll irgendein anderer Mensch nicht gleich behandelt werden, oder den gleichen Respekt bekommen? Warum?
Eine Frage, die hochaktuell ist. Und deshalb glaubt Julia Jentsch auch, dass das Engagement der Widerstandsgruppe Weiße Rose damals nicht umsonst war:
Ja,ja,ja! Das ist nicht umsonst und das darf nicht umsonst sein und dass das dann wieder in unserer Verantwortung ist, das was jedem Einzelnen möglich ist. Und mir ist es vielleicht zum damaligen Zeitpunkt nur möglich diese Worte lebendig zu machen. Also eben jeder nach seinen Möglichkeiten.
Kunst darf für Julia Jentsch auch einfach nur unterhalten, aber:
Ich für mich sehe schon einfach eine große Chance durch die Kunst eben auch Themen zu transportieren, die so etwas ganz elementar Wichtiges haben.
Elementar wichtig finde ich auch, dass Helge Burggrabe und Julia Jentsch gemeinsam an eine weitere allerdings weitgehend unbekannte Widerstandskämpferin erinnern. Auch sie wurde vor 80 Jahren von den Nazis ermordet:
Sie heißt Cato Bontjes van Beek und hat ganz ähnlich wie Sophie Scholl begonnen dann Flugblätter zu verteilen und ist dann auch früh festgenommen worden und war dann noch zehn Monate im Gefängnis und in dieser Gefängniszeit sind eben sehr berührende Briefe entstanden, die wir jetzt in diesem Konzertprojekt eben dann auch lesen. Es ist eine tiefe Menschlichkeit in diesen Briefen drin.
Diesen Schatz der Menschlichkeit, machen die beiden Künstler in ihrem Projekt hörbar.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38855