Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Ein Samstagnachmittag, eine schnuckelige Kirche, eine fröhliche Festgesellschaft – es ist Hochzeit. Ich sitze in der hintersten Bank der Kirche und lausche dem Brautpaar. Nach der Traurede kommt der Moment, in dem sich Paare in der Regel die dollsten Dinge versprechen. Doch diesmal ist das anders. Die beiden sagen sich gegenseitig, was sie aneinander schätzen. Wow, denke ich. Das ist stark. Was für ein liebevoller Blick aufeinander.
Fast gleichzeitig frage ich mich aber: Wann geht das eigentlich verloren? Wenn ich mich mit Freunden unterhalte, dann können wir einander auch viel über den Partner erzählen. Allerdings ist das oft nicht mehr ganz so positiv.
Nicht nur in Ehen, auch im Job, unter Freunden und in Kirchengemeinden verfliegt der Zauber des Anfangs mit der Zeit. Der Blick aufeinander ändert sich. Die Freude aneinander weicht dem Ärger übereinander. Eigentlich schade, oder?! Überall da, wo wir länger mit Menschen zu tun haben, passiert es schnell, dass wir uns eher auf das Negative fokussieren, als das Positive zu sehen.
Kürzlich bat mich mein Freund Simon, ob ich ein paar Dinge aufschreiben könnte, die ich an ihm schätze. An einem freien Abend setze ich mich hin und fange an, über meinen Simon nachzudenken. Ein paar positive Eigenschaften fallen mir schnell ein: zuverlässig, humorvoll, klar, loyal.
Und dann geschieht Erstaunliches: Je länger ich über Simon nachdenke, desto mehr positive Eigenschaften und Charakterzüge fallen mir ein. Auf einmal nehme ich auch Feinheiten wahr, die ich vorher so nicht hätte artikulieren können. Simon hat einen Sinn für Schönes und ihm gelingt es, das künstlerisch auszudrücken. Die Liste wird immer länger. Am Ende bin ich ehrlich überrascht darüber, was ich alles aufgeschrieben hatte. Grundsätzlich war mir natürlich vorher schon klar, dass Simon ein super Typ ist.
Ich glaube, es braucht immer wieder die bewusste Entscheidung, das Gute am Anderen zu suchen und auszusprechen. Der Apostel Paulus legt der Gemeinde in Thessalonich ans Herz: „Darum macht euch gegenseitig Mut und baut einander auf, wie ihr es ja schon tut.“ Ein bisschen Anerkennung und Wertschätzung ist schon da bei den Christen in Thessalonich. Paulus feuert sie an: „Macht weiter so! Überschüttet Euch mit Komplimenten und Ermutigung. Sucht das Gute am Anderen und sprecht es aus.“
Ermutigen und aufbauen anstatt zu kritisieren und niederzumachen. Mit ein bisschen Training fällt das gar nicht so schwer. Wie bei meinem Brief an Simon. Je länger ich über ihn nachgedacht habe, desto mehr gute Dinge sind mir eingefallen, die ich ihm sagen konnte. Und es muss ja auch nicht immer gleich ein ganzer Brief sein.
Auch mit kleinen Sätzen wie „Das hast du richtig gut gemacht.“ oder „Dein Essen hat mir total gut geschmeckt!“ zaubern wir ganz nebenbei ein großes Lächeln in das Gesicht des Anderen.
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