SWR2 Wort zum Tag

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24NOV2023
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Ich kenne Boulos seit er sechzehn ist. Wir sind uns im Jahr 2000 zum ersten Mal in seiner Heimat Syrien begegnet. Immer wenn ich zu Arabischkursen in Damaskus war, habe ich ihn in Aleppo besucht. Inzwischen lebt er in Belgien und sagt: „Belgien hat mich gerettet.“

Sein Weg dorthin verlief in etwa so: Zu Beginn der Arabischen Revolution in Syrien reist Boulos mehrmals aus geschäftlichen Gründen zu einer Partnerfirma nach Belgien. Er hofft, dauerhaft in Belgien bleiben zu können, das funktioniert aber nicht. Zurück in Syrien entscheidet er, in den Libanon zu flüchten, um nicht in die syrische Armee eingezogen zu werden. Von dort aus beantragt er ein Visum für Deutschland, wo er studieren möchte. Die Deutsche Botschaft in Beirut aber verweigert ihm ein Visum, obwohl er zu einem Uni-Sprachkurs mit anschließendem Studium an einer deutschen Universität zugelassen ist. Die Botschaft glaubt ihm nicht, dass er wirklich studieren will. Wenig später wird er dann willkürlich im Libanon verhaftet. Wegen absurder Anschuldigungen kommt er in ein Militärgefängnis, wo er gefoltert wird.

Als er auf Kaution aus dem Gefängnis herauskommt, gelingt es ihm, bei der belgischen Botschaft ein „humanitäres Visum“ zu erhalten. Er kann den Libanon verlassen und in Belgien Asyl beantragen.

Dort lebt er nun, arbeitet im Hafen von Antwerpen, lernt die flämische Sprache und versucht sich ein neues Leben aufzubauen. Vor einiger Zeit hat Boulos mich besucht. Wir haben viel über die Zeit im Libanon geredet. Er hat gesagt: „Ich habe immer gedacht, dass ich, wenn ich mich unpolitisch verhalte, auch in einem Unrechtsstaat vor Verhaftung und Folter geschützt bin. Im Libanon habe ich die bittere Erfahrung gemacht, dass ich mich geirrt habe.“ Deshalb ist Boulos jetzt so froh, in Belgien zu leben. Er fühlt sich dort sicher und vertraut darauf, dass er die belgische Staatsbürgerschaft erwerben kann, sobald er die notwendigen Bedingungen erfüllt. Und er möchte gerne allen Belgiern sagen: „Ich bin eurem Land unendlich dankbar, weil es mir das Leben gerettet hat.“ Es war sein Glück, dass der belgische Staat in seinem Fall Menschlichkeit gezeigt und ihm ein humanitäres Visum ausgestellt hat.

Wir diskutieren gerade in unserem Land, wie viel Menschlichkeit wir uns noch leisten können. Die Botschaft, die ich von Boulos gehört und verstanden habe lautet: Spart nicht mit eurer Menschlichkeit!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38806
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