SWR Kultur Wort zum Tag

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23AUG2023
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Ich würde gerne mal eine Ausstellung verschwundener Dinge kuratieren. Die Idee dazu kam mir an dem Tag, als ich in Ephesus auf der Suche nach dem Tempel der Artemis war, einst eines der berühmten „Sieben Weltwunder“. Die kümmerlichen Überreste, auf die ich dann schließlich gestoßen bin, lassen heute nicht einmal mehr erahnen, warum Menschen einmal so fasziniert von diesem Bauwerk gewesen sind. Selbstverständlich hätte dieser Tempel also einen Platz in meiner Ausstellung der verschwundenen Dinge.

Doch auch ganz alltägliche Dinge würde ich aufnehmen: Z.B. Telefonzellen, die noch in meiner Kindheit ganz selbstverständlich zum Leben gehört haben. Oder Kinos mit frivolen Filmchen, die sind heute dank der ständigen Verfügbarkeit im Internet ebenso von der Bildfläche verschwunden wie Dampflokomotiven. Eine Sonderecke würde ich der Tupperware gönnen: Noch vorhanden, aber bereits angezählt. Ihr Aktienkurs ist komplett eingebrochen.

Manche Leute meinen, dass angesichts der unfassbar hohen Austrittszahlen auch die Kirche einen Platz in meiner exquisiten Ausstellung finden könnte, direkt neben der Tupperware: Noch vorhanden. Betonung auf: Noch. Auch mir scheint es unwahrscheinlich, dass es in fünfzig Jahren die Kirchen in ihrer jetzigen Form als Volkskirche mit flächendeckenden Versorgungsstrukturen noch so gibt. Noch unwahrscheinlicher finde ich aber die Vorstellung, dass es gar keine Kirche mehr gibt. Denn zum Wesen des Christentums gehört es, dass es immer neue Formen gefunden hat, die zu seinem Inhalt gepasst haben. Kirche ist in ihrer Form nicht so festgelegt wie eine Tupperdose. Wir sind heute zum Beispiel weit entfernt von den Katakomben, in denen die ersten Christen Gottesdienste gefeiert haben, ebenso aber auch vom Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Kirche ist nicht statisch, sondern lebt von Beziehungen, von den Menschen, die sich in ihr und für sie engagieren. Ich meine, dass sie deswegen eine Zukunft hat und auch für zukünftige Gesellschaften von Interesse und Relevanz sein wird.

Und wenn nicht? Ephesus und seine zerborstenen Säulen lehren mich Gelassenheit. Was zu starr ist, zerbricht eben. Was in Beziehung lebt, bleibt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Bibel auch in 2000 Jahren noch von Menschen gelesen wird, die sich von ihrer Botschaft faszinieren lassen. Und letztlich liegt die Angelegenheit, jedenfalls aus christlicher Perspektive, nicht in Menschen- sondern in Gottes Hand. Da weiß ich sie gut aufgehoben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38228
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