SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

08NOV2023
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Auf meinem Flugticket steht: Tel Aviv. Wie lange und wie sehr habe ich mir gewünscht, einmal ins Heilige Land zu reisen, nach Israel und Palästina. Ich wollte dem Anfang des Christentums begegnen. Bethlehem stand auf unserem Programm, Jerusalem und der See Genezareth. Dort wollte ich etwas von dem Charme dieses Jesus spüren. Und einmal da stehen, wo er seine berühmte Bergpredigt gehalten hat; in der er von einer anderen, von einer gerechten Welt erzählt.

Mein Koffer bleibt im Keller. Ich sehe entsetzliche Bilder aus Israel und aus den palästinensischen Gebieten. Leid und Tod auf beiden Seiten. Diese Situation ist so weit weg vom Anfang, von der Friedensbotschaft Jesu. Da ist soviel Gewalt und Hass, dass ich mir nicht vorstellen kann, wie das alles endet.

Meine Kinder fragen mich, warum die Hamas Israel angegriffen hat und wo genau der Grund für diesen Konflikt liegt. Ich muss ehrlicherweise zugeben, dass ich diese Frage nicht gut beantworten kann. Mir fällt es schwer eindeutig festzustellen, wann und wo in diesem Konflikt zum ersten Mal Unrecht geschehen ist. Klar ist nur: Es gibt eine sehr lange Geschichte in dieser Region. Es ist über 3.000 Jahre her, als Jüdinnen und Juden zum ersten Mal im Gebiet um Jerusalem siedelten. Und seither haben so viele Dinge diesen Konflikt beeinflusst. Politische Überlegungen, wirtschaftliche Interessen, religiöse Überzeugungen.

Wer hat angefangen? Ich glaube, diese Frage ist bei diesem Konflikt nicht zu beantworten. Und ich denke, es ist die falsche Frage, sie führt zu nichts.

Ich schaue nochmals zurück, in die Zeit, als das Christentum entstanden ist. An diesen Anfang vor 2000 Jahren. Auch Jesus hat in Zeiten von Gewalt gelebt. Aber er hat nicht mitgemacht. Er hat eine andere Strategie gewählt. Er hat Menschen nicht aufgehetzt oder niedergemacht. Er hat versucht, vermeintliches Unrecht zu entlarven. Ich denke an die Geschichte von der Ehebrecherin. Eine Meute völlig aufgebrachter Schriftgelehrter zerren sie zu Jesus, sie soll gesteinigt werden. Mit seiner berühmten Antwort „Wer von Euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein“ – hat er die Lawine der Gewalt zum Stillstand gebracht.

Das mag alles naiv klingen in dieser verfahrenen, fast aussichtslosen Situation. Aber es gibt keine Alternative. Frieden geht am Ende nur mit dem Herzen, Nächstenliebe muss versucht werden.

Ich hoffe sehr, dass ich irgendwann doch noch an diesem Ort stehen darf, wo alles begonnen hat. Am Ufer des See Genezareth. Und Menschen begegne, die in Frieden leben dürfen. Die Reiseunterlagen lasse ich bis dahin an meiner Pinnwand hängen. Darauf steht der Satz „Eine Reise beginnt im Herzen“.

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