Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP
Heute vor 74 Jahren hat zum ersten Mal der Deutsche Bundestag getagt. Das ist lange her, aber alles andere als selbstverständlich. Immerhin gibt es genug Länder auf dieser Erde, die kein Parlament haben, das frei gewählt wird – ich denk da zum Beispiel an Weißrussland und die Proteste vor ein paar Jahren gegen Wahlmanipulationen.
Ich erinnere mich: Das allererste Mal habe ich durchs Fernsehen vom Bundestag erfahren. Ich war damals erst fünf. Ich hatte bei meiner Oma übernachtet. Die schlief relativ lange. Und da habe ich aus Langeweile ihren Fernseher angeschaltet, weil ich die Sesamstraße sehen wollte. Die kam aber nicht, sondern eine aktuelle Debatte des Deutschen Bundestags. Tatsächlich blieb ich davor sitzen. Ich fand es zwar total langweilig, weil ich nichts davon verstand, was die Erwachsenen da redeten. Da gingen Leute zu einem Rednerpult und schimpften, dann lobte ein anderer auf einmal das, was der Bundeskanzler macht. Aber irgendwas hat mich doch daran gefesselt. Ich weiß nicht genau, warum.
Nach den neuesten Meinungsumfragen fühlen sich viele Wählerinnen und Wähler bevormundet und nicht genügend beteiligt. Was hilft gegen dieses Gefühl? Sicher nicht, sich ins Private zurückzuziehen oder die Demokratie zu verachten, sondern die eigenen Ideen und Vorschläge einzubringen. Um das tun zu können, muss ich mich nicht in ein Parlament wählen lassen. Ich kann meinem gewählten Abgeordneten auch jederzeit eine Mail oder einen Brief schreiben. Da kann ich begreiflich machen, was mir gerade an den Entscheidungen gefällt, und auch das, was mich stört. Die Idee, sich einzubringen, ist nicht neu.
Schon der Prophet Jeremia in der Bibel riet seinen Landsleuten, die in die Fremde verbannt waren, in einem Brief: „Suchet der Stadt Bestes, und betet für sie! Denn wenn es ihr gut geht, geht es auch euch gut.“ (Jeremia 29,7). Ich finde es jedenfalls gut, dass es den Bundestag gibt, ein frei gewähltes Parlament, und das schon seit 74 Jahren.
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