Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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16AUG2023
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Auch Kinder haben Geheimnisse. Und das ist gut so.
„Wie war’s denn in der Schule heute?“ – „Mit wem spielst du gerne?“ – „Welche Urlaubs-Unternehmung hat dir am besten gefallen?“ Wenn wir unserem achtjährigen Sohn solche Fragen stellen, bekommen wir meistens dieselben beiden Antworten: „Sag’ ich nicht!“ Und: „Das musst du nicht wissen!“

Natürlich würden wir manches tatsächlich gerne wissen. Einfach, weil es uns als Eltern interessiert, weil wir Anteil nehmen möchten. Und manchmal ist es auch ganz schön anstrengend, von irgendeiner wichtigen Sache nur zufällig oder ganz knapp vorher zu erfahren.

Aber unser Sohn setzt eben Grenzen. Er legt selbst fest, was er mit uns teilt und was nicht. Und das finde ich erst mal gut und richtig. Weil auch ein achtjähriges Kind schon ein eigenständiger Mensch ist, nicht mit seinen Eltern verschmolzen. Und wenn er uns dann überraschend doch mal was erzählt, ist das seine eigene Entscheidung und um so bedeutsamer.

Der libanesisch-US-amerikanische Dichter Khalil Gibran hat ein Gedicht dazu formuliert: „Eure Kinder sind nicht eure Kinder“, schreibt er da. „Sie kommen durch euch, aber nicht von euch, und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht.“ Das klingt erst mal hart, finde ich. Aber die Perspektive ist vielleicht auch heilsam. Für meinen Sohn, der sein eigenes Leben führt und dann eben auch Geheimnisse haben darf. Aber auch mich als Vater entlasten diese Zeilen. Weil die Verantwortung für meinen Sohn nicht uferlos ist. Er hat ganz Recht – ich muss nicht alles von ihm wissen. Letztlich muss ich nur über mein eigenes Leben Bescheid wissen. Auch damit bin ich ja schon ganz gut beschäftigt.

Gut aufgehoben darf ich meinen Sohn und unsere anderen Kinder trotzdem wissen. „Sie sind die Söhne und die Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selber“, sagt Gibran in seinem Gedicht. Und als Christ hat das für mich mit Gott zu tun. Gott, die Quelle des Lebens, weiß um unsere Kinder – und auch um das, was sie im Innersten beschäftigt. Das hilft mir dabei, loszulassen.

„Sag’ ich nicht!“ – „Das musst du nicht wissen!“ Mal sehen, wann wir das nächstes Mal wieder hören. Und wenn unsere Kinder dann mal in die Pubertät kommen, sind wir immerhin auf ihre Teenager-Geheimnisse schon ganz gut vorbereitet.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38159
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