SWR2 Wort zum Tag

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05OKT2023
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Jetzt können wir sie wieder erleben, diese zauberischen Herbststunden am Morgen zwischen Nacht und Tag, in denen der Nebel die Häuser umhüllt und vor den Wäldern auf den Wiesen liegt. „Im Nebel ruhet noch die Welt, noch träumen Wald und Wiesen“, so beschreibt Mörike in einem Gedicht diesen herbstlichen Zustand in der Dämmerung eines neuen Tages. Der Nebel verhüllt die Welt, zugleich birgt er eine Ahnung, Mörike meint: Eine Verheißung. „Bald siehst du, wenn der Schleier fällt, den blauen Himmel unverstellt.“ Mich erinnern die morgendlichen Nebelstunden und Mörikes Gedicht daran, dass unsere Wahrnehmung stets begrenzt ist und zugleich erfüllt von der Ahnung einer größeren Wirklichkeit. Was ich sehen kann, was ich mit meinen Sinnen und meinem Verstand erfassen kann, ist oft nicht ganz klar. Selbst mein eigenes Leben habe ich nicht immer in der Hand, und manchmal kommt es mir im Rückblick vor, als hätte ich meine Tage verträumt, manche Zeiten liegen wie im Nebel.

Sie machen mich daher bescheiden, diese morgendlichen Nebelstunden. Sie zeigen mir meine Grenzen. Sie erinnern mich daran, dass ich Geschöpf bin und in einer Schöpfung lebe. Dass es eine Zeit vor dieser Welt gab und eine Zeit nach mir geben wird. Auch wenn ich mir das gar nicht vorstellen kann wie es ist, wenn ich nicht mehr bin. Wer weiß, was ich einmal sehen werde, wenn der Schleier für mich fällt. Heute gilt:  Im Nebel ruhet noch die Welt.

Die Einsicht in die eigene Begrenzung könnte traurig stimmen. Und manchmal ist das auch so. Doch Mörike erinnert mich daran, dass der Herbst seine eigene Stärke hat. Wenn sich die Nebel verzogen haben, brennt die Sonne nicht auf die Erde, vielmehr fließt ein warmes Licht durch die Welt. Mörike sieht, nach dem Nebel, herbstkräftig die gedämpfte Welt, in warmem Golde fließen.

Wie schön: Im warmen Golde fließen. Und herbstkräftig sein! So mag ich gerne durch diese Herbsttage gehen, mich und die Menschen und unser Leben darin sehen. Wir sind kostbare, zerbrechliche, wunderbare Geschöpfe, gehüllt in das Gold der Herbsttage. Herbstkräftig eben.

Dafür mag ich Gott dann auch herbstkräftig loben und ihm danken. Für die nachdenklichen Nebel-Stunden in der Dämmerung eines neuen Tages, für meine Träume, für den blauen, unverstellten Himmel und für das, was bleibt. Vor dem Nebel und nach dem Nebel. Im warmen Golde.

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