SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

01OKT2023
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Wie fühlt sich das eigentlich an, alt zu werden?
Als Kind fand ich meinen Opa mit Anfang sechzig alt. Ich mochte meinen Opa. Er zeigte mir viele tolle Dinge. Eine Dampflok, die Güterwaggons zog und weißen Rauch ausstieß. Den riesigen Ladekran, für den er als Ingenieur im Weserhafen verantwortlich war. Aber auch wie man Haferflocken mit Himbeersirup isst oder wie man Kartoffeln pflanzt.

Heute bin ich selber in dem Alter, fühle mich aber noch nicht so alt, wie mein Opa damals war. Früher war man alt, wenn man in Rente ging. Heute gehöre ich zu den mobilen Jungsenioren.

Alt finde ich meinen Vater, mit inzwischen sechsundachtzig Jahren. Ich erlebe ihn durchaus als wach, wenn ich mit ihm rede. Er verfolgt nach wie vor das Zeitgeschehen und nimmt auch dazu Stellung. Seine Sicht teile ich oft nicht - aber das macht nichts. Ändern kann und will ich ihn nicht mehr. Streit lohnt sich nicht. Er war schon immer sehr meinungsstark. Warum soll ich uns noch die letzte gemeinsam verbleibende Zeit verderben?

Ich habe Hochachtung vor Männern im Alter meines Vaters, die sich auf’s Fahrrad schwingen und die Schwäbische Alb überqueren. Oder Frauen im gleichen Alter, die mir erklären können, was Künstliche Intelligenz ist und die schonmal ausprobiert haben, Texte am Computer mit ChatGPT zu schreiben.

Doch ein komisches Gefühl beschleicht mich, wenn ich Menschen erlebe, die ihre Jugendlichkeit bis ins hohe Alter kultivieren. Ich frage mich dann manchmal, ob sie ihr eigene Endlichkeit so weit wie möglich hinaus zögern wollen. So als ob sie das Sterben ignorieren möchten.

Dabei betet Mose in Psalm 90: Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, damit wir klug werden. Wie also kann ich würdevoll alt werden? Und zwar so, dass das eigene Sterben dabei einbezogen wird.

Wie kann ich in Würde alt werden?
In der Bibel sagt ein Freund zu Hiob, der ein schweres Schicksal ertragen musste: Die Betagten sind nicht die Weisesten, und die Alten verstehen nicht, was das Rechte ist. (Hiob 32,9)

B‘ff , harter Tobak! Wenn man dem Glauben schenken will, dann macht Alt-Werden also nicht unbedingt klug. Aber dann ergänzt der Freund: Wahrlich, es ist der Geist im Menschen und der Odem des Allmächtigen, der sie verständig macht.

Vielleicht hilft es wirklich zum würdevollen und klugen Altwerden, irgendwie in Beziehung zu Gott und seinem Geist zu sein.

Mein Vater hat mir vor ein paar Jahren einen Brief geschrieben und das „Gebet einer Äbtissin“ beigelegt. Er bezog dieses Gebet auf sich selbst. Darin schimmert diese Beziehung zu Gott sehr unaufgeregt durch, sodass etwas davon spürbar wird, wie diese Würde im Alter aussehen kann.

„Herr, du weißt, dass ich altere und bald alt sein werde.“ schreibt die Äbtissin „Bewahre mich davor, schwatzhaft zu werden, und besonders vor der fatalen Gewohnheit, bei jeder Gelegenheit und über jedes Thema mitreden zu wollen. Befreie mich von der Einbildung, ich müsse anderer Leute Angelegenheiten in Ordnung bringen. Bei meinem ungeheuren Schatz an Erfahrungen und Weisheit ist’s freilich ein Jammer, nicht jedermann daran teilnehmen zu lassen.

Du weißt, Herr, am Ende brauche ich ein paar Freunde. Ich wage nicht, dich um die Fähigkeit zu bitten, die Klagen meiner Mitmenschen über ihre Leiden mit nie versagender Teilnahme anzuhören. Hilf mir nur, sie mit Geduld zu ertragen, und versiegle meinen Mund, wenn es sich um meine eigenen Kümmernisse und Gebrechen handelt. Sie nehmen zu mit den Jahren, und meine Neigung, sie aufzuzählen, wächst mit ihnen.

Ich will dich auch nicht um ein besseres Gedächtnis bitten, nur um etwas mehr Demut und weniger Selbstsicherheit, wenn meine Erinnerung nicht mehr mit der anderer übereinstimmt. Schenke mir die wichtige Einsicht, dass ich mich gelegentlich irren kann.

Hilf mir, einigermaßen milde zu bleiben. Ich habe nicht den Ehrgeiz, eine Heilige zu werden. Mit manchen von ihnen ist es so schwer auszukommen. Aber ein scharfes altes Weib ist eins der Meisterwerke des Teufels.

Mache mich teilnehmend, aber nicht sentimental, hilfsbereit, aber nicht aufdringlich. Gewähre mir, dass ich Gutes finde, wo ich es nicht vermutet habe, und Talente bei Leuten, denen ich es nicht zugetraut hätte. Und schenke mir, Herr, die Liebenswürdigkeit, es ihnen zu sagen. Amen“

Ich finde, die Beterin geht sehr nachsichtig mit sich selbst und ihren Schwächen um. Zugleich wünscht sie sich so eine gelassene Altersmilde mit anderen.

Ich hoffe und wünsche mit für mich selbst, dass ich ähnlich in Verbindung mit Gott bleiben kann, damit ich auch mit einer solchen Haltung alt werden kann. Denn das finde ich würdevoll.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38486
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