SWR4 Abendgedanken

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10NOV2023
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Am Samstagvormittag gehe ich gerne in die Stadt. Auch wenn ich nichts einkaufen möchte. Mir gefällt es, einfach zu bummeln und irgendwo einen Kaffee zu trinken, am liebsten auf einem großen Platz. Wenn ich sage „in die Stadt“, dann meine ich: in die Innenstadt, in die Fußgängerzone. Wo es keine Autos gibt, dafür umso mehr Menschen.

Fußgängerzonen gibt es noch gar nicht so lange. In dieser Woche feiert die erste Fußgängerzone in Deutschland Jubiläum. 1953, also vor 70 Jahren, ist sie in Kassel eingeweiht worden.

Heute hat fast jede Stadt eine Fußgängerzone- und vor allem eine Einkaufsmeile. Und das ist an vielen Orten zum Problem geworden. Weil immer mehr Menschen im Internet einkaufen. Und spätestens seit Corona können wir die Folgen sehen: Läden und vor allem große Kaufhäuser schließen, Schaufenster sind zugeklebt. Das verändert die Atmosphäre, manche Fußgängerzone wird dadurch grau und irgendwie trostlos. Mich ziehen solche Städte nicht an.

Eine Innenstadt, die vor allem auf den Konsum setzt, die hat keine Zukunft. Es braucht neue Ideen. Und darin liegt eine echte Chance – für die Städte und Kommunen, sogar für die Kirchen. Alle zusammen müssen sich die Frage stellen: Wie können wir unsere Innenstädte anders gestaltet, wozu möchten wir den Raum in Zukunft nutzen; und was brauchen Menschen heute?

Ein Blick in die Geschichte kann helfen: Früher hat sich das öffentliche Leben rund um Rathaus, Marktplatz und Kirche abgespielt. Es war der Ort, an dem man sich selbstverständlich getroffen hat, an dem diskutiert und verhandelt wurde, an dem Neuigkeiten und Nachrichten ausgetauscht wurden. Wenn es gelingt, Innenstädte wieder zu solchen Begegnungs-Orten zu machen, auf die man Lust hat, dann könnten dadurch zwei Dinge möglich werden.

Erstens: Man kann der Einsamkeit entgegenwirken. Die Zahl der Menschen, die sich einsam fühlen oder alleine sind, die wächst. Und das betrifft nicht nur alte Leute, im Gegenteil, es sind viele junge Leute, denen das so geht.

Zweitens: Das Zusammenleben fördern. Es gibt sie schon, solche Ideen und Konzepte, die das zum Ziel haben: Aus Kaufhäusern werden Wohnungen, auf dem Dach eines alten Parkhauses zieht eine Kindertagesstätte ein. In Stuttgart und Ravensburg zum Beispiel hat die katholische Kirche Häuser mitten in der Stadt, mit großen Tischen und günstigem Mittagessen.

Schön wäre, wenn diese Vision keine Utopie bleibt: Beim nächsten Jubiläum der Fußgängerzone gibt es überall Orte und Plätze, die Menschen guttun, die Leute zusammenbringen und die sie inspirieren, mitzuwirken und ihre Stadt zu gestalten. An so einem Ort würde ich samstagmorgens gerne an einer großen Kaffee-Tafel auf dem Marktplatz sitzen und diskutieren. Und ganz nebenbei wären solche Orte ein wichtiger Beitrag zur Demokratie.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38733
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