SWR2 Wort zum Tag

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21AUG2023
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Manchmal erlebt man mitten am Tag eine kleine Sternstunde. Es ist wie die Ahnung einer fremden, wunderbaren Wirklichkeit. Sternstundenmomente brauchen besondere Räume. Einen stillen Wald, Licht, das sich durch die Baumwipfel bricht, eine alte Kirche. Und plötzlich geschieht es.

Sternstundenmomente sind Augenblicke vollkommener, fragloser Klarheit. Das Gefühl, eins zu sein mit sich und dem Universum. Christen sagen: Es sind Augenblicke von Gottesnähe, in denen sich spüren lässt, was das Heilige ist.

Sternstundenmomente sind reine Geschenke. Niemand kann solche Augenblicke zwingen. Dennoch kann man etwas dafür tun. Die Stille suchen. Ein Schweigen aushalten. Natur auf sich wirken lassen oder heilige Räume.

Es gibt aber auch Menschen, die solchen Sternstunden lieber ausweichen mögen. Der große Dichter Mörike gehörte wohl zu dieser Sorte. „Wollest mit Freuden mich nicht überschütten...“ bittet er in einem Gedicht. Mörike hat gewusst, dass man Sternstunden nicht auf Dauer besitzt, sie sind Geschenke des Augenblicks. Um von tiefem Leid verschont zu bleiben, verzichtet er lieber auch auf die höchsten Freuden. Das Mittelmaß scheint ihm das Angenehmste: „In der Mitte liegt holdes Bescheiden“ war sein Fazit.

Sicher, der Abschied von der Sternstunde kann schmerzhaft sein. Auf der anderen Seite verpasst man auch viel, wenn man ihr bewusst ausweicht. Wollest mit Freuden mich nicht überschütten... Das wäre nicht mein Gebet. So bescheiden will ich gar nicht sein.

Ich möchte lieber, wenn auch nur für wenige, kostbare Augenblicke, den Himmel offen sehen. Denn oft genug muss ich doch auch einen Blick in schlimme Abgründe werfen, manche Menschen erleben gar die Hölle. Im Krieg. Auf der Flucht. In den Sternstunden-Augenblicken merke ich, dass die Hölle nicht das letzte Wort hat. Dass wir Menschen, auch wenn wir das nicht ständig merken, doch umgeben sind von einer größeren, berauschend schönen Wirklichkeit.

In Sternstunden-Augenblicken spüre ich das. Und diese Augenblicke hinterlassen Sternenstaub in meinem Leben. Da ist ein neuer Glanz. Darum:

Jeder Mensch darf ruhig darum bitten, mit Freude überschüttet zu werden, in kostbaren, besonderen Momenten. Warum nicht schon heute?

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38226
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