Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

02AUG2023
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Den 14. Juli 2021 werde ich nie vergessen, auch wenn ich selber nicht betroffen war. Gigantische Wassermassen schießen durch das Ahrtal und hinterlassen eine Spur der Verwüstung. Als die ersten Bilder in den Nachrichten erscheinen, sitze ich da und bin fassungslos. Was für eine Katastrophe.

In den nächsten Tagen lassen mich diese Bilder nicht los. Ich rede mit Freunden darüber. Schließlich machen wir uns zu viert auf den Weg, um zu helfen. Die Freie evangelische Gemeinde Rheinbach wird in diesen Tagen zu einem wichtigen Koordinationspunkt für ehrenamtliche Hilfe im Ahrtal und den anderen betroffenen Regionen im Umfeld. Vor Ort angekommen lernen wir Sascha Neudorf kennen. Er ist Pastor der Evangelischen Freikirche Siegburg und leitet den Krisenstab. Tausende Helferinnen und Helfer wird er in den kommenden Wochen an die Orte bringen, an denen so dringend Hilfe benötigt wird. Später entsteht aus dieser Bewegung das Hoffnungswerk e.V.

Viele sind gekommen, um tatkräftig mit anzupacken. Aufzuräumen. Wasser aus Kellern zu pumpen. Schlamm aus den Häusern zu schleppen. Häuser zu entkernen. Doch so wichtig die praktische Hilfe auch ist, einen Leitsatz betont Sascha an jedem Morgen beim gemeinsamen Briefing: „Wir sind für die Menschen hier, nicht nur für den Schlamm.“

An einem Tag helfen wir einem Mann, Ende 50. Wir hauen zusammen den Putz von den Wänden seines Hauses. Übriggeblieben ist nur der gemauerte Kamin. Nach einigen Stunden sehe ich den Mann mit einem Vorschlaghammer vor dem Kamin stehen. Er hält inne. Holt tief Luft. Im nächsten Moment weicht auch das letzte Stück Wohnlichkeit aus seinem Haus. Mir stehen die Tränen in den Augen. Irgendwie hoffe ich, dass es ihm hilft, in diesem Moment wenigstens nicht alleine zu sein.

Anfang diesen Jahres komme ich zurück ins Ahrtal. Manches ist wiederaufgebaut oder ganz neu entstanden. Aber es ist auch immer noch so vieles kaputt. Das Ahrtal bleibt ein Katastrophengebiet. Auch wenn der Fokus der Medien längst weg ist, der Leidensweg ist noch lange nicht vorbei.

Auf diesem Weg bleibt das Hoffnungswerk an der Seite der Menschen im Ahrtal. Nach wie vor kümmert sich der Verein um den Wiederaufbau, schafft Raum für Begegnung, in mobilen und stationären Cafés. Junge Leute ziehen in die Ahrtal-WG´s, um für die Menschen im Ahrtal dazu sein. Sie richten mit dem Kids-Bus Kindergeburtstage aus, bieten Gespräch an und vermitteln Trauma-Therapie. Auf der neuen Beachvolleyball-Anlage wird beim Sport machen das Erlebte verarbeitet.

Ein Einwohner sagt es so: „Ihr seid da, hört zu, tragt unser Leid mit und helft dabei, das Erlebte zu verarbeiten. Damit nicht allein zu sein, ist für uns so wichtig.“ Geteiltes Leid, ist halbes Leid – das ist hier keine Floskel. Viele Menschen im Ahrtal erleben das, weil es das Hoffnungswerk gibt. Und das ist in dieser Katastrophe einfach großartig.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38106
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