SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

19OKT2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Es herrscht Krieg im Libanon, viele Kinder verlieren ihre Eltern. Nicht nur heute, auch im Jahr 1860 war das schon so. Ein Mann reist mutig und großherzig ins Kriegsgebiet und holt sechs Waisenkinder zu sich. Einige Monate später sind es schon über 40 Kinder, die bei ihm wohnen. 143 Jahre ist das jetzt her. Seit vielen Jahren tragen diese Schulen seinen Namen und sind ein Leuchtfeuer des interreligiösen Lernens: Es sind die Schneller-Schulen. Und heute ist der Schneller-Gedenktag.

Johann Ludwig Schneller war ein armer Bub von der Schwäbischen Alb. 1820 wird er in eine Bauernfamilie hineingeboren, bekommt aber die einmalige Chance, sich zum Lehrer ausbilden zu lassen und nach Basel zu gehen, zur Chrischona-Missionsschule. Zusammen mit seiner Frau Magdalene lässt er sich 1854 hinausschicken in den Nahen Osten. Ein pietistischer Missionar unter anderen. Aber bald kauft er vor den Toren Jerusalems ein eigenes Grundstück und beginnt das aufzubauen, wofür er bis heute berühmt ist: seine Schule für Waisenkinder.

Schnellers Motivation heißt: „Was ist bildsamer, was ist verheißungsvoller als ein Kind?“ Und er meint damit: jedes Kind ist verheißungsvoll, unabhängig von seiner Nationalität. Er nimmt sie alle auf und bildet die Kinder zuerst rein schulisch, ehe sie ab 14 Jahren eine handwerkliche Ausbildung machen. „Hilfe zur Selbsthilfe“ nennen wir das heute, und Schneller eröffnet dafür eine Bäckerei und eine Töpferei. Als Schneller 1896 stirbt, leben 200 Kinder aus unterschiedlichen Nationen zwischen 4 und 17 Jahren in seinem „Syrischen Waisenhaus“. Dessen Gelände umfasst ein größeres Gebiet als die damalige Jerusalemer Altstadt!    

Schnellers Söhne leiten die Schule weiter, ehe die Arbeit im Ersten Weltkrieg schwieriger wird. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges schließen die Briten die Schule sogar. Aber Schnellers Sohn Helmut gründet Anfang der 1950er Jahre eine Schneller-Schule im Libanon und sein Enkel in den 1960er Jahren eine in Jordanien.

Beide Schneller-Schulen gibt es bis heute. In ihnen leben und lernen muslimische und christliche Kinder aus verschiedenen Ländern nicht nur Mathe und Schreinern, sondern vor allem: gut zusammenzuleben. Die Ereignisse der letzten Woche haben uns in furchtbarer Weise in Erinnerung gerufen, dass der Grundansatz von Schneller aktueller ist denn je: Leben zu teilen. Gemeinsam Projekte anzugehen. Um im Alltag zu lernen, dass die Andere genauso ein Mensch ist wie ich. So sind die Schneller-Schulen auch heute ein Leuchtturm des Friedens im Nahen Osten und für die ganze Welt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38635
weiterlesen...