SWR2 Wort zum Tag

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14JUL2023
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Ich sitze in der Gedächtniskirche von Speyer im Konzert mit Joseph Moog und der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz. Soeben noch frenetischer Applaus. Und jetzt gespannte Stille. Alle warten auf die Zugabe des Pianisten. Ich sehe, wie er sich noch einmal kurz konzentriert. Und dann zu spielen beginnt. Ein Klavierstück von Franz Liszt. Au bord d´une source. Am Rande einer Quelle. Ich habe es bis dahin noch nie gehört. Und bin vom ersten Ton an gebannt.

Was ich höre, gleicht einem musikalischen Wasserlauf. Kaskaden von Sechzehnteln fließen herauf und herunter, unglaublich sprudelnde Klänge und perlende Töne, alles quillt und perlt und drängt und strömt. Und in allem und über allem ist da eine wunderbar sphärische Melodie, die wie ein Regenbogen alles überspannt.

Dabei kommt mir in Erinnerung, was Sergiu Celibidache, ein berühmter Dirigent, einmal gesagt hat: Musik ist das hörbare Verklingen von Zeit. Hier wird es erfahrbar. Jeder Ton strebt mit seinem Klang einem Ende zu. Er vergeht. Wie auch immer. Und lässt einen insofern, bei aller Schönheit, auch die Vergänglichkeit hören. In der Welt von heute habe ich manchmal das Gefühl, dass da so vieles ist, das verklingt, verweht, vergeht.

Aber: dieses Klavierstück „Au bord d´une source“ von Franz Liszt setzt für mich einen Kontrapunkt. Es bringt das pure Leben zum Klingen. Ich höre mich tatsächlich am Rande einer Quelle sitzen. Einer Quelle, der beständig und unaufhörlich neue Töne und Klänge entspringen. Frisch und klar und vital und belebend. Ich könnte immer weiter dort sitzen und zuhören.

Ich brauche Quellen, aus denen ich schöpfen kann, damit sie mir Kraft geben. In diesem Sinne ist Gott für mich Quellgrund meines Lebens. Und in Momenten wie diesen kann ich etwas von seiner Schöpferkraft spüren. Sie findet ihren Ausdruck in den Fähigkeiten eines Menschen, der für mich durch seine Kunst eine Quelle zum Sprudeln bringt.

Ist es nicht ein Wunder, dass ein Mensch solch eine wunderbare Musik komponieren und ein anderer Mensch sie so mitreißend spielen kann? Ist es nicht ein Wunder, dass es Quellen wie diese gibt? Quellen, die einen im übertragenen Sinn vom Wasser des Lebens trinken lassen? Neue Energie und Lebensfreude schenken?

Musik ist eine der schönsten Zugaben im Konzert des Lebens. Es tut wunderbar gut, dann und wann am Rande einer solchen Quelle zu sitzen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38000
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