Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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08NOV2023
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Viele Leute stellen sich Gott ja wie einen Richter vor, der all unsere guten und schlechten Taten sammelt und am Ende in die Waagschale wirft. Und dann werden wir auf ewig belohnt oder auf ewig bestraft...

Ich finde diese Vorstellung furchtbar und beklemmend:

Gott als penibler Buchhalter, der mit gespitztem Bleistift dasitzt und alles fein säuberlich notiert. Das ist mir viel zu menschlich, viel zu eng und viel zu klein von Gott gedacht.

Aber wenn ich diese Vorstellung denn doch mal zulasse - so als Gedankenspiel - ich glaube, Sie und ich, wir würden uns womöglich wundern, was Gott alles notieren würde. Vermutlich würden wir uns gar nicht mal so sehr über all das Schlechte und Falsche wundern, was da auf Gottes Liste zutage treten würde. Denn das Schlechte und Falsche ist uns ja größtenteils bewusst.

Es ist ja oft auch das, woran wir leiden:

Die eigene Unfähigkeit, die Ohnmacht, die miesen Gefühle...

Nein, ich glaube, wir würden uns vermutlich sehr viel mehr über das Schöne und Gute wundern, was da womöglich mit ans Licht käme:

Die unzähligen, kleinen Freundlichkeiten, die wir anderen so ganz nebenbei erweisen; das Grüßen und das Bitten und das Danken; die zahllosen Handreichungen, über die wir nicht einmal nachdenken; das Zuhören und das Anteilnehmen und das Sorgen... - All die tausend Dinge eben, die uns so selbstverständlich vorkommen, dass wir sie gleich wieder vergessen.

„Da bist du mein Engel gewesen“, hat eine Freundin dieser Tage zu mir gesagt. Ich hatte keine Ahnung, wovon sie spricht. Und da hat sie mir von einer Situation erzählt, in der ich alles stehen und liegen gelassen habe, um ihr beizustehen. Und wie entscheidend das für sie gewesen sei...

Ich fand das nicht der Rede wert.

Aber man stelle sich einmal vor: Alles das käme mit in die Waagschale.

Ich finde die Vorstellung von Gott als buchhaltender Richter zwar immer noch furchtbar und beklemmend.

Aber vielleicht käme es am Ende ja doch nicht ganz so schlimm...

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